Meinungsforschende Widersprüchlichkeit

Geschrieben von: am 05. Apr 2013 um 12:33

Die Piraten spielen mit drei Prozent keine Rolle mehr, sagte der Chefanalyst für Umfragen in der ARD, Jörg Schönenborn, gestern in den Tagesthemen. Warum aber die FDP mit ihren vier Prozent immer noch eine Rolle spielt und, obwohl sie laut Umfrage nicht im Bundestag vertreten wäre, weiterhin einem klassischen Lager zugerechnet wird, bleibt mal wieder offen.

Auf der anderen Seite spielt die Linke bei den Rechenkünsten Schönenborns keine Rolle. Würde aber die Umfrage dem tatsächlichen Wahlergebnis entsprechen, gebe es eine klare Mehrheit links von der Union im deutschen Bundestag. Diese Tatsache wird Journalisten wie Schönenborn aber erst dann wieder interessieren, wenn das rechte Lager kurz vor der Wahl herumjammert und vor der betrügerischen Absicht der SPD warnt, ein linkes Bündnis der Verdammnis schmieden zu wollen.

Interessant war natürlich auch der gewachsene Abstand zwischen Merkel und ihrem Herausforderer Steinbrück. Bei der beliebten, aber völlig bedeutungslosen Frage nach einer Direktwahl der Kanzlerin oder des Kanzlers liege die Amtsinhaberin mit derzeit 35 Punkten so klar vor Steinbrück wie noch nie. Interessant ist das deshalb, weil sich auch 34 Prozent der SPD-Anhänger für Merkel als Regierungschefin entscheiden würden. Das zeigt die Eignung des SPD-Kandidaten einerseits, aber auch die Denkweise der verbliebenen SPD-Anhänger, die sich mit der Rolle des Juniorpartners in einer Großen Koalition unter Merkel schon wieder zufrieden geben würden.

Direktwahl

Der Deutschlandtrend der ARD steht unter der Überschrift “Der Stern der Kanzlerin strahlt wieder”. Merkel profitiert durch die Krise und Steinbrück könne mit innenpolitischen Themen nicht landen, lautet das Fazit. Was Schönenborn natürlich nicht nennt, ist die fortwährende Widersprüchlichkeit zwischen der beliebten Kanzlerin und der Missgunst, mit der die Bevölkerung der aktuellen Bundesregierung noch immer gegenübersteht.

Auf der Seite von infratest dimap mit den aktuellen Daten zum April findet man auch eine Grafik mit dem Titel Mehrheit gegen Fortführung von Schwarz-Gelb. In dieser Umfrage sprechen sich weiterhin über die Hälfte der Befragten für einen Regierungswechsel aus. Allerdings glaubt fast dieselbe Mehrheit, dies könne nur unter Führung der CDU/CSU gelingen. Da muss man sich als Demoskop doch an den Kopf fassen oder zumindest seine Umfragemethode auf Fehler hin untersuchen. Doch nichts dergleichen. Die gleiche Hälfte der Befragten darf auch über ungerechte Verhältnisse in Deutschland klagen. Wahrscheinlich glauben jene 50 Prozent auch, Merkel und ihre Partei gingen mit einem sozialdemokratischen Programm an den Start.

Die demoskopische Widersprüchlichkeit fällt wegen Unterschlagung nicht weiter ins Gewicht. Dafür werden die noch sinnfreieren Beliebtheitswerte von Politikern genüsslich präsentiert. Wer hat mit wem den Platz getauscht. Als ob das jemanden interessiert. Dabei würde man gern erfahren, warum 75 Prozent der Befragten meinen, dass der schlimmste Teil der Eurokrise noch komme, wenngleich 65 Prozent derselben Gruppe sagen, Merkel habe in der Krise entschlossen und richtig gehandelt. Doch auch hier überstrahlt der hellleuchtende Stern der Kanzlerin Wahrnehmung und Verstand.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Einhard  April 5, 2013

    Das Eingangs geschilderte Filtern hatte ja auch das ZDF-Politbarometer; auf Nachfrage bei Twitter hieß es, die FDP werde berücksichtigt, weil sie im Bundestag vertreten wäre.

    Seltsamerweise wurden die Pirat(t)en die Woche drauf aber doch angezeigt…

    Die Haltung des Wahlviehs gegenüber Merkel spiegelt doch deren politischen Führungstil hervorragend wieder: man ist dafür und dagegen, so ist man am Ende immer auf der Gewinnerseite und verliert trotzdem :>

    • adtstar  April 5, 2013

      Die NachDenkSeiten nennen das letztere Bewusstseinsspaltung. Ich bin da mehr für eine differenziertere Betrachtung, die das Gebaren der Wahlforscher miteinbezieht. Deren Methoden reichen einfach nicht mehr aus, um zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen. Es ist ja geradezu lächerlich, dass die ARD-Redaktion die Widersprüchlichkeit der Umfrageergebnisse mit dem Satz kommentiert: Das ist auch aktuell zu beobachten.

      Da fehlt es einfach an Qualität und einer klaren Schlussfolgerung. Die Frage, ob Merkel in der Krise entschlossen und richtig gehandelt habe, ist nicht nur überflüssig, sondern mit der Absicht gestellt, die Wirklichkeit zu verzerren. Würde man das Ergebnis der ersten Frage ernst nehmen, wonach über 70 Prozent glauben, das dicke Ende in der Eurokrise komme erst noch, müsste man die Politik Angela Merkels klipp und klar für gescheitert erklären.

      Doch das tut keiner. Lieber drücken sich deutsche Journalisten mit so einem Blödsinn wie der Beliebtheit Merkels um eine kritische Auseinandersetzung herum. Dabei können Leute wie Schönenborn, wenn sie gefragt werden, nie erklären, warum die Kanzlerin eigentlich so beliebt ist. Die Antwort ist einfach. Es liegt an den Medien und an solchen Umfragen, natürlich auch am deutschen Wahlvieh, dem man das Hirn längst weggepustet hat.

  2. Skalg  April 6, 2013

    Also was FDP vs Piraten angeht: Erstere sitzt im Parlament, ist also etabliert, letztere muss den Sprung zum ersten Mal schaffen. Erfahrungsgemäß ist damit die Lage der FDP deutlich besser, vor allem wenn man dann noch eine mögliche Zweitstimmenkampagne berücksichtigt (nicht explizit, das wurde ja ausgeschlossen, aber defacto kann viel passieren…)
    Und wieso soll der Journalist bei einer reinen Beschreibung der Umfrageergebnisse auf Ergebnisse einer anderen Umfrage hinweisen? Das gehört doch in einen Meinungsartikel. Die Umfrageergebnisse sind eindeutig, die Dissonanz auch, aber da dran ist der Bürger schuld (und die SPD, die offensichtlich bisher scheitert mit ihrer Strategie). Und hey – die CDU hat mal grad so 35% in Umfragen geschafft, jetzt liegt sie stabil bei über 40, da kann der Journalist ja auch nix für.