Ein Phänomen wirft Schatten

Geschrieben von: am 09. Jul 2012 um 22:35

Als zum Ausklang der vergangenen Woche, in der die Entdeckung des “Gottesteilchens” von der Wissenschaft gefeiert wurde, auch die abermals gestiegenen Umfragewerte für Angela Merkel durch alle Leitungen schnellten, bezeichneten einige Gazetten die Kanzlerin als Phänomen. Sie genieße hohe Popularitätswerte, obwohl die Deutschen die Schnauze voll von jener schicksalsträchtigen Eurorettung hätten, die Merkel als Mantra permanent vor sich hertrage. Weder mögen die Deutschen einen Sinn in den Maßnahmen erkennen, noch befürworten sie eine weitere Abgabe von nationalen Kompetenzen an Brüssel.

Doch für beides steht Merkel und dennoch fliegen ihr die Herzen zu. “Sie kann ihre Meinung ändern, Minister fallen lassen, oder Präsidenten, die sie selbst vorgeschlagen hat, zurücktreten lassen. Die Wähler tragen es ihr nicht nach”, meint etwa die slowakische Zeitung SME aus Bratislava.

Beim Meldegesetz wirft das Phänomen Merkel nun einen weiteren bizarren Schatten. Bekannt ist, dass Parlamentarier den Inhalt von Gesetzen, die sie verabschieden, in der Regel kaum kennen – siehe Rettungsschirme / EFSF / ESM / Fiskalpakt. Neu ist hingegen, dass dieselben Abgeordneten, die den Inhalt von Gesetzen kaum kennen geschweige denn verstehen, dennoch in der Lage sind, Änderungen an diesen vorzunehmen, für die sie sich hinterher allerdings nicht verantworten wollen.

Wie weit will sich diese Regierung eigentlich noch vom Regieren entfernen? Nun wird der Bundesrat durch die Bundesregierung um Amtshilfe gebeten, um das mit eigener Mehrheit beschlossene Gesetz zu korrigieren. Da kann man nur hoffen, dass die Volksvertreter aus der Länderkammer wissen, worum es inhaltlich geht. In völliger Ignoranz des Vorgangs wird derweil der Michel auch diese unterirdische parlamentarische Leistung mit einem Pluspunkt bei der nächsten Umfrage honorieren.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Careca  Juli 10, 2012

    Die Regierung hat seit 2007/2008 ihren zu jener Zeit offensiv propagierten Regierungsstil nie abgeschafft geschweige denn geändert: Regieren auf Sicht. Dabei hatte sie auch damals nicht wirklich was neues getan statt immer nur von 12 Uhr bis mittags zu denken und dann die Opposition der Destruktivität zu bezichtigen, weil sie die Regierung nicht zu unterstütze. Jetzt ist diese Politik so offensichtlich geworden und die SPD- und Grün-geführten Bundesländer werden im Bundesrat um Amtshilfe gebeten …
    Soweit meine Politikerschelte.
    Mir fiel zudem noch auf, wie die Medien die Schuldigen identifizieren: die schreiben, dass die Abgeordneten mehrheitlich sich das EURO-Spiel (gemeint hier: das Fussball Deutschland-Italien; nicht das Spiel der Finanzwirtschaft) angeschaut hatten. Und dass die Opposition locker mit einer Mehrheit das Gesetz im Bundestag hätte verhindern können, hätte die Opposition nicht vor dem Fernseher geklebt. Aha. Es drängt sich mir beim lesen der Berichte darüber der Eindruck auf, erstens die Opposition hat ihre Rolle als „Kontrollinstanz“ nicht wahrgenommen, zweitens die Regierungsparteien wurden von der Opposition publikumswirksam ins Messer laufen gelassen, als es um die Abstimmung kam, und musste jetzt durch der Opposition verschuldet den unrühmlichen Gang nach Canossa antreten, und drittens das, was die Opposition bei der Betreuungsgelddiskussion parlamentarisch veranstaltete, war reine Show und nicht das, was eine Opposition im Parlament an Pflichten auszuüben hätte.

    Bislang konnte ich wenig bis gar nichts darüber lesen, wer (welches Gremium, welche Partei, etc.) das Gesetz vor der Abstimmung noch so änderte, dass es so wurde, wie es jetzt diskutiert wird. Stattdessen lese ich Dutzendfach Stellungnahmen und Beteuerungen, dass niemand es so wollte.

    Und ich lese auch nicht darüber, dass das Gesetz nicht nur eine überbedenkenswerte Passage enthält (Verraten und Verkaufen der Daten seiner Bürger ist legal) sondern auch noch andere Passagen, die ebenso zu diskutieren sein sollten. Wie beispielsweise die Wiedereinführung der Mietbescheinigung durch Vermieter und die Erfassung der Haushalte (was beispielsweise mit den Änderungen der GEZ-Gebührenregelungen konform geht; die GEZ hat eine solche Gesetzesänderung auch gefordert, weil es deren Wandlung und Umsetzung zum neuen haushaltsbasierten Gebührenmodell einfacher macht) mit seinen darin lebenden Bewohnern. Hintergrund für diese Änderung sollte ja sein, dass sich Ehepartner mit ihren Kindern nicht in diversen Wohnungen einfach anmelden, um sich in bessere Chancen auf Schul-Plätze für ihre Kinder zu ermöglichen. Nebenbei, wer sich für eine Zweitwohnung oder Drittwohnung oder so anmeldet, sollte sich vor Augen halten, dass das Finanzamt dafür Geld sehen will (Zweitwohnungssteuer). Das bedeutet, dass es Eltern gibt, die solche Scheinwohnungen führen, um ihre Kinder auf eine Wunsch-Schule zu schicken. Und auch entsprechend flüssig für solche Dinge sind.
    Leute ohne entsprechende finanzielle Mittel werden sich so etwas finanziell gar nicht trauen oder leisten können. Geht es also wieder um Probleme der Leute, die das Geld für solche Spielchen etwas haben? Scheint wohl so. Und es ist dann wohl auch nicht mehr sooooooo wichtig. Somit wird dann der Datenverkauf aus dem Gesetz gestrichen werden und die anderen Dinge werden durchgewunken.

    • adtstar  Juli 10, 2012

      Ob in dem Gesetz noch eine andere Gemeinheit steckt, die durch das Theater um einen Basarhandel mit Adressdaten verdeckt werden soll, weiß ich nicht. Vorstellbar wäre es. Über die Rolle des Hanswurst meint der Weser-Kurier jedenfalls treffend:

      „Das Stück ist scheinbar ausschließlich mit Dilettanten besetzt; in der Rolle des Hanswurst glänzt der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Der bringt es fertig, die in sagenhaften 57 Sekunden durch den fast leeren Bundestag gepeitschte Novelle zunächst einen ‚Fortschritt im Datenschutz‘ zu nennen. Zwei Stunden später hält er die Änderungen für ‚problematisch‘ und versichert, dass dieser vermeintliche Fortschritt im Bundesrat wieder einkassiert werde. – CSU-Chef Seehofer muss wieder einmal einen peinlichen Widerspruch aufklären, denn offenbar war es ja vor allem seine Partei, die im Innenausschuss auf genau jene Veränderung gedrängt hat, die er nun im Bundesrat mit den Stimmen Bayerns verhindern will. Wer soll diese Leute eigentlich noch ernst nehmen?“