Ökonomischer Analphabetismus II

Geschrieben von: am 14. Nov. 2012 um 21:02

Auf WDR5 gibt es das Echo des Tages, das auch auf NDR Info zu hören ist. Als ich vorhin in der Badewanne lag, hörte ich einen Kommentar von Wolfgang Landmesser zu dem europäischen Aktionstag gegen die Kürzungspolitik.

Auch viele der in Brüssel beschlossenen Reformen müssen sein, um die Volkswirtschaften fit zu machen für den globalen Wettbewerb. Das hat weniger mit Neoliberalismus zu tun als mit gesundem Wirtschaftsverstand. In den ersten zehn Jahren der Währungsunion haben die niedrigen Zinsen im Euroraum die strukturellen Schwächen überdeckt. Die Schere der Lohnstückkosten ging immer weiter auseinander zwischen den Ökonomien im Norden und im Süden. Das bedeutet: die Menschen in Portugal oder Spanien verdienten im Vergleich zu viel, um dort zu wettbewerbsfähigen Kosten produzieren zu können. Dadurch hatten es die Unternehmen immer schwerer gegen die internationale Konkurrenz zu bestehen. Während die Importe stiegen, bröckelten die Exporte. Das kann ein Land, das kann eine gemeinsame Währung nicht auf Dauer durchhalten. Deswegen müssen die Länder ihre Arbeitsmärkte und Sozialsysteme an den richtigen Stellen zu reformieren. Dazu gehört aber ganz sicher auch eine stärkere soziale Balance der Antikrisenpolitik. Die Wut der Demonstranten ist verständlich – ob in Athen, Lissabon, Madrid oder Brüssel. Gerade die Höher- und Höchstverdiener sollten ihren Anteil leisten müssen.

Was Landmesser unter einem gesundem Wirtschaftsverstand versteht, ist allenfalls eine Teilwahrheit. Zur ganzen Wahrheit müsste dem Text folgender Absatz hinzugefügt werden:

Viele der in Brüssel beschlossenen Reformen müssen sein, um die Volkswirtschaften fit zu machen für den globalen Wettbewerb. Diese Perspektive hat viel mit Neoliberalismus zu tun, deren Anhänger immer vorgeben, viel gesunden Wirtschaftsverstand zu besitzen. In den ersten zehn Jahren der Währungsunion hätten die niedrigen Zinsen im Euroraum die strukturellen Schwächen überdeckt. Warum ist den Menschen mit dem vermeintlich gesunden Wirtschaftsverstand so etwas erst nach zehn Jahren aufgefallen?

Die Schere der Lohnstückkosten ging immer weiter auseinander zwischen den Ökonomien im Norden und im Süden. Das bedeutet: die Menschen in Deutschland verdienten im Vergleich zu wenig, und haben deshalb zu wettbewerbsfähigen Kosten produzieren können. Dadurch hatten es die Unternehmen immer leicht, gegen die internationale Konkurrenz zu bestehen. Während die Exporte stiegen, bröckelten die Importe. Das kann ein Land, das kann eine gemeinsame Währung nicht auf Dauer durchhalten. Deswegen muss das Land seine Arbeitsmarktpolitik an den richtigen Stellen überdenken und beispielsweise einen Mindestlohn einführen. Dazu gehört aber ganz sicher auch eine stärkere soziale Balance der Antikrisenpolitik. Der Zorn der Demonstranten ist verständlich – ob in Athen, Lissabon, Madrid oder Brüssel. Die Menschen dort haben einfach recht. Gerade die Höher- und Höchstverdiener sollten nicht bloß einen Anteil, sondern die gesamten Kosten, der von ihnen verursachten Krise tragen.

Soviel zum gesunden Wirtschaftsverstand in den Hörfunkanstalten der ARD.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. stinksauer  November 14, 2012

    Geld verbrennt ja nicht, es wechselt nur die Besitzer.
    Es ist darum immer wieder erstaunlich, daß sich unsere Wirtschaftweisen und Politiker nie an die Frage trauen, wer sich da bereichert hat.Bereichert auf Kosten von Arbeitnehmern, Kleinunternehmern, mittelständischen Unternehmern,Rentnern die eigentlich die sind, die unsere Wirtschaft am Laufen hält.Doch die Banken rücken die Namen nicht raus und die Politiker nehmen das hin. Warum wohl? Sie selbst sind das System. Warum wird man heute Politiker? Weil man so die Möglichkeit hat,für bestimmte Gruppen Bedingungen zu schaffen, um hinterher von den Nutznießern durch eine gute Position entlohnt zu werden.