Journalisten zum Fürchten

Geschrieben von: am 24. Jul 2014 um 7:35

Es herrschen mehr chaotische Zustände in deutschen Redaktionen als an der Absturzstelle von MH17 in der Ostukraine.

Was in der Ostukraine tatsächlich passiert, ist unklar. Klar ist, dass derzeit nicht nur ein mit Waffen geführter Krieg tobt, sondern auch ein Krieg der Worte. Medien und Journalisten aus Deutschland blamieren sich auf ganzer Linie, indem sie Spekulationen, ungeprüfte Informationen sowie persönliche Eindrücke in die Welt hinaus posaunen und diese als Wahrheit verkaufen. Immer häufiger stellt sich dann aber heraus, dass das ergriffene journalistische Wort überzogen war, ja manchmal sogar der Lüge gleicht. Und das in einem Land, dass die Pressefreiheit gerade vor dem Angriff des Mindestlohns verteidigt hat.

Die Kritik in den sozialen Netzwerken an der katastrophalen Berichterstattung nimmt zu. Da wo sich die Einseitigkeit und Falschheit von Aussagen nicht mehr leugnen lässt, rudern die Verantwortlichen halbherzig zurück. So hat das ZDF einen Bericht korrigiert, in dem der verantwortliche Journalist die im Beitrag zu hörende Aussage einer wütenden Frau in der Ostukraine falsch übersetzte. Via Twitter und Youtube stellte das ZDF unter dem Stichwort „Es gab keine Manipulation im heutejournal vom 12. Juli“ klar, dass die Übersetzung richtig, die Filmsequenz aber falsch ausgewählt worden war.

Das kann in der Eile offenbar passieren. Eilig mit einem Kommentar hatte es auch Thomas Heyer vom WDR. Via WDR Blog ließ er die Öffentlichkeit am Montag an seinen Gedanken teilhaben, die ihm durch den Kopf schossen, als er das Bild eines Mannes in Uniform an der Absturzstelle von MH17 sah, wie er einen Teddybären in die Kamera hält. „Gorillas zum Fürchten“ überschrieb er seinen, na nennen wir es ruhig Kommentar, in dem er zu folgender Formulierung greift. „Unterdessen gebärden sich die Freischärler von Putin’s Gnaden weiter wie Gorillas, denen man Waffen in die Hand gegeben und die man mit Uniformen ausgestattet hat.“ Und weiter schreibt er von Söldnern, die ihre Opfer und deren Hinterbliebenen sowie die gesamte zivilisierte Welt verhöhnen und verspotten. „Da zusehen zu müssen, ist kaum auszuhalten.“

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Nur hat Thomas Heyer gar nicht genau hingesehen, wie er am Mittwoch kleinlaut zugeben musste. „Da bin ich vermutlich einer verkürzten Wahrheit aufgesessen“, schreibt er nun. Welche Wahrheit meint er denn jetzt? Die, die er nach Prüfung der Quelle, die nicht er, sondern andere vornahmen, nicht mehr sehen kann, aber unbedingt sehen möchte, um das eigene Weltbild nicht ändern zu müssen? Einer verkürzten Wahrheit aufgesessen zu sein, bedeutet ja, nicht ganz so falsch gelegen zu haben. Das tat er aber, nachweislich. Er verteidigt sich dennoch. „Ich hatte das Bild in einer renommierten Tageszeitung gesehen und war entsetzt.“ Das ist natürlich Grund genug, das Hirn auszuschalten. Wirklich armselig wirkt aber die zweifelhafte Behauptung, dass der Sender bislang sehr vorsichtig mit den Informationen rund um die Krise in der Ukraine umgegangen sei. Gerade das scheint eben nicht der Fall.

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Sich auf “renommierte” Quellen zu berufen, heißt übersetzt schlicht und einfach. Weil es die anderen auch alle schreiben, kann es ja so falsch nicht sein. Dieser Strategie folgte auch die ARD Aktuell Redaktion unter der Leitung von Kai Gniffke, die bis heute von entführten OSZE Beobachtern spricht, die in Wirklichkeit Militärbeobachter ohne OSZE Mandat waren, wie der Vizechef des OSZE-Krisenpräventionszentrums, Claus Neukirch, relativ schnell klarstellte. Allerdings nicht in der ARD, sondern bei den österreichischen Kollegen des ORF. Der Kritik an der Position der ARD begegnete Gniffke mit einem ähnlichen Argument wie Thomas Heyer in dieser Woche. „Wir haben den Begriff ‚OSZE-Militärbeobachter’ richtig verwendet. … Die Bezeichnung … steht im Einklang mit dem Wording von Nachrichtenagenturen und Qualitätszeitungen…“

Das sind Journalisten zum Fürchten. Ich sage nicht, sie sind Propagandisten. Ich sage, sie missachten die Grundsätze einer sauberen Recherche, weil sie wie Spekulanten an der Börse lieber einem primitiven Herdentrieb folgen wollen.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Viviennefaraway  Juli 24, 2014

    Wer war das denn, der die Maschine erschoßen hat? Die Russen oder die Ukrainer? Good morning

    • adtstar  Juli 24, 2014

      Wer die Maschine abgeschossen hat und ob sie überhaupt abgeschossen worden ist, ist unklar. Bisher existieren nur Vermutungen und Behauptungen. Darum geht es aber im Artikel nicht, sondern darum, wie ein Teil von Journalisten hierzulande arbeitet.

  2. Graureiher  Juli 25, 2014

    Beim Berliner Tagesspiegel sind die beschriebenen Verhältnisse extrem. Inzwischen unterliegen meine Leserkommentare dort der kompletten Zensur.
    In einer Stellungnahme an die Redaktion zu diesem Artikel

    http://www.tagesspiegel.de/meinung/flugverkehr-nach-dem-absturz-von-mh-17-die-neue-angst-beim-fliegen/10241260.html

    von Gerd Appenzeller schrieb ich folgendes:

    An die Redaktion

    Ich versuche gar nicht erst, meine Meinung als Leserkommentar unterzubringen, da meine Beiträge eh der Zensur zum Opfer fallen.
    Ich frage mich ernsthaft, ob das, was Appenzeller hier ablässt, von der Tagesspiegelredaktion mitgetragen wird. Der Artikel ist widerlich-infam: er setzt die Gegenwehr gegen militärische Luftangriffe mit dem Abschuss einer Zivilmaschine gleich. Dessen Urheber bis heute, vorsichtig ausgedrückt, völlig unklar ist. Genau genommen ist noch nicht einmal klar, dass überhaupt ein Abschuss vorliegt, und falls ja, womit er erfolgte.
    Ich frage mich ernsthaft, was in unseren Leitmedien los ist. Solche Beiträge bestimmen heute das Bild der „seriösen“ Presse. Früher wären sie ein Grund zur fristlosen Kündigung des Urhebers gewesen, da man ihm wohl zu Recht unterstellt hätte, dass er seine journalistische Funktion zu Agitation für dubiose politische Ziele missbraucht, Kriegstreiberei betreibt.
    Ich denke, dass dieses Verhalten Folgen für die etablierte Presse haben wird. Die jetzigen US-Propagandalügen werden sich genau so als solche entlarven wie die, mit denen die Irak-Kriege der USA gerechtfertigt wurden. Denen fielen über eine Million Menschen zum Opfer. 2003 gab es in den Leitmedien ja noch Stimmen, die den Schwindel durchschauten und vor dem Krieg warnten. Heute regiert der Wahnsinn in den Redaktionen. Das wird Spuren hinterlassen, eure Glaubwürdigkeit ist bereits jetzt komplett zerstört. Wenn Ex-Politiker wie Willy Wimmer nur noch in Randmedien wie Nachdenkseiten oder Telepolis zu Wort kommen und die Wahrheit über die US-Aktivitäten nur noch über Internet-Blogs durchsickert, sind Medien wie Tagesspiegel und Co überflüssig.

    Mit besorgten Grüßen

    Eine Antwort seitens der Redaktion blieb aus.

  3. Gepard  Juli 25, 2014

    Falls Sie ne Sammlung machen möchten:

    http://www.sueddeutsche.de/politik/europas-umgang-mit-russland-gefangen-im-netz-der-interessen-1.2061169

    „Die Mistral-Schiffe sind vielfältig einsetzbar. […] oder die EU nutzt sie im Mittelmeer, um Bootsflüchtlinge zu retten.“

    Einen 200m langen Hubschrauberträger, um afrikanische Flüchtlinge zu retten. Eigentlich sollte man dazu nen Flashvideo machen… so mit Robotergreifarm und Hubschrauberdrohnen hieft er die dann aus dem Wasser. ;-)

  4. Henning Uhle  Juli 27, 2014

    Trackback from:
    http://www.henning-uhle.eu/wirtschaftsozial/ukraine-propaganda-und-offene-fragen Ukraine – Propaganda und offene Fragen
    Man fragt sich, was eigentlich in der Ukraine los ist. Es wird viel behauptet. Und das zeigt eigentlich, wie unklar die Situation eigentlich ist. Ich denke, dass niemand in Deutschland, Frankreich oder in den USA abschließend beurteilen kann, wer die …