Ich will Sie nicht mit noch einem Jahresrückblick langweilen, weshalb es wohl gleich mehrere Teile werden. Das Archiv dieses Blogs bietet mit seinen 184 Beiträgen im Jahr 2013 einigen Lesestoff, den Sie in anderen Archiven oder Zusammenfassungen nicht finden werden, auf den es sich aber zurückzublicken lohnt. Für die letzten Stunden des alten Jahres hier zunächst eine Auswahl aus den Monaten Januar bis März.
Januar 2013
Die Öffentlichkeit diskutiert über den Herrenwitz und das unflätige Verhalten von Rainer Brüderle gegenüber einer Stern-Journalistin an der Hotelbar. Ganze Zeitungsseiten wurden mit der Story gefüllt und den Lesern die Frage gestellt, ob die Aufregung berechtigt sei. Abseits davon schwiegen sich die Kollegen über den Auftritt von Angela Merkel beim Weltwirtschaftsforum in Davos aus. Dort formulierte sie unter der Überschrift Die Besten als Vorbild ihren Pakt des Schreckens. Die Duktus-Wende vom Kampf gegen die Staatsschuldenkrise zum Kampf um Wettbewerbspositionen nahm dort eine ungeahnt konkrete Gestalt an. Die Krise als Chance, bedeutet für Merkel vor allem Kontrolle über die anderen Europäer. Dafür sei Druck notwendig, um Reformprogramme nach bestem deutschen Vorbild, nur viel härter, umsetzen zu können.
Die plötzliche Erkenntnis des IWF, wonach der Sparkurs in Europa angesichts der Rekordarbeitslosigkeit gescheitert sei, wischten Europäische Union wie auch die deutsche Öffentlichkeit rasch vom Tisch. Schließlich seien Fortschritte erkennbar, die Kritik von außen damit unfair und allenfalls von Neid denn von Sorge geprägt. Der Januar 2013 war auch der Monat, in dem Urban Priol und Erwin Pelzig in Neues aus der Anstalt den ersten Jahresrückblick präsentierten und mit ihren fiktiven Meldungen gar nicht so weit daneben lagen.
Februar 2013
Im Februar ging es um die Finanzen. Denn auch der Musterschüler muss sparen, um das bescheuerte wie abwegige Ziel einer wachstumsfreundlichen Haushaltskonsolidierung erreichen zu können. Als Angriffsziel wurde der Gesundheitsfonds ausgemacht, aus dessen Etat eine Menge Geld herauszuholen wäre. Gemeint ist der jährliche Bundeszuschuss in Höhe von 14 Milliarden Euro, der wohl 2014 unter der GroKo gekürzt werden wird. Denn eine entsprechende Passage im Koalitionsvertrag, die das verhindern sollte, ist gestrichen worden. Sozialpolitik nach Kassenlage, der feuchte Traum von Schäuble dürfte damit Wirklichkeit werden. Die Medien klatschen wahrscheinlich auch Beifall, weil sie schon im Februar nicht begriffen hatten, worin der Unterschied zwischen einer Versicherung mit Beiträgen und dem Bundeshaushalt aus Steuern besteht.
Dabei gehört es seit jeher zum schäbigen Geschäft der Politik, der Sozialversicherung Leistungen, für die die Allgemeinheit eigentlich zuständig ist, erst aufzubürden, um diese dann durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt quer zu finanzieren. Wenn die Politik nun wieder Geld für ihren Haushalt braucht, hat sie leichtes Kürzungsspiel, da jeder glaubt, dass die Versicherung dem Staat gehört. Und die Medien spielen unkritisch mit, schmeißen gar zusammen, was nicht zusammen gehört und derjenige, der sich dank Beitragsbemessungsgrenze aus der Solidargemeinschaft verabschieden konnte, freut sich über die vielen unbezahlten Anwälte, die für seine steuerliche Entlastung kämpfen.
März 2013
Hugo Chávez stirbt, die Linke trauert und die Scheinbürgerlichen mahnen zu mehr Demokratie in Venezuela. Doch welche Form von Demokratie sie meinen, bleibt unausgesprochen. Marktkonform soll sie sein. Deshalb arbeiten in dem lateinamerikanischen Land mit freundlicher Unterstützung der zum Teil aus Steuermitteln finanzierten Friedrich-Naumann-Stiftung etwa 46 Organisationen aus 17 Staaten zusammen gegen die regierenden Sozialisten. Ziel ist die Durchsetzung marktliberaler Konzepte und die Unterstützung bolivianischer und venezolanischer Sezessionsbewegungen (vgl. NachDenkSeiten). Gebracht hat es wenig, denn die Sozialisten gewinnen auch ohne Chávez Wahlen und können sich sogar auf kommunaler Ebene unter dem neuen Präsidenten Nicolás Maduro zuletzt behaupten.
Derweil gehen in Deutschland die Angriffe auf die Reste des Sozialstaates (Teil 2 hier) weiter. Die neoliberalen Think tanks arbeiten bereits an einer Agenda 2020, die mit Sicherheit auch im kommenden Jahr ein großes Thema werden wird. Voodoo-Ökonomen haben in Deutschland längst wieder Konjunktur und finden in den Medien dankbare Abnehmer ihrer kruden Thesen, vor allem in der Lohnpolitik. Für Journalisten scheint die Überlegung nämlich einleuchtend, wonach Nullrunden oder Kürzungen bei Gehältern im öffentlichen Dienst zu einem Sparerfolg führen müssten. Dass Lohnkürzungen das Loch in den öffentlichen Kassen nicht etwa kleiner, sondern größer werden lassen, ist für sie geradezu unvorstellbar. Die Frage aber, wer für den Nachfrageausfall und die damit verbundene Schwächung der Wirtschaftsleistung aufkommen soll, aus der ja jene Steuermittel generiert werden müssen, die in die öffentlichen Kassen fließen, wird gar nicht erst gestellt.
Der Aufschrei der SPD ist überschaubar. Sie stellt sich als Maklerin für die neoliberale Politik weiterhin zur Verfügung und lässt sich deshalb auch vom politischen Gegner feiern. Im beginnenden Wahlkampf loben vor allem Union und FDP die rot-grüne Reformära. Und die Sozialdemokraten selbst halten die Agenda 2010 offenbar für das wichtigste Reformprojekt ihrer 150-jährigen Geschichte. In einer Randnotiz erklärt die WAZ-Gruppe zur gleichen Zeit, ihre Familientradition stärker betonen zu wollen und streicht dafür weitere 200 Stellen.
Der März war auch der Monat der gescheiterten Zypern-Rettung, die der deutsche Finanzminister am liebsten überfallartig am Wochenende regeln wollte, da Bankeinlagen eine sensible Sache seien. Merke: Lüge, Enteignung, Rechtsbruch und Diktat sind vielleicht nicht ganz okay, aber eben zwingend notwendig, um den Schein von Demokratie zu wahren. Was hingegen gar nicht geht, ist die Demokratie selber, so mein Eindruck. Es werden immer wieder Gründe erfunden, um den gescheiterten Kurs der vermeintlichen Eurorettung weiter fortsetzen zu können.
Quelle: Stuttmann Karikaturen
– Ende Teil 1 –
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.