Zur Wahlrechtsreform

Geschrieben von: am 16. Jun 2011 um 19:14

Bundestagspräsident Lammert hat einen weiteren Sargnagel für die Demokratie ausfindig gemacht. Drei Jahre lang habe der Gesetzgeber Zeit gehabt, dass bundesdeutsche Wahlrecht so zu gestalten, dass es dem Grundgesetz entspricht. Die Verfassungsrichter hatten  2008 das negative Stimmgewicht im Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Die Sache mit den Überhangmandaten. Bis Ende Juni 2011 wurde die Frist für eine Änderung gesetzt, die die Bundesregierung nun verstreichen lässt.

Interessant sind nun die Reaktionen.

Als „beispiellose Respektlosigkeit“ gegenüber dem Verfassungsgericht kritisierte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann die Verzögerungen. Er rief die Koalition auf, sich einer überparteilichen Lösung zu öffnen.

„Wer in fast drei Jahren ein Urteil nicht umsetzt, blamiert sich als Gesetzgeber bis auf die Knochen“, sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck an die Adresse von Schwarz-Gelb dem „Handelsblatt“.

Quelle: Tagesschau

Zunächst einmal ist die schwarz-gelbe Regierung noch nicht einmal zwei Jahre im Amt (mir kommt’s auch wie eine Ewigkeit vor), d.h. die schwarz-rote Vorgängerregierung hätte genauso gut eine Änderung des Wahlrechts bewerkstelligen und damit auch die Bundestagswahl 2009 verfassungskonform ablaufen lassen können. Beides war nicht der Fall. Sich jetzt aufzuregen und über eine beispiellose Respektlosigkeit  dem Verfassungsgericht gegenüber zu jammern, kann sich Herr Oppermann wirklich sparen. Im Jahr 2009 hat die SPD keine Notwendigkeit gesehen, den Regierungspartner zu einer offenen und überparteilichen Lösung in dieser Frage zu bewegen.

Wen wundert’s? Es sind doch dieselben Parteien beteiligt, die mit Blick auf die Hartz-IV-Gesetzgebung geschlossen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts missachten und es stoisch für richtig halten, gegen die ersten Artikel des Grundgesetzes zu verstoßen, nur um die gescheiterten Agenda-Reformer zu schützen. Man braucht sie ja noch für die nächste Bundestagswahl, die, wie ein Verfassungsrichter betonte, zu einer Staatskrise führen könne.

Der langjährige frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm warnte vor einer Annullierung der Bundestagswahl 2013, wenn erneut nach dem von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärten Gesetz gewählt wird. Eine solche Aufhebung der Wahl sei höchst wahrscheinlich und würde bedeuten, „wir hätten dann für eine gewisse Zeit keinen Bundestag“, sagte er im Deutschlandfunk. „Das könnte man eine Staatskrise nennen“, fügte Grimm hinzu.  

Quelle: Tagesschau

Für eine gewisse Zeit keinen Bundestag? Was wäre dann anders? Das aktuelle Parlament ist doch bereits zur Abnickerbude der Exekutive verkommen. Zuletzt hatte die Bundesregierung dem hohen Haus 700 Seiten vorgelegt oder acht Gesetze, die nach drei Tagen beschlossen werden sollten. Dabei ging es um das Atomausstiegsgesetz, die Endlagerfrage, Erneuerbare Energien usw. Welcher Abgeordnete hat das schon genau lesen können?

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Max Uthoff hält die Trauerrede für die FDP

Geschrieben von: am 16. Jun 2011 um 18:44

In der WDR-Sendung „Mann an Bord“ von und mit Tobias Mann hat der Kabarettist Max Uthoff eine, wie ich finde, bewegende Trauerrede zum Ableben der FDP gehalten. Es gelte die moralische Verkommenheit und intellektuelle Nutzlosigkeit einer Splitterpartei zu würdigen, in der Resozialisierungen bereits stattfanden, noch bevor Straftaten begangen wurden. Ich hatte Tränen in den Augen – vor lachen…

Die FDP war, und das habe G-PUNKT-Westerwelle, die Freiheitsstatue aus Bad Honnef bewiesen, nie das kleinere Übel, sondern immer das größere Erbrechen!

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Wie der Aufschwung regional ankommt

Geschrieben von: am 16. Jun 2011 um 17:54

In der kostenlosen Anzeigenzeitung meiner Heimatstadt lese ich einen Bericht über die aktuelle Ausgabe des Sozialberichts. Daten und Fakten zu den Lebenslagen in der Region Hannover, heißt es in der Überschrift. Darin enthalten, sind auch Zahlen zur Entwicklung der Beschäftigungssituation. Sehr interessant.

So bestätigt der Sozialbericht, dass es in der Region Hannover immer weniger sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsplätze gibt (minus 3,3 von 2003 bis 2009). Dafür ist im gleichen Zeitraum der Anteil der Teilzeitbeschäftigungen (plus 20,8 Prozent) und der geringfügig Beschäftigten gestiegen (plus 109,8 Prozent im Nebenjob, plus 13,8 Prozent im Haupterwerb).

Quelle: Wunstorfer Stadtanzeiger, abgeschrieben von Hannover.de

Darüber hinaus heißt es in dem Bericht, dass kaum Bewegung bei der Zahl der Langzeitarbeitslosen festzustellen ist. Wer einmal in das Hartz-IV-System abgerutscht ist, kommt selten wieder heraus. Die Arbeitsmarktmaßnahmen versagen auf ganzer Linie.

Mit Blick auf die Arbeitslosigkeit in der Region Hannover zeigt sich, dass sich die Situation speziell für die Empfängerinnen und Empfänger von SGB-II-Leistungen (Arbeitslosengeld II), die Ende 2009 einen Anteil von 72,0 Prozent aller Arbeitslosen ausmachten, kaum verändert hat. „Vieles deutet darauf hin, dass sich die Arbeitslosigkeit hier verfestigt hat, weil viele Menschen trotz Maßnahmen keine existenzsichernden Beschäftigungsverhältnisse finden“, sagte Sozialdezernent Erwin Jordan von der Region Hannover. 

Insgesamt liege eine starke Spreizung zwischen arm und reich vor.

So sieht die Schnellstraße in der Region aus, auf deren Überholspur die liberalen Wirtschaftsminister Brüderle und Rösler ihren Aufschwung abfeiern.

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Ahnungslose Finanzpolitiker: Ein Beispiel für die gefährliche Dogmengläubigkeit in Zeiten der Finanzkrise

Geschrieben von: am 15. Jun 2011 um 15:40

Griechenland steht am Abgrund. Was soll die Politik tun? Wenn man sich anschaut, was in den letzten Tagen alles passiert ist, könnte man vor Wut in den Sack hauen. Ein Krisengipfel ohne Ergebnis, Ratingagenturen mit Buchstabensuppe und eine offensichtlich geistig abgerüstete Elite im Staatspleitenfieber, die sich bereitwillig auf dem Altar der internationalen Finanzmärkte opfern will, weil sie glaubt, dann genau das Vertrauen jener Märkte zurückgewinnen zu können, die den ganzen Schlamassel im freien, durch Steuergelder abgesicherten, spekulativen Spiel der Kräfte erst angerichtet haben.

WARUM ZUM KUCKUCK?

Der Staat ist nicht mehr Herr im eigenen Haus und so treten dann auch Politiker auf, die, anstatt dafür zu sorgen, dass der Einbrecher gefasst wird und hinter Gitter wandert, ihm lieber dabei zusehen, wie er das gesamte Haus ausräumt und anschließend gegen eine Gebühr die zeitlich befristete Rückgabe der geklauten Gegenstände an den Besitzer geschäftlich legal betreiben darf.

Nichts anderes geschieht im Moment. Der Finanzmarkt, also private Geschäftsbanken, Hedgefonds, Spekulanten usw., im folgenden Diebe genannt, füllen ihre Kassen mit billigem Geld, das sie von den Notenbanken der Staaten erhalten. Damit sollen sie eigentlich Kredite an die Wirtschaft vergeben und die Konjunktur ankurbeln. Doch die Diebe denken nicht daran, in die Wirtschaft zu investieren, sondern nehmen das Geld und verleihen es gegen eine entsprechende Gebühr – deren Höhe sie selber festlegen und von der jeder glaubt, sie sei seriös, weil sie am Markt gebildet wurde – an genau jene Staaten zurück, von denen sie es erhalten haben. Dann spekulieren sie gegen diese Staaten und ziehen deren Kreditwürdigkeit in Zweifel. 

Ein tolles Geschäftsmodell, weil es satte Gewinne verspricht und keinen der gewählten Staatenlenker stört. Für sie zählt nur das Dogma vom Markt, von der Unantastbarkeit der Forderungen und von der Unabhängigkeit der Zentralbanken. Sie tun alles, um die Gewinne der Investoren abzusichern, und sie tun nichts gegen die reale Zerstörung von Volkswirtschaften und ganzen Gesellschaften.

Die Staaten ordnen sich dank unfähiger Politiker und peinliche Banker im öffentlichen Dienstverhältnis wie Jens Weidmann den Geschäftsbanken bloß unter, anstatt diese von ihrer einst politisch organisierten privilegierten Stellung innerhalb der Finanzarchitektur endlich zu entbinden. Wenn private Banken, große Fonds und Spekulanten bloß Spiele betreiben, anstatt ihrer dienenden Funktion der Volkswirtschaft gegenüber nachzukommen, ist das durch nichts zu rechtfertigen. Besonders dann nicht, wenn die Staaten selber für die Verluste in diesem Spiel bereitwillig einstehen und ihre volkswirtschaftliche Entwicklung nachhaltig gefährden. An dieser Stelle versagt die Politik vor einem ressourcenverschwendenden System, in dem kriminelle Energie belohnt wird, die nötig ist, um hohe Eigenkapitalrenditen zu erzielen.

Die Politik will aber nicht wahrhaben, dass sie noch immer einer Marktgläubigkeit folgt, deren scheinbare Gesetzmäßigkeiten von den Profiteuren der Finanzkrise selbst bestimmt und verbreitet werden.

Das eigentliche Geschäft der Banken kann der Staat auch selber machen. Das setzt aber voraus, dass zum Beispiel die Unabhängigkeit der Zentralbanken nicht als Naturgesetz betrachtet wird. Besonders die EZB ist von der Konstruktion her nur darauf bedacht, die Stabilität des Geldes zu überwachen, nicht aber Beschäftigung und Wachstum innerhalb des Wirtschaftsraums. Sie hat demzufolge einen falschen Auftrag, der korrigiert werden muss, weil sie nur etwas vom Bremsen verstehen will, nicht aber von der Beschleunigung. Würde sie davon etwas verstehen wollen, wären die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone ein größeres Thema und die verordnete Sparpolitik der wiederauferstandenen Brüning’schen Deflationspolitiker wäre wahrscheinlich als großer und gefährlicher Blödsinn längst enttarnt.

Stattdessen wird das Versagen geleugnet und einer Erhöhung der Giftdosis das Wort geredet. Erkenntnisgewinn gleich null. Und hier das angekündigte Beispiel mit der ahnungslosen stelv. finanzpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Ingrid Arndt-Brauer:    

Zagatta: Jetzt drohen Rating-Agenturen, die ja eine gewaltige Macht haben, jetzt schon damit, eine Beteiligung privater Gläubiger wie einen Zahlungsausfall zu werten. Kann man das dann ernsthaft erwarten, denn das könnte ja auch zur Katastrophe führen?

Arndt-Brauer: Also ich bin von Rating-Agenturen mehrmals enttäuscht worden. Die haben uns im Finanzausschuss, kurz bevor die Finanzkrise ausbrach, überhaupt keine Hinweise auf die Finanzkrise dargelegt. Also ich bin immer der Meinung, man sollte die Macht von Rating-Agenturen dadurch brechen, dass man ihr was entgegensetzt. Also wenn man sagt, die EU steht zu Griechenland und die EU hilft Griechenland, dann müsste das eigentlich für die Märkte überzeugender sein, als wenn eine Rating-Agentur irgendwelche Buchstaben in die Welt posaunt. Und ich würde gerne ein starkes Europa, ein vereintes Europa im Ziel, Griechenland zu helfen, diesen Rating-Agenturen entgegensetzen.

Zagatta: Jetzt sagt aber selbst der Bundesbankpräsident Weidmann heute, dass die EZB, also die Europäische Zentralbank, keine weiteren Risiken eingehen darf, also griechische Staatsanleihen aufkauft, oder die Laufzeit verändert. Wenn das der Kurs ist, was kann man dann von privaten Banken noch erwarten?

Arndt-Brauer: Ja, ich bin weit davon entfernt, zu versuchen, Einfluss auf die EZB zu nehmen. Das ist eine unabhängige Institution, genau wie unsere Bundesbank auch, die müssen ihre Politik machen, wir machen unsere Politik. Und ich denke, wir haben die Möglichkeit, politisch zu entscheiden, ob wir Griechenland helfen, wie wir Griechenland helfen, welche Bedingungen wir setzen für Griechenland, und ob es Griechenland wirklich schafft, auch Kredite wieder zurückzuzahlen. Das liegt auch an der Inlandsnachfrage, das liegt an anderen Bedingungen, die man Griechenland auferlegt. Ich denke schon, dass die Privatbanken oder die Privatgläubiger – es sind ja auch Versicherungen dabei – ihre Entscheidung unabhängig von der EZB machen, wenn sie wissen, es steht Geld als Bürgschaft von Steuerzahlern zur Verfügung.

Zagatta: Aber damit übernimmt ja wieder der Steuerzahler das Risiko, nicht die Banken?

Arndt-Brauer: Es ist nicht mein Wunschdenken, dass der Steuerzahler das Risiko übernimmt, aber ich befürchte, dass er das teilweise machen muss. Ich wünsche mir natürlich, dass die Banken beteiligt sind, aber wie gesagt kann ich als Politiker nicht die EZB zwingen. Man kann appellieren, man kann sagen, Leute, IWF, EZB und der Steuerzahler sollten sich das Risiko teilen, aber wie gesagt, das sind teilweise doch sehr unabhängige Institutionen, die man da nicht verpflichten kann, wo man nur appellieren kann.

Quelle: dradio

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Verbindungsbüro und Vermittlungsprobleme in Libyen

Geschrieben von: am 14. Jun 2011 um 20:33

Guido Westerwelle und Dirk Niebel, beides Bundesminister, die keiner mehr zu kennen braucht, haben in Bengasi, Libyen, ein deutsches Verbindungsbüro eröffnet. An dieser Stelle ließ der ehemalige Vizekanz-Nicht verlauten, der libysche Machthaber Gadaffi möge den Krieg gegen die eigene Bevölkerung unverzüglich einstellen und endlich seinen Posten räumen.

„Der Diktator steht auf der falschen Seite der Geschichte.“

Quelle: Spiegel Online

Ja, aber, entgegneten die Gaddafi-Gegner, auf welcher Seite stehen denn die Deutschen und die beiden Minister mit der großen Klappe? Im Sichherheitsrat der UN habe sich Deutschland als nichtständiges Mitglied der Stimme doch enthalten und anschließend durch seine geistige und weltliche Führerin Merkel erklären lassen, man dürfe Enthaltung nicht mit Neutralität verwechseln.

Dabei wurde die Wahl in den UN-Sicherheitsrat beworben, erhofft und schließlich gefeiert. Vor allem Westerwelle gefiel sich darin, persönlich etwas geleistet zu haben, dass mit Verantwortung, Verlässlichkeit und Weitblick zu tun hätte.

Möglicherweise habe man deshalb auch ein Verbindungsbüro eingerichtet, um die deutsche Außenpolitik den Menschen vor Ort besser erklären zu können. Man kennt das ja von zu Hause. Vermittlungsprobleme gehören hier schließlich zur Tagesordnung. FDP, Union, SPD und Grüne erklären damit gern ihre Maßnahmen gegen die eigenen Wähler und die Mehrheit der Bevölkerung. Wieso sollte das in Libyen nun anders sein?

Zum Beispiel könnte man in solch einem Büro der Frage nachgehen, ob deutsche Soldaten vielleicht Angst davor haben, in die Mündungsrohre ihrer eigenen Waffen zu blicken, die ihre Regierung an den ehemaligen Freund Gadaffi in der Vergangenheit gern und reichlich verkauft hat.

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Interview mit Angela Merkel und überraschende Eingeständnisse

Geschrieben von: am 14. Jun 2011 um 16:22

In ihrer allwöchentlichen Videobotschaft, von der wohl sonst kaum jemand Notiz nimmt, hat Kanzlerin Angela Merkel überraschende Eingeständnisse formuliert, um nicht zu sagen treffende Zustandsbeschreibungen zum angeblich so boomenden Arbeitsmarkt vorgenommen sowie die fatalen Auswirkungen der deutschen Exportorientierung innerhalb des Euroraums beschrieben. Nur, sie erkennt darin keinen Missstand, sondern eine Bestätigung ihrer bisherigen Politik.

“Es ist nicht generell schlecht, wenn gut ausgebildete junge Menschen auch mal ein Jahr oder zwei im Ausland sind, aber schön wäre natürlich, sie kommen wieder. Und da, muss ich sagen, ist die junge Generation heute schon oft sehr schwierigen Bedingungen ausgesetzt. Oft gibt es erst mal nur Praktika, anschießend gibt es sehr befristete Arbeitsverträge. Wer langfristig sein Fachpersonal wirklich halten möchte, der muss auch bereit sein, jungen Menschen eine gute Perspektive zu geben. Das heißt, sie ordentlich zu bezahlen, aber eben auch nicht immer wieder befristete Arbeitsverträge anzubieten. Und wir sind sehr aufmerksam als Regierung, wenn wir fragen: Haben wir genug Fachkräfte? Aber wir als Regierung sagen auch: Geht erst einmal mit den eigenen Fachkräften wirklich gut um. Es darf nicht sein, dass wir uns Fachkräfte von außen holen, nur um das Lohnniveau zu drücken, sondern wer gute Fachkräfte haben will, muss auch gut bezahlen.”

Quelle: Bundeskanzlerin

Das ganze Interview ist seltsam. Auch, weil die Fragenvorleserin nicht auf das reagiert, was als Antwort erwidert wird. Anstatt nachzuhaken und die Kanzlerin zu fragen, wie prekäre und schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse zum vorher geäußerten Jubel über eine niedrige Arbeitslosigkeit und über eine deutsche Vorbildfunktion passen, geht’s mit einem anderen Thema weiter. Sie hätte auch nach der noch immer fehlenden gesetzlichen Lohnuntergrenze fragen können und danach, ob die Regierung nun endlich die Einführung eines Mindestlohns in Angriff nehme, damit das Gerede über ein gutes Umgehen mit Fachkräften nicht bloß ein unverbindlicher Spruch bleibt, über den die Arbeitgeber allenfalls müde lächeln, während sie die Lohnsubvention durch das Hartz-IV-System weiter kassieren und damit Steuergelder veruntreut werden.

Zur Eurokrise sagt Merkel dann:

“Viele wissen ja: Wenn sich bei uns die Wirtschaft gut entwickelt, hat das auch positive Auswirkungen auf andere Länder. Aber natürlich erwartet man von uns auch Solidarität. Wir sagen, auf der einen Seite müssen die Länder, die hoch verschuldet sind, ihren Beitrag leisten – müssen sich anstrengen, Strukturreformen machen. Aber auf der anderen Seite ist der Euro zum Beispiel ja auch etwas, was uns in Deutschland sehr zugutekommt. Wir haben über 60 Prozent unseres Exports nur in dem europäischen Bereich. Das heißt, wenn es allen Europäern gut geht, geht es auch der deutschen Exportwirtschaft gut. Und wir haben durch den Euro nicht die sogenannten Transaktionskosten, dass wir immer wieder Kosten durch eine andere Währung haben, sondern durch die gemeinsame Währung, durch den gemeinsamen Binnenmarkt kann Deutschland viel leichter exportieren. Und deshalb ist es richtig und gut, dass wir uns auch für den Euro als eine starke Währung einsetzen.”

Auch hier hakt die Fragerin nicht nach. Wenn es richtig ist, dass Deutschland durch die gemeinsame Währung und den gemeinsamen Binnenmarkt viel leichter exportieren kann, wieso sollte die Bundesregierung dann ein Interesse daran haben, dass die Griechen und andere Defizitländer das auch können? Wenn das nämlich so wäre, müsste Deutschland zwangsläufig von seiner Exportstärke etwas abgeben und dann wäre der Außenhandel schwieriger. Wäre das dann gut oder schlecht für Deutschland?

Man könnte Merkels Antwort auch als Reaktion auf Gregor Gysi verstehen, der die Regierung im Bundestag dazu aufforderte, deutlicher zu werden.

“Was Sie sagen, wirkt altruistisch, als ob es Ihnen immer nur darum ginge, wie viel Geld man für Griechenland ausgibt. Seien Sie von der Regierung doch einmal ehrlich und sagen Sie: Es geht letztlich um Deutschland, und zwar aus folgendem Grund: Den Euro brauchen wir dringender als Griechenland. Wir sind doch die Exportnation. Wir sind Vizeweltmeister beim Export, gleich hinter China. Stellen Sie sich einmal vor, Griechenland, Spanien, Portugal und Irland hätten eigene Währungen. Dann würden sie sie abwerten, bis wir so gut wie nichts mehr dort verkaufen könnten. Also: Wenn Sie den Euro retten, retten Sie die deutsche Exportwirtschaft. Sagen Sie das doch einmal in dieser Klarheit, damit die Bürgerinnen und Bürger Bescheid wissen!“

Quelle: Linksfraktion

Am Ende wird es bei Frau Bundeskanzlerin dann noch einmal lustig:

“Aber wir dürfen nichts tun, was den Aufschwung weltweit insgesamt in Gefahr bringt und dann auch in Deutschland wieder in Gefahr bringen würde. Wir haben ja gesehen: Der Bankrott von Lehman Brothers hat bei uns dazu geführt, dass wir im Jahr 2009 einen Wirtschaftseinbruch von fast fünf Prozent hatten. So etwas gab es Jahrzehnte lang nicht, und so etwas muss unbedingt wieder verhindert werden.”

Wie will sie denn das verhindern, hätte eine Nachfrage der Historikerin lauten können, die die Fragen stellte? Lehman Brothers war ja keine deutsche Bank. Mal abgesehen davon, dass die Ursachen des Wirtschaftseinbruchs keinesfalls an der Pleite einer Bank festgemacht werden können, bedeutet die Position Merkels doch im Umkehrschluss, dass Deutschland in Zukunft auch Einfluss auf Institutionen haben muss, die nicht auf dem eigenen Hoheitsgebiet liegen. Weil Deutschland so abhängig von der weltwirtschaftlichen Entwicklung ist – warum eigentlich – müssen andere Volkswirtschaften ihre “Hausaufgaben” machen, selbstverständlich von der Bundesregierung überwacht, damit es in Deutschland nicht wieder zu einem Einbruch der Wirtschaft kommt. Denn, so die Logik der Kanzlerin, geht es der deutschen Wirtschaft gut, geht es auch allen anderen gut (s.o.).

Das erste griechische Rettungspaket nach Vorgaben der Bundesregierung ist bekanntlich gescheitert. Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wurde nicht erhöht, die Schulden nicht abgebaut. Es wurde in die Krise hineingespart. Weitere Milliardenhilfen wurden nötig. Für Deutschland hatte Frau Merkel diese Brüning’sche Sparpolitik zunächst abgelehnt und stattdessen Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht, bis sie und ihre Regierung glaubten, die Krise überwunden zu haben. Für die Griechen gilt nicht einmal dieser Ansatz. Merkel behauptet trotz gegenteiliger Überzeugung, dass sich die Griechen aus der Wirtschaftskrise heraussparen könnten. Da hätte die Historikerin spätestens aus Fachinteresse nachhaken müssen.

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NachDenkBlatt: Helfen Sie mit, die Verdummung zu stoppen!

Geschrieben von: am 14. Jun 2011 um 14:09

Auf den NachDenkSeiten wird eine neue Idee zum Aufbau einer Gegenöffentlichkeit in die Tat umgesetzt. Das NachDenkBlatt eignet sich prima für ihre Aufklärungsarbeit und zur Verbreitung als Handreichung. Zu konkreten Themen, wie beispielsweise der Privatisierung, werden künftig kurze Zusammenfassungen erscheinen, in denen vor allem Hinweise und Links auf weiterführende Texte und Videos gebündelt werden. Das erleichtert ungemein die Sucharbeit. Wie sie wissen, ist die Suchfunktion über die NachDenkSeiten kaum zu gebrauchen.

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Brüderle unter Strom

Geschrieben von: am 10. Jun 2011 um 21:30

Als der Protokollfehler Brüderle der Atomwirtschaft versicherte, dass Angelas Moratorium nur ein Wahlkampfgag war und im Prinzip alles so bleiben würde wie bisher, wenn sich erst einmal die Aufregung um Fukushima gelegt hätte, konnte noch keiner ahnen, dass sich die schwarz-gelben Energiewendewenderevoluzzer tatsächlich zu einem Ausstieg aus der Atomkraft entschließen würden.

Nachdem die Union Wahlen verloren hat und ihr klassischer Mehrheitsbeschaffer, die FDP, von der politischen Bedeutungslosigkeit auf der Schnellstraße ins außerparlamentarische Nirwana endlich eingeholt und überholt wurde, besann sich Frau Merkel notgedrungen auf eine neue Strategie. Die Atomenergie soll zu Gunsten der erneuerbaren Energien weichen, dafür stehe sie mit ihrem Namen. Frau Hipp, Verzeihung, Frau Bundeskanzlerin garantiere, dass es zu keinen Blackouts kommen werde. Eine kühne Versicherung. Will sie etwa mit ihrer persönlichen Strahlkraft aushelfen, falls es einmal eng werden sollte?

Offensichtlich scheinen die schwarz-gelben Irrlichter schon wieder angesprungen zu sein. Denn auch in den eigenen Wendehalsreihen gibt es bereits wieder Stimmen, die das soeben beschlossene Ausstiegsgesetz torpedieren. Rainer Brüderle war nie sonderlich überzeugt vom Ausstiegsgedanken. Er hat vor allem den gnadenlos günstigen Strompreis im Blick, der durch die vier Besatzungsmächte, Verzeihung, Stromkonzerne den Kunden derzeit angeboten wird.

Sollten die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, so Brüderle, werde das sehr teuer.

„Der Ausstieg aus der Atomenergie ist nicht zum Nulltarif zu haben“, sagte Brüderle. „Das müssen wir den Leuten ehrlich sagen.“ Strom aus erneuerbaren Energien sei wesentlich teurer als Atomstrom. Zudem würden der Netzausbau und der Neubau von Gaskraftwerken zusätzlich Geld kosten. „Bezahlen müssen wir alle, die Stromkunden, die Steuerzahler“, sagte der FDP-Politiker.

Quelle: Spiegel Online

Ja, das muss man den Leuten ehrlich sagen, sonst glauben die noch, dass sie für Castortransporte, die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll bzw. für die Sanierung maroder Lagerstätten deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen, als für Investitionen in Infrastrukturen, die langfristig Versorgungssicherheit garantieren und damit eine gesellschaftliche Rendite abwerfen. Vielleicht sollte man Herrn Brüderle einfach einen Jutesack mit verbrauchten Brennstäben an die Türklinke seines zu Hauses hängen mit der freundlichen Aufforderung, bei seinem täglichen Gang zum Altglascontainer, auch den angefallen Atomstrommüll mit zu entsorgen.

Der Ausstieg sei nicht zum Nulltarif zu haben, so Brüderle. Schon klar, seit 2002 haben allein die drei Versorger Eon, RWE und EnBW über 100 Mrd. Euro Gewinn erzielt. Natürlich sind diese Gelder vor dem Zugriff geschützt. Wieso wurde eigentlich nicht investiert, wie es unternehmerische Tradition wäre? Was ist denn mit den Gewinnen passiert? Wurden sie verwendet, um die marktbeherrschende Position innerhalb Europas weiter auszubauen, damit die Abhängigkeit von diesen Konzernen selbst dann noch gewährleistet sein würde, wenn sich die ohnmächtige Politik zu einer Energiewende entschließen sollte?

Der Strompreis, der beim Kunden erhoben wird, ist doch längst nicht mehr von der Art der Energiegewinnung und des Transports abhängig. Der Preis wird von den Energieversorgern diktiert, die den Markt mit Hilfe der Politik unter sich aufgeteilt haben. Selbst wenn die erneuerbaren Energien in Zukunft die Atomkraft ablösen, stehen dahinter bereits die großen Vier, die ihre marktbeherrschende Position auf dieses Gebiet natürlich längst ausgedehnt haben (Offshore Windparks).

Deshalb bleibt die Forderung an die Protestbewegung, nicht nur für den raschen Atomausstieg einzutreten und sich damit zufrieden zu geben, dass es gelungen ist, die Politik ein Stück weit in die Knie zu zwingen, sondern es sich zur Aufgabe zu machen, gegen die Abhängigkeit vom privaten Energiekartell zu kämpfen, das durch seine finanziellen Mittel auch über die Macht verfügt, die politischen Entscheidungen unter allen vorherrschenden Bedingungen maßgeblich zu beeinflussen.

Und damit schöne Pfingsten.

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Griechische“Hausaufgaben” mit der FDP

Geschrieben von: am 09. Jun 2011 um 17:49

Abgeordnete der FDP-Bundestagsfraktion fordern neuerdings einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Sie lehnen noch mehr Geld für die Helenen ab. Der liberale Haushaltsexperte Jürgen Koppelin meint, dass Griechenland seine Hausaufgaben noch nicht erledigt hätte.

Die Situation in Griechenland ist sehr, sehr ernst, und Sie haben es ja auch in Ihrem Beitrag eben gesagt. All das, was wir uns vorgenommen hatten – es gibt ja einen Plan und im nächsten Jahr sollte Griechenland quasi wieder auf eigenen Beinen stehen -, das funktioniert alles nicht, sie brauchen noch mehr Geld. Die Zahlen waren nicht in Ordnung und das Problem ist, Griechenland hat noch nicht seine Hausaufgaben gemacht.

Quelle: dradio

So einfach ist das in der Welt der unfehlbaren Turboleister. Es gab also einen Plan, den die erklärten Feinde jedweder Form von Planwirtschaft über die griechischen Köpfe hinweg beschlossen hatten und an dessen heilende Wirkung sie fest glaubten. Dieser Plan, so die völlig überraschende Erkenntnis, funktioniere nicht und zwar vollumfänglich nicht (Koppelin sagt “das funktioniert alles nicht”). Aber anstatt die Ursache für das Scheitern des Plans bei den Planern selbst zu suchen, denn da liegt der Hund keinesfalls begraben, sondern vor sich hin modernd für alle sichtbar an der Oberfläche, mosert Lehrer Koppelin lieber ziemlich billig über die griechischen Hausaufgaben, die er und seinesgleichen ihnen aufgegeben hatten.

Koppelin behauptet, die Griechen hätten nicht gespart, also keine Löhne und Renten gekürzt und auch kein Personal im öffentlichen Dienst abgebaut sowie drastische Ausgabenkürzungen vorgenommen. Und natürlich haben die Griechen auch nicht, wie verlangt, Steuern erhöht, wie zum Beispiel die Mehrwertsteuer von 19 auf 21 Prozent und demnächst auf 23 Prozent. Das Renteneintrittsalter wurde auch nicht erhöht. Alles in allem wurden die Staatsausgaben nicht um zehn Prozent oder etwa 11 Mrd. Euro gesenkt. Die Griechen leben noch immer in Saus und Braus und protestieren nur zum Spaß gegen die Sparmaßnahmen ihrer Regierung.

Der Koppelin ist ein richtiger Scherzkeks. Apropos Hausaufgaben. Der Koppelin und seine FDP, die in Umfragen weit hinter den Sonstigen liegt und gelegentlich auf Augenhöhe mit  der NPD, hatten sich selbst auch einmal Hausaufgaben aufgegeben, für den Fall, dass sie einmal in der Regierung sitzen würden. Diese Hausaufgaben, vom Koppelin selbst inbrünstig wieder und wieder vorgetragen, handelten von einem 400 Seiten dicken Sparbuch, das man leicht umsetzen könne, um den deutschen Steuerzahler zu entlasten:

Ich zitiere zunächst mal aus einer Haushaltsrede von Jürgen Koppelin (FDP) vor dem Deutschen Bundestag aus dem Jahr 2008. Quelle: Seite von Jürgen Koppelin

„Wie wollen Sie eigentlich dem deutschen Steuerzahler erklären, dass der neue Vizekanzler Steinmeier nun plötzlich einen zusätzlichen Staatssekretär bekommt? Der neue Staatssekretär, so heißt es, soll den Bundesaußenminister innenpolitisch beraten. Es ist schon sehr merkwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ein deutscher Außenminister durch einen zusätzlichen Staatssekretär innenpolitisch beraten werden muss. Weder Hans-Dietrich Genscher noch Klaus Kinkel, auch nicht Joseph Fischer, brauchten einen solchen Staatssekretär.“

Bis zur Regierungsübernahme haben die Liberalen seit 1995 jedes Jahr ein 400 Seiten dickes Sparbuch der Regierung zu den Haushaltsberatungen vorgelegt, in dem man nachlesen könne, wie leicht sich im Bundesetat 10 Mrd. Euro einsparen ließen. Der Haushalt des Auswärtigen Amtes umfasst ein Volumen von 2,8 Milliarden Euro. Die FDP forderte stets, dort Einsparungen in Höhe von rund 24 Millionen Euro vorzunehmen. Eben unter anderem einen Staatssekretär, wie Herr Koppelin oben ja deutlich ausführt.

Quelle: Ich (tautenhahn.blog)

Wie wir alle wissen, haben die Liberalen ihr Sparbuch nicht abgearbeitet, sondern noch ein paar überflüssige Kostenposten dazu gepackt. Zusätzliche Staatssekretäre für den ehemaligen Vizekanz-Nicht Westerwelle. Dem Entwicklungsminister Niebel, der sein Ressort vor der schwarz-gelben Regierungsübernahme noch abschaffen wollte, gestattete man die völlige Neubesetzung von Ministeriumsstellen mit seinen eng vertrauten Spießgesellen. Soviel zum Thema Vetternwirtschaft und Korruption außerhalb Griechenlands.

Nicht Griechenland sollte aus der Eurozone austreten, sondern Deutschland. Dann könnte Resteuropa mit dem Euro endlich abwerten und so für eine dringende Anpassung in der Handelsbilanz mit Deutschland sorgen, das partout nicht einsehen will, dass es von seiner Wettbewerbsposition etwas abgeben muss, wenn die Schwachländer selbige verbessern sollen. Geschieht dieser Ausgleich nicht, wird Deutschland zum dauerhaften Transferzahler und die Griechen zu deren Empfänger.

Das Mindeste aber ist, dass die FDP wegen Untauglichkeit geschlossen aus dem Bundestag austritt. Die leben schon viel zu lange durch den Steuerzahler üppig alimentiert über ihre geistigen Verhältnisse.

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Finanzkrise: Elegant eingefädelt

Geschrieben von: am 08. Jun 2011 um 14:18

Neben geöffneter Feldpost aus Afghanistan kommt es immer wieder vor, dass Briefe von Politikern an andere Politiker den Medien zugespielt werden. Der Umstand, dass Wolfgang Schäuble nicht laut die Verletzung des Briefgeheimnisses anmahnt, lässt vermuten, dass die Veröffentlichung seiner Gedanken zum Thema Griechenland-Rettung ganz in seinem Interesse war.

In einem Schreiben an die EU-Amtskollegen und den IWF habe sich der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble unter anderem für eine Umschuldung ausgesprochen. Geschehe dies nicht, so Schäuble, drohe Griechenland als erstem Land der Eurozone eine “ungeordnete Insolvenz”. Was, um Himmelswillen, ist überhaupt eine ungeordnete Insolvenz und was unterscheidet sie von einer geordneten Insolvenz?

Den Quatsch mit der geordneten Insolvenz hatten wir ja schon mal, als die Lichtgestalt Karl-Theodor zu Guttenberg in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister dem sedierten Publikum neben tollen Fotos von ihm vor der Broadway-Kulisse auch inhaltlich etwas anbieten wollte. Die geordnete Insolvenz für große Unternehmen wie Opel oder Karstadt klang natürlich viel besser, als Pleitewelle mit anschließenden Massenentlassungen.

Nun bestehe also die Gefahr einer ungeordneten Insolvenz. Was könnte Schäuble damit gemeint haben? Bei der geordneten Insolvenz von Karstadt (Arcandor) stach, sie erinnern sich, besonders der Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg hervor. Er kassierte unverschämte 32,3 Millionen Euro für die Abwicklung des Konzerns. Sorgt sich Schäuble also um die Bereicherungschancen bei der Liquidation Griechenlands? Denn in der geordneten Vorstellung der EU-Finanzleuchten solle in Griechenland eine Treuhandanstalt nach deutschem Vorbild installiert werden, die zunächst den Ausverkauf von Vermögenswerten durchführen soll. Vor allem deutsche Unternehmen spekulieren dabei auf echte Schnäppchen.

Schäubles bewusst lancierte Botschaft, die bereits von den Medien als Brandbrief betitelt wird, wirkt eher wie ein Brandbeschleuniger. Die Wetten auf eine Pleite Griechenlands werden wieder zunehmen statt abebben. Sollte es ferner tatsächlich zu einem Schuldenschnitt kommen, wären zudem vor allem öffentliche Banken betroffen. Denn die sitzen nunmehr zuhauf auf griechischen Staatsanleihen, die gekauft wurden, damit Griechenland seine alten Schulden bei vorwiegend privaten Gläubigern begleichen konnte (siehe dazu Jens Bergers Beitrag, Spiel auf Zeit – wie Griechenlands Schulden verstaatlicht werden).

Anstatt die griechischen Probleme durch eine schnelle Umschuldung zu lindern, spielt man auf Zeit und verwässert dabei die Gläubigerstruktur. Banken und Versicherungen gehören zu den Gewinnern dieser Hinhaltetaktik, kann der griechische Staat doch die auslaufenden Kredite dank neuer Kredite von EU und IWF ohne Abzug begleichen.

Alte Schulden werden mit neuen Schulden beglichen, was sich jedoch ändert, ist die Gläubigerstruktur. Mit jeder fälligen Tranche und jeder neuen Finanzspritze aus dem „Hilfspaket“ sinkt der Anteil der privaten und steigt der Anteil der staatlichen bzw. öffentlichen Gläubiger.

Genau diese Strategie verfolgen Schäuble und die Bundesregierung, wenn sie hochtrabend von Gläubigerhaftung sprechen und so tun, als würden sie die Verursacher der Finanzkrise tatsächlich belangen wollen. In Wirklichkeit wird der Steuerzahler ein weiteres Mal zur Kasse gebeten. Diesmal als Gläubiger. Wussten sie, dass sie inzwischen Gläubiger geworden sind und somit als Verursacher der Krise gelten? Erst haben sie mit ihren Steuergeldern die Banken gerettet, weil sie systemrelevant waren und nun retten sie den Rest, weil man ihnen plötzlich auch nachweisen kann, dass sie als Inhaber von wertlosen Papieren zu den Verursachern der Krise gehören.

Das ist schon elegant eingefädelt, finden sie nicht?

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