Lena, Westerwelle und Schmickler

Geschrieben von: am 30. Mai 2010 um 15:15

Ich muss zugeben, dass ich am Samstag die Mitternachtsspitzen wegen des Song Contests in Oslo verpasst habe. Es war schon eine kleine Sensation in Norwegen. Ich hätte nun nicht gedacht, dass es die internationale Musikindustrie doch noch einmal fertig brächte, aus diesem alljährlich stattfindenden Ereignis ein Event mit richtig guter Musik zu machen. Eine wirklich gelungene Unterhaltungsshow am Samstagabend. Na ja und der Triumph am Ende, das ließ die Emotionen ein wenig überkochen. Doch die Frage, die sich nun stellt, ist:

Müssen wir Mecker-Blogger nun unser Bild von Deutschlands Wirkung auf Europa korrigieren? So in etwa will es uns doch Guido Westerwelle durch die Blume mitteilen. Seine Grußnachricht zum deutschen Sieg lautete, Lena sei „eine Botschafterin für unser Land, die in einer Nacht so manches althergebrachte Vorurteil sympathisch widerlegt hat.“

Häh? Welches Vorurteil meint denn da der Außenminister, der anderen europäischen Ländern gern Bedingungen diktiert? Geht es um einen Musikwettbewerb oder um Politik? Es hieß ja bis jetzt, Deutschland könne nicht gewinnen, weil Osteuropäer immer zusammenhalten würden und der Rest Europas die Deutschen nicht leiden könne. Seit gestern haben die, die das stets behaupteten, ein richtiges Erklärungsproblem. Deshalb muss in der Person Lena nun die Lösung zu finden sein. Nur am Rande sei erwähnt, dass das den Menschen hinter dem Künstler auch zerstören könnte. Muss aber nicht. Interessiert auch keinen.

Interessant ist jetzt aber, welche Rolle hier einer Künstlerin zugeschrieben wird, die auf ganz großer Bühne einfach nur ein tolles Lied, man könnte auch von einem Ohrwurm sprechen, so ganz anders interpretiert hat. Dass das nicht voraussetzungslos war, scheint leider im allgemeinen Hype unterzugehen. In den Vorentscheid-Sendungen wurde desöfteren darauf hingewiesen, dass die Hannoveranerin Songs auswählte, die keiner der anwesenden „Musik-Experten“ kannte, aber eigentlich kennen musste, wenn er oder sie sich ernsthaft mit Musik beschäftigen.

Es ging dabei um die Musik und den Stil der britischen Pop-, Soul- und Jazzsängerin Adele Laurie Blue Adkins, die Lena Meyer-Landrut mit ihren Auftritten hierzulande und gestern europaweit bekannter machte. In Norwegen zum Beispiel kannte man die britische Sängerin bereits, die mit ihrem Album Chasing Pavements Platz 1 der Charts erklomm. Im Jahr 2009 wurde die Künstlerin für vier Grammys nominiert und erhielt jeweils eine Auszeichnung als Best New Artist und noch viel wichtiger als Best Female Pop Vocal Performance.

Die Deutschen aber kennen nur DSDS und jene dubiosen Gestalten, die den RTL-Psychoterror in der Dauer-Casting-Show überstehen und sich am Ende Superstar nennen dürfen. Und vor dieser Realität bilden sich nun deutsche Journalisten ein, dass das Land mit Lena Meyer-Landrut eine Künstlerin hervorgebracht habe, die gegen Europas angeblichen Billigpop nur gewinnen konnte. Sie müssen sich wirklich mal den Kommentar von Von FOCUS-Redakteur Gregor Dolak durchlesen. Eine chauvinistische Widerwertigkeit, die perfekt zu Westerwelles gedankenlosem Vorurteilgesülze von oben passt:

„Alljährlich musste sich Deutschland beim Grand Prix der Schlagerfritzen von Stimmgebern aus Zypern oder Albanien auf den vorletzten Rang der Wertung abschieben lassen. Die ganze Prozedur war so offensichtlich von angestammten Animositäten und landsmannschaftlichen Verbundenheiten geprägt, dass sie mir schon seit längerer Zeit völlig egal war. Aber am gestrigen Fernsehabend ist alles anders. Papst sind wir schon. Fußballweltmeister werden wir wahrscheinlich nicht. Dafür hat das Sommermärchen des deutschen Liedguts gerade begonnen.

Eine gegen Europas Billigpop

Dabei habe ich meine TV-Sitzung eher mittelmäßig interessiert begonnen. Eine ganze Reihe flauer Songs und schlaffer Interpreten. Fast alle singen auf Englisch. Die Weißrussen tragen zum Titel „Butterfly“ automatisch aufklappende Schmetterlingsflügel. Eine Moldawierin singt Techno aus dem melodischen Armenhaus des Kontinents. Da hat sich in Europa übelster Durchschnittspop von globaler Langeweile entwickelt, wie ihn jedes Formatradio zwischen Helsinki und Lissabon dudelt. Interessanterweise singen fast nur die PIGS – jene Länder, die jüngst den Euro mit ihren Haushaltsdefiziten ins Wanken brachten – in ihrer jeweiligen Landessprache: Portugal, Irland, Griechenland und Spanien. Als Nicole 1982 noch von „Ein bisschen Frieden“ träumte, äußerten sich fast alle Interpreten in ihrem eigenen Idiom.

Als dann die Stimmauszählung beginnt, packt allerdings auch mich die Spannung.

Da hat man was zu kauen: 246 Punkte sind es am Ende (wobei speziell die mickrigen 2 Punkte aus Rettungsschirm-Griechenland zu erwähnen sind).

Die Mischung aus verrücktem Huhn und unverstellter Authentizität muss es sein, die ihr den Überraschungserfolg einbringt. Denn neben all dem lausigen Musikramsch, der im Laufe von zwei Stunden vorgetragen wurde, waren durchaus auch andere gute Songs zu hören. Etwa aus Georgien oder Spanien. Aber für das Fräulein aus Niedersachsen gab am Ende wohl ihr umwerfendes Live-Talent den Ausschlag.“

Wer das hier liest, diesen Schwachsinn von einem Redakteur, der offensichtlich keinen Bock hatte, der Dienstanweisung seines Chefs Folge zu leisten und statt des Song Contests lieber entspannt Fußball geglotzt hätte, und der seine Nicht-Leistung dadurch zum Ausdruck bringt, dass er sämtliche Vorurteile plus einen Schuss politischer Hetze, die seit der europäischen Finanzkrise hierzulande in Mode gekommen ist, in die Tasten kloppt, dann kann ich verstehen, wenn Wilfried Schmickler in den Mitternachtsspitzen fordert, der Himmel möge sich öffnen und der alte Zeus diese verlogenen Volksverblöder auf den Holzkohlegrill setzen und solange rösten, bis sie aussehen wie angebrannte Souvlaki-Spieße.

Wilfried Schmickler einmal mehr großartig!!!

5

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. jens  Mai 30, 2010

    hallo verehrter administrator tautenhahn…

    wieso urlaub ???

    mir lag bisher kein urlaubsantrag zur zeichnung vor..

    also : das ist unerlaubte entfernung von der truppe.

    trotzdem : gute erholung

    gruß jens

  2. Max  Mai 30, 2010

    Was haltet ihr von dem Gerücht, Deutschland hätte gewonnen, da es die finanziellen Kapazitäten dazu hat den Wettbewerb im nächsten Jahr zu veranstalten (Die Jury Wertungen mussten bereits am Freitag abgeben werden, die Halbfinalentscheidungen waren kaum überprüfbar).

    Positiver Nebeneffekt die Bevölkerung hat sein Sommermärchen und wird nicht gegen heftige Einsparungen protestieren.

    P.S:
    Über Punkt 4 habe ich nicht gehört
    http://eurovision.blog.ndr.de/2009/05/20/das-generalsekretariat-klart-auf/

  3. Susan  Mai 31, 2010

    Ich bin durch den Post total verunsichert. Ist der erste Absatz nun Satire oder nicht. Ich hoffe doch, Satire. Denn dieses falschsingende Mädelchen ist doch nur lächerlich. Naja, sie wird bald vergessen sein und viele Deutsche werden nahtlos vom Singeevent in die FußballWM geführt, damit sie ja nicht über andere Sachen als solche Nebensächlichkeiten nachdenken. Hoch lebe der Patriotismus!

    Schmickler aber wirklich 1. Sahne

    • adtstar  Mai 31, 2010

      Der erste Absatz war durchaus ernst gemeint. ;)
      Einfach auch deshalb, weil ich gern zugebe, wenn mir eine Show gefällt. Und das ist es im Prinzip ja auch. Eine große Show, die das Publikum nur unterhalten soll, ohne dass Menschen vorgeführt und verbal fertiggemacht werden.

      Blickt man natürlich hinter die Kulissen und auch hinter die Kunstfigur Lena Meyer-Landrut wird es schwieriger. Klar ist, dass hier eine massive PR-Kampagne betrieben wurde, um den deutschen Act zu promoten, mal unabhängig davon, ob es gesanglich nun passt oder nicht.

      Deshalb habe ich ja auch darauf hingewiesen, dass der nun betriebene Hype den Menschen schlichtweg zerstören kann.

      Das Thema des Beitrags war aber ein anderes. Es ging einmal mehr um die Medien und die Experten, die viele Dinge einfach nicht begreifen oder mitteilen, weil es für sie nur darum geht, das Volk weiterhin für blöd verkaufen zu können.

      Die Medien werden einfach ihrer Aufgabe nicht gerecht. Im Gegenteil, nun vermischt man die billige politische Hetze der vergangenen Wochen mit dem Ergebnis eines europäischen Musikwettbewerbs. Das ist doch einfach verrückt.

  4. Teja552  Mai 31, 2010

    Westerwelles Ausspruch allein sagt schon alles, tja was man nicht alles mit so ein wenig Musik und eine deutsche Siegerin erreichen kann bzw. will!