In den Medien wird der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst als hoch bezeichnet und vor allem die Folgen für die klammen Kommunen beleuchtet. Auch wird behauptet, dass das Verhandlungsergebnis in erfreulicher Art und Weise zeige, dass die Arbeitgeber des Umdenkens fähig wären, weil höhere Löhne aus volkswirtschaftlicher Sicht auch für sie einen Sinn ergeben würden. Dabei ist diese Schlussfolgerung aus dem Verhandlungsergebnis keinesfalls herleitbar.
Zunächst einmal sollten die Berichterstatter endlich zur Kenntnis nehmen, dass die Löhne nicht um 6,3 Prozent oder in mehreren Schritten bis dahin angehoben werden, sondern ganz konkret um lediglich 3,5 Prozent rückwirkend für das Jahr 2012. Im Jahr 2013 erfolgen weitere zaghafte Anpassungen, die man auch als neuerlichen Lohnbetrug bezeichnen könnte. Ab Januar 2013 werden die Einkommen um magere 1,4 Prozent und im August 2013 um weitere sehr magere 1,4 Prozent angehoben.
Das Ergebnis, und das sollte man auch erwähnen, ist mit knapper Mehrheit und viel Bauchschmerzen durch die Tarifkommission von ver.di akzeptiert worden. Wer da wie und warum gerade so abgestimmt hat, soll an dieser Stelle mangels Informationen nicht weiter erörtert werden.
Sicherlich wird für das Jahr 2012 eine Steigerung der Gehälter knapp oberhalb der sogenannten Lohnregel (Inflationsziel der Zentralbank (2 %) plus Produktivitätszuwachs) erreicht werden. Allerdings in diesem Zusammenhang von volkswirtschaftlicher Vernunft zu sprechen, ist weit übertrieben. Die Arbeitgeber haben es nämlich geschafft, die schlechte Bezahlung in den untersten Lohngruppen aufrecht zu erhalten. Von 8,57 Euro steigt der Stundenlohn im Jahr 2012 um 30 Cent auf 8,87. Der Gewerkschaft ver.di folgend, hätte es mit der sozialen Komponente (mindestens 200 Euro mehr) einen Stundenlohn von mindestens 9,76 geben sollen also einen Bruttolohn von gerade mal 1.561 Euro.
Auch das wäre, meiner Einschätzung nach, noch viel zu wenig gewesen, wenn man berücksichtigt, dass die amtliche Niedriglohnschwelle in Westdeutschland bei einem Einkommen von 1.890 Euro für eine Vollzeitstelle liegt. Inzwischen arbeiten rund 23 Prozent oder über 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte für ein Gehalt, das unterhalb dieser Schwelle liegt.
Quelle: Böckler Boxen
Dabei stagnieren die Löhne bzw. findet ein realer Einkommens- und Kaufkraftverlust seit dem Jahr 2000 statt. Das hat ver.di selbst einmal grafisch herausgearbeitet.
Aufgrund dieser Entwicklung ging die Gewerkschaft offensiv aber dennoch verhalten in ihren Forderungen in die Tarifauseinandersetzung. Das mag jetzt der ein oder andere nicht glauben, aber auch eine Erfüllung der ursprünglichen ver.di Forderung hätte volkswirtschaftlich gesehen kaum zu einer Anpassung, der zuvor erlittenen Verluste geführt. Wer nur auf die Zahlen schaut und meint, dass 6,5 Prozent für deutsche Verhältnisse viel zu hoch sein müssen, weil man an Abschlüsse weit darunter gewöhnt ist, zeigt nur, dass er von Volkswirtschaft und vor allem von den Ursachen und der Dimension der europäischen Krise nichts verstanden hat.
Den Arbeitgebern volkswirtschaftliche Vernunft zu attestieren, ist nämlich gerade mit Blick auf Europa und seine Währungskrise schlichtweg dumm. Würden die öffentlichen Arbeitgeber volkswirtschaftlich vernünftig handeln, müssten sie nämlich viel höhere Lohnabschlüsse zulassen und zwar weit über den Forderungen der Gewerkschaften. Denn ohne eine deutliche Zunahme der Lohnstückkosten in Deutschland kann der Süden Europas einschließlich Frankreichs nie und nimmer an Wettbewerbsfähigkeit hinzugewinnen.
Wenn man aber den Euro und die friedliche Union als Ganzes erhalten will, führt kein Weg an der Beseitigung der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und einer Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit, der mit Auslandsschulden belasteten Länder vorbei. Da eine Minderung des Ungleichgewichts über Wechselkurssysteme nicht möglich ist, muss diese über die Löhne und Lohnpolitik (Mindestlohn) geschehen. Um hierbei zum Erfolg zu gelangen, muss der jahrelange Verstoß gegen das gemeinsame Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (2 Prozent) im Prinzip umgekehrt werden.
Gerade Deutschland muss als Überschusssünder (nur möglich durch permanentes Unterschreiten des Inflationsziels) dafür Sorge tragen, dass seine Lohnstückkosten in den kommenden Jahren stärker steigen als die in den südeuropäischen Ländern. Deutschland muss klar nach oben vom Inflationsziel abweichen, während die Defizitländer knapp darunter bleiben müssen, um eine Deflation zu verhindern. Deutschland muss also selbst Defizite hinnehmen, um wirklich einen Beitrag zur Lösung der Eurokrise leisten zu können. Doch diese einzig vernünftige Strategie wird nicht einmal zu denken gewagt, weil in der Diskussion die Defizite der anderen nicht in Verbindung mit unseren Überschüssen gebracht werden dürfen.
Selbst der Bundesbankpräsident Jens Weidmann rühmt sich des jahrelang betriebenen Verstoßes gegen das Inflationsziel, wirbt weiterhin für Preisstabilität und geißelt Lohnerhöhungen als per se inflationstreibend. Das Spiel mit den Inflationsängsten der Deutschen ist ein bewährtes Rezept, um sie zu disziplinieren, und sie auf den neoliberalen Irrweg, der fälschlicherweise als Kurs bezeichnet wird, weiter einzuschwören. Unter dieser haltlosen Drohung werden ein weiter vor sich hin wuchernder Niedriglohnsektor sowie eine galoppierende Zunahme von Billionenvermögen auf den Konten weniger toleriert, wohingegen das in die Irre geleitete Auge empört auf die im Vergleich dazu schleichend steigende öffentliche Verschuldung starrt.
Diejenigen, die finanziell etwas zur Begleichung der privaten Wettschulden, die nun bewusst zu Staatsschulden gemacht worden sind, beitragen könnten, dürfen ihr Vermögen unbesehen und ungeprüft behalten. Eine Abgabe ist nicht nötig. Stattdessen jammern die öffentlichen Arbeitgeber über eine Unfinanzierbarkeit des vorliegenden Tarifabschlusses, nehmen es aber kommentarlos hin, dass niedrige Löhne weiterhin durch öffentliche Gelder aus dem Hartz-System aufgestockt werden müssen, über das der strafrechtlich verurteilte Namensgeber nun sieben Jahre nach dessen Einführung behauptet, einmal sehr viel höhere Eckregelsätze ausgerechnet zu haben.
Hier treffen sich dann auch eine seriös vorgeführte Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik mit der nicht mehr zu übersehenden kriminellen Energie, die offensichtlich aufgebracht werden muss, um bestimmte Partikularinteressen gegenüber dem Gemeinwohl und den Belangen der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen zu können. Mit volkswirtschaftlicher Vernunft hat das aber nichts zu tun.
APR