Angesichts der riesigen Steuerausfälle liegen die Nerven blank. An dem Dogma, Ausfällen nur mit Einsparungen begegnen zu können, hat sich nichts geändert. Mittlerweile ist diese schizophrene Auffassung an Absurdität kaum noch zu überbieten. In Hannover rechnet man im Rathaus mit Einnahmeausfällen von bis zu 750 Millionen Euro bis zum Jahr 2012. Natürlich ist man sich darüber im Klaren, dass sich so eine gewaltige Summe überhaupt nicht durch Einsparungen ausgleichen lässt. Das ändert aber nichts an der Überzeugung aller Beteiligten, es dennoch mit allen Mitteln zu versuchen. Und zwar radikal.
Nach Angaben der Neuen Presse Hannover gibt es zwei dicke Ordner mit Vorschlägen für Etatkürzungen. Darunter Beihilfekürzungen für Vereine und Verbände, Einsparungen bei Personalkosten und auch Privatisierungen von Kindertagesstätten und Heimen. Bisher habe man ein Einspraungsziel von jährlich 40 Millionen Euro angepeilt. Nun denkt man über mehr nach. Da fragt man sich, wohin die Reise nun gehen soll. Augenblicklich haben wir es nämlich in Sachen Haushaltspolitik mit einem handfesten Paradoxon zu tun.
Einerseits will man auf Grundlage der Zuweisung von finanziellen Mitteln des Bundes im Rahmen eines Konjunkturprogramms Investitionen tätigen, weil das Setzen von staatlichen Impulsen die Krise bekämpfen helfen soll und andererseits trägt man bereits einen Berg von Vorschlägen mit sich herum, die sich mit der Konsolidierung der Haushalte gerade in der Rezession beschäftigen. Das ist widersinnig, konterkarrierend und daher offensichtlich das Ergebnis einer nach wie vor krankhaften Wahrnehmungsstörung.
Dass es anders geht, zeigen aktuell französische Kommunen, die ihre Ausgaben noch einmal massiv erhöhen wollen, um so einen deutlicheren Impuls gegen die Wirtschaftskrise setzen zu können. So haben 18 785 Städte, Gemeinden und Landkreise eine entsprechende Konvention mit der Regierung unterzeichnet.
Demnach wollen die Gebietskörperschaften ihre Investitionen in diesem Jahr auf 53,5 Mrd. Euro ausbauen. Das entspricht einem Zuwachs um 54 Prozent gegenüber den durchschnittlichen Ausgaben in den Jahren 2004 bis 2007, teilte Patrick Devedjian, Sonderminister für das Konjunkturpaket, mit.
Quelle: Handelsblatt
Vor allem die regionale Wirtschaft soll dadurch profitieren und das ist auch legitim, so zu denken. Denn nur eine Steigerung der Nachfrage schafft Jobs, sichert Jobs, Bildung, Ausbildung – also Qualifikation und somit Wachstum und Steuereinnahmen. Nur die deutschen Schäfchen, die noch immer brav dem Glauben an eine gescheiterte Wirtschaftspolitik anhängen wie der moralisierende Christ dem durch die Gesellschaft längst getöteten Gott. Sie glauben nur an die Erlösung durch das Sparen in der Bilanz, die den Blick auf den engen Horizont eines Betriebswirtschaftlers reduziert.
Denn wie soll durch Einsparungen wie sie augenscheinlich geplant sind wieder Wachstum entstehen? Wie soll durch das Streichen von Personal oder das Kürzen von Löhnen im öffentlichen Dienst wieder mehr Steuereinnahmen generiert werden? Wie soll die Privatisierung von öffentlichen Aufgaben, wie das Betreiben von Kindertagesstätten zu einer Sicherung von Betreuung beitragen, die notwendig ist, damit Eltern vor Ort einer Beschäftigung nachgehen können, aus der wiederum Steuereinnahmen fließen?
Die Angst vor Schulden ist zu vergleichen mit der Angst des Gläubigen vor dem Teufel. Das Böse bedarf dann auch keiner näheren Erklärung mehr. Seine bloße Existenz reicht aus, um den Verstand zu betäuben, damit man im Sinne der Lehre handelt. Vielleicht ist die Kiste Bier zum Vatertag und das mehr oder weniger kollektive Besäufnis eine möglicherweise unbewusste Handlung, um den Glauben an die Rückkehr Christi auf Erden mal kurz zu verdrängen. Denn wie heißt es drohend im christlichen Credo:
Er sitzt zur Rechten des Vaters
und wird wiederkommen in Herrlichkeit
zu Richten die Lebenden und die Toten;
seiner Herrschaft wird kein Ende sein.
Da kann man es schon mit der Angst zu tun bekommen und sich glücklich schätzen, an den Hochfesten mal etwas über die Stränge schlagen zu dürfen. Nur ändert das nichts an der weltlichen Wirklichkeit. Die Franzosen haben das lange vor uns begriffen. Sie haben Gott und den Glauben dejure abgeschafft und ihn der Privatsphäre überlassen. Wo er auch hingehört. In der politischen Wirklichkeit hingegen zählt die Vernunft – das kommt übrigens von den großen deutschen Denkern. Und nach dieser ist es eben vernünftig, in einer solchen Wirtschaftskrise nicht mit Sparorgien zu antworten, um den Glauben zu erneuern, sondern aktiv etwas gegen die Verschärfung der Rezession zu tun, um die Wirklichkeit zu retten.
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.