Vergessen sie den Mist, der in den Zeitungen geschrieben steht. Vergessen sie die Spekulationen von Journalisten, die mit ihrem Geschwafel zum Rücktritt Horst Köhlers den Anschein erwecken wollen, als täten sie doch noch etwas Sinnvolles. Das Beste was ich bisher gehört habe, war die Unterstellung, um mal beim Vokabular des Ex-Bundespräsidenten zu bleiben, Köhler sei ein Seiteneinsteiger gewesen, also jemand, der nicht! dem politischen Tagesgeschäft entsprungen sei. Da habe ich mir verwundert die Augen gerieben bzw. die Ohrmuschel massiert. Je nach Bedarf halt. Das ist natürlich ausgemachter Blödsinn und dient nur dazu, das Bild vom Bürgerpräsidenten zu pflegen.
Wobei ich inzwischen merke, dass sich der Ton gegen den Ex-Bundeshorst verschärft. Die respektvolle Distanz zum ehrenwerten Herrn Bundespräsidenten weicht allmählich der aggressiven Fußvolk-Floskel von einst, „Horst WER?“ Was hat den da eigentlich geritten, die Brocken einfach hinzuschmeißen, tönt es von den Qualitätsschreihälsen aus den Redaktionen. Damit beschädige er ja nicht nur sich, sondern auch das schöne Amt, welches uns schließlich den Monarchen ersetzt. Da können sie prima sehen, dass die deutsche Presse noch lange nicht an ihrem Tiefpunkt angekommen ist.
Ich will Horst Köhler nicht in Schutz nehmen, aber ihm zu unterstellen, er sei ein politischer Seiteneinsteiger, wird seiner grandiosen Rolle als rechte Hand Helmut Kohls nun wahrlich nicht gerecht. Wer war denn als Staatsminister im Bundesfinanzministerium 1990-1993 an dem Griff in die Rentenkasse zur Finanzierung der Deutschen Einheit beteiligt? Wer hat denn in der Wendezeit die Strippen bei der Abwicklung ostdeutscher Banken gezogen? Wer hat denn an dem Vertrag von Maastricht und damit an einer Beschneidung von Steuerungsmöglichkeiten nationaler Finanz- und Wirtschaftspolitik mitgeschrieben? Wer war denn der Sherpa des Bundeskanzlers Kohl, also der höchste Regierungsbeamte, der in Weltwirtschafts- und Finanzfragen im Auftrag der Regierung verhandelte?
Und wer war der Mann, der an der Spitze des IWFs den Staatsbankrott Argentiniens abwickeln sollte? Köhler ist kein Seiteneinsteiger, sondern ein Schreibtischtäter der besonderen Art. Nur Reden kann er halt nicht. Aber darauf kommt es nun einmal an, wenn man das oberste Staatsamt bekleidet. Aber auch dort war er alles andere als bürgernah. Haben die Berliner Schmierfinken schon vergessen, das Horst Köhler nach eigener Aussage ein unbequemer Präsident sein wollte, der sich in die Tagespolitik einmischen würde? Haben diese Schmierfinken ferner vergessen, dass er das auch tat? Und haben diese Schmierfinken ebenfalls vergessen, dass Horst Köhler ausschließlich auf der Seite der neoliberalen Reformer das Wort ergriff und die Rolle, die ihm von Merkel, Westerwelle, Schröder und Co. zugedacht wurde, ein Reform-Einpeitscher zu sein, willig übernahm?
Nein Köhler war kein Seiteneinsteiger, sondern ein nützlicher Idiot mit herausragenden Fähigkeiten für eine politische Beamtenkarriere, die nur leider im Amt des Bundespräsidenten völlig unbrauchbar sind. Da kommt es auf die Kraft des gesprochenen Wortes an, wie Georg Schramm es in einem aktuellen Interview mit dem Deutschlandradio treffend formuliert.
Quelle: dradio
Das Amt des Bundespräsidenten sei ein symbolisches Amt und lebe nur von der Macht des gesprochenen Wortes. „Und ausgerechnet Horst Köhler, ein Mann, der für jeden erkennbar genau darüber nicht verfügt, über die Kraft des gesprochenen Wortes, den macht man zum Bundespräsidenten.“
Nicht der Köhler oder die Öffentlichkeit mit ihrer berechtigten Kritik an dem Ausgeschiedenen hätten das Amt beschädigt, sondern gerade die politischen Führungspfeiffen von CDU, CSU und FDP, die Horst Köhler damals aus reinem parteipolitischen Geschacher, denn etwas anderes wird seit Jahrzehnten nicht betrieben wenn es um die Wahl des Bundespräsidenten geht, quasi während einer Sitzung in Guido Westerwelles Einbauküche dorthin geschoben haben. Und genau diese Leute warnen nun wieder davor, die kommende Wahl nicht als Plattform für eben dieses parteipolitische Geschacher aus Respekt vor dem Amt zu missbrauchen. Das ist einfach nur lächerlich.
Und Lothar Dombrowski regt sich deshalb darüber auf, wenngleich er, wie auch sein Alter-Ego Georg Schramm den Rücktritt des Bundespräsidenten freudig zur Kenntnis nehmen und sagen, dass diese Entscheidung das Beste war, was Horst Köhler in seiner Amtszeit gemacht habe.
(eigener Audio Mitschnitt eines Teils des Interviews als Zitat – keine Kopie der original Datei!)
Das vollständige Gespräch mit Georg Schramm und Lothar Dombrowski können sie auf der Seite von dradio noch mindestens bis zum 31.10.2010 nachhören (Über so eine bescheuerte Angabe könnte man sich auch totlachen).
Es wird also weitergeschachert nach dem Motto, Deutschland sucht den Superpräsidenten (DSDS). Mal sehen, wer es wird. Die Befürchtung von Dombrowski, dass es der Arbeiterführer Rüttgers werden könnte, ist gar nicht so abwegig. Denn dafür bekäme die SPD dann ihre Ministerpräsidentin Kraft in NRW. So könnte es doch tatsächlich laufen, wenn man die Botschaft der Kanzlerin richtig interpretiert, gesucht werde ein Kandidat, der auch die Zustimmung der Opposition fände. Rent a Rüttgers als Präsident. Was für eine üble Vorstellung. Ein korrupter Sprachfehler an der Spitze des Staates? Ein Supergau.
Am besten, Merkel träte auch noch ab, denn die fehlt noch auf der Liste, meint Georg Schramm. Westerwelle solle man behalten, um die FDP auch dauerhaft unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken. Aber die Merkel müsse noch weg. Denn die sei schlussendlich unersetzbar.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.