Die Berliner Hauptstadtpresse ist mehr oder weniger entsetzt über das Verhalten ihrer Majestät, Angela Merkel, auf der diesjährigen Sommerpressekonferenz. Sie gab weiterhin die Ahnungslose, der wenig daran gelegen ist, sich intensiv mit Details des Ausspähprogramms Prism zu befassen. Das sei nicht ihre Aufgabe, gab sie zu Protokoll. Sie habe schließlich den Beruf gewechselt und erhole sich bei der Arbeit mit ihrem iPad, auf dem sie regelmäßig die Bild-Zeitung lese.
Darüber war der Chefredakteur des Politmagazins Cicero, Christoph Schwennicke, im Anschluss bei Phoenix so verwundert, dass er bei der Kanzlerin auf jeden Fall noch einmal nachfragen wolle, wie Merkel das mit dem Erholungsfaktor wohl gemeint habe. Wer noch keinen Grund zum Abschalten gefunden hatte. Das war er wohl nach knapp zwei Stunden Audienz bei der großen Staatsratsvorsitzenden.
Seltsamerweise blieb es friedlich auf der Konferenz, obwohl über 30 Fragen nicht mehr beantwortet werden konnten. Na ja, dann vielleicht beim nächsten Mal. Die Presse begnügte sich mit dem Merkel-Satz des Tages:
Das ist vielleicht eine Antwort, die sie nicht zufriedenstellt, aber das ist meine Antwort.
Zur Prism-Affäre und anderen Themen hat die Kanzlerin keine Stellung genommen. Sie verweigerte konsequent die Aussage, wie sie es eigentlich immer tut. Nur dieses Mal scheint das Sensorium des ein oder anderen Journalisten etwas empfindlicher eingestellt zu sein. Zu groß ist doch die Enthüllung und der Skandal, den Merkel zu vertuschen sucht. Dennoch hält sich die Empörung der Medien eher in Grenzen, Schuhe sind jedenfalls nicht geflogen, obwohl 250 Journalisten anwesend waren.
Selbst darauf angesprochen, dass der Chef der NSA, Keith Alexander, noch während der Merkel-PK über die Agenturen den Satz verbreiten ließ,
Wir sagen ihnen nicht alles, was wir machen und wie wir es machen, aber jetzt wissen sie Bescheid.
ließ die Kanzlerin und einige Medienvertreter kalt. Darauf angesprochen deutete sie das in der ihr eigenen Dialektik sogar um und fühlte sich in ihrer Haltung zu dem ganzen Thema bestätigt. Abgehakt, nächste Frage. Dabei scheint für die USA die Aufklärung schon abgeschlossen zu sein, während Merkel noch das Gegenteil behauptet und die Öffentlichkeit auf die Beantwortung eines Fragenkatalogs vertröstet, der wohl nicht vor dem 22. September eintreffen wird.
Sie wiederholte immer wieder, dass auf deutschem Boden, deutsches Recht zu gelten habe. Wie dieses Recht aber genau aussieht, weiß die Kanzlerin offenbar selbst nicht. Ob es ein Abkommen oder einer rechtliche Grundlage neben einer bereits existierenden Verbalnote aus dem Jahr 1968 gebe, die es den Amerikanern erlaube, auf deutschem Boden zu spionieren, entziehe sich der Merkelschen Kenntnis. Klar sei jedoch, dass die Bundesregierung persönliche Daten nur dann schützen könne, sofern sie deutschen Boden nicht verlassen, was übersetzt bedeutet, dass sie nichts wirklich zu schützen vermag, da sich kein Datenstrom im Netz an staatliche Grenzen hält.
Auf Zuruf von Steinbrück zitierte Merkel einen Satz von Gerhard Schröder, wonach in Deutschland nicht das Recht des Stärkeren gelte, sondern die Stärke des Rechts, um gleichzeitig dessen Äußerung nach den Anschlägen von New York über die uneingeschränkte Solidarität zu relativieren. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch gut, sagte sie. Steinmeier kam auch namentlich vor, der ja die Nützlichkeit von Geheimdienstinformationen nicht leugnen könne. Er war selbst Chef des Kanzleramtes unter Schröder wie auch Außenminister unter Merkel und schweigt sehr laut zum Thema oder gibt ebenfalls den Ahnungslosen. Möglicherweise hat ja die SPD Prism erfunden, was nicht schlecht für Merkels Wahlkampf wäre.
Unfähig zu regieren und unfähig Kritik zu üben
Die Deutschen (~70 Prozent) sind laut einer aktuellen Umfrage von infratest dimap zwar unzufrieden mit der Aufklärungsarbeit der Bundesregierung, würden sie aber glatt noch einmal ins Amt wählen, weil ihnen das Thema schnurzpiepegal ist oder weil sie offenbar die Haltung der Kanzlerin teilen und dem Satz von ihr zustimmen würden:
Ich kann zu dem Sachverhalt nichts sagen.
Dennoch hinterlässt die Kanzlerin den Eindruck, offenkundig nicht aufklären, nicht informieren und auch von nichts wissen zu wollen. Sie demonstriert aber nicht Unwissenheit, sondern offenbart Handlungsschwäche und ihre schon immer dagewesene Unfähigkeit zu regieren. Sie sollte deshalb auch nicht Kanzlerin sein und sich auch nicht mehr zur Wahl stellen. Solche klaren Reaktionen bleiben aber aus. Ebenso wenig liest man etwas über die mächtigste Frau der Welt, die Merkel ja angeblich sei. Ein Gewicht, das die Bundeskanzlerin offenkundig bei der Eurokrise in die Waagschale werfe. Auf ihren Schultern laste das Schicksal des Euros und gerade die deutsche Journaille reagiert gereizt, wenn Kritik am Europakurs der Kanzlerin geäußert wird.
Doch mit Blick auf einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland demonstriert Merkel dasselbe Schema, wie bei ihren Antworten zu Prism. Ich habe erst mal gesagt, ich sehe das nicht. Eine klare Antwort sieht anders aus.
Doch wer überdenkt da jetzt angesichts der vorgespielten Ahnungslosigkeit und Unentschlossenheit seine Haltung zur Kanzlerin? Warum sollte ihre Politik, die sie den europäischen Freunden aufzwingt, richtig sein? Warum sollten sich Staaten wie Griechenland, Portugal oder Spanien an deutschen Reformen orientieren und Teile ihre Souveränität aufgeben?
Es ist schon äußerst merkwürdig, dass die deutsche Presse die Kanzlerin für eine bizarre und abgrundtief falsche Rettungspolitik immer wieder lobt, die einzig und allein auf einer absurden Wettbewerbslogik und damit auch auf einem Recht des Stärkeren beruht, auf der anderen Seite aber Anstoß daran nimmt, dass ein noch stärkeres Land es auf einer anderen Ebene ebenfalls tut und alles zum Einsatz bringt, was technisch möglich ist.
Das merkwürdige Amtsverständnis, das man im Fall Prism der Kanzlerin nun zum Vorwurf macht, ist deckungsgleich mit dem fehlenden Rückgrat der Medien, für eine angemessene und kritische Aufklärung zu sorgen. Alternativen zum System Merkel, und damit ist nicht Steinbrück gemeint, werden ebenso systematisch unterdrückt und als Gegenstand öffentlicher Diskussionen unmöglich gemacht. Am Ende bleibt Merkel eine Kanzlerin, die es sich einfach erlauben kann, nichts zu sagen oder heute so und morgen so nicht zu entscheiden.
JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.