Die heutige Ausgabe der Neuen Presse ist wirklich das Allerletzte. Ich habe bereits einen Beitrag dazu geschrieben. Nun führt auf Seite 3 auch noch Heiko Randermann ein Interview mit dem neuen „Shootingstar“ Philipp Rösler. Beim Lesen der Überschrift verspürt man nun kein misstrauischen Ton oder eine gewisse skeptische Haltung zur von Rösler beabsichtigten Gesundheitspolitik.
Philipp Rösler neuer Shootingstar: „Es ist ein Riesenschritt und kam für mich absolut plötzlich“
Irgendwie scheint Herr Randermann, zuständig für die Landespolitik, den Knall noch nicht vernommen zu haben. Man kennt sich halt, hat lange vertrauensvoll zusammengearbeitet und deshalb ist es nur konsequent, den netten Herrn Rösler auch nicht nach der Radfikalreform zu befragen, sondern danach, ob er nun in Hannover bleiben oder lieber nach Berlin ziehen möchte. Schließlich könnte es ja sein, dass der nette Herr Rösler den sicherlich netten Herrn Randermann irgendwann einmal anspricht, weil er die Zusammenarbeit intensivieren möchte. Könnte ja sein. Denn für deutsche Journalisten ist es nicht sonderlich erstrebenswert, bei einem Politiker kritisch nachzufragen, wie das der niederländische Kollege in der Bundespressekonferenz tat, sondern vielleicht einmal einen Vertrag als Pressesprecher oder Redenschreiber zu unterzeichnen.
Toll fand ich auch einen Nebenkasten zum Interview von einem Mitarbeiter der NP mit dem Kürzel „dir“.
Anfangs etwas Bammel
Noch am Freitagvormittag hatte Philipp Rösler in einem Interview erklärt, er gehe definitiv nicht nach Berlin. Eine Stunde später war alles anders. Um 12 Uhr erfuhr der 36-jährige Hannoveraner, dass er Bundesgesundheitsminister wird. Der schwierigste Job in der neuen Bundesregierung, sagt Walter Hirche. Rösler hatte seinen Förderer, der ihn 2000 zum Generalsekretär der Niedersachsen-FDP gemacht und ihm 2006 den Landesvorsitz und vor acht Monaten das Amt des Wirtschaftsministers übertragen hatte, um Rat gefragt. Da war es 17 Uhr. Hirche bat um Bedenkzeit und riet ihm zehn Minuten später, die Chance als erster FDP-Bundesminister aus Niedersachsen zu nutzen. Rösler hatte etwas Bammel. Inzwischen, so Hirche gestern, hat er die Angst überwunden. Geholfen hat dabei auch eine personelle Unterstützung: Der Gesundheitsexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Daniel Bahr (32), wird sein Staatssekretär. Gespräche der beiden Liberalen könnten schwarz geprägt sein: Beide haben eine Schwäche für Lakritz.
Ist das nicht nett. Bammel, Wortbruch, Lakritz und der „Gesundheitsexperte“ Daniel Bahr, der doch nicht deshalb einer ist, weil er im Beirat der ERGO Versicherungsgruppe und des privaten Versorungsunternehmen DUK.e.V. sitzt? Ich würde jedenfalls nicht widersprechen, wenn man solch einen „Experten“ schlicht als verlängerten Lobbyistenclown bezeichnen würde. Aber egal, der Jugendwahn scheint ausgebrochen. Und mit ihm der Versuch, scheinbare Sympathieträger zu erfinden, unter derem künstlichen Glanz jeder noch so bekloppte politische Scheiß Platz finden soll. Freiherr zu Guttenberg wird künftig den Krieg und die Taliban einfach weggrinsen und einem Philipp Rösler werden wir eine grausame Gesundheitsreform abkaufen, weil uns seine persönliche Lebensgeschichte fast zu Tränen rührt. Und dank Heiko Randermann von der Neuen Presse Hannover wissen wir jetzt auch, dass er seine Frau Wiebke beim Abendessen in zweiter Verhandlungsrunde noch überzeugen musste.
Zu Röslers eigentlicher Aufgabe fragt Randerman nix. Er darf aber auf die Frage nach dem Gefühl, wenn er unter den zu erwartenden Lobbydruck gerät, antworten, dass „wir“ für 80 Millionen Menschen ein vernünftiges und robustes Gesundheitssystem auf den Weg bringen müssen. Worin die Vernunft und die Robustheit nun konkret besteht, will weder Randermann wissen, noch Rösler wahrscheinlich bekannt geben. Gut zu wissen, dass es da aber noch andere Journalisten gibt, die ihren Beruf noch ernst nehmen und sich fern ab von der Personalie Rösler Gedanken darüber machen, was uns mit dem Kopfprämienmodell Schlimmes blühen könnte.
Hörfunkkorrespondent Peter Mücke vom NDR hat dazu einen, wie ich finde, sehr guten Kommentar verfasst, den sie auf tagesschau.de nachlesen können. Kurz, knapp und auf den Punkt. Man hätte natürlich noch deutlicher die von Zensursula von der Leyen getätigte unsinnige Behauptung widerlegen können, dass ein Solidarausgleich übers Steuersystem sozial gerecht sei. Und zwar über die Zusammensetzung des Steueraufkommens insgesamt und die Tatsache, dass der Staat seine Einnahmen immer mehr aus den für alle Einkommensgruppen gleich hohen indirekten Steuern bezieht, denn aus direkten Steuern, die zudem, wie Peter Mücke richtig schreibt, auch noch gesenkt werden sollen und zwar bei den Besserverdienenden sehr viel deutlicher als bei den unteren Einkommensgruppen.
Weitere kritische Kommentare zur gesundheitspolitischen „Wählertäuschung“ aus deutschen Tageszeitungen finden sie zusammengefasst hier.
http://www.netzeitung.de/presseschauen/1500459.html
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.