Es gibt Formulierungen, da fasst man sich an den Kopf. Eigentlich braucht man die Hände von dort gar nicht mehr wegzunehmen.
Im Grundgesetz steht unter Artikel 87a, Abs. 2, Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Und da steht nicht, dass in Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes militärische Mittel eingesetzt werden dürfen, sondern eine Mobilisierung der Streitkräfte im Rahmen der Amtshilfe nur bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen erlaubt sei. Mit der schönen Formulierung Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes stehen den neoliberalen Hohlköpfen nun sämtliche Interpretationsebenen offen. Deshalb begrüßten de Maizière und Friedrich die Entscheidung umgehend.
Denn plötzlich erscheint es ja auch im Bereich des Möglichen, eine Bombe präventiv auf ein Haus im Sauerland zu schmeißen, weil dort nach geheimdienstlichen Erkenntnissen eine vermeintliche Gruppe von Terroristen einen Anschlag geplant haben soll, dessen geglückte Durchführung zu einer Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes geführt hätte. Möglicherweise werden aber auch die im Zusammenhang mit der Eurokrise immer wieder bemühten unabsehbaren Folgen künftig als Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes bezeichnet. Demzufolge könnte die Bundesregierung jetzt schon Panzer nach Karlsruhe schicken, da die Entscheidung der Verfassungsrichter zum ESM und Fiskalpakt negativ auszufallen droht.
Der Unglücksverlauf muss aber bereits begonnen haben und der Eintritt eines katastrophalen Schadens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen.
Quelle: BverfG
Dieser Satz trifft doch exakt Schäubles Warnungen vor den unabsehbaren Folgen und der Bestrafung durch die Finanzmärkte. Über die beinahe sichere Wahrscheinlichkeit werden sich dann, wenn es mal soweit ist, wieder Juristen das Hirn zermartern müssen. Wichtig ist, die Tür steht offen, man braucht sie nur noch aufzustoßen und einen entsprechenden Einsatz im Innern als alternativlos zu erklären.
Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig.
Viele begnügen sich ja damit, dass auch in Zukunft keine Ferienflieger abgeschossen werden dürfen. Puh, da atmet der Michel wieder auf. Doch kaum einer, Heribert Prantl und Wolfgang Lieb einmal ausgenommen, beschäftigt sich mit dem Sondervotum des Richters Gaier, der in dem Plenarbeschluss des Gerichts eine Verfassungsänderung erkennt, die Spielraum für subjektive Einschätzungen, wenn nicht gar voreilige Prognosen zulasse.
Fakt ist aber auch, dass die Bundeswehr im Innern bereits verfassungswidrig eingesetzt wurde, etwa als dutzende Tornados zu Aufklärungszwecken über Demonstranten in Heiligendamm hinwegdonnerten. Das solle in Zukunft nicht mehr passieren, hielten die Verfassungsrichter fest, doch was oder wer sollte eine Bundesregierung daran hindern, die mit Blick auf das Grundgesetz nach dem Motto verfährt, Gesetze erst einmal zu beschließen und abzuwarten, ob jemand dagegen klagt?
Pausenlos wird durch die Bundesregierung gegen die Verfassung verstoßen. Hartz-IV-Regelsätze und das Wahlrecht sind nur einige Beispiele von vielen. Mich wundert ehrlichgesagt die Haltung der Verfassungsrichter. Bei Bundeswehreinsätzen wird mal eben eine neue Rechtslage geschaffen, wohingegen bei existenziellen Entscheidungen wie über die Höhe des Regelsatzes oder einem gültigen Wahlrecht regelmäßig der Schwanz eingezogen und auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers verwiesen wird. Gleichzeitig gelten großzügige Fristen, die dennoch tatenlos verstreichen. Und dann? Nichts. Eine Kodifikation wie jetzt im Falle der Bundeswehr im Innern findet nicht statt.
Dafür wird sich der Gesetzgeber jetzt daran machen, die neu geschaffene Rechtlage mit Leben zu füllen und die Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes für ihre Zwecke zu definieren.
AUG