Ein frohes und gesundes neues Jahr. Wie angekündigt, geht es an dieser Stelle mit dem Jahresrückblick 2013 weiter. Teil 2 steht an und der beschäftigt sich auch mit der absurden Meinungsforschung, die statt Klarheit zu vermitteln vor allem Widersprüchlichkeit liefert. Jörg Schönenborn, das Gesicht der Umfrage-Hybris, musste bei der Niedersachenwahl im Januar zugeben, dass er sich das Ergebnis eigentlich nicht erklären könne. Nach der ersten Prognose meinte er fassungslos: „Ich habe selten eine so kompetenzlose FDP mit einem so guten Ergebnis erlebt.“ Kompetenzlosigkeit ist in diesem Zusammenhang auch die treffende Beschreibung für Demoskopen, die im Jahr 2013 versuchten, die politische Stimmung abzubilden und damit einmal mehr jämmerlich scheiterten.
April 2013
Die meinungsforschende Widersprüchlichkeit setzte sich im April fort. Denn obwohl sich die FDP deutlich unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde bewegte, galt sie lange Zeit noch dem schwarz-gelben Lager zugehörig, welches dem rot-grünen Lager gegenübergestellt wurde. Die Linke, die inzwischen den Oppositionsführer stellt, spielte erwartungsgemäß keine Rolle, sondern erst dann, als die Konservativen kurz vor der Bundestagswahl das Schreckgespenst eines rot-rot-grünen Bündnisses mal wieder aus der Mottenkiste holten. Es könne sein, so Merkel warnend, dass es ein böses Erwachen mit Rot-Rot-Grün gebe. Dieses Erwachen gab es tatsächlich, doch es war weder böse, noch ein ernsthaftes Problem für Merkel und die Union, die sich immer auf ihre Sozialdemokraten verlassen konnte.
Die Botschaft, das Merkel Kanzlerin bleiben werde und müsse, triefte vor allem aus Propaganda-Meldungen zur wirtschaftlichen Lage. Deutschland gehe es gut, waren sich viele einig. Im April faselte die FAZ über Vollbeschäftigung und Spiegel Online sah den Aufschwung kommen. Die Medien nahmen die europäische Krise zwar zur Kenntnis, betrachteten sie aber entweder als etwas Außenstehendes, von dem Deutschland gar nicht betroffen sein könne oder aber sie glaubten, die harte Anpassungspolitik hätte zu ersten Erfolgen geführt. Die eigene Selbstgerechtigkeit und Ignoranz volkswirtschaftlichen Zusammenhängen gegenüber, blendeten die Journalisten konsequent aus, wohl als freundschaftliche Dienstleistung für die amtierende Kanzlerin.
Mai 2013
Um das leidige Thema Steuern ging es im Mai. Die erste Schätzung des Jahres stand auf dem Programm und wie zu erwarten, war von Höchstständen und sprudelnden Einnahmen die Rede, auf die sich der Finanzminister freuen dürfe. Verbunden war die Botschaft natürlich mit der Aufforderung, keine neuen Steuern zu erheben und nun endlich richtig zu sparen. Den Lesern dieses Blogs ist unterdessen klar: Wenn es sprudelt, verarmt meistens der Staat. Dass die Steuereinnahmen immer weiter steigen und damit nominale Rekordhöhen erklimmen, ist keine Besonderheit, sondern eine banale mathematische Notwendigkeit. Denn wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst, wachsen auch die Steuereinnahmen mit.
Entscheidend ist der Anteil des Steueraufkommens am BIP, das mit der Kennziffer Steuerquote gemessen wird. Nur sie zeigt vergleichend an, ob ein Staat tatsächlich genügend Geld einnimmt, um seine Aufgaben erfüllen zu können. Im Mai errechneten die Steuerschätzer eine Quote von 22,77 Prozent für das Jahr 2013, im November (siehe Grafik) sind es nur noch 22,68 Prozent und für 2014 prognostiziert 22,66 Prozent, obwohl die absolute Zahl der Steuereinnahmen weiterhin steigt. Verglichen mit anderen Staaten bewegt sich Deutschland bei den Einnahmen damit nicht auf Rekordniveau, sondern markiert eher das untere Ende der Fahnenstange.
Quelle: Arbeitskreis Steuerschätzung (via Bundesfinanzministerium)
Das ist auch logisch, wenn man sich die Steuersenkungsorgien in der Vergangenheit in Erinnerung ruft. Der Staat verzichtet eher auf Einnahmen in Milliardenhöhe und akzeptiert weiterhin riesige Finanzlöcher bei den Gebietskörperschaften, die mit noch mehr Einsparungen, so die irrige Auffassung, und trotz eines enormen Investitionsrückstandes geschlossen werden könnten.
Im Wahlkampf spielte das Thema ein wichtige Rolle, den Konservativen und ihrer Verbündeten in den Medien gelang es jedoch, die zaghaften Ansätze eines Umdenkens in der Steuerpolitik als wirtschaftsfeindlichen Griff ins Portemonnaie der Wähler zu brandmarken und ihnen die Botschaft ins Hirn zu pflanzen, dass der Staat im Geld ja schwimmen müsse.
Doch nicht nur das. Im Mai wird auch deutlich, dass die deutsche Wirtschaft selbst in der Krise steckt. Seit dem zweiten Quartal 2012 gibt es kaum noch positive Impulse. Nur mit Rechentricks kann die Rezession (zwei schrumpfende Quartale infolge) verhindert werden. Denn wie das Statistische Bundesamt selbst mitteilt, mussten die Daten des Jahres 2012 nach unten revidiert werden. Am 22. Februar 2013 war in der ausführlichen Betrachtung von Q4/2012 noch von einem Rückgang um 0,6 Prozent die Rede (110,73 Indexpunkte). Nach der Neuberechnung liegt der Indexwert bei 110,61 und das erste Quartal 2013 bei 110,68 Indexpunkten. Weil also das letzte Quartal 2012 noch etwas schlechter ausfiel als ursprünglich berechnet, gibt es zum Start in 2013 keinen Rückgang der Wirtschaftsleistung.
Dieser billige Trick genügte den Medien, um erneut vom Musterschüler zu faseln und mit chauvinistischen Zeigefinger auf die schlechte Performance der anderen Europäer zu zeigen. Brüssel unterstützte die Haltung Berlins und forderte von den Staaten der Eurozone Reformen ein. Nicht so bei Deutschland, hier sprach die EU-Kommission allenfalls Empfehlungen aus, die mit unerträglicher Begleitmusik kommentiert wurden.
Juni 2013
Im Juni wird es langsam konkret. Die Union verabschiedet ihr Wahlprogramm, das sich, so Parteimitglied Kurt Lauk, nach der Wahl von selbst erledigen würde. Die Wähler wüssten das seit 50 Jahren, so Lauk im ARD-Bericht aus Berlin. Die Wähler, die gleichzeitig Verbraucher sind, störten sich nicht daran, sondern zeigten sich, so die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), weiterhin in bester Kauflaune. Sie kaufen der Merkel und ihrer Union einfach alles ab und glauben auch, dass sie selbst viel konsumieren und damit zum Aufschwung beitragen.
Die guten Tarifabschlüsse würden sich im Portemonnaie der Beschäftigten bemerkbar machen, heißt es dabei immer wieder. Was aber bei derlei hübsch aussehender Begründung verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass die Tarifbindung seit Jahren immer weiter zurückgeht, also immer weniger Beschäftigte von Tarifabschlüssen überhaupt profitieren. Ein Blick in die Statistik gibt Aufschluss. Im Jahr 2012 arbeiteten nur noch 58 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit Tarifbindung, im Westen sind es 60, im Osten 48 Prozent. Vor 15 Jahren lag die Tarifbindung in West und Ost jeweils rund 15 Prozentpunkte höher!
Nach der aktuellsten Lohnstrukturerhebung müssen 22,2 Prozent der Beschäftigten in Deutschland mit einem Niedriglohn auskommen. Damit hat Deutschland hinter den drei baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland sowie den Ländern Rumänien, Polen und Zypern den siebtgrößten Niedriglohnsektor in der EU. Gemessen an dem Rekordwert von 41,79 Millionen Beschäftigten, der im Monat April gemessen und als Ausdruck des Wohlstandes gefeiert wurde, gehören über neun Millionen Menschen in diesem Land diesem Sektor an.
Außenpolitisch ist im Juni klar, dass vor der Bundestagswahl nichts mehr geschehen darf. Europa hat sich nach Muttis Zeitplan zu richten, auch die Zyprer, deren vermeintliche Rettung sich als Untergangsszenario entpuppte. Ein schönes Bild, noch im Mai auf der Geburtstagsfeier der SPD in Leipzig aufgenommen, beschreibt das Jahr 2013 sehr schön.
Heute feiert die Sozialdemokratie ihren 150. Geburtstag und ein im Mai 2007 geborener Kläger vor dem Bundessozialgericht einen Erfolg, der ohne die SPD nicht denkbar wäre. Dem inzwischen Sechsjährigen steht nämlich ein Jugendbett als Erstausstattung im Rahmen der in Leipzig noch einmal ausdrücklich von allen Seiten gelobten Hartz-IV-Gesetzgebung zu. Allerdings ist noch nicht klar, ob auch die Anschaffungskosten in Höhe von 272 Euro angemessen sind. Denn das muss nun jenes Sozialgericht entscheiden, das dem jungen Kläger zuvor die Bewilligung von Leistungen für ein Jugendbett mit Lattenrost auf Grundlage der in Leipzig noch einmal von allen Seiten so gelobten Hartz-IV-Gesetzgebung rechtswidrig versagt hatte.
Beim Festakt im Leipziger Gewandhaus spielen solche in der Sache und Juristerei widersprüchlichen Einzelschicksale freilich keine Rolle. Der 150. Geburtstag der alten Tante SPD wurde wie erwartet dafür missbraucht, um ein weiteres Mal die krachend gescheiterte Agenda-Politik als bahnbrechenden Erfolg zu würdigen.
Hier ziehen der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel und dessen heimliche Kanzlerkandidatin, die in Leipzig ganz selbstverständlich neben ihm in der ersten Reihe Platz genommen hatte, an einem Strang. Denn was der ganz links im Bild abgeschnittene Altkanzler Schröder begann, setzt Angela Merkel mit Hilfe von lauter Sozialdemokraten um sie herum in Europa und Deutschland auf brutale Weise weiter um. Sie alle wissen, was angemessen ist für Europa, Deutschland und vor dem Sozialgericht klagende Windelträger, die bis zu einer richterlichen Entscheidung längst aus Betten und knappen Regelsätzen hinaus- und in die von der SPD zu verantwortende Armut dauerhaft hineingewachsen sind.
Es braucht offensichtlich drei Jahre und mehrere Gerichte, um festzustellen:
Der Bedarf nach einem neuen Bett sei lediglich wegen des Wachsens des Klägers entstanden.
In diesem von Richtern formulierten einfachen und für jeden verständlichen Satz drückt sich der unbeschreibliche Erfolg der von allen Seiten so gelobten und einzig noch lebenden Agenda-Reform aus. Dafür hat die SPD 150 Jahre gekämpft. Chapeau.
– Ende Teil 2 –
JAN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.