Derzeit spricht ganz Deutschland über faule Eier. Die Diskussion um den Mindestlohn gehört auch dazu. Da hat der Bundesrat eine Initiative gestartet, wonach Deutschland einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro bekommen soll. Die Bundesregierung lehnt das natürlich ab, die Arbeitgeber auch und der Vize der Agentur für Arbeit Heinrich Alt meint, der Mindestlohn würde an der Zahl der Aufstocker nichts ändern.
Recht hat er, denn die 8,50 Euro machen bei einer Vollzeitbeschäftigung von 160 Stunden im Monat gerade mal einen Bruttomonatslohn von 1360 Euro aus. Und wer hat schon einen Vollzeitarbeitsvertrag? „Von den 1,2 Millionen Aufstockern, die wir haben, sind 320 000 Vollzeit beschäftigt“, sagt Alt im Interview. Die niedrigen Löhne sind das eine, die prekäre Beschäftigung das andere. Darüber redet nur keiner.
Doch was ist von dem Vorstoß des Bundesrates zu halten? Der SPD-Chef Sigmar Gabriel plustert sich schon mal mächtig auf und brüllt in Richtung FDP: „Ein Mindestlohn ist der Lohn, den man braucht, um trotz Vollzeitarbeit nicht zum Sozialamt gehen zu müssen.“ Das sagt der Richtige, der wie einst bei der Geburt der Agenda 2010 jetzt auch wieder nicht merkt, wie missgebildet die Realität doch ist.
Hinzu kommt, dass erst kürzlich die Mathematik-Genies im Arbeitsministerium herausgefunden haben, was von der rot-grünen Senkung des Rentenniveaus am Ende übrig bleibt. Demnach führe ein Bruttomonatsgehalt von unter 2500 Euro nach 35 Beitragsjahren zwangsläufig zur Altersarmut. Das heißt, wenn Gabriel wirklich wollte, dass niemand trotz Vollzeitarbeit zum Sozialamt gehen muss, müsste er in Kenntnis der großen Rentenreform seiner Partei einen Mindestlohn von wenigstens 15,63 Euro fordern, statt lumpige 8,50 Euro als einen noch größeren sozialdemokratischen Wurf zu bezeichnen. Denn, so betont Erzengel Gabriel ja immer, nur gerechte Löhne würden vor echter Altersarmut schützen.
Doch um eine vernünftige Politik geht es schon lange nicht mehr. Die jetzige SPD-Initiative für den Mindestlohn ist genauso verlogen, wie das fast geschlossene Nein der SPD-Fraktion zum Mindestlohn im Jahr 2007. Damals meinten die Sozialdemokraten als Juniorpartner der CDU noch, die Linken würden nur einen Politzirkus veranstalten wollen. Den Zirkus veranstaltet die SPD nun wieder selbst. Sie fordert den Mindestlohn immer nur dann, wenn sicher ist, dass sie ihn nicht durchsetzen kann.
Die Arbeitgeber halten den Mindestlohn für „Gift“. Diese drastischen Worte wählte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann. Er sagte, vielen Geringqualifizierten würde damit der berufliche Einstieg erschwert. Das ist interessant. Heute war ich in Hannover auf der jährlich stattfindenden Berufs- und Ausbildungsmesse. Dort referierte ein Vertreter der IHK Hannover. Er meinte, dass der Fachkräftemangel in Niedersachsen und die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien eine Win-Win-Situation darstellen würde. Das sagt eigentlich alles.
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.