Die Regeln müssen eingehalten werden. Egal was das Gesetz, Richter oder ein Volk dazu sagen. Maßgeblich ist nur das, was vereinbart worden ist. Über ein absolutistisch anmutendes Selbstverständnis.
Dass Wolfgang Schäuble mit der Demokratie seine Schwierigkeiten hat, dürfte hinlänglich bekannt sein. Dem Spiegel vertraute der Finanzminister nun an, falls ihn jemand zwänge, etwas gegen seine Überzeugung zu tun, könne er ja auch zum Bundespräsidenten gehen und um seine Entlassung bitten. (Zitat im Wortlaut: „Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten.“). Genau das kann er aber nicht. Er müsste schon zur Bundeskanzlerin rollen. Denn nur sie darf laut Verfassung (Artikel 64, GG) den Bundespräsidenten bitten, einen Minister zu entlassen.
Absolutistische Allüren
Die Aussage Schäubles sagt viel über sein Selbstverständnis aus. Létat cest moi! (Der Staat bin ich), so könnte man die Rolle Schäubles kurz zusammenfassen. Die heiligen Regeln, die er immer wieder beschwört, gelten nur für andere. Er selbst macht sie und setzt sie durch. Ihn muss keiner Belehren, lässt er sich im Spiegel zitieren. Die Kanzlerin wiederum zeigte sich genervt im Sommerinterview und stellte fest, dass bei ihr noch niemand um Rücktritt gebeten habe. Inzwischen ist der Dissens zwischen beiden kaum noch zu übersehen.
Gregor Gysi sagte im Bundestag, Schäuble, nicht Merkel sei zuletzt der Regierungschef gewesen. Und er hat Recht. Die Frage ist also, ob Schäuble, der absolutistische Allüren für sich in Anspruch zu nehmen scheint, überhaupt gezwungen werden kann, gegen seine Überzeugung zu handeln? Merkel macht nicht den Eindruck, als könnte sie dem Finanzminister etwas vorschreiben oder jenes giftig wirkende Vertrauen aussprechen, das anderen Unions-Männern bereits zum Verhängnis wurde.
Schäuble bleibt seiner grauenhaften Erscheinung treu. Über das seltsame Machtgefüge in Berlin ist daher nicht nur die kleine Opposition besorgt, auch das Ausland schaut mit Entsetzen auf diese deutsche Regierung und vor allem auf einen Finanzminister, der alles falsch macht und dennoch wie ein Held in Fraktion und Öffentlichkeit gefeiert wird. Ökonomen mit internationalem Ruf aber auch der IWF zeigen sich fassungslos. Der amerikanische Finanzminister, gerade eben noch auf Europatournee, lässt sogar durchblicken, dass es ohne Schäuble besser wäre.
Kein Versteckspiel mehr
Bezeichnend ist auch das Verhalten der Sozialdemokraten diesseits und jenseits des Rheins. Sie betonen vor allem die guten deutsch-französischen Beziehungen, die beim Griechenland-Deal angeblich den Ausschlag gaben. Das ist aber nur leeres Gerede, hinter dem ein deutsches Diktat versteckt werden soll. Frankreichs Rolle ist in Wirklichkeit sehr klein. In den Augen Schäubles und seiner Fans hat Paris wie Athen auch, erst einmal seine Hausaufgaben zu erledigen. Davon ist auch eine Mehrheit der Deutschen überzeugt, die dem Bundesfinanzminister in erschreckender Art und Weise Vertrauen schenken.
Diese Mehrheit braucht deshalb auch kein Versteckspiel mehr oder den Anschein von Demokratie. Sie befürwortet das Diktat und lehnt Zugeständnisse an die Schuldner ab, die in den Augen einer Mehrheit eben auch Schuldige sein müssen. Schuldig macht sich aber die Große Koalition, die offenbar angetreten ist, um das Grundgesetz zu knechten, wo es nur geht. Gerade eben hat das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld schlicht für „nichtig“ erklärt. „Aus formalen Gründen“. Das ist die Höchststrafe. Die Regierung hätte es wissen können, ja müssen, lautet der Vorwurf der Richter zwischen den Zeilen.
Doch Wissen und Rechte zählen nichts in dieser Regierung, sondern nur Regeln. Es muss gelten, was vereinbart worden ist, so das Mantra. In diesem Fall ist der Koalitionsvertrag gemeint, der für CDU, CSU und SPD offenbar noch über dem Grundgesetz zu stehen scheint. Wie sonst sind die fortwährenden Versuche zu erklären, die Verfassung mit Ansage aus den Angeln zu heben. So ist schon jetzt erkennbar, dass auch die Vorratsdatenspeicherung der CDU und das Tarifeinheitsgesetz der SPD ebenso gegen Gesetze und Grundrechte verstoßen werden. Doch die handelnden Personen ficht das nicht an. Sie folgen wie Schäuble dem Grundsatz. „Létat cest moi!“
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JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.