Spätrömische Problembeseitigung

Geschrieben von: am 03. Apr. 2011 um 20:02

Nun geht er, jedoch nicht sofort, sondern erst im Mai, wenn ein Nachfolger für das Amt des FDP-Parteivorsitzenden gefunden ist. Als Außenminister will er uns aber noch erhalten bleiben. Für Guido Westerwelle, dem ersten und einzigen Kanzlerkandidaten der FDP, kommt es derzeit knüppeldick. Er wird von seiner eigenen Turboleisterbrut vom Sockel gestoßen. Denn auch für Rösler, Lindner und Co. zählt nur die Überholspur ganz im Sinne des von Westerwelle immer wieder gepredigten liberalen Leistungsgedankens.

Einst tönte die selbsternannte Freiheitsstatue, da war sie noch in der Opposition und als Wahlkämpferin unterwegs, die Treffsicherheit des Sozialstaates müsse größer werden, ein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit dürfe es nicht geben.

So wie es aussieht, ist Westerwelle endlich ins Visier geraten, allerdings nicht durch den Sozialstaat, dem er schon sein ganzes Berufsleben lang auf der Tasche liegt, sondern von den Sozialschmarotzern seiner eigenen Partei.

Quelle: Klaus Stuttmann

Die fürchten sich selbst um ihre Karrieren im politischen Geschäft. Die geistige, aber sicher nicht moralische, Wende des Generalsekrets der FDP, Christian „Bambi“ Lindner, der plötzlich Atomkraftwerke stilllegen möchte, beweist das nur all zu sehr.

Es müsse rasch Rechtssicherheit geschaffen werden, forderte Lindner. Eine Übertragung von Reststrommengen auf jüngere Meiler solle es nicht geben. Vorbild der Gespräche mit den Atom-Konzernen sollen die von Rot-Grün geführten Konsensgespräche des Jahres 2000 sein, wie Lindner sagte. Sie sollen möglichst bald stattfinden.

Quelle: FR

Rot-Grün als Vorbild! Die Not der Liberalen muss wirklich groß sein, wenn das erklärte Feindbild zum Maßstab eigener Ansprüche wird. Im Kampf gegen die nun auch durch den Wähler bestätigte Überflüssigkeit, ist offenbar jedes Mittel recht. Besonders deutlich wird das an der Frage, wer für den Rest der Legislaturperiode, die spätestens im Herbst 2013 endet, den „Vizekanzler“ spielen darf, ein Amt, dass es gar nicht gibt, sondern offensichtlich nur erfunden wurde, damit die FDP etwas hat, um angeben zu können.

Franz Walter schreibt zum Rückzug Westerwelles:

„Westerwelle fühlte sich als Avantgardist einer neuen Generation – das beflügelte ihn. Doch zugleich war er im wirklichen Leben in seiner eigenen Kohorte ein fast isolierter Minderheitenvertreter – das stärkte seinen Behauptungswillen.“

Quelle: Spiegel Online

Er hätte auch einfach „Wichtigtuer“ schreiben können. Das Ende einer Ära, wie Walter schreibt, ist es auch nicht, sondern eher das Finale eines unkontrollierten Niedergangs.

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blogintern: Statistik 03/11

Geschrieben von: am 01. Apr. 2011 um 20:07

Die Zeit der Aprilscherze dürfte hinter uns liegen. Ich melde mich auch nur kurz mit der Blogstatistik. Da ich gerade meine komplette Hardware umstelle, habe ich nur wenig Zeit und eine Menge Stress mit der Technik.

Die Zahlen sehen wieder gut aus.

Stats_0311

Wie immer möchte ich mich bei allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs sowie den Mitdiskutanten bedanken, die im abgelaufenen Monat fleißig gelesen und kommentiert haben. Falls ihnen der Blog gefällt, empfehlen sie ihn ruhig weiter. :D

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Wie es gerade passt – Zu den Einzelhandelsumsätzen

Geschrieben von: am 31. März 2011 um 20:46

Das statistische Bundesamt betreibt mal wieder Irreführung. Heute gab es die Meldung, dass die Einzelhandelsumsätze im Monat Februar um 1,1 Prozent gestiegen seien. Schaut man in der Pressemitteilung etwas genauer nach, wird deutlich, dass der Vergleich nicht etwa zum Vormonat, wie sonst üblich, sondern zum Vorjahresmonat gezogen wird. Der Grund liegt auf der Hand. Im Vergleich zum Vorjahr steigen die Umsätze, im Vergleich zum Januar sinken sie.

Die deutschen Einzelhandelsunternehmen setzten im Februar 2011 nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) nominal 3,0% und real 1,1% mehr um als im Februar 2010. Beide Monate hatten jeweils 24 Verkaufstage. Im Vergleich zum Januar 2011 ist der Umsatz im Februar 2011 unter Berücksichtigung von Saison- und Kalendereffekten (Verfahren Zensus X-12-ARIMA) nominal um 0,8% gestiegen und real um 0,3% gesunken.

Quelle: destatis

Die jeweils positiveren Zahlen bestimmen dann auch die Überschrift. Allerdings setzt sich das Verwirrspiel in den Schlagzeilen der Medien fort.

„Umsatz im Einzelhandel steigt“

Der deutsche Einzelhandel setzt seinen Aufwärtstrend fort, das Tempo hat aber nachgelassen.

Quelle: Handelsblatt

„Umsatz im Einzelhandel überraschend gesunken“

Der deutsche Einzelhandel setzt seinen Aufwärtstrend fort, das Tempo hat aber nachgelassen.

Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung

Was ist nun richtig? Wie immer hilft ein Blick auf die grafische Umsetzung der statistischen Daten. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, erkennt man eine stetige Abnahme der Umsätze im Einzelhandel. Selbst die leichte Erholungsphase im Jahr 2010, die nach dem tiefen Einbruch in 2009 stattfand, ist bereits einer Stagnation gewichen. Ein Konsumboom oder eine Kaufrauschorgie sehen anders aus.

Einzelhandel bis Februar 2011

Das scheint inszwischen auch die Propaganda-Abteilung der Bundesregierung für den privaten Konsum, die GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) begriffen zu haben.

Die Stimmung der deutschen Verbraucher kann ihr überaus hohes Niveau im März dieses Jahres nicht weiter verbessern. Sowohl Konjunktur- und Einkommenserwartung wie auch die Anschaffungsneigung müssen Einbußen hinnehmen. Der Gesamtindikator prognostiziert nach 6 Punkten im März für April einen Wert von 5,9 Punkten.

Quelle: GfK

Allerdings scheinen die Gründe für den überrschenden Pessimismus der GfK sehr weit hergeholt zu sein.

Ein zuletzt unsicherer gewordenes internationales Umfeld sowie wachsende Inflationsängste haben im März dafür gesorgt, dass die Verbraucherstimmung leicht an Wert verloren hat. Diese Faktoren haben damit die nach wie vor günstigen Rahmenbedingungen für die Verbraucher, wie steigende Beschäftigung und Einkommen, überlagert. Dennoch bleibt das Niveau der Konsumstimmung weiterhin recht hoch. Mögliche Effekte der Natur- und Umweltkatastrophe in Japan können noch nicht berücksichtigt werden, da zum Zeitpunkt des verheerenden Erdbebens und seiner Folgen die Befragung bereits abgeschlossen war.

Warum sollten Gaddafi oder Fukushima Auswirkungen auf die Kaufneigung der Deutschen haben? Liegt es nicht viel näher, die nach wie vor schlechte Einkommenssituation der Arbeitnehmer sowie die zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnisse als Begründung für die Kaufzurückhaltung heranzuziehen? Was ist mit der Altersarmut, der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit? Stattdessen Inflationsängste. Nein, es geht doch vielmehr um Existenzängste.

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TV-Tipp: Mitternachtsspitzen

Geschrieben von: am 31. März 2011 um 19:42

Direkt aus dem Alten Wartesaal unter dem Kölner Hauptbahnhof präsentiert Jürgen Becker am Samstag, 2.4.2011 um 21.45 Uhr, eine weitere Ausgabe der Mitternachtsspitzen.

Becker zur Seite stehen wie immer der scharfzüngige, hintersinnige Leverkusener Werkskabarettist Wilfried Schmickler sowie die bebrillte Pointenschleuder aus dem Ruhrgebiet: Herbert Knebel alias Uwe Lyko. Erneut wieder dabei ist die in der letzten Sendung überaus erfolgreich gestartete Rubrik „Überschätzte Paare der Weltgeschichte“.

Quelle: WDR

Dazu kommen wie immer Gäste. Diesmal sind dabei: Frank Lüdecke, Matthias Egersdörfer und Nessi Tausendschön.

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Eine Abdeckplane für Fukushima I

Geschrieben von: am 30. März 2011 um 21:33

Die Meldungen aus Japan werden immer skurriler. Nachdem bekannt wurde, dass giftiges Plutonium in die Umwelt gelangt ist und die radioaktive Belastung im Meerwasser und der Umgebung erheblich zugenommen hat, wird durch den Betreiber Tepco und die japanische Regierung weiter Desinformation betrieben. Am Nachmittag war im Radio sogar zu hören, dass sich die Lage nach Angaben von Tepco leicht verbessert habe, die Reaktoren 1-4 aber weiterhin außer Kontrolle seien.

Nun erwägt der Kraftwerksbetreiber offenbar, die zerstörten Blöcke mit speziellen Abdeckplanen zu überspannen, um den Austritt weiterer Radioaktivität zu unterbinden. Wahrscheinlich ist damit nur ein Mantel des Schweigens gemeint oder aber eine hübsche Verhüllung, damit die kaputten Gebäude unsichtbar werden. Man wird sie wohl auf unabsehbare Zeit weder reparieren noch abreißen können. Dennoch will Tepco nicht auf die noch intakten Reaktoren fünf und sechs verzichten und verhandelt ungeachtet eines erneuten Zwischenfalls im Atomkraftwerk Fukushima II mit der japanischen Regierung um den Weiterbetrieb der noch „operationsfähigen Reaktoren“.

Im Prinzip sei ja die ausgetretene Strahlung nur dann gefährlich, wenn unter Zwang arbeitende Mitarbeiter ohne Stiefel im kontaminierten Wasser herum waten oder die heimlich nach oben geänderten Grenzwerte überschritten werden. Ansonsten setzt das Management vor Ort auf Beruhigungspillen und Daten, die mal richtig und mal falsch abgelesen werden bzw. gar nicht zur Verfügung stehen. Allerdings rät die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) zu weiteren Evakuierungen infolge erhöhter Strahlungswerte.

Im Tagesspiegel mahnt Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle (Saale) und Mitglied der Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern, einmal mehr dazu, zur Sachlichkeit zurückzufinden.

Gesunder Menschenverstand hilft, die Gefahr richtig einzuschätzen.

Mein Ratschlag ist: Genau nachlesen, wer seine Argumente sauber begründet. Dazu braucht man zum Glück kein Diplom in Kernphysik, sondern nur einen gesunden Menschenverstand – dem kann man auch bei wissenschaftlichen Fragen durchaus vertrauen. In diesem Sinne versuche ich weiter, einen sachlichen Blick auf die Ereignisse in Fukushima zu bewahren.

So so, gesunder Menschenverstand. Und zu was führt diese Besinnlichkeit bei Kekulé? Zum Optimismus, weil das gefundene Plutonium nicht aus einer Kernschmelze stammen kann, da es bereits unmittelbar nach den Explosionen vor gut zehn Tagen gemessen wurde. Nach Auffassung Kekulés könne man anhand der Daten nicht auf eine Kernschmelze schließen bzw. auch nicht darauf, dass es noch zu einer finalen Katastrophe kommen könnte, wie einige immer wieder behaupten würden, die sich der allgemeinen Hysterie hingeben.

Dabei geht es überhaupt nicht um eine finale Katastrophe – als ob die nicht schon eingetreten wäre – oder um eine weitere Einstufung auf der sog. INES-Skala oder um die Frage Super-GAU oder nicht, sondern schlicht um die Tatsache, dass mehrere Reaktoren eines Kernkraftwerks außer Kontrolle geraten sind, es Explosionen, Brände und einen Austritt von Radioaktivität gegeben hat. Welchem Optimismus soll man da eigentlich folgen? Dass die Umwelt vielleicht nicht ganz so stark verseucht wird, wie befürchtet?

Welchem Zweck soll die neue Sachlichkeit eigentlich dienen?

Die Gefahr durch Plutonium ist, das muss allen anders lautenden berichten zum Trotz wiederholt werden, derzeit nicht das größte Problem. Die hier relevanten Plutoniumisotope Pu-238, Pu-239 und Pu-240 sind Alphastrahler, das heißt ihre radioaktive Strahlung führt nur bei Aufnahme in den Körper (Inhalation oder mit Lebensmitteln) zu schweren Schäden. 

Na dann ist ja alles okay. Kein Grund zur Aufregung. Falls sie Plutonium rechtzeitig schmecken, riechen oder mit ihrem persönlichen Messgerät zu Hause erkennen, schlucken sie es nicht runter und schmeißen sie es auch nicht in den Hausmüll, sondern verständigen bitte sofort ihren zuständigen Mikrobiologen.     

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Nach der Wahl folgt der Tag der Gremien

Geschrieben von: am 28. März 2011 um 21:34

Es ist immer dasselbe. Nach einem Urnengang heißt es am Wahlabend immer, es sei zu früh, das Ergebnis zu analysieren. Da müsse man in Ruhe drauf schauen und seine Schlüsse ziehen. Das passiert freilich nie. Da Wahlen in der Regel am Sonntag stattfinden, treffen sich am Montag die sogenannten Gremien in den Parteizentralen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Heute war wieder so ein Montag und unterm Strich muss man sagen, dass durchaus Konsequenzen an den Stellen gezogen wurden, wo es keinem wehtut.

So ist zum Beispiel Rainer Brüderle als Landesvorsitzender der FDP in Rheinland-Pfalz zurückgetreten, pardon, hat angekündigt, nicht mehr für den Vorsitz kandidieren zu wollen. Auch Stefan Mappus gab an, nicht mehr als Landesvorsitzender seiner Partei antreten zu wollen. Dafür steht jetzt Mappus-Klon Tanja Gönner in den Startlöchern.

Ansonsten war nix. Die FDP hat personelle und inhaltliche Veränderungen durch ihr Generalsekret Lindner ankündigen lassen, aber aus Mangel an beidem, also Personal und Inhalt, hat sich Parteichef Westerwelle vorerst für eine Vertagung der basisdemokratischen Debatte entschieden. Dennoch habe er die Botschaft der Wähler verstanden. Nur warum löst er seinen Laden dann nicht auf? Die FDP wird nicht mehr gebraucht.

In der CDU hat sich derweil die Chefin zu Wort gemeldet und mit einem klaren „Weiter So“ geantwortet. Die Wahlen änderten nichts an den Beschlüssen der Union zum Moratorium. Das werde jetzt durchgezogen und drei Monate intensiv darüber nachgedacht, wie schnell man aus der Atomenergie aussteigen könne. Basta!

„Wir werden die Zeit des Moratoriums nutzen, um eine Energiewende mit Augenmaß hinzubekommen.“

Ich frage mich an dieser Stelle immer wieder, warum man noch darüber reden muss. Es hat doch einen Vertrag zwischen dem Gesetzgeber und den Energieversorgern gegeben, den Schwarz-gelb ohne Not aufkündigen ließ, der aber den Ausstieg aus der Atomenergie ganz klar geregelt hat. Im Prinzip hätte der Umstieg auf erneuerbare Energien längst gelaufen sein können, samt Investitionen in die nötige Infrastruktur, deren Fehlen gegenwärtig beklagt wird, wenn die Versorger den Ausstieg nur ernstgenommen hätten.

Das haben sie aber von Anfang an nicht, weil sie immer darauf hofften, eine schwarz-gelbe Regierung würde den Atomkompromiss schon wieder rückgängig machen. Was ja auch genau so geschehen ist. Schließlich wurden die tatsächlichen Restlaufzeiten einzelner Kernkraftwerke ganz bewusst an eine Gesamtreststrommenge geknüpft, die beliebig zwischen den AKWs hin und her verteilt werden durfte. So konnten Kernkraftwerke länger am Netz bleiben, weil andere wegen Pannen still standen und somit Reststrommengen einsparten, die dann einfach übertragen oder solange zurückgehalten wurden, bis endlich die ersehnte Regierung im Amt war.

„Ein Atomausstieg in Deutschland, um anschließend Atomenergie aus anderen Ländern zu importieren, den halte ich nicht für ehrlich.“ 

Quelle: Tagesschau

Zu dieser abstrusen Begründung der Bundeskanzlerin vielleicht der konservative Herausgeber der FAZ Frank Schirrmacher, der sich heute über die Rhetorik der Atomfreunde seine Gedanken gemacht hat:

5. Auch wenn wir aussteigen, sind wir von Atomkraftwerken umgeben

Das ist vielleicht das erbärmlichste aller Argumente, denn es bezeichnet die Selbstaufgabe von Politik. Man kann die Argumentation versuchsweise auf die Atomwaffenproliferation oder den Atomwaffensperrvertrag übertragen. Selbst wenn wir keine Atomwaffen haben, werden die anderen welche haben. Das war in der Vergangenheit kein Grund, sich selbst welche zuzulegen, sondern andere davon abzuhalten, sie zu bauen.

Quelle: FAZ

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Karikatur: Klaus Stuttmann

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Zu den Grünen

Geschrieben von: am 28. März 2011 um 17:28

Jens Berger hat sich mit den Grünen beschäftigt und, wie ich finde, einmal mehr einen sehr lesenswerten Beitrag geschrieben. Darin zeigt er den Transformationsprozess einer Partei auf, die sich aus einer konkreten gesellschaftlichen Bewegung heraus gebildet und sich mit den Lebensbiografien ihrer Unterstützer verknüpft, über die Zeit von etwa 30 Jahren zu einer zweiten Klientelpartei neben der FDP gewandelt hat. So gesehen, hätte Jens Berger ruhig von der Öko-FDP sprechen können.    

Die „linken“ Studenten der 80er sind heute ökonomisch gut situierte Angestellte, Selbstständige und Beamte und haben ganz andere Sorgen als die Probleme von damals. Ging man früher gegen den NATO-Doppelbeschluss und für eine klassenlose Gesellschaft auf die Straße, kämpft man heute für verkehrsberuhigte Zonen in gehobenen Stadtvierteln und die steuerliche Förderung von Solarzellen auf den schicken Einfamilienhäusern. Dieser Gesinnungswandel drückt sich auch in den politischen Positionen und den Themengewichtungen der Wählerschaft aus. Atomausstieg und Solarförderung liegen den Grünen-Wählern näher als Mindestlohn und Verteilungsgerechtigkeit.

Folgt man der Annahme, dass Parteien zuallererst immer die Interessen der eigenen Wählerschaft vertreten, verwundert es auch nicht, dass grüne Politik eben keine „linke“ Politik ist, deren oberstes Ziel immer Gerechtigkeit und Chancengleichheit sein muss. Die Zahnarztfrau hat nun einmal kein gesteigertes Interesse daran, dass ihre Kinder auf einer Gesamtschule gemeinsam mit Kindern aus „bildungsfernen Schichten“ lernen. Die Grünen kokettieren vielmehr mit einem „linken“ Image, das bei näherer Betrachtung jedoch nicht haltbar ist.

Mit der Koalitionsführerschaft in Baden-Württemberg steigt die Gefahr, dass die Grünen den Spagat zwischen linker Wohlfühlrhetorik und knallharter neokonservativer Realpolitik nicht mehr meistern können. Was heißt es für die Grünen, wenn Stuttgart 21 unter einem grünen Ministerpräsidenten weitergebaut wird? Wird Kretschmann Stuttgart-21-Gegner zusammenprügeln lassen, wenn die Proteste sich wieder verschärfen sollten?

Quelle: NachDenkSeiten

Man könnte auch Volker Pispers aus dem Jahr 2000 zitieren:

Der Marsch durch die Institutionen sei doch immer nur als schöne Polonäse gedacht gewesen. Der Weg sei das Ziel. Da müsse man immer im Kreis laufen, sonst werde das nix. Im Grunde sei ein Grüner ein Liberaler, der für Dosenpfand ist. Im Kern gehe es bei den Grünen um die Transformation von einer Sekte zur Kirche. Früher waren es Sektierer (Fundis), die jeden Quatsch geglaubt hätten, heute seien es gelassene Kirchgänger (Realos), die nur einmal in der Woche sagen müssten, dass sie an den Quatsch glauben. 

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Alberne Kritik an Urban Priol

Geschrieben von: am 28. März 2011 um 15:01

Der Prozessberichterstatter der Süddeutschen Zeitung Hans Holzhaider beklagt sich in einem Kommentar über Priols Auftritt auf der Anti-Atomkraft-Kundgebung in München am Wochenende.

„Am Samstag auf dem Münchner Odeonsplatz mokierte sich Urban Priol vor etwa 30.000 Zuhörern über Wolfgang Bosbach, den Vorsitzenden des Innenausschusses im Bundestags, der vor einem „Rückfall in die Terrorspirale der siebziger Jahre“ gewarnt habe.

Er höre schon das Stammtischgegrummel, sagte Priol: „Die hätten heute wieder gut zu tun in Deutschland.“ Aber wen „von diesen Nasen“ solle man denn heute entführen? Einer wie der Brüderle „der textet die doch so zu, dass die den Kofferraum aufsperren und sagen: Bitte geh!“

Zur Ehrenrettung des Publikums muss man sagen, dass niemand lachte, und dass etliche Pfiffe zu hören waren. Die angemessene Reaktion wäre gewesen, Priol in derselben Sekunde das Mikrofon aus der Hand zu nehmen.“

Quelle: Süddeutsche

Etliche Pfiffe waren zu hören, was aber auch an den Trillerpfeifen gelegen haben könnte, die auf solchen Protestveranstaltungen obligatorisch sind. Deren Einsatz muss also nicht zwangsläufig etwas mit einer Ablehnung, Priols Äußerung betreffend, zu tun haben. Aber das schreibt Herr Holzhaider auch nicht, er erweckt nur den Eindruck. Herr Holzhaider, der sich bei der SZ zuletzt mit dem Kachelmannprozess und Alice Schwarzer beschäftigte, scheint ein wenig mehr als alle anderen vernommen zu haben. Schließlich hat aber niemand Urban Priol das Mikrofon aus der Hand gerissen und sich darüber empört, dass hier der Terror der RAF verherrlicht werde.

Im Gegenteil. Im Publikum konnte man zum Beispiel ein Plakat mit der tollen Aufschrift, „Die Lüge hat ein kleines Brüderle bekommen!“ erkennen. Aber um den RAF-Vergleich und Brüderle geht’s dem Autor auch nicht, sondern wahrscheinlich um Wolfgang Bosbach, der als innenpolitischer Kümmerer gerngesehener Talkshowgast zu allen Themen ist. Dabei wäre es angebracht, ihm, dem CDU-Gegenentwurf zum SPD-Wiefelspütz, das Mikrofon zu entreißen, um künftig von dem albernen Angstmachegeschwafel verschont zu bleiben.  

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Zu den Wahlergebnissen

Geschrieben von: am 27. März 2011 um 19:08

Die Wahlergebnisse der Parteien vom heutigen Sonntag sind allesamt Atomunfallfolgeerscheinungen. Das behaupten Union und FDP, wie auch SPD, Grüne und Linke. Die einen, die Wahlverlierer CDU und FDP, tun so, als hätte deren Abstrafung durch die Wähler überhaupt nichts mit ihrer Politik zu tun. Herr Gröhe von der CDU, den Frau Bundeskanzlerin vorgeschickt hatte, rechnete erst einmal die Erfolge der CDU geführten Regierung in Baden-Württemberg vor, so als ob er zeigen wollte, dass die Wähler gegen eine Erfolgsgeschichte gestimmt haben, nur weil in Japan ein Atomkraftwerk in die Luft geflogen ist.

Die FDP ist eigentlich nicht mehr der Rede wert, Bier hat mehr Prozente als sie. Entscheidend ist aber auch hier, dass die Liberalen glauben, mit Fukushima habe höhere Gewalt ein besseres Ergebnis verhindert und nicht deren grottenschlechtes Führungspersonal, das in jedes Fettnäpfchen tritt, dennoch an seinen Stühlen klebt und vor allem eine Klientelpolitik betreibt, die nirgendwo so offensichtlich wurde wie in den Reihen der FDP.

Die Liste der Wahlverlierer ist aber noch länger. Die SPD tut gerade so, als hätte sie etwas gewonnen. Dabei hat sie nur verloren. In Baden-Württemberg hat sie ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren und in Rheinland-Pfalz verliert sie rund 10 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Wahl. Herr Gabriel bezeichnete die Ergebnisse als Entscheidung über die Atomkraft in Deutschland. In Baden-Württemberg will sie nun auf Augenhöhe mit den Grünen mitregieren. Der Erfolg der Grünen wäre auch ein Erfolg der SPD, hieß es. Das ist auch eine schwere Form des Realitätsverlustes.

Herr Schmid, der Spitzenkandidat der SPD möchte gern Ministerpräsident werden. Bisher habe ich noch keinen aus den Reihen der Sozialdemokraten gehört, der auch einen Grünen zum MP wählen würde. Da will man noch das Endergebnis abwarten. An dem Rückstand auf die Grünen wird sich aber nichts mehr ändern. Möglicherweise steigt Herr Schmid doch noch mit den Schwarzen ins Bett, wenn der Preis stimmt.

Die Grünen können sich zurecht als Wahlgewinner feiern lassen. Ihre Ergebnisse sind herausragend. Allerdings haben sie schon heute an Glaubwürdigkeit verloren. Stuttgart 21 wird auch mit den Grünen gebaut, wie der Spitzenmann Kretschmann im Freudentaumel bereits einräumte. Die Atomkraftwerke, die Herr Mappus vor der Wahl noch schnell mit einem dubiosen wie kostspieligen EnBW-Deal gekauft hatte, erben nun Grüne und SPD. Abschalten heißt nun auch Milliardenverluste für die Landeskasse in Kauf zu nehmen. Am Ende freuen sich dann die Schwarz-gelben wieder, die zusammen mit der gekauften Öffentlichkeit über angeblich finanzpolitische Unzulänglichkeiten von SPD und Grünen herziehen können.

Die Partei die LINKE hat ebenfalls verloren. Die SPD schreibt das als Erfolg auf ihre Fahnen. Diese Partei werde nicht gebraucht, heißt es. Wenn man sich nun aber anschaut, was kommen wird, bleibt festzuhalten, dass es nach wie vor einer dringenden Alternative bedarf. Vor allem wenn man nach Hessen schaut, wo heute auch, quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit, gewählt wurde. Dort wurde in den Kommunen gewählt und über die Frage abgestimmt, ob das Land eine in der Verfassung verankerte Schuldenbremse bekommt.

Und was soll man sagen. Die Bürgerinnen und Bürger in Hessen werden nach ersten Ergebnissen für den Blödsinn mit der Schuldenbremse votieren. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei nur 39,5 Prozent. Das ist furchtbar wenn man bedenkt, welche Folgen für alle Bürgerinnen und Bürger aus der Abstimmung über die Schuldenbremse drohen.

Urban Priol sagte übrigens gestern in München vor seinem Auftritt auf der Anti-Atomkraft-Protestkundgebung:

„Schwarz-Gelb hat den Überblick verloren, die anderen haben nie einen gehabt.“

Quelle: tz

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Wahlsonntag

Geschrieben von: am 27. März 2011 um 10:48

In Baden-Württemberg sowie Rheinland-Pfalz zeichnen sich höhere Wahlbeteiligungen ab. Aber wie vor einer Woche in Sachsen-Anhalt muss man dazu sagen, dass die Wahlbeteiligungen bei den vorangegangenen Urnengängen ebenfalls niedrig waren. In Baden-Württemberg 2006 lag die Beteiligung auf einem historischen Tiefpunkt bei 53,4 % und in Rheinland-Pfalz 2006 bei 58,2 %. Leider verwechseln einige Medien in ihrer Wechsel- und Spannungseuphorie schon wieder höhere mit hoher Wahlbeteiligung.

„Hohe Wahlbeteiligung zeichnet sich ab“

Es kann aber nur eine höhere Wahlbeteiligung auch niedrig sein. Man muss nur wissen, dass die Beteiligung an Landtagswahlen in Baden-Württemberg seit 1972 kontinuierlich abgenommen hat.

1972 waren noch 80 Prozent zur Wahl gegangen.

Quelle: Südwestpresse Neckar Chronik 

Möglicherweise erreicht die Wähler gerade noch rechtzeitig die Meldung aus Japan, dass am havarierten Atomkraftwerk in Fukushima eine zehn Millionen Mal höhere Strahlung gemessen wurde als normal.

Aus dem stark beschädigten Reaktor Nummer 2 ist heute offenbar extrem radioaktiv verseuchtes Wasser ausgetreten. Der Grad der Kontamination sei zehn Millionen Mal höher gewesen, als die Radioaktivität des Wassers in einem funktionierenden Reaktor.

Zudem fließt offenbar immer mehr radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer. Bei Proben 300 Meter südlich des Atomkraftwerks hätten die Werte radioaktiven Jods 1850-mal über dem Normalwert gelegen, sagte ein Sprecher der japanischen Atomsicherheitsbehörde.

Man kann nur daran erinnern, dass Herr Mappus bereits wieder darüber nachdenkt, seine vorübergehend abgeschalteten Atomkraftwerke wieder ans Netz gehen zu lassen. Vielleicht hilft einigen unentschlossen Wählern bzw. Wahlverweigerern folgendes Szenario eines Super-GAUs in Baden-Württemberg, wie wichtig es ist, sein Kreuz an der richtigen Stelle zu machen.

Der Bodensee ist Europas größter Trinkwasserspeicher. Rund 4,5 Millionen Menschen hängen von ihm ab. Im Umkreis von 180 Kilometern stehen 13 Reaktoren. Was, wenn ein schwerer Unfall mit massiver radioaktiver Freisetzung sein Wasser verseuchen würde?

Eine Ausbreitungskarte von Greenpeace zeigt, dass die Entfernung keinen Schutz vor radioaktivem Fallout bietet. Ein Super-GAU in Neckarwestheim würde bei ungünstiger Windrichtung zu schwerer Kontamination des Bodensees führen.

Bitte gehen sie zur Wahl!

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Edit: Die Betreiberfirma Tepco hat Meldungen zurückgezogen, wonach Strahlenwerte gemessen wurden, die zehn Millionen Mal höher liegen als normal.

Möglicherweise seien Messwerte falsch abgelesen worden. Neue Untersuchungen wurden angekündigt. Die Angabe, wonach die erhöhten Werte 1000 Millisievert pro Stunde betragen hätten, sei aber korrekt.

Quelle: Tagesschau

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