Was mich bisher an der Wahlberichterstattung stört, ist die Zuspitzung auf das Ergebnis von einer gespaltenen Nation. Tea party vs. Obama, so lautet das Feld der Auseinandersetzung. Im zweiten Teil seiner Amtszeit müsse Obama das zutiefst gespaltene Amerika mit sich selbst versöhnen, heißt es unterm Strich. Ein Denkzettel für Obama. Macht man es sich da nicht etwas zu einfach? Was ist mit der Wahlbeteiligung? Nirgends findet man etwas darüber, wie viel Menschen überhaupt noch zur Wahl gegangen sind.
Die Los Angeles Times brachte am Wochenende eine Studie, wonach es mehr Nichtwähler gebe als Anhänger der tea party.
Mightier than the ‚tea party‘: The American non-voter
The real majority in the midterm elections will be those who just skip it. Non-voters are younger, poorer, less educated and more liberal than likely voters. It may be the tea party movement that is fueling the great political outpouring this year, but it is an even greater grouping — those who dont vote at all — who will likely determine the elections.
Warum redet eigentlich keiner darüber, dass immer mehr Menschen in den traditionellen Demokratien von ihrem demokratischen Recht, wählen zu gehen, keinen Gebrauch mehr machen? In Amerika ist dieser Verfall der legitimatorischen Stimmenbasis am stärksten zu beobachten, aber auch in Deutschland kann man das sehen. Hier regiert in Wirklichkeit eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung.
Sind die Menschen der Demokratie überdrüssig geworden? Ist es ihnen schlicht egal, wer regiert, weil sie gar keine Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation mehr erwarten? Das müssten doch die Fragen sein, die beantwortet werden müssen und nicht jene, ob der zweifelhafte Erfolg einer der dümmlichsten Bewegungen in Amerika nun zu einer gleichfalls dümmlichen Änderung der Politik des amtierenden Präsidenten führen sollte.
Es geht doch um nicht weniger, als um das Ende der Demokratie. Grundrechte haben inzwischen keine Bedeutung mehr, sie zieren doch nur noch die Verfassungen, deren Bruch zum alltäglichen Politikgeschäft gehört, weil es die wahrhaft Mächtigen aus Wirtschaft und Finanzindustrie den Marionetten-Regierungen vorschreiben.
Selbst für die Anhänger des Friedensnobelpreisträgers Obama muss es schwer zu begreifen sein, dass der Ausgezeichnete von gerechten Kriegen spricht. Glaubwürdigkeit ist das Problem der Demokratie. Aber auch die globale Zusammenarbeit.
Ein neuerlicher Erfolg der zuvor eingebrochenen US-Wirtschaft hängt eben nicht nur von Obamas Politik allein ab, sondern auch von der Entwicklung bei Partnern wie Deutschland und der EU. Deutschlands Wirtschaftspolitik des Krisen verschärfenden Sparens, das auch zu einer europäischen Leitlinie geworden ist, ist Gift für die sich umstellende US-Wirtschaft. Die USA werden ihre Defizite nicht abbauen können, wenn die alten Überschussländer so weitermachen wie bisher. Aber auch die entscheidende Rolle Chinas mit seinen enormen Dollarreserven darf nicht unterschätzt werden.
Der innenpolitische Erfolg der USA hängt also mehr denn je von der Außenpolitik ab, die aber bei der Wahl überhaupt keine Rolle spielte. Ob nun militärisch oder durch wirtschaftspolitische Vorgaben im Rahmen der G20, Amerika kämpft mit allen Mitteln um seine bereits bröckelnde Spitzenposition. Das verschweigt nicht nur die dümmliche tea party, sondern auch die eher mit Bedacht operierende Obama-Administration.
Obamas Change hätte vielleicht in dem Mut bestehen müssen, den alten amerikanischen Mythos vom pursuit of Happiness (Streben nach Glückseligkeit) infrage zu stellen, ja zu entzaubern. Eine Krankenversicherung ist eben nur dann glaubhaft zu verteidigen, wenn der Präsident deutlich machen würde, dass Gott nicht Amerika segne, sondern bloß einen Teil von Amerikanern, die sich ihre große Freiheit nur auf Kosten der Verarmung anderer leisten können und in Zeiten der Krise darauf angewiesen sind, dass sich die Verarmung auf weitere Schichten der amerikanischen Bevölkerung ausdehnt, damit der Mythos vom Streben nach Glückseligkeit erfüllt werden kann.
Amerika macht sich immer noch etwas vor. Egal ob tea party oder Obama, beide leugnen den Verfall von Demokratie und die Enttäuschung der Bevölkerung, deren Erfahrung immer mehr darin zu bestehen scheint, dass der amerikanische Traum für sie nur ein Traum bleibt, der mit der Realität nichts mehr zu tun hat oder gar zum Albtraum wird, wie in der aktuellen Krise, in der es jeden treffen kann.
Obama oder tea party, beides sind nur Reaktionen, keine Lösungen. Die Tatsache, dass immer weniger wählen gehen, ist hingegen ein dramatischer Befund, der zeigt, dass es die meisten Menschen gar nicht mehr interessiert, von wem sie repräsentiert werden.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.