Zu meinem gestrigen Beitrag Westerwelles legale Tötungstheorie gab es einen Kommentar zu dem ich eine Antwort geben möchte:
Kommentar: „Meine Güte, da werden gezielt Menschen umgebracht, die mit ihrem Leben nichts anderes vorhatten, als möglichst viele andere Menschen umzubringen oder selbst Märtyrer zu werden? Und das bevor sie ihre Ziele verwirklicht haben? Wer hätte das gedacht.“
Das eine rechtfertigt meiner Meinung nach nicht das andere, weil zunächst einmal ein Verbrechen vorliegen bzw. nachgewiesen sein muss, bevor man mit einer entsprechenden Sanktion reagieren kann. Zumindest verstehe ich so die rechtsstaatlichen Prinzipien westlicher Demokratien, die diese ja gern in Afghanistan installiert hätten. Und einen offiziellen Kriegszustand gibt es ja bekanntlich nicht, sondern nur jenes, von Westerwelle vorgetragene und höchst alberne juristische Konstrukt über einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, in dem die NATO-Truppen ihren Gegner nach der Vorgabe des humanitären Völkerrechts bekämpfen.
Die Todeslistenerstellung ist aber auch aus einem anderen Grund überhaupt nicht zu rechtfertigen. Zum einen unterstellt man den Taliban/Aufständischen, sie seien Terroristen, die lieber Tod als lebendig seien und nur darauf warten würden, sich in die Luft sprengen zu dürfen. Auf der anderen Seite aber unterstellen dieselben staatlichen und militärischen Lenker und Denker, dass es möglich sei, diese Taliban/Aufständischen mit Begrüßungsgeld quasi umschulen zu können. Vom Terroristen zum Brunnenbauer sozusagen.
Und apropos Brunnenbauer. Deutsche Soldaten sind nicht nach Afghanistan entsandt worden, um an der Erstellung von Todeslisten mitzuwirken. Zumindest wurde das von Regierungsseite bis zum Rücktritt von Franz-Josef Jung im letzten Jahr immer wieder gebetsmühlenartig vorgetragen. Deutsche Soldaten seien in friedlicher Mission in Afghanistan, um Brunnen, Straßen und Schulen zu bauen und für die Rechte der Frauen einzutreten…
Nun aber ist nach fast zehn Jahren Schluss mit der Mär von der friedlich helfenden Bundeswehr. Es darf auch scharf geschossen werden. Ob auf Freund oder Feind spielt dabei keine Rolle. Ich verstehe einfach nicht, warum die mediale Öffentlichkeit aufatmet, weil der aktuelle Verteidigungsminister von kriegsähnlichen Zuständen spricht, die fälschlicherweise als ein Eingeständnis missinterpretiert werden, Deutschland befände sich im Krieg. Das hat der Westerwelle ja einmal mehr klargestellt mit seiner juristischen Schwachsinnsdefinition.
Das ist und bleibt ein unhaltbarer Zustand. Im Übrigen stelle ich mir auch die Frage, was dann eigentlich die Bombardierung zweier Tanklastzüge nahe Kuduz vor gut einem Jahr gewesen sein soll. Eine juristisch gerechtfertigte und gezielte Tötung einzelner oder gar nur eines einzigen Taliban, bei der es tragischerweise Kollateralschäden gab, weil man, natürlich im Rahmen des humanitären Völkerrechts, ein etwas größeres Kaliber wählte, um die Trefferquote zu erhöhen? Oder war es doch nur ein Kriegsverbrechen, das eben immer dann passieren kann, wenn Krieg geführt wird?
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.