Hartz-IV und die Montagsfrage

Geschrieben von: am 27. Sep 2010 um 16:06

Der Kabarettist Wilfried Schmickler befasst sich heute bei seiner wöchentlichen Montagsfrage auf WDR 2 auch mit der absurden Regelsatzdiskussion. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass all diejenigen, die in der Umfrage dagegen gestimmt haben, den Regelsatz zu erhöhen, einfach nicht betroffen sein könnten. Wären sie es, hätten sie sich garantiert anders verhalten.

Ganz stimmt das natürlich nicht. Von der Höhe der Sozialleistungen ist im Prinzip jeder betroffen, egal ob er sie nun bezieht oder nicht. Der Witz ist doch gerade der, dass die Höhe des politisch festgesetzten Existenzminimus Auswirkungen auf die Lohnfindung hat. Hartz-IV entfaltet eine Sogwirkung der Löhne nach unten. Mit Hartz-IV macht die Politik eben genau das, was sie vorgibt, bei der Weigerung einen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen, verhindern zu wollen. Sie greift in die Tarifautonomie ganz konkret ein. Statt eine Lohnuntergrenze festzusetzen, führen die politischen Hartz-IV-Entscheidungen dazu, diese Grenze immer weiter nach unten zu verschieben, und zwar durch die mit Hartz-IV zunehmende Marktmacht der Arbeitgeber.

Frau von der Leyen war ja so dumm, diesen Zusammenhang in der Sendung Anne Will von gestern noch einmal eindringlich zu betonen. Sie verteidigte ihr Schwachsinnsgesetz gerade damit, dass Transferleistungsbezieher nicht mehr haben dürften, als die ärmsten Lohnempfänger von ihren Arbeitgebern überwiesen bekommen (die Frisörin durfte als Beispiel einmal mehr nicht fehlen). Mit dem Scheinargument des „Lohnabstandsgebots“ brachte sie im Grunde zum Ausdruck, dass die Höhe der Leistungen ganz entscheidend davon abhinge, was am unteren Ende gerade noch so an Löhnen gezahlt würde. Die Marktmacht der Arbeitgeber entscheidet also über die Höhe der Sozialleistungen und zwar nachdem die Politik so arbeitgeberfreundlich war, das ALG II als Schuss ins Blaue zu installieren.

So konnte sich bis zum Urteil des Bundesverfassungsgericht im Februar diesen Jahres ein Niedriglohnsektor ausbreiten, in dem nunmehr 25 Prozent aller Beschäftigten tätig sind und der wiederum als Referenzgröße für die Berechnung von Sozialleistungen herangezogen wird. Wer das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber ausführlich gelesen hat, dem wird nicht entgangen sein, dass das Gericht gar kein Interesse an einer Würdigung des von der Bundesregierung für richtig erachteten Existenzminimums hatte, sondern lediglich formale Mängel bei der politischen Festsetzung desselben der Regierung zum Vorwurf machte. Zur Höhe der Regelsätze ließen die Richter sehr eindeutig verlauten, dass diese „nicht evident unzureichend“ seien. Meiner Meinung nach haben die Richter dem Gesetzgeber nur aufgetragen, beim durchaus erwünschten Abbau des Sozialstaats nicht so offensichtlich dämlich und verfassungswidrig vorzugehen.

Ob Frau von der Leyen diesen Kritierien des Bundesverfassungsgerichts nun gerecht wird, will ich nicht mehr beurteilen. Ich stelle nur fest, dass die politische Führungselite an geistiger Niveaulosigkeit immer noch eine Schippe drauflegen kann. Und wieder einmal geht dabei Guido Westerwelle stramm voran. Langsam glaube ich, dass dieser Typ ein von den Lobbyisten engagierter Laiendarsteller ist, der uns nach einem noch viel schlechteren Drehbuch Politik vorspielen will. Westerwelle meinte, dass man die Interessen der Steuerzahler nicht vergessen dürfe. Der Chefökonom der Linken im Bundestag Michael Schlecht schreibt dazu auf seiner Internetseite:

Westerwelle bekräftigt, dass die Regierung „die Interessen der Steuerzahler nicht vergessen“ dürfe. Jedoch werden unter dem Titel „Arbeitslosengeld II“ mehr als zehn Milliarden Euro Steuergelder an Unternehmer verteilt, die zu geizig sind die Beschäftigen anständig zu bezahlen. 1,3 Millionen Menschen – die sogenannten Aufstocker – verdienen so wenig, dass sie einen Anspruch auf Hartz IV haben. Diese zehn Milliarden Subventionen sind vermeidbar mit dem gesetzlichen Mindestlohn und viel mehr Vollzeitjobs. Insbesondere die krakenhafte Ausweitung der Minijobs muss beendet werden.

Gäbe es den gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro und Gute Arbeit, so könnte so viel Geld eingespart werden, dass ein Regelsatz von 500 Euro finanzierbar wäre.

Westerwelles Eintreten für „die Steuerzahler“ ist verlogen. Für Hoteliers haben sie mal eben eine Milliarde der Steuerzahler verpulvert. Und: Wo war die FDP wenn es um hunderte Milliarden für die Banker und Finanzocker ging? Wo war Westerwelle bei dem letzten „Rettungsakt“ von 40 Milliarden für die HRE? Vermutlich im Bett, denn die Milliarden wurden mal wieder über Nacht rübergeschoben.

Und bei Brigitte Vallenthin lese ich, dass Frau von der Leyen gar nicht acht Monate lang gerechnet hat, sondern einfach nur Zahlen aus einem Bericht vom Oktober 2008 genommen hat, in dem es heißt, dass für das Jahr 2010 ein Eckregelsatz von 364 Euro pro Erwachsenen angepeilt werden soll.

Beweis-RS-Manipulation-27.09.2010

Sollte das stimmen, wäre das mit krimineller Energie kaum noch zu beschreiben.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Nordhausen-Info zu Hartz IV  September 27, 2010

    Die 5 Euro sind beschissen.
    Ich habe von dieser Politik nichts anderes erwartet. Aber die Aussage von Frau von der Leyen schlägt dem Fass den Boden aus. Ich bin sprachlos über so viel Arroganz, Widerwertigkeit und puren Zynismus.
    Ich glaub‘ ich spinne, da stellt sich doch tatsäc…

  2. Ormuz  September 27, 2010

    Das ganze ist eine so schlimme , eine so menschenverachtende Farce, das mir wahrlich die Worte fehlen.
    Mütter wißen nicht wie sie ihren Kindern ein Paar neue Schuhe finanzieren sollen und diese dümmlich grinsende Zensursula von viel der Lügen schwafelt was von Musikunterricht, die läuft doch nicht ganz rund !

  3. Manfred Corte  September 28, 2010

    … wenn Frau von der Leyen und die Regierung und viele Politiker wüßten, was die Bevölkerung von ihnen denkt und hält – sie würde(n) sich im Grab‘ herumdrehen!

  4. Anonymous  September 28, 2010

    Nein – die würden sich nicht im Grab rumdrehen.
    1. sie sind alle noch am Leben und zu unser aller Leidwesen sehr aktiv und destruktiv
    2. wieso sollten sie sich um die Meinung einiger weniger denkender Wähler kümmern? Solange sie anhand von gefügig gemachten Massenmedien die zum Wahlsieg nötigen Wähler manipuliern können, passt ja alles.
    3. selbstverständlich weiß die Herrscherriege sehr wohl, dass sie einen großen Teil des niedrigen Volkes so sehr verärgert, dass hier eine Masse an Nichtwählern entsteht. Und durch diese Wahlverweigerer kommt es dann zu einer Minderheitenregierung, wie wir sie zur Zeit haben.

  5. Manfred Corte  September 28, 2010

    …. tja, ich habe damit ja auch nur ein suicidale Anregung geben wollen! Ich glaube aber, eher bringen die mich in Grab, als Hand an sich zu legen. Obwohl ich diese Handlungsweise natürlich wärmstens empfehlen könnte …