Zu meinem gestrigen Beitrag „Was war doch gleich am 11. August vor zwanzig Jahren?“ erreichte mich ein kritischer Kommentar, auf den ich gerne etwas ausführlicher antworten möchte.
Ich finde es nicht in Ordnung, die Ostliberalen als Blockflöten zu bezeichnen mit den immerwährenden süffisanten Unterton. Die Liberalen waren diejenigen, die die Wende unterstützten. Viele Teile der Liberalen wollten eine demokratisierte DDR und keinen Anschluss an den Westen. In dieser Partei gab es – weitgehend unter der Decke, es durfte ja nicht sein, was nicht sein konnte – einen Aufstand, gegen den damaligen Parteivorsitzenden Gerlach, der Änderungen in der DDR zu mehr Demokratie durchdrücken wollte. Der Sturz von Gerlach misslang. Liberale in der DDR hatten mit vielen Nachteilen zu kämpfen, weil sie offen ausdrückten, dass sie nicht mit der SED konform gingen. Sie wurden in diesem Staat misstrauisch beäugt und viele Stellen waren für sie nicht zugänglich und wurden trotz guter Leistungen lieber mit einem Parteilosen besetzt. Als man bei den Montagsdemos in Leipzig noch rief: Wir sind DAS Volk, war Gerlach ein hochangesehener Mann, den viele Montagsdemonstranten unterstützten. Das gehört auch zu der Geschichte der LDPD, die man nicht immer unter den Teppich kehren sollte.
Da magst du recht haben. Die Darstellungsweise ist natürlich arg verkürzt. Dafür entschuldige ich mich. Mir ging es dabei aber weniger um die Ost-Liberalen und die Bürgerrechtsbewegung, als vielmehr um den Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer sich liberal nennenden Partei, deren Praxis es ist, jede Kritik an ihr mit der absurden Gegenbehauptung zu kontern, man wolle ja nur den gescheiterten Staatssozialismus der DDR wiederbeleben.
In dem obigen Text habe ich auch erwähnt, dass die zahlreich hinzugekommenen Mitglieder aus dem Osten sehr schnell wieder das Weite gesucht haben, weil sie sich wahrscheinlich innerhalb der West-FDP an das restriktive Blocksystem der DDR erinnert fühlten.
Aber grundsätzlich halte ich nicht viel von den sog. Liberalen in Ost wie in West ganz zu schweigen vom gesamtdeutschen „Liberalismus“. Den Liberalen in Ost und West geht nämlich das selbstverschuldete und bis heute nicht reflektierte Scheitern in der Weimarer Republik, der ersten deutschen Demokratie, voraus.
Wenn ich den Westerwelle und seiner Bubi-Truppe manchmal so zuhöre, frage ich mich, was aus dem deutschen Liberalismus eigentlich geworden ist. Im 19. Jahrhundert war der nämlich schon mal soweit, sich mit der soziale Frage ersthaft zu beschäftigen. Im Verein für Socialpolitik. Diese, wie ich finde, klugen Liberalen, wurden aber von der damaligen Obrigkeit bereits als Kathedersozialisten bezeichnet, weil sie die gesellschaftlichen Widersprüche analysierten, die der Kapitalismus produzierte und eine Antwort zur Aussöhnung der Klassen geben wollten, in Konkurrenz zur Sozialdemokratie.
Max Weber war der Berühmteste Verfechter dieser Denkschule und verstand sich selber als aufgeklärter Bourgeois. Er war aber auch nicht so dumm, nicht zu erkennen, dass das deutsche Bürgertum, welches ja den Liberalismus hätte verkörpern müssen, schon 1848/49 gescheitert war und sich in die Rolle des treuen „Untertans“ begab. Weber wollte das Bürgertum erreichen und mobilisieren und somit der vulgär-marxistischen Sozialdemokratie, die den Kern der marxschen Theorie nicht verstand, entgegentreten.
Was dann aber nach dem Ermächtigungsgesetz 1933, bei dem das „bürgerliche Lager“ mal ganz große Weitsicht demonstrierte, an sog. Liberalen kam, kann man getrost vergessen. Insofern war der Begriff „Blockflöte“ sicherlich unglücklich gewählt, weil er lediglich aus dem üblichen Sprachgebrauch entnommen wurde. Ich würde jetzt aber auch nicht soweit gehen und den Ost-Liberalen eine bedeutende oppositionelle Rolle zuschreiben wollen. Das hielte einer kritischen Überprüfung kaum stand…
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.