Ich lese, dass Guido Westerwelle der Vorwurf gemacht wird, er habe in der Regierung die liberalen Positionen seiner Partei nicht ausreichend vertreten und sei deshalb durch den Wähler abgestraft worden. Hans Peter Schütz vom Stern schreibt das zum Beispiel etwas flapsig in seinem gestrigen Kommentar:
„Was soll man nur von dieser FDP halten? Sie will einen politischen Neuanfang. Also feuert sie ihren Parteivorsitzenden, der die FDP von fast 15 Prozent auf unter 5 Prozent hat abstürzen lassen; der unfähig war, liberale Positionen in der schwarz-gelben Koalition zu markieren; der sein Amt als Außenminister glück- und mutlos ausübte: Und dann endet dieser gewollte Befreiungsschlag in einem kleinen Ämtertausch. Ein Politikwechsel? Nicht zu erkennen.“
Quelle: Stern
Westerwelle war keinesfalls unfähig oder untätig im Sinne seiner Auftraggeber. Ganz im Gegenteil. Er und seine Partei wurden gerade deshalb abgestraft, weil sie unverhohlen Klientelpolitik betrieben haben.
Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz trägt ganz klar die Handschrift der Liberalen. Die darin enthaltene Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers ist lang und breit diskutiert worden. Die Menschen haben dann plötzlich gemerkt, dass sie ja gar keine Hotels besitzen. Aber auch die Ungleichbehandlung durch die Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibetrag gehört dazu, die vor allem den Besserverdienenden zu Gute kommt, während bedürftigen Familien das höhere Kindergeld als zusätzliches Einkommen vom Regelsatz wieder abgezogen wird. Ich verweise nur auf meinen Blogbeitrag vom 9. Oktober 2009:
Was bedeutet denn die Erhöhung des Kinderfreibetrags von von 6024 auf 8004 Euro, die mit drei Milliarden Euro zu Buche schlagen wird, da bereits fest vereinbart? Von dieser Maßnahme profitieren rund ein Fünftel der Familien, die über ein entsprechend hohes Haushaltseinkommen verfügen.
Also drei Milliarden fix für ein Fünftel!
Die Erhöhung des Kindergeldes, die laut den Koalitionären, abhängig von der Haushaltslage des Bundes, die Herr Solms von der FDP übrigens „überraschend“ als entsetzlich beschrieb, höchstens sieben Milliarden Euro kosten soll, beträfe aber die restlichen vier Fünftel der Familien, die nicht über ein für den Kinderfreibetrag relevantes hohes Einkommen verfügen.
Also unsichere sieben Milliarden für vier Fünftel!
Ist das gerecht? Sozial? Sozial gerecht? Nach Dreisatzrechnung müsste die Entlastung für Normal- und Geringverdiener mindestens 12 Milliarden Euro betragen und nicht maximal sieben. Warum wird die Gruppe der Besser- und Spitzenverdiener im Vergleich deutlich stärker entlastet als die große Mehrheit der Menschen in diesem Land? Sind die Besserverdienenden besonders bedürftig und haben deshalb Anspruch auf Sozialleistungen?
Bei der Verfolgung von Steuerhinterziehern setzte sich die FDP ebenfalls für ihre Klientel ein und erreichte, dass keine Strafzuschläge für Steuersünder fällig werden, die sich selbst anzeigen und deren Steuerschuld unter einem Betrag von 50.000 Euro liege.
In der Gesundheitspolitik setzte sich Rösler mit seiner Kopfpauschale gegen Seehofer durch, der dem jungen liberalen Emporkömmling und künftigen FDP-Parteichef in bester Oppositionsmanier vorrechnete, wie teuer ein Sozialausgleich über Steuern werden würde. Über zwanzig Milliarden Euro, da hat sogar die richtige Opposition gestaunt.
Darüber hinaus erwies sich Rösler als williger Bettvorleger der Pharmalobby. Im Februar 2010 machte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) einen Vorschlag zur Eindämmung der steigenden Arzneimittelpreise und im März 2010 verkaufte Rösler das als eigenen Vorschlag.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) schlug dagegen Einzelverhandlungen mit den Kassen vor. Wenn 30 Prozent der Arznei derart ausgehandelt sei, könne der vereinbarte Betrag für alle Kassen gelten. Der Chef des Ersatzkassenverbands VdEK, Thomas Ballast, wies dies gegenüber dieser Zeitung sogleich als „Versuch, sich für kleine Münze freizukaufen“, zurück.
Quelle: Tagesspiegel
„In Deutschland sind viele Medikamente zu teuer. Deshalb werden wir die Pharmafirmen in Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen zwingen.“
Quelle: Tautenhahn
Und nicht zuletzt das liberale Mantra der Steuersenkungen. Permanent zwang die FDP die Union zu unsinnigen Zugeständnissen in der Steuerpolitik. Auf drängen der Liberalen wurde jüngst das Steuervereinfachungsgesetz auf den Weg gebracht. Dabei handelt es sich für die Bürger um ein messbares Nichts, wohingegen die Unternehmen mit Milliarden erneut entlastet werden. Ursprünglich wollte Schäuble die ganze Geschichte auf 2012 verschieben, die Liberalen durften sich aber am Ende durchsetzen. Ein Geschenk der Union an die im Sturzflug befindliche FDP.
Aber zu diesem Zeitpunkt hatten die Menschen die Klientelpolitik der FDP wohl längst durchschaut und ließen sich auch nicht mehr durch die wahltaktischen Manöver des schwarz-gelben Pannenkabinetts beeindrucken.
Wenn also Kabarettisten und Blogger vom Vizekanz-Nicht oder der Unfähigkeit der Liberalen reden, meinen sie keinesfalls, dass diese Partei nicht in der Lage wäre, die Klientelinteressen zu bedienen. Das hat die FDP ja eindrucksvoll gezeigt, in dem sie erhaltene Spenden in Form von Steuergeldern schnurstracks zurücküberwies. Die FDP wurde als „Gurkentruppe“ eben immer unterschätzt.
Westerwelle hat sehr wohl seine liberalen Positionen markiert und auch umgesetzt. Als Nur-Außenminister kann er jetzt ein wenig abklingen, bevor ihn die edlen Spender auf Ehrenpöstchen berufen werden. Und nach Westerwelle dürfen jetzt wahrscheinlich die Grünen ran.
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.