Nichtwähler sind stärkste Kraft in Hamburg

Geschrieben von: am 17. Feb 2015 um 7:33

Die Wahl in Hamburg bestätigt Trends. Ein Trend zur politischen Profillosigkeit und einen ungebrochenen Trend zur Wahlenthaltung. Statt über Erfolge sollte die Politik über ihr Scheitern diskutieren.

Die Wahl in Hamburg ist vorbei und es gibt wieder nur Gewinner. Allen voran die FDP, von der 99 Prozent ihrer Wähler meinen, sie stünde klar für Marktwirtschaft. Tut sie aber nicht. Bei den Liberalen stand nur Spitzenkandidatin Katja Suding im Rampenlicht, nicht die Marktwirtschaft. Sie ist eine PR-Fachfrau, die weiß, wie man ein Image formt. Nicht umsonst lag Suding in der Zufriedenheitsabfrage, die nicht mehr als die Präsenz in der Öffentlichkeit misst, auf Platz zwei hinter Olaf Scholz. Es ist weniger die Marktwirtschaft als eine toll bebilderte Boulevard Kampagne gewesen, die der FDP in Hamburg wieder auf die „Beine“ half.

Heikle Trends

Auf der anderen Seite soll auch Olaf Scholz gewonnen haben, einer, der landauf landab als Ableger eines neuen Politiker Typus beschrieben wird, den offenbar Angela Merkel schuf. Heribert Prantl schreibt von einem Triumph des Fleißigen, der durch auffällige Unauffälligkeit besticht. Ein Trend in der Politik, wie Prantl meint. Aber auch er übersieht das Wesentliche. Dem Triumph steht eine abermals gesunkene Wahlbeteiligung gegenüber. Nur noch 56,6 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre „Stimmen“ ab. Erstmals durften auch Jugendliche ab 16 an die Urne. Rund 1,3 Millionen Hamburger waren zur Wahl aufgerufen und damit rund 40.500 Wahlberechtigte mehr als 2011. Vor diesem Hintergrund wirkt der Rückgang der Wahlbeteiligung noch einmal dramatischer.

Die Nürnberger Nachrichten kommentieren treffend: „Die SPD in Hamburg bleibt stark, sehr stark – aber sie ist nicht die stärkste Kraft in der Hansestadt: Das sind jene Bürger, die von ihrem Wahlrecht gar nicht Gebrauch gemacht haben. Immer mehr Menschen zweifeln an ihrem Einfluss auf die Politik, glauben, sie könnten ohnehin nichts erreichen. Oft sind das weniger gut Gebildete, sozial Schwache, Arbeitslose in Problemvierteln, die es auch in Hamburg gibt. Das Wahlrecht dort macht es gerade ihnen schwer. Es ist kompliziert und demokratisch durchaus reiz-, aber eben auch anspruchsvoll. Deshalb geben zusehends die mittleren und oberen Schichten ihre Stimme ab, die unteren ziehen sich zurück – und sind deshalb tatsächlich schlechter repräsentiert als andere. Ein heikler Trend.“

Ungeachtet dieses Trends zur Wahlenthaltung wird Olaf Scholz schon als künftiger Kanzlerkandidat ins Gespräch gebracht, obwohl er mit dafür verantwortlich ist, dass die SPD im Bund keine Volkspartei mehr ist. Scholz war ja nicht immer Erster Bürgermeister Hamburgs, sondern davor gescheiterter Bundesminister für Arbeit und Soziales. In dieser Funktion prägte er den Satz: „Alles, was an Effekten durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen entsteht, wird jedes Mal zusammen mit der Arbeitsmarktstatistik veröffentlicht. … Ich glaube, dass man sich auf die Seriosität dieses Prozesses verlassen kann. Wer anders rechnen wolle, könne ja seine Zahl veröffentlichen – und dazu ein Flugblatt drucken.“

Scholz steht für den Niedergang der SPD

Der Niedergang der SPD ist untrennbar auch mit dem Namen Olaf Scholz verknüpft. Er gehört zu den Agenda-Befürwortern und war gewissermaßen einer der Totengräber der alten Sozialdemokratie, wie das Neue Deutschland heute richtig analysiert. Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu grotesk, Scholz als neuen Heilsbringer der Sozialdemokratie auch nur in Erwägung zu ziehen.

Zur Diskussion um den Ausgang der Hamburg-Wahl gehört natürlich auch die Spekulation um mögliche Koalitionen. Da spielt dann plötzlich ein Bündnis mit der FDP wieder eine Rolle. Auch das passt irgendwie zur Zeit, deren Beobachter einen sozialliberalen Kurs von Scholz erkannt haben wollen. Es ist immer wieder erstaunlich wie schnell nach einem Wahlerfolg Erklärungen verkündet werden. Scholz habe gewonnen, weil er für Verlässlichkeit stünde und Versprechungen eingehalten habe.

Die Verlierer müssen hingegen das Wahlergebnis immer erst genau analysieren, bevor sie einen Grund für ihr Scheitern nennen können, was freilich nie geschieht. Doch diese genaue Analyse täte auch den vermeintlichen Gewinnern einmal gut, die schon wieder über Inhalte diskutieren und darüber, was gut für die Hamburger sei, die zu einem großen Teil kein Interesse an der Wahl zeigten. Eine Gemeinsamkeit hat die SPD mit der FDP auf jeden Fall. Zwei Männer an der Spitze. Olaf Scholz und Katja Suding.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Arnold  Februar 17, 2015

    Ich frage mich ob unsere Form von „Demokratie“ nicht deutlich verbesserungsbedürftig ist. Die meisten Wähler sind doch, wenn wir ehrlich sind, mit der Wahl überfordert. Die wenigsten haben
    das Hintergrundwissen, das sie bräuchten um zu entscheiden welche Partei wirklich ihre Interessen vertritt. Das Ergebnis ist, dass (gefühlt) 98% der Wähler nach Bauchgefühl abstimmen. Die Medien sind Meister darin dieses Bauchgefühl zu manipulieren. Dazu gehört auch eine pseudovielfalt an Parteien. Das Ergebnis ist die beobachtete Frustration.
    Ich schlage vor Wahlen völlig zu verändern. Die Bürger bekommen einen Fragebogen in dem sie nur ankreuzen, ob sich die Lebensverhältnisse in ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld verbessert haben und welche Verbesserungen, die die Parteien anonym vorschlagen, wünschenswert wären. Die Partei, die in ihrem Programm diesen Verbesserungsvorschlägen entspricht bekommt Punkte. Wahlkampf wird verboten.

  2. Habnix  Februar 17, 2015

    Die Wähler, die gewählt haben, nicht zu wählen, werden immer stärker werden und sie werden mehr bewirken als der Wähler.

    • Arnold  Februar 17, 2015

      Es mag sein, dass die Wähler wenig bewirken. Insbesondere weil sie sich von den Medien blenden lassen. Jedoch die Nichtwähler werden niemals irgend etwas bewirken. Es genügt den Parteien selbst bei einer Wahlbeteiligung von 10% Demokratie zu heucheln. Und so tief wird die Wahlbeteiligung nie fallen. Es gibt immer genug Leute die entweder von dieser Demokratieform profitieren oder die sich einreden lassen sie würden profitieren.
      Im Gegenteil, wenn alle die protestieren von der Wahl fern bleiben, wählen nur noch Obrigkeitshörige. Alternative Meinungen wird man dann im Bundestag nicht mehr hören.

  3. Lesefuchs  Februar 18, 2015

    Ich sehe mir nie Soaps an, landete aber doch mal zufällig in einer Folge. 2 junge Leute, knapp im Wahlalter, unterhalten sich. Der eine sagt, er gehe nicht zur Wahl, da sich ja doch nichts ändert. Das hat für mich Methode. Die aktuell regierenden wollen, entgegen ihrer Heuchelei zur niedrigen Wahlbeteiligung gar nicht das mehr Leute wählen gehen. Einfach mal phantasieren was geschehen würde wenn alle die diesmal nicht wählen waren beim nächsten mal die linke wählen. Den ehemaligen Nichtwählern würde ein verdammt großes Auge aufgehen das wählen sehr viel andern kann. Aber so lange man sich einredet das sich nichts ändert, ändert sich auch wirklich nichts = Propagandaziel der Medien erfolgreich! Alle bleiben auf ihren warmen Posten!!!!

  4. Madia  Februar 18, 2015

    Ich wähle seit über 37 Jahren und habe vielleicht zweimal nicht gewählt. Es ändert sich durch Wahlen wirklich nichts. Gerade die letzten 10 Jahre zeigen, wie eigenständig und weg vom Bürger die Politiker respektive die Eu agieren. Für mich bedeutet nicht wählen der friedliche Widerstand, der für das Protokoll wichtig ist. Ansonsten gilt, dass die Bürger einfach selbst ihre Politik machen durch Eigeninitiative, durch Vereine, durch außerparlamentarische Opposition, durch ihr Konsumverhalten und durch Selbstinformation aus dem Internet. Alles ist auf dem Weg. Wie wir auch noch Kriege verhindern, liegt auch an dem Nein und die Verweigerung jedes Einzelnen daran mitzuwirken, wie auch immer.

  5. Zweckpessimist  Februar 18, 2015

    Ich werde wohl demnächst auch Nichtwähler sein. Nachdem die SPD mit der Agenda2010 hart nach rechts gerückt ist und danach die CDU wegen Merkels Machtwillen sich eben dieser verrückten SPD angenähert hat (häufig als Linksruck der CDU beschrieben), sind diese beiden Partein schon nicht mehr wählbar, da vollkommen beliebig und nicht selten rein opportunistisch, sowie kaum vorhersehbar. Oder auch nachgerade absurd, wie eine SPD-Arbeitsministerin, die das unerhöhrte deutsche Streikrecht eindampfen will. Die Grünen und die FDP unterscheiden sich im Grunde auch kaum mehr voneinander, mit dem einzigen Unterschied, daß die FDP den ganzen Gendermüll nicht mitmacht, dafür aber jeden anderen gleich doppelt. Dafür ist die Friedenspartei inzwischen für jeden Krieg und auch „Pro Drohnenmord“. Die Linke ist ohne politische Bedeutung und würde diese erst bei griechischen Verhältnissen erlangen, also dann, wenn es zu spät ist.

    Das Problem unserer Demokratie sind auch nicht bloß die nutzlosen Wahlen, die einer Art Lügenlotto entsprechen (wie Dieter Hildebrandt das mal ausdrückte: „Wähle den, der lügt“). Es ist vor allem das Problem, daß es auch außerhalb dieser nutzlosen Wahlen kaum noch irgendwelche Möglichkeiten der sinnvollen Partizipation gibt, auch nicht im Rahmen von Partein. Wenn ein Stadtrat oder dergleichen beschließt, da und dort kommt die nächste Prunkruine hin, darf der zur Partizipation aufgerufene Bürger höchstens noch entscheiden, ob die Wandfarbe grün oder blau sein soll, nicht aber, ob man die Prunkruine überhaupt wolle oder eine kleinere oder eine andere. Es gibt in diesem Land kaum noch Auseinandersetzungen über irgendwelche Streitigkeiten, sondern es gibt v.a. alternativlose Lösungen, die zu Problemen führen, weil aus heiterem Himmel kommend und als unbedingt jetzt sofort notwendig hingestellt. Es gibt für diese Auseinandersetzungen vor allem aber auch kaum noch wirklich Orte wie Gemeindezentren, Stadtversammlungen usw., bei welchen Dinge von Bedeutung diskutiert würden. Es gibt in diesem Punkt nur noch die Wahlen und die sind eben nutzlos.

    Geht man zur Wahl, legitimiert man dieses Possenspiel auch noch, während man sich im übrigen im Grunde jeden Tag aufs neue die Laune verdirbt, wenn man sich das politische Tagesgeschehen zu Gemüte führt. Man bekommt von unserer Politik also schlechte Laune und dies auch noch ganz ohne weiteren Nutzen. Daher kann man – auch als nicht „weniger intelligenter“ Bürger – eigentlich kaum noch überzeugende Argumente dafür bringen, wozu man sich an dem Irrsinn den beteiligen solle. Man kann inzwischen genauso gut sagen: da machen nur noch die naiven Idioten mit.

    Im Übrigen mag man ja als geneigter Bürger finden, es sei doch schade und schlimm, wenn immer mehr Bürger der Urne fern bleiben. Einen Politiker kann das freilich nicht interessieren. Die 100% der Sitze werden so oder so verteilt. Weswegen sollte man sich da darüber pikieren, daß von 1,2 Millionen bloß noch 600.000 ihre Stimme abgegeben haben? Dies politische System würde sich auch dann noch als unilateral akzeptiert und absolut reformunbedürftig feiern, wenn nur noch 20% zur Wahl gingen.

    • Arnold  Februar 22, 2015

      Irgendwie verstehe ich die Argumentation nicht. Auf der einen Seite sei die Linke keine Wahlalternative weil sie „politische Bedeutung doch erst bei griechischen Verhältnissen erlangen würde“. Auf der anderen Seite halten Sie nicht wählen für eine Möglichkeit obwohl sie zugeben, dass selbst eine Absenkung der Wahlbeteiligung auf 20% keine Wirkung zeigen würde.
      Weil das unwahrscheinliche nicht eintrifft, hoffen sie auf noch unwahrscheinlicheres. Das ist doch nicht logisch.

      • Zweckpessimist  März 20, 2015

        „Weil das unwahrscheinliche nicht eintrifft, hoffen sie auf noch unwahrscheinlicheres. Das ist doch nicht logisch.“

        Da haben Sie fast perfekt zusammengefasst, woran dieses politische System meiner Beschreibung (nicht meiner Idealvorstellung!) nach krankt: weder Wählen noch nicht Wählen hat eine demokratische Wirkung – bis zu dem Zeitpunkt, an dem nur noch extremere Lösungen möglich sind.

        Nicht ich WÜNSCHE mir das, sondern ich sage: so ist es gerade.

        Die repräsentative Demokratie krankt inzwischen extrem daran, daß sie nur relativ (!) repräsentativ ist (40% gehen wählen, 100% Sitze werden verteilt), und nicht absolut repräsentativ (40% gehen wählen, 60% der Sitze bleiben leer, aber eine Mehrheit ist trotzdem erst bei der Hälfte der gesamt verfügbaren Stimmen – im Bundestag an die 600 Sitze – als Mehrheit gültig.).

        Es ist die Wahlarithmetik, die hier das noch unlogischere wünschbar macht. Mir ist vollkommen klar, daß ich mit meinem Nichtwählen nicht eigentlich demokratisch agiere, sage aber, das liegt nicht an mir, sondern an der Arithmetik (40% wählen, 100% der Repräsentation wird verteilt). Und ich kann mich kaum anders kenntlich machen als eben dadurch, daß ich nicht wählen gehe und das Problem damit um eine Stimme offenbarer mache.

        Nichtwählen hat hier gegen alle Parteien aber den Vorzug, daß man genau diese verschrobene Arithmetik nicht mehr mitlegitimiert und dies ab dem Zeitpunkt ein öffentliches Thema wird, wo die kritische Marke der 50% unterschritten wird. Weil dann diese Problem, welches auch bei 70% oder 80% Wahlbeteiligung viel unsichtbarer ist, so unglaublich offenbar wird.

        Oder wie Nietzsche das mal meinte: eine Demokratie, in der nicht jeder freiwillig wählen geht, ist keine. Immerhin sind wir inzwischen so weit, bei der Hälfte der Aussage den Inhalt derselben verstehen zu können: wenn weniger als 50% wählen gehen, wie soll daraus noch eine Regierung hervorgehen können?
        Unsere jetzige Wahlarithmetik versteckt dieses Problem zunehmend dilletantischer und antwortet dabei darauf mit Zynismus („die Faulen müßen nur länger wählen dürfen“). Je weniger wählen gehen, umso mehr wird dieser Dilletantismus offenbar oder andersherum gesagt: je mehr nicht wählen gehen, umso offenbarer wird die Notwendigkeit einer echten und wirklich Reform unseres Wahlrechts und der Wahlarithmetik hin zu einer tatsächlichen, nicht einer hochgerechneten (!) Repräsentation.