at: Was für ein Monatsbeginn. Man sagt ja immer, der November ist so überflüssig, weil das Wetter noch miserabler ist als im April, und die USA alle vier Jahre ihren Präsidenten wählen dürfen, ob Depp oder nicht, spielt keine Rolle. Neuerdings muss er ja nicht mal mehr gewählt sein, sondern nur über gute Anwälte verfügen.
Wie dem auch sei. Ich habe mir mal ne Woche Urlaub gegönnt, um dringende Renovierungsarbeiten in heimischen Wänden vorzunehmen und dabei natürlich auch den 4. November im Blick gehabt. Aber nun auch noch das. In Hessen platzt quasi in der letzten Minute, die schon sicher geglaubte Koalition aus SPD und Grünen. Nicht in letzter Sekunde wohlgemerkt, so hätte es nämlich geheißen, wenn in der Wahlkabine am Dienstag der ein oder die andere SPD-Abgeordnete plötzlich über ihr schlechtes Gewissen gestolpert wäre und sich gesagt hätte, na ja, was bei der Simonis ging, das geht auch bei uns. Nein, erträgliche 24 Stunden vorher hat man sich nun schon entschlossen, auszuscheren, nachdem man monatelang und den obligatorischen Sommerurlaub für Parlamentarier Zeit hatte, die schwierige Gewissensentscheidung reifen zu lassen.
Da fiel auch der neue Parteivorsitzende im Willy Brandt Haus Franz Müntefering aus allen Wolken und musste vor versammelter Presse eingestehen, dass die vier Abweichler aus der eigenen Partei eine seltsame Entscheidung getroffen hätten. Wahrscheinlich hatte Münte, dessen Gesicht von dem der neben ihm stehenden Willy Brandt Plastik kaum zu unterscheiden war, doch mit einem Showdown im Hessischen Landtag gerechnet. Aber in Zeiten von Online-Banking und verpackten Kreditderivaten, die in Nullkommanix um den Erdball sausen, scheint der Verdacht nahe zu liegen, dass auf den Giro-Konten der nach eigener Aussage arg unter Druck gestandenen SPD-Abweichler der Zahlungseingang schon etwas früher stattfand. Die Banken haben schließlich etwas gut zu machen. Wenn man da morgens um sechs noch vor dem Frühstück eine Überweisung mittels PIN und TAN tätigt, kann der Begünstigte bereits um acht nach der BILD-Lektüre online einsehen, dass eine vorgemerkte Buchung mittags vorgenommen wird.
Aber machen wir uns nichts vor. Urban Priol hat letzte Woche in der Anstalt schon den politischen Selbstmord Ypsilantis vorausgesagt. Müntefering tut dagegen ganz überrascht und kann sich nicht erklären, wie es zu so einem neuerlichen Debakel kommen konnte. Dabei hatte der hessische SPD-Vize Jürgen Walter auf dem Parteitag am Samstag ganz offen Kontonummer und Bankleitzahl in den Überweisungsträger diktiert. Schließlich musste er auf seinen gewünschten Posten in der Regierung verzichten. Die versammelte dumme Presse tat aber auch nichts, um der Ursache auf den Grund zu gehen und fragte ständig dieselben Sachen. Unterdessen durfte der alternde und vor kurzem noch überschwänglich gefeierte Politstar nervig oft die gleiche Aussage wiederholen, dass das nämlich alles sehr seltsam sei.
Sogar mein Spezi, der freie Journalist Christoph Slangen, der auch für die Neue Presse Hannover schreibt, saß bei der PK in Reihe eins, immer im Bild, aber stumm wie ein Fisch. Er hätte ja z.B. mal fragen können, in welcher Höhe die Finanzströme derzeit nach Hessen fließen und ob die Bundesregierung Mittel aus dem Rettungspaket zweckentfremdet hat. Schließlich kann man die Argumentation der vier Abweichler auch so verstehen, dass sie wirtschaftlichen Schaden von Hessen abwenden wollten. Dann könnte man das ja als Konjunkturprogramm beschreiben. Das wäre zur Abwechslung mal lustig gewesen.
Aber nein. Heutzutage funktioniert Demokratie eben anders. Wie schreibt Urban Priol in seinem Buch Hirn ist aus über Dabbeljuh, den Hauptexporteur von Demokratie auf unserer Erde doch so schön,
Aber er hat sofort, unmissverständlich und beschwörend klargemacht, weshalb Saddam von dieser Welt verschwinden müsse: Er ist nicht gewählt, besitzt Massenvernichtungswaffen, lässt Menschen hinrichten und kümmert sich einen Dreck um Beschlüsse der UNO. Komisch nach diesem Satz hätte er sich eigentlich selbst ins Jenseits bomben müssen. Als ein besonderes Highlight im Friendly Fire.
Das Buch lese ich gerade, während meine frisch gestrichenen Zimmerwände bei offenem Fenster und feuchtem Novemberwetter abzutrocknen versuchen. Da hat man wenigstens etwas zum Lachen. Würde ich stattdessen die Neue Presse lesen und zitieren, müsste ich heulen, was wiederum dazu führen würde, dass die relative Luftfeuchte steigt und der Abtrocknungsprozess länger dauert.
Nur soviel zu diesem Käseblatt. Neben der allgemeinen Betroffenheit über die derzeitige beschissene Lage kursieren z.B. Jubelkommentare übers Elterngeld. Der Geburtenrückgang scheint am 30.10.08 für Andreas Herholz gestoppt. Die Zahl der Neugeborenen habe sich wieder leicht erhöht. Ich habe mal nachgeschaut. Die Geburtenrate lag im ersten Jahr des Elterngeldes mit 1,37 Kindern pro Frau nur unwesentlich höher als im Vorjahr (1,33). Das reicht aber für Herholz aus, um sagen zu können, Familie hätte in Deutschland wieder Konjunktur und das Wurfwunder aus Niedersachsen von der Leyen habe mit ihrem Elterngeld eine kleine Revolution eingeleitet. Das kann man wohl sagen. Das Erziehungsgeld mit 300 Euro pro Monat für längstens zwei Jahre wurde einfach abgeschafft. Nun bekommt knapp ein Drittel der Eltern ebenfalls den Mindestsatz von 300 Euro. Aber das nur für mindestens ein Jahr oder höchstens vierzehn Monate, wenn der Vater sich auch die Freiheit nimmt, in Elternzeit zu gehen. Bei befristeten Arbeitsverträgen, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, stehen da die Chancen für eine Vertragsverlängerung sicherlich nicht schlecht. Gerade jetzt, wo die deutsche Wirtschaft so robust der weltweiten Finanzkrise trotzt.
Mit 0,2 Prozent soll sie nach Michel Glos, unserem fränkischen Politclown im Bundeswirtschaftsministerium, noch wachsen. Herholz würde jetzt wahrscheinlich sagen, dass die Wirtschaft wieder Konjunktur hätte. Nein nicht ganz. Da hat der NP-Clown Slangen was dagegen. Er sieht am 28.10.2008 Gefahr für die Konjunktur. Aber viel schlimmer findet er das geplante Milliarden-Investitionsprogramm der großen Koalition, das als kurzfristiges Strohfeuer verpuffen könne. Da hat er in der Aufregung wohl etwas verwechselt. Derzeit droht doch nur das eilig durchgedrückte Milliarden-Paket für die Banken zu verpuffen. Da müssen Merkel und Steinmeier schon betteln gehen, dass die großen Geldhäuser ihnen ein paar Regierungsscheinchen abnehmen. Sie sind auch nicht nummeriert, soll die Volkskanzlerin gesagt haben. Das ist schon lustig im November. Da geht man von Tür zu Tür und statt Süßes oder Saures sagt man, nehmt mir bitte was ab, ich habe reichlich davon und über das Saure lässt sich sicher auch noch reden.
Dann waren da noch die Boni-Zahlungen für die Bahnvorstände. Und zum ersten Mal fragt Anja Schmiedeke von der NP am 01.11.2008, warum eigentlich? So langsam dämmert es den Redakteuren, dass die Privatisierung der Bahn derzeit erkennbar nur einem Zweck dienlich ist. Nämlich die Taschen der Vorstände zu füllen. Gute Preise und guten Service sucht man indes vergebens. Die Regierung solle endlich Einfluss auf die Geschäftspolitik der Bahn nehmen. Solche Töne hätte man sich gewünscht, als man über den Beschluss, die Bahn Teil privatisieren zu wollen, großzügig hinweg schrieb.
Na ja, der November rockt halt doch. Meine Wand ist nun auch trocken, ich muss weiter pinseln.
NOV
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.