Zu Neues aus der Anstalt – Folge 38

Geschrieben von: am 17. Nov 2010 um 16:21

Zum Glück wurde die Anstalt nicht Opfer einer vorgezogenen ZDF-Royal-Sondersendung. Die wurde erst in der Nacht ins Programm geschoben. Dabei frage ich mich immer, warum die Redakteure, die sich mit dem Adel beschäftigen, Gesellschaftsreporter genannt werden. Mit Gesellschaft haben adelige Beziehungsfragen doch eher wenig zu tun. Die Gesellschaft ist ursprünglich einmal angetreten, den Adel abzulösen. Aber heute feiern vor allem wir Deutschen, die im ZDF gerade „Die Deutschen II“ präsentiert bekommen, die Wiederauferstehung des Adels als Retter der verkommenen Gesellschaft.

Bei den Deutschen II habe ich mich übrigens auch gewundert. Ich denke wir sind Integrationsfanatiker, die genau wissen, welchem Deutschtum sich ein Migrant zu unterwerfen hat. Und nun kommt das ZDF mit den Deutschen II. Da wird ja nicht nur der Türke ganz irre im Kopf. Vielleicht sollte man der trüben Historiker Tasse im ZDF, Guido Knopp, einmal erklären, wie man Gesellschaftsgeschichte zu verstehen hat. Warum wohl beziehen sich Franzosen und Deutsche heute gleichermaßen auf Karl den Großen? Doch nicht weil der irgendetwas mit Deutschen und Franzosen zu tun gehabt hätte, sondern weil er Bestandteil einer nationalistischen invention of tradition ist, die sich erst im 19 Jh. herausgebildet haben.

Man könnte sich also ganze Staffeln hirnloser „Wer sind wir-Staffeln“ sparen, wenn man sich einmal konkret mit der Erfindung von Traditionen auseinandersetzen würde. Die Deutschen gab es nämlich vor der Reichsgründung 1871 nicht, genauso wenig wie ein Deutschland. Aber das war ja schon immer unser Problem. Eine 1000 Jährige Selbstüberschätzung und die quälende Frage nach der Identität. Und weil wir zwischen Süd und Nord selbst nicht so genau wissen, was eigentlich deutsch ist, man kann das z.B. auch prima anhand des Textes unserer bescheuerten Nationalhymne erkennen, schreiben wir es lieber denen vor, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind. Die müssen sich bekennen, zur Leitkultur, zu den Grundwerten, zum Christentum und wahrscheinlich auch zu Dumpinglöhnen, Privatvorsorge, Stuttgart 21 und den Castor-Transporten.

Und über allem schweben die „fabelhaften Guttenbergs“, die im Paarlauf ins Kanzleramt steuern, wie das scheinbürgerliche Nachrichtenmagazin der Spiegel kürzlich titelte. Da sollte Guido Knopp vielleicht schon an „Die Deutschen III“ denken.

Nur wer sich erhebt, kann sich auch widersetzen, meinte Pelzig gestern in der Anstalt. Widerstand auf allen Ebenen, lautet die Parole. Sogar Artikel 20, Abs. 4 des Grundgesetzes wurde zitiert. Falls die Verfassung noch jemand kennt und ernst nimmt. Und am Schluss wurde die Sendung protestierend im Sitzen beendet, nachdem Pelzig fein erklären durfte, dass zwischen dem Losentscheid und der Wahl von Politikern ein qualitativer Unterschied zu Gunsten des Losentscheids bestehen würde.

Dann wusste ich auch noch nicht, dass die CSU im WDR mit Untertiteln läuft. Dabei tönt der Seehofer doch immer, dass Integration nur über die Sprache gelänge. Immerhin habe sich der Vorsitzende der Jungen Union in Bayern, ein Franke, bereits integriert. Der sagt nämlich schon, Seehofer sei der Leitwolf, der wo uns anführt und nicht, der wo uns anführen tut. Eine reife Leistung. Respekt.

Die Kanzlerin als ständige Enddarmbewohnerin der Atomwirtschaft bekam natürlich auch ihr Fett weg. Der Fünf-Jahres-Plan der Lobbymarionette aus der Uckermark geht langsam auf. Fünf Jahre hätte sie das Volk sediert und nun schlage sie zu. Allerdings wartet Urban Priol noch immer auf eine Antwort bezüglich seines Aufnahmeantrags.

Das und die grandiose Darbietung von Hagen Rether über die Angst vor dem Islam sollte man gesehen haben. Haben sie auch Angst vor dem Riesling, weil letztes Jahr in Deutschland 70.000 Menschen dem Alkohol zum Opfer fielen? Vielleicht sollten wir doch alle Rainald Grebe wählen. Sein Wahlkampfauftritt war doch großartig.

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Die Sendung finden sie wie immer in der ZDF-Mediathek:

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/startseite/#/beitrag/video/1190920/Neues-aus-der-Anstalt-vom-16112010

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Ormuz  November 17, 2010

    Natürlich habe ich es gesehen und ich bin immer wieder überrascht, daß man die Sendung noch nicht gekickt hat, deutlicher kann man es ja wohl nicht mehr sagen wie sehr es in diesem Lande stinkt.

  2. jens  November 17, 2010

    und es war besser..als das erste mal…

    nur : schramm ist nicht zu ersetzen

    gruß jens

    • adtstar  November 17, 2010

      Den will ja auch keiner ersetzen. ;)

  3. Megahoschi  November 17, 2010

    Schönen guten Abend

    Deine Hofberichterstattung zu den Guttenbergs kannst Du haben: http://programm.daserste.de/pages/programm/detail.aspx?id=2415E3028B612A99B8D58EE54A9A4583

    Die Anstalt war mal wieder super, aber ich muß gestehen ich mache mir ernst Sorgen um Hagen Rether, der scheint an dem ganzen Scheiß kaputt zu gehen

    • adtstar  November 17, 2010

      Das ist ja furchtbar. Ob in dem Bericht über zu Guttenberg auch der Hinweis auf die Abstammung von Außenminister a.D. von Ribbentrop zur Sprache kommt? Der baumelte schließlich nicht als Widerstandskämpfer, sondern als Kriegsverbrecher am Ende eines Strickes.

  4. Einhard  November 17, 2010

    Schramm fehlt nach wie vor, aber Pelzig/Barwasser fügt sich schon deutlich „geschmeidiger“ in die Anstalt ein; ein guter Ersatz, qualitativ betrachtet.

  5. Helge Henschke  November 18, 2010

    Der Schramm ist nicht zu ersetzen, weil nur Ihm wirkliches Leid an der mit alltäglich ignoriertem, geistigen und materiellen Elend heraufziehenden politischen und ethischen Katastrophe anzumerken ist. Priol und Barwasser tummeln sich jetzt sichtbar kraftlos an, ihrer Klientel (uns) genehmen Allgemeinplätzen (Stammtischen), prinzipiell nicht unähnlich den etablierten Demagogen jeglicher Couleur.
    Wenn die Stammtische weniger niveaulos sind als parlamentarische Debatten, bedeutet das noch nicht, dass sie niveauvoll bzw. adäquat (gerecht) sind.
    Naja …, „man“ unterhält sich halt.