Konjunkturdaten: Deutschland hat Europa ruiniert, nun zieht die Exportwirtschaft weiter

Geschrieben von: am 02. Jun 2011 um 12:17

Das statistische Bundesamt hat diese Woche wieder eine Reihe Konjunkturdaten vorgelegt. Die Einzelhandelsumsätze sind im April gestiegen, die mit spezieller Methode gemessene Arbeitslosigkeit hat im Mai die 3 Millionenmarke wieder unterschritten. Die vorherrschende Meinung ist weiterhin vom Aufschwung überzeugt, obwohl die Zweifel an der Richtigkeit nach wie vor angebracht sind. Die Umsätze im Einzelhandel sind im April gestiegen. Wie das statistische Bundesamt in seiner Meldung selber formuliert, handelt es sich dabei um ein Abbild des Ostergeschäfts.

Bei diesem Ergebnis ist zu berücksichtigen, dass in diesem Jahr das Ostergeschäft zum größten Teil in den Monat April fiel, während im Vorjahr die Osterfeiertage schon Anfang April lagen und daher der Hauptteil der Ostereinkäufe bereits im März 2010 getätigt wurde. 

Quelle: destatis

Der Blick auf die Grafik zeigt, dass Euphorie über wachsenden privaten Konsum immer noch nicht angebracht ist. Im dunklen Konsumkeller ging es eine Treppenstufe nach oben, mehr nicht.

Einzelhandel bis April 2011

Zur Arbeitsmarktstatistik ist alles gesagt. Die Zahlen der Bundesagentur kommen auf höchst mysteriöse Art und Weise zu Stande. Die Behörde zählt bzw. schätzt nach einer ganz eigenen Methode und meint, dass nicht alle erwerbslosen Personen auch zwangsläufig als arbeitslos gelten müssen. Das ist hinlänglich bekannt. Auch dieses Mal habe ich mir den Monatsbericht der Bundesagentur angeschaut, und mir ist aufgefallen, dass die Bezugszahlen aus dem letzten Monat geändert wurden und zwar nach oben.

Laut Monatsbericht vom April 2011 wurden gezählt/geschätzt:

  • ALG I: 831.356 
  • ALG II: 4.751.306 
  • Sozialgeld: 1.763.503 

Im aktuellen Bericht (Seite 52) steht nun für den April:

  • ALG I: 841.280 (+10.000)
  • ALG II: 4.752.557 (+1251)
  • Sozialgeld: 1.764.330 (+827)

Das Problem mit dem Schätzen ist halt immer, dass man selten ins Schwarze trifft. Zudem besteht bei der Arbeitslosenzahl ein politisches Interesse, geschätzte Werte möglichst niedrig zu halten. Das hat den Vorteil, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit im nächsten Monat höher ausfällt, wenn man dann die tatsächlich gemessenen Zahlen als Basis nimmt. Wer schaut schon genauer in die Statistik und vergleicht geschätzte mit realen Werten. Die Unterschiede sind jetzt nicht groß, dennoch halte ich es für wichtig, darauf hinzuweisen, mit welcher Methode die Bundesagentur arbeitet. Es wird mehr hochgerechnet als tatsächlich gezählt.

Für den Mai (Seite 52) sehen die Daten im Augenblick wie folgt aus:

  • ALG I: 775.320 (-65.960)
  • ALG II: 4.725.140 (-27.417)
  • Sozialgeld: 1.755.370 (-8.960)

Insgesamt beziehen 7.255.830 ALG I,II oder Sozialgeld. Festzuhalten bleibt, dass die offizielle Arbeitslosenzahl offenbar schneller sinkt (-118.000 im Vergleich zum April), als die Zahl der realen Transferleistungsempfänger (-102.337). Offiziell als arbeitslos ausgewiesen, werden 2.960.112 Personen. Das sind 53,8 Prozent aller Arbeitslosengeldempfänger (5.500.460). Der Rest, 2.540.348 (46,2 Prozent), wird nicht als erwerbslos gezählt. Die Gründe sind bekannt.

Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist auf über 33 Prozent gestiegen. Das größte Plus bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verzeichnet noch immer die Arbeitnehmerüberlassung (+162.000 oder +27,2 Prozent). Seltsamerweise wird die Branche in der Grafik (Seite 8) nicht mehr aufgeführt.

Interessant ist nun die Entwicklung der deutschen Handelsbilanz. Wie das statistische Bundesamt mitteilte, ist der Güteraustausch mit den Krisenländern der Eurozone mehr oder weniger eingebrochen.

Griechenland nahm hingegen weniger deutsche Waren ab als im ersten Quartal 2010 (– 12,6% auf 1,3 Milliarden Euro). Die deutschen Warensendungen nach Spanien (+ 6,6% auf 9,1 Milliarden Euro), Belgien (+ 7,8% auf 12,4 Milliarden Euro), Irland (+ 14,0% auf 1,2 Milliarden Euro) und Portugal (+ 14,0% auf 1,9 Milliarden Euro) erhöhten sich wertmäßig weniger stark als im Durchschnitt der Euro­zone.

Quelle: destatis

Das macht aber nichts, weil die deutsche Exportwirtschaft einfach weiterzieht. Derzeit stehen die Türkei, Russland und China sehr weit oben auf der Liste. Seit dieser Woche auch Indien, die ja in Zukunft Kampfflugzeuge auf Kredit bei uns kaufen sollen. Das wurde uns schlagartig bewusst, als Angela Merkel in ihrem Regierungsflieger über der Türkei ein paar Extrarunden drehen musste.

Europa ist praktisch ruiniert, die Karawane zieht weiter. Der Unterschied zur Eurozone besteht nun aber darin, dass die soeben aufgezählten Länder eigene Währungen haben. Sollte Deutschland so weitermachen wie bisher, werden diese mit einer Anpassung der Wechselkurse reagieren müssen, um den absehbaren Defiziten in der Handelsbilanz entgegenzuwirken. Wer also daran glaubt, den deutschen Wettbewerbsvorteil dank hiesiger Lohnzurückhaltung dauerhaft aufrechterhalten zu können, dürfte sich spätestens dann eines besseren Belehren lassen.

Allerdings habe ich da so meine Zweifel. Für einige “Experten” scheinen noch genug Löcher auf dem Gürtel zu sein, den sich die Menschen Jahr für Jahr enger schnallen müssen.  

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. GerhardIngold  Juni 2, 2011

    Die Zentralisation und damit die Umverteilung von der Masse auf wenige Menschen hat ein großes Problem: Die Weltwirtschaftskrisen folgen sich in immer kürzeren Intervallen, bis das ganze System wie ein Kartenhaus mit Milliarden Hungertoden zusammenbricht.

    Khalid

  2. QuonDijote  Juni 7, 2011

    Anmerkung zur Grafik der Einzelhandelsumsätze:
    Es ist ja bekannt, dass man Trends auch durch die Wahl des Betrachtungszeitraums nach oben oder unten drehen kann. Wenn ich den Betrachtungsbeginn auf März 2008 legen würde, käme bestimmt ein steigender Trend heraus. Die Frage ist nur: Was würde ein Beginn März 2009 oder Januar 2006 (oder noch früher?) bedeuten?

    • adtstar  Juni 7, 2011

      Die Anmerkung zum Trend ist richtig, allerdings spielt hier das Ausgangsniveau die wichtigere Rolle. Die Umsätze im Jahr 2005 werden mit 100 Prozent bemessen. Das statistische Bundesamt gibt das für eine bessere Vergleichbarkeit so vor.

      Die Statistiker vergleichen aber nicht, sondern beschreiben immer nur die kurzfristigen Veränderungen von Monat zu Monat bzw. Monat zu Vorjahresmonat, je nach dem, was besser aussieht.

      Nimmt man aber den Vergleich zur Bezugsgröße im Jahr 2005 stellt man fest, dass sich die Umsätze stets unterhalb dieses Niveaus bewegen. Dieser Befund ist nun beachtlich, wenn man sich das Gerede über XXL-Boom vor Augen hält und die Behauptung kritisch überprüft, wonach der private Konsum zu einer Stütze der Konjunktur geworden sei.

      Nur zur Erinnerung. Im Jahr 2005 gab es vorgezogene Neuwahlen und Frau Merkel und ihr Westerwelle zogen durchs Land, das sich angeblich am Abgrund befand, um überall zu verkünden, wie schlecht es der Wirtschaft doch gehe. Abgewirtschaftet war ein beliebtes Schimpfwort.

      Begleitet wurde das Gejaule damals von Deutschlands „klügstem Ökonomen“ Professor (Un)Sinn, der ein Buch mit dem Titel „Die Basar-Ökonomie“ herausbrachte und darin Deutschland als den „Kranken Mann Europas“ beschrieb.

      Die deutschen Einzelhandelsumsätze der Gegenwart bewegen sich unterhalb der Weltuntergangsstimmung von 2005!