Zum Integrationsquatsch

Geschrieben von: am 11. Okt 2010 um 15:10

Eigentlich ist es die Sache derer, die Behauptungen aufstellen, für die entsprechenden Belege zu sorgen. Spätestens seit dem Teilzeit-Genetiker Thilo Sarrazin wissen wir aber, dass das in diesem Land nicht mehr notwendig ist. Sarrazin darf sich ja bekanntlich an dem finanziellen Erfolg seines Buches erfreuen, in dem er auf Statistiken verweist, die, wie er selber zugab, frei erfunden hat.

Und trotzdem tobt eine Integrationsdebatte in diesem Land, die an Absurdität kaum noch zu überbieten ist. Nun bedient also auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer die Xenophopie im Sarrazin-Land, flankiert von der bisherigen Expertin für Integrationspolitik, Extremismus und Islam in der Union, Familienministerin Kristina Schröder, die nun endlich ihre seit Jahren und ihrer Meinung nach wissenschaftlich fundierte These von der „Deutschenfeindlichkeit“ auch bundespolitisch vertreten darf. Es müsse einen Stopp der Zuwanderung geben. Gemeint ist natürlich die Türkei. Dazu Seehofer:

„Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen.“

Quelle: Focus

Einen Beleg, dass es überhaupt zusätzliche Zuwanderung gibt, bleibt der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der NPD, pardon CSU, natürlich schuldig. Dabei kann sich jeder Bürger mit Internetzugang selbst beim statistischen Bundesamt informieren und Herrn Seehofer leicht widerlegen, obwohl er das gar nicht müsste.

Zuwanderung
Quelle: destatis

Offensichtlich wandern inzwischen mehr Menschen aus Sarrazin-Land aus als ein. Vermutlich, weil sie die von Seehofer mal wieder beschworene deutsche Leitkultur im Grundgesetz nicht wiederfinden.

„Die deutsche Leitkultur ergibt sich eindeutig aus unserem Grundgesetz und vor allem aus den Werten, die Grundlage unserer Verfassung sind.“ Seehofer betonte in FOCUS: „Wir haben eine christlich geprägte Wertetradition mit jüdischen Wurzeln. Keine andere.“

Im Grundgesetz steht auch nichts über Leitkultur, sondern eindeutig etwas über Rechte. Diese Rechte haben auch nichts mit Christen, Juden oder Moslems zu tun und schon gar nichts mit Werten oder Wurzeln (schon wieder etwas Unterirdisches), die Seehofer und andere glauben, dort erkennen zu können. Die unveräußerlichen Grundrechte, gemeinhin auch bekannt als Menschenrechte, scheinen diese lupenreinen Demokraten ständig zu übersehen, wenn ihre traditionelle Werte-Weißwurst in Gefahr gerät. Da fällt dann auch dauernd unter den Tisch, dass mindestens die Hälfte der Deutschen, die ursprünglich aus der Türkei hierher kamen, gar nicht religiös sind.

Die Absicht Seehofers ist durchschaubar. Ende Oktober ist CSU-Parteitag. Und wer dort als Parteichef von berauschten Delegierten tosenden Applaus ernten will, muss etwas über Leitkultur faseln. Das war schon immer so. Mit politischer Arbeit können die im Suff eh nichts anfangen. Da müssen sie nur in den Archiven nach Stoiber-Reden suchen. Der hatte ja 2004 noch versucht, seinen Parteifreunden einen mit der damaligen Regierung ausgehandelten Gesundheitsreformkompromiss näher zu bringen. Allerdings waren die Reaktionen eher verhalten. Erst bei dem substanzlosen Gequassel über Werte und Indentität unter dem Dauerlabel Leitkultur gab es dann die erhofften Ovationen.

Angesichts der Krise, in dem sich das Land gegenwärtig befindet, ist davon auszugehen, dass Seehofer gar nicht erst vorhat, die Misserfolge während der eigenen Regierungsarbeit vor den Delegierten schönzureden. Er fängt gleich an gegen vermeintliche Schmarotzer und Zuwanderer zu hetzten. Die Gelegenheit ist schließlich günstig.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Ormuz  Oktober 11, 2010

    Dem Seehofer scheint eh jüngst was auf den Kopf gefallen zu sein – gegen H4 Empfänger hetzt er ebenso wie gegen Ausländer. Keinen blassen Schimmer von den Realitäten aber das Maul aufreißen …. na prima.

  2. Anonymous  Oktober 11, 2010

    Ich habe gestern kurz bei ZDF-Nachrichten reingehört. Die Schröder hat Ihre Lehrjahre bei Koch nicht vergessen und gleich zum besten gegeben, dass in den U-(bzw. S-)Bahnen vermehrt Deutschfeindlichkeit spürbar wird. Woher weiß die denn sowas?!?! Die fährt doch gar nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln!! Wen hat sie denn da gefragt? Ich fahre jeden Tag U- u. S. Bahn und habe noch keine Angriffe auf Deutsche erlebt. Und wenn es so wäre, dann muss man auch alle Angriffe von Deutschen auf Ausländer gegenrechnen. Wer zählt die eigentlich???

  3. ingrid  Oktober 12, 2010

    Ja, aber ……..
    heute im Morgenmagazin kam ein Beitrag, der das Thema „mehr Auswanderer als Einwanderer“ beleuchtete. Demnach verlassen uns die gut ausgebildeten Deutsch-Türken, deren Ausbildung wir finanziert haben,die wir aber nicht bereit sind, an höheren Posten einzusetzen (Name, Aussehen!!!), um z.B. im aufstrebenden Istanbul Karriere zu machen. Dort werden sie natürlich mit offenen Armen empfangen.

    Unausgesprochen blieb, dass dann wahrscheinlich die schlecht oder gar nicht ausgebildeten Deutsch-Türken hier bleiben und von unserer sozialen Hängematte profitieren.

    Genau das brauchen wir nicht.

    • adtstar  Oktober 12, 2010

      Dann sollte man sich einmal fragen, warum gut ausgebildete Fachkräfte das Land verlassen und es auf der anderen Seite nicht geschafft wird, für bessere Qualifizierung zu sorgen? Das betrifft aber nicht nur Migranten, sondern die gesamte Bevölkerung, Qualifizerte wie Unqualifizierte. Die Regierung fährt Förderprogramme immer weiter zurück, zahlreiche Fachkräfte, vor allem Ältere, sind aber arbeitslos oder unterbeschäftigt.

      Außerdem ändert die Tatsache, dass vor allem gut ausgebildete Migranten das Land wieder verlassen nichts daran, dass der unterstellte Zustrom aus dem Ausland in Wirklichkeit überhaupt nicht stattfindet. Die Asylgesetze sind in der Vergangenheit permanent verschärft worden. Seehofer baut also einen Popanz auf, wenn er vor einer ungezügelten Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen warnt.

      In Wirklichkeit geht es mal wieder um Ablenkung, um sich nicht mit dem eigenen Scheitern in der Regierung beschäftigen zu müssen. Wer hängt dann also in der sozialen Hängematte? Doch nicht die Deutsch-Türken, Arbeitslose oder Hartz-IV-Empfänger, sondern politische Flaschen wie der Seehofer, die auf Staatskosten Milliarden bei der Finanzbranche abladen dürfen. Fragen sie nicht nach Migration, sondern nach Bayern LB, Hypo Alpe Adria oder die HRE. Da wären Antworten von den politisch Verantwortlichen oder einfach die Übernahme der Verantwortung dringend angebracht…