Zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs NRW zum Nachtragshaushalt 2010

Geschrieben von: am 19. Jan 2011 um 9:47

Heute morgen wird zu diesem Thema in den Kommentarspalten eine Menge Scheiß veröffentlicht. In der FAZ steht zum Beispiel:

„Erstmals fällt der Verfassungsgerichtshof in Münster der amtierenden Landesregierung in den Arm, um sie daran zu hindern, einen möglicherweise verfassungswidrigen Haushalt zu vollziehen. Diese Premiere ist allein der Dreistigkeit zu verdanken, mit der sich Ministerpräsidentin Kraft über das Recht hinweggesetzt hat.“

Und Andreas Herholz aus dem Berliner PR-Büro Slangen & Herholz lässt in zahlreichen Tageszeitungen landauf landab die gleichgeschaltete Meinung verbreiten:

„Endlich hat die Justiz der Politik beim Thema Schuldenmachen Grenzen aufgezeigt. Zwar gilt es, die Entscheidung im Hauptverfahren noch abzuwarten, doch es ist ein klares Signal gegen rücksichtslose Haushaltssünder. Wer sich über das Recht hinwegsetzt und auf Kosten nachfolgender Generationen die Staatsverschuldung weiter erhöht, anstatt die notwendige Konsolidierung einzuleiten, kann nicht mehr darauf bauen, ungeschoren davonzukommen.“

Quelle: Passauer Neue Presse aber auch in Schweriner Volkszeitung siehe heutige Presseschau DLF u.a.

Doch was ist eigentlich passiert? Eine einstweilige Verfügung wurde erlassen. Der Grund dieses Beschlusses war aber nicht das Schuldenmachen, sondern eine Abwägung der Folgen bei geschlossenen Kassenbüchern für das Haushaltsjahr 2010. Das Gericht hat nicht über einen möglicherweise verfassungswidrigen Haushalt geurteilt, sondern festgestellt, dass es für die Geschäfte der Landesregierung eher zumutbar sei, die Kassenbücher bis zur Klärung im Hauptsacheverfahren offenzuhalten, wohingegen bei abschließenden Vollzug des Nachtragshaushalts mit Schließung der Bücher, wie von der Landesregierung beabsichtigt, die Gefahr der Schaffung von Tatsachen bestanden hätte, die sich im Nachhinein als verfassungswidrig hätten erweisen können.

Müssen die Bücher für das Haushaltsjahr 2010 zur Sicherung verfassungsrechtlicher Belange für einen zumutbaren Zeitraum offen gehalten werden, droht zum Nachteil der Landesregierung auch keine Vorwegnahme der Hauptsache. Vielmehr könnten nach einer den Normenkontrollantrag in der Hauptsache möglicherweise abweisenden Entscheidung die erhöhten Kreditermächtigungen zum Ausgleich des Haushalts 2010 noch kassenwirksam in Anspruch genommen werden. Umgekehrt könnten im Falle einer stattgebenden Entscheidung Rückbuchungen aus Rücklagen und Sondervermögen noch rechtzeitig vor dem Abschluss der Bücher erfolgen.

Quelle: VGH Münster

Mit anderen Worten, dass der Haushalt verfassungswidrig sei, weil Rot-Grün noch mehr Schulden mache als geplant, ist genau betrachtet eine falsche Behauptung von völlig verblödeten Auftrags-Journalisten. Verfassungswidrig kann ein Haushalt immer nur dann sein, wenn die Netto-Neuverschuldung die veranschlagten Investitionen übersteigt. Das liegt nach gegenwärtigem Stand im Falle Nordrhein-Westfalen offenkundig vor. Aber darüber schreibt man lieber nix, weil man dann nämlich auch dazu schreiben müsste, wofür das geliehene Geld, dass man nicht wieder investiert, gebraucht wird.

Ich schreibe es noch einmal ganz groß in diesen Blog, damit es jeder lesen und verstehen kann!!!

WIR RETTEN IMMER NOCH BANKEN!!!

Die Landesregierung ist verpflichtet, milliardenhohe Rückstellungen für die WestLB vorzunehmen, weil diese vergleichsweise kleine Bank seltsamerweise unter keinen Rettungsschirm passt. Wahrscheinlich weil deren Eigentümer keine Privatleute sind, sondern die öffentliche Hand. Hinzu kommt, dass Herr Rüttgers in seiner Funktion als größter Arbeiterführer aller Zeiten, Garantien für die Risiken bei der WestLB in Höhe von 10 bis 18 Mrd. Euro abgegeben hatte. Eine schwere Hypothek. Denn eine Pleite dieser Bank zöge das gesamte Land NRW defacto mit nach unten. Und die CDU, die einst mit Rüttgers an der Spitze dafür gesorgt hat, dass die WestLB in Landesbesitz bleibt, statt sie mit der LBBW zur Verringerung der Risiken zusammenzuführen, gefällt sich nun auch noch in der Rolle des Anklägers.

Die Rolle Rüttgers und der CDU ist schon wieder vergessen. Statt dessen behaupten vermeintliche Journalisten, die Rot-Grüne Regierung hätte den Linken zu viele Zugeständnisse machen müssen und erhielte jetzt die Quittung dafür. Jens Berger schreibt auf den NachDenkSeiten dazu:

„Die implizite Botschaft dieses Spins kann dann ja eigentlich nur lauten, dass es “links” ist, Wahlversprechen ernst zu nehmen und SPD und Grüne nur dann ihre Wahlversprechen umsetzen, wenn sie zumindest von links toleriert werden. Da kann man als SPD- oder Grünen-Wähler ja nur hoffen, dass dies noch möglichst häufig der Fall sein wird.“

Es geht also gar nicht um rot-grüne Wahlversprechen und eine böse schuldenfinanzierte Konjunkturpolitik wie dubiose Tintenknechte der Marke Herholz ständig suggerieren, damit sie ihr Mantra vom Sparen wieder anbringen können (Slangen und Herholz werden offensichtlich nur für diese eine Botschaft bezahlt), sondern um die Verwaltung des Erbes einer Vorgängerregierung, die in der Zusammensetzung Schwarz-Gelb immer noch mit Zuschreibungen versehen wird, besonders wirtschaftskompetent zu sein bzw. vernünftige Haushaltspolitik zu betreiben.

Lustig ist natürlich, dass sich die Journaille doch darüber wundert, dass die Union etwas zurückhaltend auf die Forderung nach Neuwahlen reagiert.

„Eigentlich müssten CDU und FDP jubeln, angesichts dieses Erfolgs. Eine richtige Opposition müsste sich hinstellen und selbstbewusst die Neuwahl fordern.

Aber: CDU und FDP trauen sich nicht, sie haben ein Urteil erstritten, ohne darüber nachzudenken, was sie damit anstellen können. Angesichts schlechter und katastrophaler Umfragewerte haben sie so große Angst vor dem Urteil der Bürger, dass sie Neuwahlen fast um jeden Preis verhindern wollen. Das hätten sie sich vorher überlegen sollen. Das Publikum sieht einen zitternden Prozessgewinner, der nun Angst hat vor der eigenen Courage.

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Wer die Vorgeschichte und die Zusammenhänge kennt, wundert sich nicht!

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Manfred Corte  Januar 19, 2011

    Merke: Nur Schulden in Milliardenhöhe, und nur für Banken und Finanzmarkt, EU und Fremdländer sind „Gute Schulden“. Sie müssen am Parlament vorbei, und ohne demokratische Legitimations verfassungswidrig gemacht werden! Schulden für Bildung und Bürgerwohl, für Kitas, Schulen, Kinder und Soziales, vor allem wenn sie demokratisch und parlamentarisch legitimiert sind, sind „Schlechte Schulden“ und dürfen nicht aufgenommen werden! Das ist unzulässig – und wird blitzschnell unterbunden! Urteile über EU- und Bankenrettungsschirme hingegen dauern etwas länger ….