Die mediale Kritik an der gestrigen Anstalts-Sendung und dem ersten Auftritt von Frank-Markus Barwasser als Erwin Pelzig an der Seite von Urban Priol ist zum Teil recht albern. Noch immer wird Barwasser an Georg Schramm gemessen, obwohl diesbezüglich längst klargestellt wurde, dass weder Barwasser und Priol einen Ersatz für Schramm präsentieren wollten, noch die Medien einen solchen erwarteten. Sie tun es aber trotzdem, weil ihnen über die sehr gute Quote hinaus kaum etwas eingefallen ist, worüber man hätte schreiben können.
So beklagt man sich zum Beispiel darüber, dass Barwasser hölzern gewirkt habe und dass das Zusammenspiel mit Priol darunter litt, weil sich die Figur Pelzig zu sehr an das akribisch ausgefeilte Drehbuch gehalten habe. Mein Gott wie armselig. Neues aus der Anstalt ist die wohl einzige Live-Kabarett-Sendung im deutschen Fernsehen, in der es ein richtiges Drehbuch gibt und in der die Akteure nicht vom Teleprompter ihre Texte ablesen, sondern sie auswendig lernen und somit dem Publikum Szenen ohne technische Sicherungsleine richtig vorspielen müssen. Das nun wieder zu kritisieren, ist mehr als albern, zumal dann auch das Spiel zwischen Schramm und Priol nach dieser Definition als zwingend hölzern betrachtet werden müsste.
Aber das war überhaupt nicht der Fall. Barwasser ist nicht Schramm oder richtiger ausgedrückt, Pelzig ist nicht Dombrowski und ein Angestellter für Öffentlichkeitsarbeit auch kein Patientensprecher. Mir scheint, die berichtenden Medien haben die Rollenverteilung nicht kapiert. Im Gegensatz zu Dombrowski versteht sich Pelzig als Bindeglied nach außen, der die zum Teil wirren Gedanken der Anstaltsinsassen einschließlich der Leitung zu einem produktiven oder wenn man so will destruktiven Schlag verhelfen will. Deshalb zeigt Pelzig dem Priol auch neue Hemden im Vorspann oder beschimpft ihn in der Sendung als Sprachrohr einer diffusen Unzufriedenheit, dessen systemerhaltendes Genörgel ihm eines Tages noch das Bundesverdienstkreuz einbringen würde und sonst nichts.
Schließlich ist der Dombrowski seinerzeit ja auch nur deshalb ausgezogen, weil er gemerkt hat, dass er in der Anstalt nichts mehr bewegen konnte. Er musste raus, die eigene Alterskohorte mobilisieren. Das kann man auch heute noch auf seiner Homepage nachlesen:
Lothar Dombrowski ist aus der Anstalt ausgebrochen. Es gilt eine Botschaft unter die Menschen zu bringen. Für tatenloses Grübeln ist der globale Niedergang schon zu weit fortgeschritten. Er geht auf Werbetour und sucht Mitstreiter unter Gleichgesinnten und Altersgenossen, die nicht mehr viel zu erwarten haben und die wie er, lieber im Blitzlicht der Öffentlichkeit scheitern, als gehorsam bis zum kläglichen Ende im Pflegeheim dahin dämmern.
Urban Priol hingegen, wollte sich lieber samt persönlicher Habe einliefern lassen und alle Brücken nach draußen abrechen. Und diese abgebrochene Verbindung versucht Pelzig nun wiederherzustellen. Den Bezug zur Realität sozusagen. Priol dürfe nicht das Ventil auf einem Kessel sein, der längst zu platzen drohe und eine Sau, die sich nur an der Eiche scheuere, bringe selbige nicht zum umfallen. Da bedürfe es schon einer anderen Strategie.
Und da kommt der Pelzig ins Spiel, der nicht einfach nur den Seibert für Priol geben will, sondern sich als ein von der Verwaltung eingesetzter Berater versteht, der seinem Chef in belebender Auseinandersetzung die richtige Strategie näherzubringen versucht. So soll das Spannungsfeld grob umrissen aussehen. Pelzig soll eben kein Dombrowski sein, sondern jemand, der nach Dombrowski die zweifelhafte Autorität von Herrn Priol als Stationsleiter in Frage zu stellen versucht.
Ich habe ihn als einen Mann mit beträchtlichem Quälpotential ohne jegliche Bereitschaft zur Unterordnung kennen und schätzen gelernt. Ein Glücksgriff für die Anstalt. Herr Priol wird sich noch wundern.
Und Priol hat sich gewundert, sogar so sehr, dass er am Ende einen Notaufnahmeantrag für die CDU unterschrieben hat. Bösartig und doch konstruktiv. So kann es meiner Meinung nach ruhig weitergehen.
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Das Video zur Sendung finden sie wie immer in der ZDF-Mediathek:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/startseite/#/beitrag/video/1167976/Neues-aus-der-Anstalt-vom-19102010
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.