Die Grünen haben auf einmal entdeckt, dass die private Altersvorsorge unübersichtlich und verbraucherfeindlich ist. „Der deutsche Steuerzahler buttert jährlich Milliarden in die private Altersvorsorge. Das soll die Rentnerinnen und Rentner reich machen, nicht die Banken und Versicherungsmakler“, sagte die verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen, Nicole Maisch, der Berliner Zeitung. Tja, wo liegt das Problem? Die Grünen wollen es erkannt haben. Schuld sind die Versicherungskonzerne und deren Vermittler, die ihre Kunden über die tatsächlich anfallenden Kosten im Unklaren ließen, ja diese sogar verschleierten.
Doch wer nun gesunden Menschenverstand von den Grünen erwartet, sieht sich getäuscht. Denn nicht die Beseitigung eines Geschäftsmodells, das nur unter den Bedingungen Angst und Täuschung funktioniert, bildet die Conclusio, sondern die alberne Forderung nach mehr Transparenz. Die angebotenen Produkte müssten im Vergleich zum staatlichen Rentensystem ähnlich transparent, verständlich, kostengünstig und leistungsstark sein, empfiehlt der Finanzwissenschaftler Andreas Oehler, der im Auftrag der Grünen mal nachgeforscht hat und den Gesamtschaden für die Verbraucher auf 50 Milliarden Euro pro Jahr beziffert.
Ja warum nehmen wir denn dann nicht das staatliche Modell, Herrgott noch mal?
Diese Frage stellt sich aber nicht, weil jener Glaube es verbietet, den auch die Grünen predigen. Private Altersvorsorge sei zwingend notwendig wegen Demografie und so. Das steht halt in der neoliberalen Bibel. Doch wenn dieser Satz gilt, fällt es auch den aufgeklärtesten Grünen schwer, den logischen Gedankenschritt zu der Frage hin zu gehen, ob ein privates Geschäftsmodell mit der Altersvorsorge unter den von Oehler beschriebenen Voraussetzungen überhaupt funktionieren kann. Denn wäre die Riester-Rente oder ein anderes dieser Produkte transparent und verständlich würde jeder erkennen, dass diese niemals kostengünstig und leistungsstark arbeiten können.
Ganz im Gegenteil wird der Beschiss der Verbraucher durch eine gigantische staatliche Subvention, genannt Riester-Förderung, zusätzlich verschleiert. Nur so ist die private Altersvorsorge überhaupt erst attraktiv geworden. Politik und Versicherungswirtschaft sitzen als Komplizen im selben Boot und animieren den Verbraucher permanent zur Mitnahme staatlicher Subventionen, die er ohnehin selber zu zahlen hat. Auch diejenigen, die sich aus gesundem Menschenverstand der Verblödung entziehen und bewusst oder aus Mangel an finanziellen Möglichkeiten ganz auf den privaten Ablasshandel verzichten, werden als Steuerzahler an der Finanzierung von Abschluss-, Vertriebs- und Mietmaulgebühren in Funk und Fernsehen beteiligt.
Es ist wie mit der Kirchensteuer. Sie können aus der Herde austreten, einem völlig anderen Glauben angehören oder Atheist sein, sie finanzieren beide Läden trotzdem mit. Immerhin bleibt neben all den Ritualen und Gebeten auch etwas für das Gemeinwohl übrig, wohingegen die private Altersvorsorge nur dazu dient, Beiträge aus einem effizient und sicher arbeitenden System auf die Mühlen einer kriminell agierenden Finanzindustrie umzuleiten. Maschmeyers Ölquelle dürfte inzwischen als feststehender Begriff in der Enzyklopädie der Versicherungswirtschaft zu finden sein, gleich neben dem passenden Bild.
Der Skandal um die private Altersvorsorge ist nicht neu. Doch warum entdecken die Grünen ihn erst jetzt? Na weil das Geschäft insgesamt ins Stottern geraten ist. Der Verbraucher ist verunsichert. Da wollen die Grünen mit ihrem scheinkritischen Getue verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.
Inzwischen läuft die Debatte in den Medien ausschließlich in Richtung Kündigung von Verträgen. Hier müsse der Verbraucher über Stornogebühren und Verluste schon beim Abschluss besser informiert werden. Den Mist abschließen, soll er ja weiterhin. Würde man dagegen verstärkt die hohen Kosten einer privaten Versicherung von bis zu 40 Prozent des Beitragssatzes unter die Lupe nehmen und mit den moderaten Verwaltungsgebühren von weniger als 5 Prozent bei der gesetzlichen Umlage vergleichen, wäre sehr schnell vieles klar. Man braucht nicht mehr Transparenz, sondern schlichtweg offene Augen, um genauer hinzusehen. Aber das wollen weder Politiker und Medien noch die Stiftung Warentest, die durch das Geschäft mit der vermeintlichen Absicherung sozialer Risiken finanziell profitieren und damit mehr verdienen als mit der Recherche und Weitergabe von Informationen.
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.