Jugend ohne Gegenwart und ohne Zukunft

Geschrieben von: am 03. Jul 2013 um 23:41

Wir brauchen höhere Steuern und höhere Schulden, um der Jugend, die ihrer Gegenwart bereits beraubt wurde, nicht auch noch die Zukunft zu nehmen.

So eine Forderung ist unpopulär und wird mitunter als widersinnig angesehen, da alles und jeder in dieser Gesellschaft wie in der Politik nach ausgeglichenen Haushalten strebt. Eine schwarze Null ist das Pfund, mit dem beispielsweise die amtierende Bundesregierung wirbt. Im nächsten Jahr soll es wieder soweit sein, Krise hin oder her. Sie habe Konsolidierung und Wachstum gleichermaßen zustande gebracht, heißt es aus dem schwarz-gelben Heißluftballon. Im Gegensatz dazu seien höhere Steuern schlecht fürs wirtschaftliche Umfeld und mehr Schulden schlecht für künftige Generationen.

Doch haben auch ausgeglichene Haushalte und das permanente Suchen nach einer Begrenzung staatlicher Ausgaben ihren Preis, den jemand bezahlen muss. Das wird immer verschwiegen, wenn Politiker, die über den Staatshaushalt bestimmen, rein betriebswirtschaftlich denken. Die schwarze Null in Deutschland, wenn sie denn kommt, ist teuer erkauft. Was in der Bilanz nach Stabilität aussieht, bröckelt in der realen Welt als Putz sprichwörtlich von den Wänden. Bund, Länder und Kommunen schieben einen riesigen Investitionsbedarf bei Straßen, Schulen und sozialen Einrichtungen vor sich her. So hübsch die Zahlen auch sein mögen, sie können nicht über die maroden Zustände der öffentlichen Infrastruktur hinwegtäuschen. Auf die ist die Jugend von heute wie auch in der Zukunft aber angewiesen.

Merkels Showgipfel

Die Probleme in Deutschland werden als solche nicht gesehen, weil Selbstbeweihräucherung und Arroganz die Tagespolitik bestimmen. Es gilt beispielsweise als ausgemacht, auch bei der SPD, dass das überaus erfolgreiche deutsche Ausbildungssystem auf andere Staaten übertragen werden müsse, um die neuentdeckte Krise auf dem südeuropäischen Arbeitsmarkt zu bewältigen. Das ist irgendwie das Ergebnis von Merkels Showgipfel zur Jugendarbeitslosigkeit im Kanzleramt, der zwischen Revolution in Ägypten und gesperrten Lufträumen in der freien Welt stattgefunden hat. Man fragt sich nur, wie diese Länder bisher ihre Jugend ausgebildet haben und wie sie jahrelang für deren Beschäftigung sorgen konnten.

Was soll überhaupt der Quatsch, den Süden mit dem deutschen Ausbildungsmodell beglücken zu wollen? Die Menschen, die in Spanien, Griechenland oder Frankreich arbeitslos geworden sind, sind bereits bestens ausgebildet und qualifiziert. Ihr Problem ist doch nicht die Ausbildung oder die Tatsache, dass sie nie mit dem segensreichen deutschen Ausbildungsmodell in Kontakt gekommen sind, sondern die knallharte und sinnlose Kürzungspolitik einer deutschen Kanzlerin, bei der nicht einmal die NSA mit ahnungsloser Unterstützung des Verfassungsschutzes einen Standpunkt erschnüffeln würde.

“Frankreich hat zu viele Akademiker”

In deutschen Medien dominiert aber weiterhin der chauvinistische Irrsinn. Caren Miosga meint in den Tagesthemen über Frankreich. „Das Land hat zu viele Akademiker“. Im folgenden Bericht wird den Franzosen zum Vorwurf gemacht, dass sie fast 85 Prozent ihrer Schüler erst zum Abitur führen und dann zur Uni schicken, wo sie einen Abschluss machen, mit dem sie nichts anfangen können. Stattdessen sollten sie einen ordentlichen Handwerksberuf zum Beispiel in einer Pariser Metzgerei erlernen. Da schwingt wenig Analyse und viel Boshaftigkeit mit, die beim Zuschauer offenbar den Kurzschluss auslösen soll, dass die so oft kritisierte Bildungsselektion im Land der Dichter und Denker doch nicht so schlecht sein könne, wenn halb Europa dem deutschen Vorbild in Sachen Ausbildung folgen soll.

Von einem Monatsgehalt in Höhe von 2500 Euro, die ein Metzger in Paris als Berufseinsteiger verdienen soll (das wirkt beeindruckend, wenn man die Lebenshaltungskosten nicht kennt), können deutsche Azubis aber nur träumen. Hierzulande hat eine Fleischindustrie das Sagen, die sich auf Grundlage bestehender Arbeitsmarktgesetze Lohnsklaven aus Osteuropa halten kann. In anderen Branchen läuft es ähnlich. Der Fachkräftemangel in Deutschland korrespondiert mit einem Mangel an Lohnfairness auf Seiten der Arbeitgeber, für die sich günstige Gesetzeslagen und notleidende Menschen aus dem europäischen Süden betriebswirtschaftlich durchaus rechnen dürften.

Denn, so die Bundesarbeitsministerin, die Jugend des Südens solle im Idealfall in den Genuss eines dualen Ausbildungsmodells kommen, um zu jenen Fachkräften heranzureifen, die die Wirtschaft braucht. Da hat die Fachkraft für Selbstinszenierung in Merkels Horrorkabinett den richtigen Blickwinkel offenbart. Die Wirtschaft soll nicht den Menschen dienen, sondern die Menschen für die Wirtschaft ökonomisch verwertbar sein. Den Rest macht die Kosmetik in der Statistik unsichtbar.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Mithrahee  Juli 4, 2013

    Schön geschrieben @adtstar.

    Meiner Meinung können „die im Süden“ sich alle nen Strick um den Hals binden und aufhängen. Was interessierts mich, was verdiene ich daran? Angelas neudeutsche Ersatzorganisation namens Europa-Union EU (welch‘ femininer Aufstieg aus dem Terrorstaat!) ist doch sowieso auch nur die Überpsychopathie. Deutschland ist doch seit Adenauer schon mongoloid. Was will die blöde Tusse denn noch?

  2. Skalg  Juli 4, 2013

    Das Argument von deutschen Ausbildungssystem geht ja eher so: Indem Betriebe Ausbildungsplätze anbieten, ist die Ausbildung näher an der Arbeitsrealität im jeweiligen Betrieb und entspricht die Anzahl der Ausbildungsstellen in einem Sektor eher der Nachfrage nach Arbeitskräften – wodurch es weniger „überflüssige“ Ausbildungsplätze gibt.

    Das man aber so etwas eben nicht über Nacht aus dem Boden stampfen kann, dass sich das Jahrzehntelang so entwickelt hat, und das der Effekt umstritten und wahrscheinlich nicht allzugroß ist, das vergisst man gerne.

    • Jenny  Juli 10, 2013

      Frankreich hat nur deshalb mehr Akademiker, weil akademisch streng genommen nichts anderes heißt als ERWACHSENENBILDUNG! Nach langer Schulbildung kommt „höhere Bildung“! Der Ausdruck „höher“ ist vollkommen wertneutral zu verstehen. Es bedeutet nur „Höher als SChulbildung“! Erwachsenenbildung nach Sekundarstufe II!

      Die duale Ausbildung ist nur sekundarstufe II für Schüler von 15 bis 18! In Real sind dort aber bei Beginn fast nur noch Erwachsene! 19,8 Jahre alt im Schnitt, also real schon längst postsekundär.

      Andere Länder weisen die Bildungsgänge für Erwachsene nunmal postsekundär und tertiär aus, was auch richtig ist! Das ist Erwachsenenbildung.

      Deshalb wird anderswo soviel studiert, mehr ist es nicht!

      Das sind nunmal Gesamtschulländer, keine mit mehrgliedrigen Schulsystem das blue collar, white collar oder Akademiker ausbildet. Der Begriff „Student“ gilt in vielen Ländern für jedermann!

      in den deutschsprachigen Ländern grenzt man höhere von mittlerer Bildung ab, im Ausland bedeutet „höher“ nur Höher als Schulbildung, tertiär bzw. postsekundär — ohne jede Wertung — deshalb wird dort soviel studiert. Sekundarstufe II macht man in vielen Ländern nur schulisch, für Schüler ab 15. Schulfplicht ist in vielen Ländern, auch in DE 12 Jahre. Nur bei den anderen Schülern ist im Ausland immer auch Bildung mit drin! Ein Abitur beruflich z.B. wie in Finnland, Frankreich… es geht um kulturelle Missverständnisse.

      und DE will seine Ausbildung nur international vermarkten — IMove Germany.

      darum geht es hier, um mehr nicht. Das sind keine Gutmenschen mit guten Absichten, das ist Eigennutz.

      ich bin sowieso Kritikerin des deutschen Bildungssystems. Weil das Zeit verschwendet und Lebenszeit ist wertvoll. Und weil es anmaßend ist, was der Koporatismus da veranstaltet.

    • Jenny  Juli 10, 2013

      Das stimmt nicht. Da wird auch viel gelogen. In spanien in den Berufsschulen leiten die Schüler komplett eigene Restaurants im Echtbetrieb mit echten Gästen – die dürfen da quasi Chef spielen — das ist sehr praxisnah. Man muss hier differenzieren zwischen praxisnah und betriebsnah, darum geht es hier! In DE ist sie betriebsnah, anderswo nicht.

      Das hat einen guten Grund. In Frankreich und DK gibts ne Ausbildungsabgabe und all jene werden auch schulisch ausgebildet, die eh kein Arbeitgeber nehmen würde.

      Die parkt man zum warten in DE in ein Übergangssystem.

      • jenny  November 15, 2014

        Ich bin es noch mal. Habe tatsächlich den link zur vollzeitschulischen Berufsausbildung in Spanien wieder gefunden.

        Von wegen Nicht praxisnah!!!! Es ist nur Nicht betriebsnah. Statt einen festen Betrieb hat man halt Praktika. Da wird in DE voll gelogen, hier tut man ja so, als hieße schulische Ausbildung, dort sitzen alle nur hinter Büchern.

        http://de.euronews.com/2013/01/28/migranten-auf-dem-arbeitsmarkt/

        im übrigen ist diese schulbasierte Alternative gerade auch für Problemgruppen, die eh keinen Betrieb finden. Österreich, Norwegen, Dänemark,……. alle außer DE haben mehr solche Alternativen für jene, die keinen Betrieb zum ausbilden finden.

        in DE darf die Wirtschaft auch BELIEBIG in die Berufsschule staatlich hineinmanipulieren ohne das ihr mal was dazu sagt:

        hier:

        Nachdem im bundesweit gültigen Rahmenlehrplan 1,5 Schultage pro Woche vorgesehen sind, in Bayern aber aufgrund des Widerstandes der Wirtschaft nur 1 Schultag zur Verfügung steht, können die geforderten Lerninhalte nur gekürzt, oder teilweise gar nicht behandelt werden

        http://www.bs1landshut.de/cmstexte-holztechnik/holztechnik-ausbildungsberufe.php

        Bei euch wird Bildung einzelbetrieblichen Interessen geopfert unter anderem. Außerdem sind diese Kinder für euch nur Dumme Arbeitsdrohnen. Wo bleibt deren Bürgerrecht auf Bildung??

        ich sage, Euer Bildungssystem ist schlecht! Auch die Berufsausbildung qualitativ minderwertiger als anderswo sehr oft.

        Ausbildung über Bedarf:

        http://www.hna.de/lokales/kassel/ausbildung-gericht-spielen-arbeitsplatz-2485631.html

        DAS ist euer hochgelobtes duales System und dann wird oft am eigentlichen Bedarf vorbei ausgebildet. 40% müssen nach Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt was anderes/neues suchen — und viele müssen dann noch mal wechseln und was anderes lernen, weil diese passgenaue Ausbildung woanders schon wieder wertlos ist.

  3. landbewohner  Juli 4, 2013

    es ist absoluter schwachsinn nach mehr ausbildungs- bzw arbeitsplätzen zu verlangen, wenn weltweit weit mehr produziert wird als verbraucht werden kann. und das, wo noch riesige ressourcen an arbeitskraft brach liegen. arbeitslose massen gibt es auch in der 3. welt zuhauf. zukunftsweisens wäre einfach ein anderes lebensmodell, daß von einer sehr viel geringeren arbeitszeit ausgeht, bzw ein anderes lebensmodell.
    und dann könnte man an den unis auch wieder bildung vermitteln, die noch nie jemandem geschadet hat, statt massenhaft fachidioten auszubilden, die niemand braucht, weil sie lediglich kosten verursachen, volkswirtschaftlich, im sinne der menschen, gesehen aber keinerlei nutzen erbringen.

  4. Jenny  Juli 10, 2013

    und was ist mit der Zukunft von Jugend hier? Zugegeben ich bin nicht mehr ganz taufrisch, aber ich hab überhaupt keine Zukunftsperspektiven in DE und muss evtl auswandern!

    Fleischer verdienen in Schleswig-Holstein laut SHZ oft nur noch 3,77 Euro, kommen aus Rumänien und brauchen keine 3jährige Ausbildung vorweisen.

    Das Ausbildungssystem hat in DE große Defizite, z.B. keinen Zugang zur Weiterbildung, vor allem wenn welche über Bedarf ausgebildet wurden, ist die Ausbildung oft ne Sackgasse. Weiterbildung mit ECHTEM Abschluss wie Fachwirt etc. wird vielen verwehrt, dann wird die Ausbildung zur Sackgasse.

    in einigen Bereichen wird über Bedarf ausgebildet, dann landen viele danach ewig in Minijobs und Zeitarbeit. Man bildet da tw. auf Halde aus, weil es billiger ist, als jmd. fest anzustellen z.B. oder weil man meint, man tut dann was Soziales. Wenn diese über Bedarf ausgebildeten aber kein FHR oder Abitur haben, dann sitzen die in einer Sackgasse fest — man kommt da schlecht wieder raus. Ich bin selbst nämlich auch in einer solchen Sackgasse geendet.

    um da noch rauszukommen, bin ich für den deutschen Arbeitsmarkt nach umständlichen 2. Bildungsweg aber zu alt. Ich muss es im Ausland versuchen, Skandinavien oder so. Schottland? Keine Ahnung. In DE gibts keinen Fachkräftemangel für Leute ab Mitte 30.

  5. Jenny  Juli 10, 2013

    Jugend mit Zukunft – das ich nicht lache! DE hat auch seine Generation Mille Euro und nie einen Cent mehr. Hört doch auf! Und heute erzählt mir so ein CDU Fatzke in der Glotze, er wäre ja so großzügig und will das Pfand erhöhen, damit arme Rentner mehr Einnahmen generieren können! Toll! zufälligerweise kommt meine Rente, wenn ich in DE bleibe nachher auch nie über Hartz IV – und so nen scheiß darf ich mir dann noch in der Glotze anhören. DE ist selber ein Land zum auswandern, nicht einwandern.

  6. jenny  November 15, 2014

    angesichts vieler Langzeitarbeitsloser, die oft keine Ausbildung haben, oder die Falsche* oder die keine Umschulung erhalten oder Weiterbildung und angesichts der Top10 Berufe, Ausbildung über Bedarf oft direkt für Arbeitslosigkeit…… angesichts des starren versperrenden Kammersystems und da das duale System nicht voll ins staatliche Bildungssystem integriert ist, halte ich das deutsche System sogar für schlechter an den Arbeitsmarkt angepasst als viele, die mehr schulbasierte Alternativen bieten als Ausbildungsgelegeheit

    meine 5 Cents