Ein Interview von Marietta Slomka mit SPD-Chef Sigmar Gabriel im ZDF heute journal sorgt für Aufregung. Beide lieferten sich gestern Abend ein Wortgefecht der besonderen Art. Slomka konfrontierte den SPD-Chef mit der Meinung des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart, wonach der Mitgliederentscheid verfassungsrechtlich illegitim sei, weil dieser die Abgeordneten in der Ausübung ihres freien Mandats einschränken würde. Gabriel meint, alles Quatsch, findet aber nicht die richtigen Argumente. Dabei waren er und Slomka sich doch einig. Die SPD muss zustimmen.
Statt sich auf eine Diskussion mit Slomka einzulassen, hätte Gabriel auf den Koalitionsvertrag verweisen können, den Frau Slomka offenbar auch nicht wirklich gelesen hat, indem aber die Einschränkung des freien Mandats von CDU, CSU und SPD festgeschrieben wurde. Ich darf mal zitieren (Seite 184):
Kooperation der Fraktionen
Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.
Entschuldigung, aber im Gegensatz dazu ist die popelige Mitgliederbefragung ein Witz. Die SPD hat sich mit ihrer staatstragenden Haltung mal wieder ins Abseits geschossen und zur Zielscheibe des Kampagnenjournalismus gemacht. Nun wundert sich die SPD-Parteiführung, die ja auch ein Ja bei den Mitgliedern erzwingen will, über die Angriffslust der Systemmedien. Immerhin besteht ein Risiko, falls die Mitglieder ablehnen und die SPD-Führung bzw. die Abgeordneten dem folgen müssten. Da werden schon mal schwere Geschütze aufgefahren, um die Entscheidung zu beeinflussen.
Die Kampagne hat mehrere Ebenen, derer sich auch die SPD-Führung bedient. Die SPD sei die Gewinnerin der Koalitionsverhandlungen ist eine davon. Demnach trage der Vertrag vor allem die Handschrift der Sozialdemokraten. Gabriel selbst bestätigte diesen Unsinn einmal mehr und zitierte ausgerechnet Herrn Lindner von der FDP. Das alles soll die Mitglieder beeindrucken und sie zur Zustimmung bewegen. Das zweite sind die möglichen Folgen, die bei einer Ablehnung des Vertrages durch die SPD-Mitglieder drohen würden. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass einige der Meinung sind, das in diesem Fall eine Staatskrise über das Land hereinbräche.
Nun versuchen sie es mit der Verfassung und dem Recht auf die Ausübung des freien Mandats. Mit anderen Worten: Wenn die gewählten Volksvertreter der Meinung sind, dass die Koalition richtig sei, dürfen sie sich nicht durch einen Mitgliederentscheid davon abbringen lassen. Doch, wie oben schon erwähnt, müsste diese Regel auch für den Fraktionszwang gelten, der so im Grundgesetz ebenfalls nicht vorgesehen ist. Verfassungsrechtlich hat die Regierungschefin die Möglichkeit, mit Hilfe der Vertrauensfrage sich ihrer parlamentarischen Mehrheit zu versichern. Das wollen Herr Gabriel von der SPD wie auch Frau Slomka vom ZDF der Frau Merkel von der CDU aber offenbar nicht zumuten.
NOV
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.