Der Kanzler und sein Vize reisen in schweren Zeiten nach Kanada. Es ist wieder ein Ausflug zu „echten Freunden“ wie eine Woche zuvor bei der skandinavischen Länderschau. Energiepolitisch wird es aber ebenso wenig Belastbares vorzuzeigen geben, weshalb das Land nun auch lieber über die missachtete Maskenpflicht im Regierungsflugzeug debattiert. Ein doppelter Reinfall.
Hat man da die Berufsmoralisten beim Schummeln erwischt? Das Netz tobt jedenfalls. Die Regeln gelten eben doch nicht für alle, manche seien gleicher als andere. Oder diejenigen, die die Regeln selbst nur wenig hinterfragen und kritisieren, sie sogar immer noch als irgendwie sinnvoll der Öffentlichkeit verkaufen, halten es nicht einmal für nötig, wenigstens freiwillig eine Maske aufzusetzen, wie sie es selbst immer empfehlen. Die Ausrede: Man sei ja negativ PCR getestet. Nur sieht das Infektionsschutzgesetz auch in diesem Fall keine Ausnahme vor. Da ist der Wortlaut recht eindeutig. Befreiung in der Regel nur für unter 6-Jährige.
Zwischen Bla, bla und Interessen
Trotzdem haben die Reisenden natürlich richtig, weil pragmatisch gehandelt und müssen unbedingt als Vorbild für die Abschaffung der unsinnigen, wie evidenzlosen Maßnahmen dienen, die von Gesundheitsminister Lauterbach und Justizminister Buschmann in dieser Woche noch einmal vorgestellt werden, dann aber in der Bundespressekonferenz, wo ein anderer Teil der Berliner Journalisten vermutlich wieder artig Maske tragen wird. Jeder blamiert sich eben so gut er kann, das gilt auch für die Reise nach Kanada. Von echten Freunden ist da die Rede, um nicht auf jene Interessen hinweisen zu müssen, die für sämtliche Beziehungen maßgebend sind, ob sie nun mit freundlichen Vertrauten oder unfreundlichen Autokraten bestehen.
Die neue Bundesregierung lernt gerade, wie das international funktioniert. Überall werden zwar schöne Fotos gemacht, Tweets abgesetzt und allerhand Nettigkeiten ausgetauscht, aber Substantielles gibt es kaum zu vermelden, außer dass man nun noch enger kooperieren wolle und Russland die Einigkeit niemals gefährde. Bla, bla, bla. Unterdessen steigen die Kosten der Sanktionspolitik immer schneller. Während über das eine Entlastungspaket noch gestritten wird, ist schon wieder ein weiteres dringend fällig. Und alles nur, weil man moralischer Sieger in einem sinnlosen Wirtschaftskrieg bleiben möchte. Derweil kehrt außerhalb von Deutschland Rationalität zurück. Die Einigkeit sei ungebrochen, da kann man nur herzhaft lachen. Weder für die NATO, noch für die EU gilt das. Die Interessen wiegen schwerer als deutsche Befindlichkeiten.
„Während die EU ihre Energieeinfuhren aus Russland verringert, nutzt die Türkei die günstigeren Preise – und kauft sogar noch mehr von Moskau. Und nicht nur Ankara hat so entschieden“, heißt es in einem aktuellen Bericht der FAZ. Die günstigen Preise kommen den nationalen Interessen entgegen. So einfach ist das. Das gilt auch für China und viele weitere Länder, die vorsichtshalber gar nicht erwähnt werden, um den gescheiterten Plan, Russland zu isolieren, nicht so deutlich werden zu lassen. Also Nord Stream 2 einfach öffnen. Es gibt ja offenkundig keine Alternative. Die Kataris können und wollen trotz Bücklings nicht liefern, die Norweger und Kanadier können nicht und die Holländer müssen erst einmal ihre Häuser gegen Erdbeben absichern, bevor sie weiter nach Gas bohren. Bleibt doch nur Nord Stream 2.
Werte und Haltung sollen Heizung ersetzen
Nein, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Tag der offenen Tür am vergangenen Sonntag: „In diesem Fall, meine ich, wäre der ohne Frage kurzfristige Gewinn – Nord Stream 2 öffnen, Gas nehmen, besser über den Winter kommen – ein dramatischer politischer Fehlschlag, weil wir damit jedes Selbstbewusstsein, jede wertegeleitete Einstellung, jede Haltung gegenüber Putin mit den Füßen treten würden.“ Die Hauptargumente bleiben also Selbstbewusstsein, Werte und Haltung. Sie sollen die warme Heizung im Winter ersetzen, wobei nicht ganz klar ist, ob Gas aus Russland nun gut oder schlecht ist. Schließlich hat man bei den Freunden in Kanada Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um an eine Turbine zu gelangen.
Der Wirtschaftsminister wie auch der Bundeskanzler waren stolz wie Bolle, einen Bluff Putins auffliegen zu lassen. Was hindert sie im Falle von Nord Stream 2 an einer Wiederholung? Scholz und Habeck könnten eine Pipeline besuchen, ihren Kopf hineinstecken und der Presse mitteilen, seht her, hier kommt kein Gas durch, Putin lügt. Da fröre doch auch der skeptische Ostdeutsche überzeugter und der befürchtete Wut-Winter könnte doch noch versöhnlich für die Regierung enden. Aber nein, so eine Haltung gibt man nicht auf, weil es die Partner in Europa und der Welt düpieren würde. Oder anders ausgedrückt, wegen des deutschen Ansehens muss der Ossi es eben aushalten, weiter als Putintroll oder Nazi beschimpft zu werden.
Das Ansehen der Regierung im eigenen Land ist egal. Doch stimmt das Argument des vor den Kopf Stoßens, dass das westliche Bündnis gefährden würde eben auch gar nicht und das Ansehen ist durch die Ampelkoalition ohnehin weitgehend ramponiert. Die Türkei geht eigene Wege, Ungarn vertieft die Energiepartnerschaft mit Russland und in Österreich will man die Sanktionen hinterfragen. Die öffentliche Meinung kippt bereits und spätestens dann endgültig, wenn die Rechnungen bezahlt werden müssen.
Ein Eigentor nach dem anderen
Nun ist auch klar, dass die Gasumlage zu einem weiteren großen Eigentor der Bundesregierung geworden ist. Denn inzwischen ist bekannt, dass nur 12 Unternehmen Ansprüche geltend machen und das meiste Geld an lediglich zwei Importeure fließt.
Nach Informationen der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa entfallen dabei mehr als 90 Prozent der 34 Milliarden Euro, die für die Gasumlage bis April 2024 anfallen, auf nur zwei Gas-Handelspartner mit Russland. Dies sind die Unternehmen Uniper und die bisherige Gazprom Germania.
Die hätte man nicht direkt aus Steuermitteln bezuschussen können? Stattdessen lässt man die Rechnung in einem umständlichen Verfahren über die Gaskunden bezahlen, nur damit Christian Lindner sagen kann, er halte die Schuldenbremse wieder ein. Das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck erklärt wiederum, dass die Gasumlage auch dazu diene, die Gewinne der Konzerne abzusichern, jedenfalls ist eine drohende Insolvenz kein Kriterium für den Anspruch auf die Umlage, wie Tilo Jung in der Bundespresskonferenz erfuhr.
Gleichzeitig verbindet der Bundeskanzler seine Mehrwertsteuersenkung mit der Hoffnung, dass diese von den Versorgern an die Kunden auch weitergegeben werde. Da dürfte so manchem Stadtwerke-Chef die Hutschnur hochgehen, nachdem man zur Gasumlage gesetzlich verpflichtet worden ist. Übrigens nur eine weitere neben Speicherumlage, Bilanzierungsumlage, CO2-Preis, Netzentgelt, Konzessionsabgabe und Erdgassteuer. Als Ersatzeintreiber für staatliche Abgaben, nur damit Teile der Regierung Steuererhöhungen aus parteipolitischen Gründen öffentlich eine Absage erteilen können, würde man wohl eher Dankbarkeit erwarten. Stattdessen dürfte das Beschwerdemanagement der Versorger in den kommenden Wochen und Monaten viel Arbeit bekommen, aber Hauptsache die wertegeleitete Einstellung stimmt. Immerhin, die Maskenpflicht dürfte nun wirklich keine Option mehr sein. Damit war die Reise nach Kanada nicht umsonst.
Bildnachweis: Screenshot Pressekonferenz Olaf Scholz und Justin Trudeau, 23. August 2022
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.