Jetzt Ultima Ratio?

Geschrieben von: am 10. Okt 2022 um 8:56

Bei der gestrigen Niedersachsenwahl ist die FDP wie prognostiziert unter die Räder gekommen. Sie hat den Einzug in den Landtag verpasst, hätte aber auch bei einem anderen Ausgang keinen Einfluss gehabt. Das hat Auswirkungen auf die Ampel-Regierung im Bund. Mit der würden viele FDP-Wähler fremdeln, sagte Parteichef Christian Lindner in Berlin. Das ist zu einfach. Es zeigt sich vielmehr, dass es ein Fehler war, beim Schmieden der „Fortschrittskoalition“ zentrale Fragen einfach auszuklammern.

Der Generalsekretär der FDP, Bijan Djir-Sarai, redete in der Berliner Runde Tacheles. Er gab an, nicht als Teil der Regierung zu sprechen, um indirekt drohen zu können. Er kritisierte, dass sich SPD und Grüne auf Kosten der FDP profilierten. Die Liberalen müssten erkennbar bleiben. Damit wurde der scheinheiligste aller Sätze, dass es ja nie um die Partei, sondern in erster Linie immer nur ums Land gehe, gnadenlos abgeräumt. Ihre Beteiligung an der Ampel will die FDP dennoch als staatspolitische Verantwortung verstanden wissen.

Mit anderen Worten: Die desaströse Parteipolitik von Partnern, die nicht zusammenpassen, setzt sich in der Bundesregierung fort. Vor allem um die Schuldenbremse dürfte in den kommenden Tagen und Wochen ein erbitterter Kampf ausbrechen. Finanzminister Christian Lindner hatte es abgelehnt, diese erneut auszusetzen und das mit Verfassungsrecht und den künftigen Generationen begründet. Beides ist Unsinn, was auch Lindner weiß, dem aber die liberalen Themen ausgehen. Er wird dennoch die Hintertür nehmen müssen, die er selbst als „Ultima Ratio“ angedeutet hatte.

Wie kompliziert die Lage zwischen den Regierungspartnern allerdings ist, zeigt sich an der Ausgestaltung der Gaspreisbremse. Dass eine Kommission die Ergebnisse ihrer Arbeit genau einen Tag nach der Niedersachsenwahl vorstellen will, ist ja kein Zufall. Die Ungewissheit und Sorgen von Verbrauchern und Unternehmen hatte die SPD im Wahlkampf adressiert, ohne aber wirklich Antworten zu bieten. Ergebnis ist eine höhere Wahlenthaltung auf der einen und mehr Protestwähler auf der anderen Seite, von der die AfD deutlich profitieren konnte.

Spitzenkandidat Stephan Weil setzte sich in der öffentlichen Wahrnehmung zwar von der Bundesregierung ab und forderte schnelle Entscheidungen, die aber auch unter seinem Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz mit Blick auf die Wahl nicht geliefert wurden. Sein Vorschlag eines landeseigenen Rettungsschirms legte er allzu schnell mit dem Verweis auf den Koalitionspartner, der das nicht wolle, zu den Akten, so dass der Eindruck eines billigen Wahlkampfmanövers entstand. Neben der CDU verlor daher auch die SPD an Zustimmung, was in der Öffentlichkeit aber nicht weiter thematisiert wird.

Die Grünen greifen den Vorschlag nun wieder auf. Noch während der Koalitionsverhandlungen soll ein Rettungsschirm für Niedersachsen gespannt werden, erklärte der Spitzenkandidat Christian Meyer. Gut ist, dass sowohl SPD als auch Grüne die Schuldenbremse nicht als heilige Kuh verehren, sondern nach Wegen der Finanzierbarkeit von Krisenfolgen suchen. Stephan Weil erklärte, dass der Bund noch einmal eine Notlage feststellen solle, die im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen ist, um die Schuldenaufnahmeregel auszusetzen.

Inwieweit diese Bedingung Auswirkungen auf seinen eigenen „Niedersachsen-Wumms“ hat, bleibt abzuwarten. Denn da schließt sich der Kreis. Das politische Geschäft ist derzeit nichts weiter als ein Hin- und Herschieben von Verantwortung, auch wenn man beim niedersächsischen Regierungschef so tut, als würde gerade er besonders viel davon für Land und Leute wahrnehmen. Dennoch: Als Erfolg für die Zukunft des Landes muss gelten, dass so ein finanzpolitischer Betonkopf wie Reinhold Hilbers von der CDU als Finanzminister abgelöst wird.


Bildnachweis: ARD.

6

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge

Kommentare

  1. Jörg Wiedmann  Oktober 10, 2022

    Das die FDP aus dem Landtag geflogen ist, hat sie sich zu 100% selbst zuzuschreiben und verdient.
    Das Herr Buschmann von Lauterbach beim Infektionsschutzgesetz über den Tisch gezogen wurde und im Gegensatz zu seinen eigenen Ankündigungen nun das strengste Coronaregime in Europa mit eingeführt hat, hat der Wähler zum Glück noch nicht vergessen.
    Die extreme Position der Rüstungslobbyisten Strack-Zimmermann bezüglch der Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine war sicher auch nicht hilfreich. Alle Parteien die die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine fordern haben bei Wahl zum Glück Stimmen verloren.
    Der Konflikt ist mit immer mehr Waffen eben nicht zu beenden.
    Bleibt zu hoffen das die FDP beim Thema Atomkraft Laufzeitverlängerung bis 2024 nun nicht einknickt sondern entgegen ihrem sonstigen Handeln endlich mal „Eier in der Hose“ hat und notfalls diese (H)ampelkoalition platzen lässt.
    Wenn dieses Wahlergebniss das Ende der Ampel einleiten würde hätte ich damit sicher kein Problem.

    • André Tautenhahn  Oktober 11, 2022

      Ich denke, die Coronapolitik hat überhaupt keine Rolle gespielt. Niemand nimmt das noch ernst. Die Haltung zum Krieg in der Ukraine ist auch eher nebensächlich. Es geht bei Wahlentscheidungen immer um Innenpolitik und da macht die FDP in der Ampel eine schreckliche Figur. Sie nimmt sich selbst als eine Art Opposition wahr, wie auch Lindner glaubt und befeuert, wenn er sagt, dass Unterstützer mit der Ampel fremdeln würden oder die FDP als linke Partei wahrgenommen würde. Das ist natürlich alles Quatsch, zeigt aber, dass die FDP weniger konstruktiv sein will, sondern eher an ideologischen Grundsätzen wie der Schuldenbremse festhalten möchte. Dabei reiht Lindner aus schlichter Notwendigkeit und damit völlig zurecht ein Sondervermögen an das nächste. Er macht also immer mehr Schulden, aber erst nach sinnlosen Debatten über angeblich „solide Finanzpolitik“, die nur mit Schuldenbremse möglich wäre. Dieser Blödsinn hat uns die gescheiterte Gasumlage eingebrockt und wahrscheinlich auch die Empfehlungen zur Gaspreisbremse, die erst gelten soll, wenn die Heizsaison vorbei ist. Die Wähler sind eben nicht doof, sondern spüren, dass sie gerade von der FDP veräppelt werden. ;-)

      • Jörg Wiedmann  Oktober 11, 2022

        In wie weit sich der Wähler mit dem Thema Schuldenbremse, Schattenhaushalt oder Sondervermögen wirklich auseinander gesetzt hat kann ich nicht beurteilen. Ich bin der Meinung das dieses Thema für die meisten Wähler etwas zu „komplex“ sein dürfte und im Endeffekt nicht wirklich interessiert so lange das Geld nur irgendwie fliesst.
        Das die FDP im Landtag nicht mehr vertreten ist, ist -bei der derzeitigen Performance- gut und wohlverdient.
        Die „Habeck Umlage“ hat der grüne Wirtschaftsministerlehrling zu verantworten und wenn sie durch die Haltung der FDP verhindert wurde hat die FDP ja doch etwas Gutes geleistet. :-)
        Das festhalten an ideologischen Grundsätzen muss nicht zwingend zu Wahlverlusten führen.
        Die Grünen zeigen das solch ein festhalten (Atomkraftwerke) durchaus auch vom Wähler honoriert werden kann.
        Traurig ist das die grünen „Wohlstandsvernichter“ und „Industrieabwracker“ vom Wähler nicht wie die FDP mit Stimmverlusten abgestraft wurden.
        Es muss wohl noch viel schlimmer kommen bis der Michel endlich aufwacht.
        Die Gaspreisbreme zum Ende der Heizperiode ist wirklich die Kirsche auf der Torte. :-)
        Mal sehen ob die Wähler wirklich nicht doof sind und merken das sie von der (H)ampel für dumm verkauft werden.

        • André Tautenhahn  Oktober 11, 2022

          In wie weit sich der Wähler mit dem Thema Schuldenbremse, Schattenhaushalt oder Sondervermögen wirklich auseinander gesetzt hat kann ich nicht beurteilen.

          Natürlich kann er das seit der 100 Mrd. Euro Zeitenwende für Rüstung. Das Gerede über Schulden, die angeblich künftige Generationen belasten und daher vermieden oder gebremst werden müssen, ist noch hohler geworden. Trotzdem haben Lindner und die FDP das gemacht, um jetzt einen Doppel-Wumms von bis zu 200 Mrd. Euro abzusegnen. Dabei legt Lindner wieder Wert auf die Formulierung „bis zu“, um als solider Finanzmann zu wirken. Einfach absurd.

          Die „Habeck Umlage“ hat der grüne Wirtschaftsministerlehrling zu verantworten und wenn sie durch die Haltung der FDP verhindert wurde hat die FDP ja doch etwas Gutes geleistet. :-)

          Falsch, die Gasumlage war eine Gemeinschaftsproduktion, die man, als es schief zu gehen drohte, dem Habeck natürlich volle Kanne in die Schuhe geschoben hat. SPD und FDP haben es dann so aussehen lassen, als wären sie schon immer dagegen gewesen. Ein billiger Trick, auch um den Höhenflug Habecks zu beenden (da waren wiederum die beiden SPD-Vorsitzenden sehr aktiv). Dabei hatte gerade die FDP ein Interesse an der Umlage, weil sie nicht als Steuer gilt und der Haushalt verschont geblieben wäre. Parallel zog Lindner mit der Parole der Ausgabenbremse bereits umher.

          Die Grünen zeigen das solch ein festhalten (Atomkraftwerke) durchaus auch vom Wähler honoriert werden kann. Traurig ist das die grünen „Wohlstandsvernichter“ und „Industrieabwracker“ vom Wähler nicht wie die FDP mit Stimmverlusten abgestraft wurden.

          Na ja, wie man es betrachtet. Nur 15 Prozent der Deutschen sind für den geplanten Atomausstieg zum Jahresende. Das entspricht dem Wähleranteil der Grünen. ;-) Der Rest ist zu gleichen Teilen entweder für Streckbetrieb oder eine längerfristige Nutzung der Atomenergie. Inzwischen blockiert die FDP offen den Kompromiss zur Einsatzreserve. Eigentlich saß Habeck am längeren Hebel, da ohne Beschluss alle drei AKWs vom Netz müssten. Das kann sich ja niemand leisten. Nur die FDP hat nach den letzten Wahlpleiten auch nichts mehr zu verlieren. Sie braucht einen Erfolg, da werden die Grünen wohl nachgeben müssen. ;-)

  2. Jörg Wiedmann  Oktober 10, 2022

    Korrektur:
    Die friedensbewegten Waffenlieferer der Grünen haben leider Stimmen dazugewonnen.

  3. Arnold  Oktober 11, 2022

    Ich würde dieses Chaos unserem Wahlsystem in unserer Republik zuschreiben. Ich habe das in einem früheren Kommentar bereits thematisiert.
    In Wirklichkeit geht es den meisten Politikern doch gar nicht darum, sinnvolle Politik zu machen. Sie versuchen nur so lange wie möglich in möglichst einflussreichen Positionen zu bleiben. Hier haben sie dann die Möglichkeit, großzügige Zuwendungen aus zahlungskräftigen Kreisen zu ergattern.
    Wahlstimmen bekommt man jedoch nicht durch durchdachte Politik, die Mehrzahl der Wähler kann das ohnehin nicht einschätzen, sondern indem man mit populistischen Sprüchen auffällt.
    Es wäre viel gewonnen, wenn die Parteienwahl abgeschafft würde. Die Amtsträger der Exekutive könnten wir aus einem geeigneten Personenkreis auslosen und das Parlament durch Bürgerräte ersetzen,