Die Entscheidung ist so leicht

Geschrieben von: am 10. Jul 2012 um 13:42

Karlsruhe hat heute abzuwägen, ob die Folgen bei einer einstweiligen Anordnung schwerwiegender sind als bei einem Inkrafttreten eines völkerrechtlich bindenden Vertrages, den keine parlamentarische Mehrheit in diesem Land mehr kündigen kann. Dabei geht es noch gar nicht um die Verfassungsmäßigkeit. Diese soll erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden, verkündete Gerichtspräsident Voßkuhle vor Verhandlungsbeginn.

Wenn das aber gilt, müsste die Entscheidung leicht sein und zu Gunsten jener ausfallen, die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines geltenden Gesetzes haben, das später nicht mehr zurückzunehmen ist, selbst dann nicht, wenn die Richter im Hauptsacheverfahren dessen Verfassungswidrigkeit feststellen würden.

Das einzige, was die Regierung nun als Begründung für ihre Position vorzubringen hat, ist bloß eine weitere Verunsicherung der Märkte, die im Falle einer ausgesprochenen einstweiligen Anordnung – also dem vorübergehenden Stopp des Gesetzes – ausbrechen würde. Es drohen erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen mit unabsehbaren Folgen, heißt es vom Mitarchitekten von ESM und Fiskalpakt, Wolfgang Schäuble.

Als Jurist könnte man das Argument leicht mit dem Hinweis zerflücken, dass “unabsehbare Folgen” sowohl etwas Schlimmes wie auch etwas Gutes bedeuten könnte, mit Sicherheit aber eine gewisse Ahnungslosigkeit desjenigen, der sich in diese absurde Begründungsstrategie flüchtet. Doch sollte man Ahnungslosen vertrauen?

Die Unfähigkeit der handelnden Akteure, in der Finanzkrise und bei der Rettung eines Währungssystems etwas absehen zu können, sollte die Alarmglocken bei den Verfassungsrichtern schrillen lassen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Ormuz  Juli 10, 2012

    Auf DAS Urteil bin ich sehr gespannt – und rechne mit dem Schlimmsten.

  2. Manfred Corte  Juli 10, 2012

    … ich gebe Dir recht – eigentlich ist die Entscheidung sehr leicht: Meines Wissen nach hat das BVG nur die Aufgabe, Gesetze auf Übereinstimmung mit der Verfassung (Grundgesetz) zu überprüfen. Folgeneinschätzung kann nicht dazugehören! Die eventuellen Folgen, wie sie weittragend sie auch sein mögen, haben die zu verantworten, die solche Gesetze vorbereiten. Und zum ESM-Vertrag noch meine Meinung: Ich denke, daß jeder Jurastundent spätestens im zweiten Semester lernt, daß Verträge unter bestimmten Bedingungen sittenwidrig und damit von Anfang an nichtig sind: Wenn man sich zu Straftaten verabredet, wenn es Knebelverträge sind, die eine Notlage ausnutzen, sie unter Druck und Erpressung zustande kommen, oder eine Vertragspartei von Anfang an übervorteilen und eine andere über alle Maßen begünstigen, wenn sie zu Lasten eines unbeteiligten Dritten vereinbart werden. Dazu wenn sie einen rechtsfreien Raum schaffen (Immunität) und eine rechtliche Überprüfung ausschließen (wollen) und wenn sie unwiderruflich sind. Das alles trifft auf den ESM zu. Der Vertrag ist damit, ohne jede weitere Diskussion, von Anfang an ungültig und damit nichtig. Vielleicht gibt es ja einen Juristen, der das alles besser begründen kann als ich, einer der nachweist, dasß die einfachsten Rechtsprinzipien verletzt werden und der ESM damit keinerlei Relevanz hat und Wirkung entfalten kann, weil er gegen die einfachsten Regeln eines Rechtsstaates verstößt. Wir müssen uns also weder um die Entscheidungen des BVG noch um den ESM Sorgen machen. Oder doch?

    • adtstar  Juli 10, 2012

      Ich fürchte, man muss bei Verträgen zwischen den Rechtsgebieten unterscheiden. Das allgemeine Vertragsrecht ist auf das Völkerrecht nicht anwendbar.