Es ist schon lustig. Vorhin habe ich mir den Bericht aus Berlin im Ersten angetan, weil es einen Themenblock zu den Linken gab. Das war ja auch klar, nachdem die Partei, aus Sicht der scheinbürgerlichen Medienwelt, am Wochenende nun endlich ein Programmentwurf vorgelegt hatte. Und natürlich nutzte die Hauptstadtredaktion des ersten deutschen Fernsehens die Stunde, um da mal beim Nochvorsitzenden nachzuhaken.
Der Moderator der Sendung Rainald Becker bleibt diesbezüglich auch weiterhin eine totale Vollnull und Fehlbesetzung. Seine erste Frage an Lafontaine kam wie ein Reflex, der keiner Übung mehr bedurfte. Und dennoch musste Becker die Schlagworte aus dem Programmentwurf ablesen, um sie dann Lafontaine vorzuhalten:
„Verstaatlichung von privaten Banken, Generalstreik, Systemwechsel!“
Mit dem Programm entferne man sich doch in Berlin von jeglicher Regierungsbeteiligung?, so die Frage von Becker. Lafontaines Antwort einfach genial. Man könne schließlich was die Verstaatlichung von Banken angehe auch mit Frau Merkel koalieren, die ja die Verstaatlichung der HRE zu verantworten habe und die 18 Mrd Euro Finanzspritze an die Commerzbank. Immerhin gut das Sechsfache des damals tatsächlichen Wertes dieser privaten Bank.
Aber die spießbürgerliche Dummheit eines Rainald Beckers soll hier auch gar nicht das Thema sein. Für solche Leute hat die Partei die Linke auf ihrer Webseite extra den kompletten Programmentwurf als Hörbuchfassung zur Verfügung gestellt. Bezeichnender Weise heißt es dort:
Die nachfolgenden MP3-Dateien mit dem Text des Programmentwurfes für Blinde und Sehbehinderte wurden mit dem Programm „NaturalReader9“ und der Stimme „Sarah“ (www.naturalreaders.com) erstellt. Entsprechend der Gliederung des Programm- entwurfes wurde der Text in 54 einzelne Dateien aufgeteilt.
(Vorsicht Satire – ich will hier keine Menschen beleidigen, die wirklich nicht oder nur eingeschränkt sehen können, sondern nur die, die volle Sehkraft besitzen und dennoch nichts erkennen wollen. So wie Rainald Becker.)
Ich empfehle daher noch einmal die Einleitung Lothar Biskys anzuhören und insbesondere seine Bemerkung bzgl. der Medien, konkret der Struktur der Medien, genau zu verfolgen. ;)
Aber zurück zum eigentlichen Thema. Frankreich hat gewählt. Und zwar nicht einfach nur links, sondern noch weiter links. In der union de la gauche haben sich nicht nur die Sozialisten und die Grünen am Stichwahl-Wochenende zusammengefunden, sondern auch die Kommunisten. Sie können sich vorstellen, dass diese Parteien im Vergleich zu unserer Linken, na ja, etwas entschlossener und selbstbewusster auftreten. Während man sich bei uns über Verstaatlichungen, Gereralstreik und Systemwechsel aufregt und darin wahrscheinlich den Wahnsinn des Irrsinns erkennen will, so wie das Rainald Becker von der ARD offensichtlich tut, ist es in Frankreich gerade umgekehrt. Da regt man sich über den Systemwechsel Sarkozys auf, der reformerisch unbedingt Frau Merkel hinterherlaufen will.
In der Präambel des Programmentwurfs der deutschen Linken steht nun:
DIE LINKE steht für Alternativen, für eine bessere Zukunft. Wir sind und werden nicht wie jene Parteien, die sich devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind. Wir verfolgen ein konkretes Ziel: Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können. Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus.
Das ist schön und gut, aber viel zu lang. Von den Franzosen lernen, heißt die Devise. Da bleibt nur die Frage, ob das Leute wie Rainald Becker auch aushalten würden. Bei der Parti socialiste, der wohl wichtigsten linken Partei in Frankreich, heißt es nun als Erstes:
Art. 1
Être socialiste, cest ne pas se satisfaire du monde tel quil est, cest vouloir changer la société. Lidée socialiste relève, à la fois, dune révolte contre les injustices et du combat pour une vie meilleure. Le but de laction socialiste est lémancipation complète de la personne humaine.
Quelle: PS
Kurz und knapp umrissen, worum es eigentlich geht. Um einen Kampf gegen die Ungerechtigkeit und für ein besseres Leben. Während die deutsche Linke vorsichtig für etwas kämpfen will, haben die Franzosen den Feind klar vor Augen. Das fehlt den Deutschen leider noch. Ihren abgebrochenen Präsidenten jagen unsere Nachbarn regulär spätenstens in zwei Jahren aus dem Élysée-Palast. Es könnte aber auch früher soweit sein, wenn die Franzosen zu der Auffassung gelangen, der fünften Republik vielleicht eine sechste Version folgen zu lassen. Wer weiß das schon so genau. Jedenfalls werden wir unseren Pudding im Hosenanzug noch lange behalten und wiederwählen.
Vielleicht gehen die Franzosen dann auch mal für uns auf die Straße und üben ein wenig Druck auf die behäbige Bundesregierung aus. Die hat sich nämlich vorhin mal wieder zu einem Gipfel getroffen, um über dringende Probleme zu sprechen. Ergebnis? Es ist wie immer kurz und knapp. Der Vizekanz-nicht meinte:
„Die Dinge finden zueinander und wir haben konkrete Fortschritte bei der Bankenregulierung und Bankenverantwortung erreicht.“
Quelle: Tagesschau
Worin die nun bestehen, erfährt die Öffentlichkeit wie immer nicht. Hauptsache ein bissel heiße Luft abgelassen und die Schlagzeile vordiktiert, dass die Regierung tatsächlich etwas unternehme. Was will man mehr, um den Pöbel ruhig zu stellen?
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.