Opportunismus umschreibt man neuerdings so:
„Frei von großen Visionen versuchte sie offenbar damals wie heute, kurzfristige Ziele innerhalb der gegebenen Strukturen zu verwirklichen.“
Die angeblichen Enthüllungen von Boulevard-Journalisten sind schon ziemlich lächerlich, aber die Debatte um Merkels Vergangenheit ist noch alberner. Uns sollte doch die Merkel der Gegenwart interessieren. Allein diese Erkenntnisse reichen schon aus, um sie aus dem Amt zu schreiben. Hier schauen die Medien aber ganz bewusst weg oder sehen in der Frau, die einst kurzfristige Ziele innerhalb der gegebenen Strukturen zu verwirklichen suchte als weitsichtige Krisenmanagerin.
Gerade heute ist das ganze Ausmaß des politischen Versagens Merkelscher Politik wieder sichtbar geworden, als die Nachricht die Runde machte, dass Portugal von der Troika dafür belohnt werden soll, weil es seine Rentner zu einer Sonderabgabe zwingt, Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst massenhaft entlässt und den Rest mit längeren Wochenarbeitszeiten beglückt. Dabei gilt der Kürzungskurs der Kanzlerin in Europa längst als gescheitert. Sogar auf der Ebene der G7 gibt es offen Streit über die richtige Wachstumsstrategie und vor allem Kritik an Deutschland.
Doch so offen diese Auseinandersetzung auch geführt wird, in Deutschland selber werden die Menschen damit nicht weiter belästigt. Stattdessen redet man hier über Merkels Vergangenheit und deren bescheidene Welt, die ihnen Brigitte liefert, fern ab von jedweder Realität. Es bleibt der Befund, Deutschland als Ganzes kommt mal wieder zu spät.
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.