Jetzt will die Kanzlerin die Haushalte anderer Länder für null und nichtig erklären lassen. Auf einer Regionalkonferenz der CDU, die dazu dienen sollte, die Parteibasis zu beruhigen, kündigte sie an, weiter für rigorose Durchgriffsrechte bei Defizitsündern kämpfen zu wollen.
Die Logik der Kanzlerin ist schon verblüffend. Was will sie dem verdutzten Parteivolk, das fest auf dem Boden der FDGO steht, damit sagen? Wir erklären die Haushaltspolitik anderer für null und nichtig und damit auch deren Ausgaben, die erst zum Defizit geführt haben? Problem gelöst? Oder wollte sie sagen, dass der deutsche Finanzminister in Zukunft über das Budget der Griechen bestimmt. Und damit das nicht so auffällt, behauptet man einfach, die EU würde es tun.
Es sind schon wahnwitzige Zeiten. Im Sommer hat die größte Taktikerin aller Zeiten (GröTaZ) noch vor ihren Anhängern gesagt, dass in Europa nicht jeder in Rente gehen könne wie er will und der eine nicht mehr Urlaub haben dürfe als der andere. Dann hat sie sich in selbigen verabschiedet und kurz verlauten lassen, dass es Deutschland so gut gehe, wie nie zuvor. Auch wenn über 20 Prozent aller Beschäftigten dank des Aufschwungs XXL inzwischen im Niedriglohnsektor tätig sind.
Inzwischen ist sie ja längst wieder da, war bei Sarkozy, auf einem Gipfel in Polen und bei Günther Jauch, der zwar Fragen stellte, aber jede Antwort der Kanzlerin einfach einloggte, ohne sie in seiner bewährten RTL-Manier aufs Glatteis zu führen, um ihr ferner vielleicht einen Joker zu entlocken. Aber Merkel ist ja auch keine Kandidaten auf dem Ratestuhl, sondern eher ratlos im Amt. Dabei hätte dieser Fragestunde die von Jauch obligatorisch präsentierten vier Antwortmöglichkeiten wirklich gutgetan.
Den griechischen Ministerpräsidenten hat sie gestern auch getroffen, mit dem zusammen, sie mal wieder an einem Strang ziehen will. Wahrscheinlich um die Schlinge noch ein wenig fester zu ziehen und dem Land endlich den Garaus zu machen. Denn erst wenn die Wiege der Demokratie für null und nichtig erklärt würde, kann die Kanzlerin ihre Vorstellung von einer marktkonformen Demokratie in die Tat umsetzen.
Erwin Pelzig fragte gestern in Neues aus der Anstalt zu recht was das eigentlich bedeuten soll und warum gerade eine deutsche Regierungschefin nicht auf die Idee kommt, einen demokratiekonformen Markt zu fordern. Stattdessen tätschelt sie am Jahrestag ihrer gescheiterten schwarz-gelben Regierung es ist erst Halbzeit den klinisch toten Koalitionspartner. Neben Eurorettung und Strang festziehen fand sie tatsächlich noch Zeit, die Biografie des FDP-Parteichefs vorzustellen, mit dem sie völlig überraschend eine Vorliebe für Udo Jürgens teilt.
Bist du auch ein Fan?, soll der vom Denkverbot befreite und bald auch von der Regierungsarbeit entbundene liberale Anführer Philipp Rösler gesagt haben. Dass der Jauch das am Sonntag nicht herausgefunden hat, ist auch ein Armutszeugnis. Übrigens habe man der Merkel in der DDR das Denken ebenfalls nicht verbieten können, gab sie am Rande der Präsentation des Kinderbuches zu Protokoll. Das ist richtig. Ihr Denken muss halt nur in systemrelevanten Bahnen verlaufen.
Um flexibel zu sein, bedarf es nämlich der Rückratlosigkeit. Dann schafft man es auch, unter den Bedingungen des realexistierenden Sozialismus Karriere zu machen, wie auch, wenn die historischen Umstände es gerade zulassen, an der Spitze des Kapitalismus zu stehen, um eine marktkonforme Demokratie zu erfinden. Es würde nicht verwundern, wenn die Kanzlerin ihr altes FDJ-Hemdchen noch im Schrank hängen hat, für alle Fälle.
Wir sind ein Europa, auch wenn man manchmal streng ist, hat sie einer griechischen Zeitung gesagt und damit auf den Punkt gebracht, wie sich Frau Merkel die Rollenverteilung bis zur nächsten Katastrophe so vorstellt. Ihr soll Europa gehorchen, weil deutsche Interessen Vorrang haben. Europa soll deutscher werden und Merkel ist auf dem Vormarsch. Morgen wird im deutschen Bundestag über die Ausweitung des Rettungsschirms abgestimmt.
Heute stimmt bereits das EU-Parlament über Gesetze ab, die unter anderem vorsehen, auch Länder zu bestrafen, die durch hohe Exportüberschüsse das wirtschaftliche Gleichgewicht innerhalb Europas gefährden. Wir dürfen gespannt sein, ob Frau Merkel die gleiche Strenge auch bei sich zulässt oder ob sie weiterhin als volkswirtschaftlich denkende Null durch Europa zieht und behauptet, jeder könne exportieren und Überschüsse anhäufen und davon leben.
Die Amerikaner haben nun Europas und insbesondere die deutsche Krisenbewältigungspolitik gerügt und schon rauscht es im Blätterwald. Es seien ja doch die amerikanischen Banken gewesen, die die Krise verursacht hätten. Von einer Infektion mit dem amerikanischen Finanzvirus ist gar die Rede. So als ob die Deutsche Bank kein Hauptakteur in dem miesen Spiel mit faulen Krediten gewesen ist und sich nunmehr zurecht auf der Anklagebank amerikanischer Gerichte wiederfindet.
Andere schreiben wiederum, dass die Griechen zwar wie befohlen rigoros gekürzt haben, aber das versprochene Privatisierungsprogramm noch nicht umgesetzt hätten. Wen wundert das? Schlange stehen doch nur die Schnäppchenjäger aus Deutschland. Dann fällt den Schreibenden noch ein, dass es endlich wieder großer Gesten bedarf. Wie einst, als Helmut Kohl und Francois Mitterand Hände haltend vor den Gräbern in Verdun standen. Wie soll das aber heute aussehen? Angela Merkel mit Giorgos Papandreou Hände haltend vor der Deutschen Bank?
Die Kanzlerin marschiert, und der Alptraum wird anhalten. Null und nichtig wäre schön. Wenn es doch auf diese unsäglich inkompetente Regierung zutreffen würde.
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.