Eine Zwangsneurose: Die neue SPD-Troika

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Jetzt ist die SPD-Troika in neuer Besetzung zurück. Der Dicke und die Stones wollen für den Euro mit Merkel kuscheln. Im Hamburger Abendblatt kann man nachlesen, warum:

Gabriel erklärte, es seien europaweit Entscheidungen notwendig, die bei vielen Menschen zu Zorn und Verärgerung führten, weil sie finanzielle Beiträge für andere Staaten leisten müssten. Die SPD biete dafür ausdrücklich ihre Zusammenarbeit an. Die Sozialdemokraten seien bereit, „auch diese schwierigen Entscheidungen in der Öffentlichkeit zu vertreten“.

Das kann die SPD wirklich gut. Wenn Entscheidungen notwendig werden, mit denen man den Menschen und der bereits davongelaufenen Wählerklientel noch einmal gehörig vor das Schienbein treten kann, ist die SPD ausdrücklich dabei. Da treten die Agenda-Versager, vom Wiederholungszwang getrieben, noch einmal geschlossen an.

Besonders Steinbrück, den Josef Ackermann vor gut drei Jahren mit dem HRE-Deal lässig über den Tisch zog, tut so, als hätte er in der Finanzkrise etwas ganz großes mit dem Satz geleistet, die Spareinlagen der Deutschen seien sicher.

Hätte Europa zu Beginn der Euro-Krise so reagiert wie 2008, als Merkel und er in der Weltfinanzkrise mit der Garantie der Spareinlagen kamen, dann wären die Kalamitäten in Europa jetzt nicht so groß.

Über Norbert Blüm lacht man heute, über Steinbrück nicht. Dabei gebe es im Gegensatz zu Blüm durchaus Grund dazu. Denn mit was will denn Starökonom Steinbrück, der aktuell nicht mehr Finanzminister ist und das heilige Ziel eines ausgeglichenen Haushalts verfolgen darf, eine Garantie der Spareinlagen sicherstellen? Das ginge doch nur, wenn sich der Staat im Garantiefall um genau die Summe neu verschuldet, die der Höhe der zu sichernden privaten Einlagen entspricht. Das hieße dann aber…

“Guthaben minus Schuld = Null. Das ist der Wert der Garantie, volkswirtschaftlich.”

Quelle: Egon W. Kreutzer

Es ist völlig wurscht, ob man für Spareinlagen garantiert oder nicht. Es hätte nichts an der Kalamität in Europa geändert. Die Dimension der Finanzkrise ist doch nicht bloß auf eine fehlende Garantie zurückzuführen. Natürlich hat die zögerliche Haltung Merkels zu Beginn der Griechenlandmisere, als sie Hilfen erst kategorisch ausschloss, um sie dann doch noch zu beschließen, als es immer teurer wurde, dazu beigetragen, die Spekulation um eine Staatspleite an der Europeripherie weiter anzuheizen, doch hätten beispielsweise gemeinsame Eurobonds nur die Spekulation verhindert, nicht aber die Ursachen der Krise bekämpft.

Zum Thema der auseinanderklaffenden Leistungsbilanzen hat die neue Troika nun aber keine Meinung geäußert. Wie es gelingen kann, Überschüsse in den Bilanzen auf der einen Seite, nämlich der Deutschen, und Defizite in den Bilanzen der anderen Staaten, die einen Mittelmeerstrand haben, abzubauen, hört man nichts. Stattdessen folgt die derzeit beliebte Parole nach einem Schuldenschnitt. Und da wartet Finanzgenie Steinbrück mit einem Masterplan auf, der wie folgt beschrieben wird…

Die Bundesregierung müsse sich auf europäischer Ebene für einen Schuldenschnitt einsetzen, mit dem die griechischen Verbindlichkeiten um 40 bis 50 Prozent reduziert werden. Damit Banken nicht in den Strudel dieser hohen Abschreibungen gerissen werden, sollte eine Rekapitalisierung der öffentlichen Banken möglich sein.

Wie sich nun eine Rekapitalisierung öffentlicher Banken, die natürlich auch nur durch neuerliche öffentliche Verschuldung erreicht werden könnte mit einer Garantie auf alle privaten Spareinlagen und vor allem auch mit seiner Schuldenbremse deckt, bleibt wohl Steinbrücks Geheimnis. Es sieht wohl so aus, als wolle Steinbrück mit dem mutwilligen Herbeiführen eines Schuldnerausfalls mal austesten, ob seine und Merkels abgegebene Spareinlagen-Garantie auch funktioniert, obwohl er genau wissen müsste, dass eine erneute Rettung der Banken, die diesmal griechische Staatsanleihen abschreiben müssten, gerade jene privaten Guthaben auffrisst, die er ursprünglich schützen wollte.

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Es ist wieder Zeit für die Sommerinterviews

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Derzeit wird eifrig über einen neuen Skandal diskutiert. Bild am Sonntag hat herausgefunden, dass Bundespräsident Wulff gar nicht auf Norderney Urlaub machte, als er letzte Woche von Bettina Schausten vom ZDF dort interviewt wurde, sondern sich extra für diesen Anlass auf Kosten der Steuerzahler hat einfliegen lassen. Dem Zuschauer sei da etwas vorgegaukelt worden, heißt es gewohnt beleidigt aus dem Springer-Haus.

Was in der Regierung Merkel gang und gäbe ist, man denke nur an den einstigen Bild-Star zu Guttenberg und dessen inszenierte Auftritte zurück, wird nun bei Wulff als Sommerlochskandal ganz groß aufgezogen. Dabei bleibt die inhaltliche Kritik mal wieder auf der Strecke. Man hätte zum Beispiel nachfragen können, ob der Bundespräsident es ernst meinte, als er mit Blick auf Saudi-Arabien und die dortige Menschenrechtssituation zu deren Verbesserung vorschlug, den saudi-arabischen Frauen doch das Fahren von Autos zu gestatten.

Vielleicht dürfen sie ja in Zukunft deutsche Panzer fahren. Diesem Thema wich der Bundespräsident genauso aus wie heute Angela Merkel, die von den beiden Top-Journalisten der ARD, Deppendorf und Becker, abschließend dazu befragt wurde. Die Sache sei aus guten Gründen geheim, antwortete die Kanzlerin wenig überraschend. Sie betonte aber, was seit einer Woche Regierungslinie ist, nämlich dass den Sicherheitsinteressen Deutschlands Vorrang vor den Menschenrechten eingeräumt werden müsse.

Damit in Zukunft der Einsatz deutscher Soldaten in Krisengebieten vermieden werden kann, müsse man dafür sorgen, dass die entsprechenden Regionen selbst für Stabilität sorgen können und dass gehe wahrscheinlich nur mit Waffen und militärischem Gerät aus Deutschland. Die Armseligkeit dieser Rechtfertigungslogik wurde schließlich noch dadurch getoppt, dass Merkel vorschlug, mit den Verbündeten reden zu wollen und sich mit ihnen darüber zu verständigen, was eigentlich genau die Sicherheitsinteressen sind, die es zu schützen gilt.

Deppendorf und Becker haben es nicht verstanden, sondern sich brav verabschiedet, bevor sie der Regen hätte nass machen können. Dabei muss man sich das mal vorstellen. Die Bundesregierung tätigt Waffengeschäfte und begründet das mit der Wahrung von Sicherheitsinteressen, von denen sie überhaupt noch nicht weiß, worin diese genau bestehen. Aber gut, dass man bald darüber sprechen will. Das macht es leichter, über die Vorstellung des Bundespräsidenten hinweg zu kommen, was in der arabischen Welt unternommen werden müsse, um die dortige Menschenrechtssituation zu verbessern.

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Bonitätswirrwarr

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Bei der ganzen Diskussion um Ratings und Ratingagenturen, um Staatsanleihen und Staatsschulden, um Zinsen und Risikoaufschläge vergisst man nur allzu oft den Blick für die realen Zusammenhänge. Wenn Sätze fallen, wie…

“Können sich Präsident Obama und die Republikaner nicht bald auf eine Erhöhung der Schuldengrenze einigen, droht gewaltiges Ungemach an den Märkten. Noch bleibt Zeit, den Sturz über die Klippen zu vermeiden.

Noch bleibt Zeit, den Sturz über die Klippen zu vermeiden. Aber insgesamt ist das Bild trübe: Die Europäer arbeiten sich im zweiten Jahr an der Staatsschuldenkrise ab, die Amerikaner, von politischen Interessen und ideologischen Positionen getrieben, steuern hart darauf zu.”

Quelle: FAZ

Grundsätzlich wird einfach nicht verstanden, worum es geht. Wenn Ratingagenturen und die Chinesen den USA mit einer Herabstufung der Bonitätsnote drohen, hat das rein gar nichts zu bedeuten. Warum sollte es auch? Allein schon der Widerspruch, dass die Bestnote erhalten bliebe, wenn die USA ihre Verschuldung erhöhen, zeigt wie absurd das ganze Ratinggetue in Wirklichkeit ist.

Wenn die USA im August zahlungsunfähig werden sollten, droht eben kein Ungemach an den Märkten – ich komme gleich darauf zu sprechen, warum das so ist – sondern ein Ungemach für die Amerikaner im Staatsdienst, in der Verwaltung, die darauf angewiesen sind, dass Washington ihre Löhne zahlt. In einzelnen Bundesstaaten ist dieses Ungemach schon Realität.

Komischerweise scheinen sich Bonitätsexperten hierzulande aber gar nicht dafür zu interessieren. Sie glauben, die Frage erörtern zu müssen, ob es die Amerikaner schaffen, die Finanzmärkte zu beruhigen oder nicht. Die Ratingagenturen drohen schon seit einigen Monaten mit einer Herabstufung der US-Bonität. Die nennen diese Vorstufe „review for possible downgrade“. An dieser Stelle dürfen sie ruhig mit dem Kopf schütteln. Doch, oh Schreck, was passiert denn nun? Steigen die Risikoaufschläge für zehnjährige Bonds, weil Gläubiger fürchten müssen, dass ihre Investments in Gefahr geraten?

Nein, ein Blick auf die Treasury Rates zeigt das genaue Gegenteil.

10 jährige US-Anleihen 2011

Quelle: US-Finanzministerium

Im Langzeittrend sinken die Renditen, egal wie hoch die Verschuldung auch steigt. Scheinbar vertrauen die Marktteilnehmer uneingeschränkt der Bonität der USA. In der öffentlichen Diskussion wird dieser Widerspruch aber gar nicht thematisiert. Es wird sogar darüber hinweggeschrieben, dass die Amerikaner ihr Defizit erhöhen sollen, um das Toprating zu behalten, während die europäischen Schwachländer Sparauflagen akzeptieren müssen.

Kurzum: Sowohl die Erhöhung wie auch die Reduzierung des Defizits ist für Ratingagenturen ein Kriterium für Bonität.

Während man das Zinsniveau für griechische Anleihen – es liegt im Augenblick jenseits der 20 Prozentmarke – als richtigen Preis für das Anlagerisiko bewertet, tut sich bei den Amerikanern diesbezüglich nichts und keiner stört sich daran. Wer nun aber die fiktive Ratingwelt verlässt, dem wird auch sehr schnell klar, warum das so ist. Zum einen werden die Amerikaner ihren Gläubigern die geliehenen Dollars zu jeder Zeit zurückzahlen können, weil es ihre Währung ist und kein anderer außer sie selber darüber bestimmen können. Zum anderen haben es die Bewohner des Mondes oder eines anderen beliebigen Himmelskörpers noch nicht geschafft, Anleihen auszugeben, in die Gläubiger dieser Welt investieren könnten.

Es stellt sich einmal mehr die Frage, welche Alternative das Kapital denn hätte, wenn die Bonität von Staaten durch Analystenspinner in Ratingagenturen in Zweifel gezogen würde. Das Kapital selber weiß, und das sieht man mit Blick auf die USA, dass das Ratingspiel auf Dauer nicht aufgehen kann. Da hilft auch der Glaube an Staatspleiten nicht. Staaten sind immer die besseren Schuldner. Erstens, weil sie keines natürlichen Todes sterben, in der Regel also ewig leben und Zinsen zahlen können und zweitens, weil sie das unverschämte Recht besitzen, ihre Einnahmen per Gesetz selbst festzulegen. Kein Unternehmen und kein Mensch kann das.

Nur warum funktioniert der Spuk in Europa? Weil Europa schwach ist. Seit zwei Jahren sehen wir eine spektakuläre Wende nach der anderen. Mal ist man für Hilfen, dann wieder dagegen. Mal ist man für Sanktionen, dann wieder dagegen. Mal ist man für gemeinsame Bonds, dann wieder dagegen oder auf einmal für einen Schuldenschnitt. Nur zwei Dinge bleiben konstant und das ist zum einen der feste Glaube daran, das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen zu müssen und zum anderen die Bereitschaft, unkoordiniert und unüberlegt Geld für den Erhalt dieses Glaubens zu bezahlen. Wenn die eingeschlagene Politik scheitert, wie an dem ersten Sparprogramm für Griechenland zu sehen war, wird sich das nicht eingestanden, sondern die Erhöhung der Dosis für die richtige Therapie gehalten.

Europa krankt an der inneren Uneinheitlichkeit. Georg Schramm hat das in seiner Rolle als Oberstleutnant Sanftleben einmal treffend erklärt:

“Für einen Entlastungsangriff bei Abnutzungskrieg fehlt uns das Waffenarsenal und die Munition und die geeigneten technischen Mittel. Wir haben aufgerüstet im militärischen Bereich, intelligente Wirkmittel gibt’s bei der Artillerie, in der Finanzwaffentechnik leider nicht. Unsere Kommandeure sind verzweifelt, jede Woche wird eine Verteidigungslinie nach der anderen geräumt, rein defensive Strategie, muss man sagen und wenn man alles zusammenfasst, es wird so kommen, dass wir keine Chance haben. Der Gegner beherrscht das Schlachtfeld. Er hat das Gesetz des Handelns. Unsere Finanzkommandeure agieren nicht mehr, sie reagieren nur noch.”

Quelle: Georg Schramm, in: Neues aus der Anstalt, 11.05.2010

Amerika hingegen stürzt nicht von der Klippe, wie oben behauptet wird. Warum auch. Es gibt keinen objektiven Grund dafür. Vorhin hat das amerikanische Schatzamt eine 30-jährige Anleihe im Wert von 13 Mrd. US-Dollar mit einer Rendite von knapp über 4 Prozent erfolgreich am Kapitalmarkt platziert (Quellen: TreasuryDirect und Finanznachrichten). Was ist nun mit den Zweifeln an der Bonität?

Es kann keine geben, sofern die Hoheit über die eigene Währung besteht und auch genutzt wird. Hätte Europa von Anfang an mit der Ausgabe eigener Anleihen auf die Angriffe des Finanzmarktes reagiert, bestünden gar keine Ziele mehr, auf die sich die Akteure hätten einschießen können. So aber werden die Einzelstaaten der Union nacheinander an die Wand gefahren und gegeneinander ausgespielt. Und die deutschen Finanzgenies feiern sich auch noch dafür, die Bonitätsunterschiede innerhalb der Eurozone für ein gutes Zinsgeschäft mit der eigenen Währung nutzen zu können.

So leiht sich der Bund für einen Zinssatz von etwa 2 Prozent Geld in der eigenen Währung bei den Banken – die sich das Geld, das ihnen nachweislich nicht gehört, bei der Zentralbank noch günstiger besorgen können – und verleiht es wiederum für 5 Prozent an Griechenland weiter, denen die Währung aber auch gehört. Anschließend stellt sich der Bundesfinanzminister hin und zieht die Kreditwürdigkeit Griechenlands in Zweifel, sagt also, dass das Zinsgeschäft nicht aufgehen kann, weil weiterhin ein Zahlungsausfall droht. Wer hat nun gewonnen?

Die, denen die Währung gehört oder die, die sie sich nur günstig bei der Zentralbank ausgeliehen haben und davon profitieren, dass Deutschland so ein guter Schuldner ist und brav auch dann noch Steuergelder für die Zinsen aus den zusätzlichen Schulden in seiner Währung an die Banken zahlt, wenn Griechenland als vermeintlich schlechter Schuldner bereits ausgefallen ist?

Denken sie mal darüber nach, wenn der Gürtel schon wieder drückt.

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Eurokrise: Wenn Journalisten nicht verstehen, worum es geht

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Im Deutschlandradio gab es heute ein Interview mit dem Grünen-Politiker Sven Giegold über die Eurokrise und seine Vorstellung von einer echten Wirtschaftsunion. Der Moderator Dirk Müller, nicht zu verwechseln mit „Dirk of the DAX“, hat einfach nicht begriffen, worum es Giegold eigentlich ging und was die Ursachen der Krise sind. Prinzipiell ist aggressives Nachfragen gut und erwünscht, allerdings wirkt es in diesem Fall so, als würde der Moderator die Haltung der gängigen Irrlehre unbedingt verteidigen wollen. Deshalb gebe ich hier die Fragen des Moderators wieder und streife nur am Rande die Antworten Giegolds:

Müller: “Herr Giegold, da kann einem ja Angst und Bange werden. Dann haben wir demnächst einen portugiesischen Finanzminister und einen italienischen Wirtschaftsminister. Dann können wir in Deutschland auch gleich einpacken.” 

Was will Müller damit zum Ausdruck bringen? Jetzt haben wir mit Schäuble einen Finanzminister, der nachweislich in die Spendenaffäre der Union verwickelt war und mit Philipp Rösler einen Wirtschaftsminister, der das nur ist, um seine Position als FDP-Vorsitzender zu festigen, ansonsten qualifiziert ihn nichts. Mit diesem armseligen Personal können wir doch heute schon einpacken.

Herr Müller hätte zum Beispiel ein Interview mit Wolfgang Schäuble, das sein Sender ebenfalls heute geführt hat, noch einmal nachlesen können und sich folgende Falschaussage des Finanzministers etwas genauer ansehen sollen:

Schäuble: “Die Euro-Zone ist in einer schwierigen Situation, weil die zu hohen Schulden in einigen Mitgliedsländern das Vertrauen in die Euro-Zone als ganzes gefährden, und deswegen müssen wir gemeinsam handeln und deswegen müssen die Ursachen dieser Vertrauenskrise beseitigt werden. Das sind die zu hohen Defizite in einzelnen Mitgliedsländern.”

Die Ursachen sind eben nicht die zu hohen Defizite. Sie sind bloß Symptome. Die Ursachen sind die fortwährenden Handelsungleichgewichte innerhalb des Währungsraums, die zu beseitigen vor allem eine Aufgabe der Deutschen sein müsste, die mit ihren Exportüberschüssen die anderen Volkswirtschaften erst dazu zwingen, sich permanent zu verschulden. Der Zusammenhang, ohne Verschuldung, kein Exportüberschuss, wird einfach nicht verstanden. Auch von Moderator Dirk Müller nicht, der Sven Giegold in ätzender Weise Vorhaltungen macht, statt kompetente Fragen zu stellen.

Müller: “Herr Giegold, das wird in Deutschland aber nicht so gut ankommen, denn die Deutschen haben alles einigermaßen im Griff. Wir setzen das in Anführungszeichen: Auch wir haben unsere Schuldenkrise, unsere Schuldenprobleme, im Vergleich zu vielen anderen ist das aber politisch produktiv und zu lösen, wie es im Moment der Fall scheint. Die europäischen Interessen lagen, auch die europäischen Auffassungen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik gehen doch so weit auseinander, dass Ihr Vorschlag – das sagen die Kritiker – sehr naiv klingt.”[…]

“Haben Sie schon mit den Vorstandschefs von BMW und Daimler gesprochen, dass die Produkte zu gut sind, weil sie dann Exportüberschüsse erzielen?”

Zunächst einmal hat es überhaupt nichts damit zu tun, dass deutsche Produkte zu gut für die Welt sind. Das ist ein beliebtes Argument der Exportfetischisten, um einer unangenehmen Diskussion über Lohnentwicklung und Kostensenkungen aus dem Weg zu gehen. Mal abgesehen von der dramatisch auseinanderklaffenden Lohnstückkostenentwicklung innerhalb der EU, erklärt die Beliebtheit deutscher Produkte im Ausland eben nicht, warum die deutschen Verbraucher eine so krasse Kaufzurückhaltung üben. Sven Giegold weißt darauf hin, dass die deutsche Kaufkraft gestärkt werden müsse, damit andere Volkswirtschaften davon profitieren können, so wie Deutschland umgekehrt davon profitiert hat, dass sich die Schwachländer den Konsum deutscher Waren und Dienstleistungen auf Kredit geleistet haben.

Sven Giegold weist ebenfalls darauf hin, dass ein Kreditgeschäft immer zwei Parteien braucht, Schuldner und Gläubiger. Die Rolle der Gläubiger wird aber immer vernachlässigt. Dabei finanzieren die Exportüberschüsse, für die die deutschen Arbeitnehmer den Gürtel haben enger schnallen müssen, Stichwort Wettbewerbsfähigkeit, den Konsum der Defizitländer. Das heißt, während deutsche Arbeitnehmer auf ihren Anteil am Gewinn durch Lohnmoderation verzichten mussten, wurden erst die Mittel frei für den kreditfinanzierten Konsum der Defizitländer.

Am Ende haben die deutschen Arbeitnehmer dann umsonst verzichtet, weil die Forderungen nicht mehr bedient werden können. Aber selbst das kapiert Moderator Dirk Müller nicht, wenn er einen rigorosen Schuldenschnitt fordert und meint, damit das Fass ohne Boden irgendwie abdichten zu können.

Müller: “Herr Giegold, wir haben vor einigen Monaten bereits begonnen mit der Euro-Krise. Im Grunde ist das ja schon seit über einem Jahr so. Da haben wir begonnen mit Irland, dann kam Portugal dazu, kommt Griechenland dazu. Dann hat man irgendwann gesagt, wir müssen das jetzt machen, wir brauchen den Rettungsschirm, 750 Milliarden Euro, gestern tauchten andere Zahlen auf, bis 1,5 Billionen wurde da gefordert, offenbar von Seiten der Europäischen Zentralbank. Es ist ein Fass ohne Boden, so stellt sich das im Moment dar, und es gibt offenbar keine politische Lösung. Wann wird ein klarer Schnitt gemacht?”[…]

“Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Wie oft sollen wir das denn machen? Wir können das doch nicht demnächst für 15 Länder machen. Wir haben das schon für drei getan.”

Dem Moderator Müller wird angesichts der Zahlen und der Horrorvorstellung einer Transferunion ganz schwindelig, und er übersieht dabei das eigene Wohnzimmer. Wie viel hat denn wohl die deutsche Einheit gekostet, die ähnlich katastrophal gemacht wurde wie die europäische Währungsunion? Der teuerste Sonderfonds, umgangssprachlich Sondervermögen oder Schattenhaushalt genannt, war der zur deutschen Einheit mit umgerechnet über 82 Mrd. Euro. Insgesamt flossen seit der Einigung etwa 1,2 Billionen Euro aus Gesamtdeutschland, den Soli zahlen auch die Ossis, in den Osten.

Wer innerhalb eines Währungsraums unterschiedlich entwickelte Volkswirtschaften zusammenfasst, bekommt immer eine Transferunion, weil die schwächere Wirtschaft keine eigene Währung mehr hat, die sie abwerten könnte, um den Wettbewerbsvorteil der anderen auszugleichen. Wer also eine Währungsunion begründet, muss auch eine Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik betreiben, die der Union als Ganzes und nicht nur den wirtschaftlichen Partikularinteressen des einzelnen Teilstaats nützt. Praktisch hieße das, dass sich die Union einem gemeinsamen Inflationsziel verpflichtet und dass die Zentralbank nicht nur auf eine Abweichung von dieser Marke nach oben sondern auch nach unten reagiert.

Denn während die Südländer das gemeinsame Inflationsziel deutlich überschritten haben, hat es Deutschland bis zum Ausbruch der Krise permanent unterschritten. Wenn die Zentralbank nun im Falle einer geringfügig höheren Inflationsrate aus Gründen der Preisstabilität ständig eingreift und mit Anhebung der Zinsen die Konjunktur bremst, vor allem in Ländern wie Deutschland, die ohnehin eine niedrige Teuerungsrate aufweisen, dann müsste sie gleichfalls beschäftigungspolitisch aktiv werden, wenn das Inflationsziel unterschritten wird. Konkret hätte die EZB viel früher die Ungleichgewichte innerhalb des Währungsraums erkennen und entsprechend handeln müssen. Auf die schwache Entwicklung der deutschen Lohnstückkosten (Arbeitskosten korrigiert um Produktivitätszuwächse) hätte frühzeitig reagiert werden müssen.

Quelle: Hans Böckler Stiftung 

Diese Entwicklung ist ein ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteil für Deutschland, den man sinnvoller Weise nur dann wieder ausgleichen kann, wenn die deutschen Löhne mittelfristig stärker steigen und die der Schwachländer deutlich schwächer. An dieser Stelle muss noch einmal betont werden, dass dieser Anpassungsvorgang zwischen Ländern mit unterschiedlicher Währung ständig passiert und zwar durch Auf- oder Abwertung der jeweiligen Zahlungseinheit, ablesbar am Wechselkurs. Diesen gibt es innerhalb eines Währungsraums wie der Eurozone aber nicht, weshalb die Anpassung über die Entwicklung der Löhne erfolgt. Der Vorgang ist aber derselbe, weil letztlich in dem einen wie in dem anderen Fall die Kaufkraft entweder stärker oder schwächer wird.

Es ist also völlig deplatziert, wenn so getan wird, als würde man den Deutschen etwas wegnehmen wollen. Besonders albern wird es aber, wenn von den Schuldnerländern eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gefordert wird, man aber gleichzeitig daran festhält von seiner eigenen Position nichts abgeben zu wollen. Da irrt letztlich auch Sven Giegold:

Giegold: “Das Problem ist nicht, dass die Produkte zu gut sind, sondern das Problem ist, dass die Menschen nicht mehr die Erträge dafür bekommen. Das heißt, es geht nicht, dass ist ein völlig falscher Diskurs zu behaupten, wir müssten weniger wettbewerbsfähig werden. Im Gegenteil: es ist gut, dass Deutschland wettbewerbsfähig ist. Was aber nicht gut ist, ist, dass die Arbeitnehmer in Deutschland 25 Prozent inzwischen im Niedriglohnsektor arbeiten. Würden die ordentlich bezahlt, hätten wir einen gesetzlichen Mindestlohn und würden in die Bildung investieren. Dann würden wir auch wieder mehr importieren und die anderen Länder würden nicht darunter leiden, dass wir gut sind, sondern hätten eben auch was davon.”

Das ist ein Widerspruch. Wenn wir mehr importieren, verlieren wir automatisch Wettbewerbsanteile, es sei denn, wir steigern die Ausfuhren um die Zunahme der Einfuhren. Dann wäre aber nichts gewonnen, sondern das Problem von Überschüssen und Defiziten besteht fort.

In der jetzigen Situation muss Deutschland eine Zeit lang selber Defizite in der Handelsbilanz zulassen, damit die Schuldnerstaaten durch eigene Überschüsse aus der wirtschaftlichen Krise hinauswachsen können. Das bedarf der Steuerung und vor allem der Vernunft. Letztlich ist es die Frage, wem wir mehr vertrauen. Den Finanzmärkten, die ein Land nach dem anderen gegen die Wand spielen oder dem Staat, der zwar von unfähigem Personal gesteuert wird, über das man aber als Souverän wenigstens noch ein Stück weit selbst entscheiden kann.

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Wer im Sandkasten mit Panzern spielt

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Das offene Geheimnis über Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien wird weiter heiß diskutiert. Frau Merkel stellte klar, dass geheime Absprachen auch dann geheim bleiben müssen, wenn sie von Teilnehmern des Gremiums, in dem sie gefällt worden sind, an Journalisten ausgeplaudert wurden. Und überhaupt, hieß es aus der zweiten schwarz-gelben Reihe, die Opposition habe, als sie noch das Sagen im Sandkasten hatte, auch mit Panzern gedealt. Gleiches Recht für alle. Jawohl.

Wer erinnert sich da noch, dass die gesamte schwarze Kassenunion einst über dubiose Waffengeschäfte mit einem gewissen Lobbyisten Schreiber stolperte. Damals gab es von diesem Herrn Schmiergelder für entsprechende politische Entscheidungen in diese Richtung. Mit den saudischen Freunden gab es auch Geschäfte. Lange ist es her. Das Gedächtnis ist kurz und Schäuble immer noch oder schon wieder Minister. Denjenigen, der nach eigenen Angaben einen Umschlag mit 100.000 Mark von Schreiber in seiner Schublade vergessen haben will, feiert die Presse derzeit für angebliche Glanzleistungen im Finanzressort.

Die Ironie der Geschichte kann schon grausam sein. Aber zurück zu den aktuellen Panzern, deren mögliche Lieferung nicht im Zeichen der Menschenrechte stehe, wohl aber im Interesse der Sicherheit erfolge. Thomas de Maizière, Bundesverteidigungsminister, hat das im Hamburger Abendblatt so formuliert:

“Die Entscheidung über Rüstungslieferungen ist zunächst eine sicherheitspolitische. Menschenrechtsüberlegungen müssen eine Rolle spielen, doch überwiegen die internationalen Sicherheitsinteressen.” 

Quelle: Abendblatt

Im Sandkasten wird in der Regel allerhand Unsinn erzählt. Doch diese Damen und Herren meinen es ernst, besonders de Maizière, der das Töten und Sterben innerhalb der Bundeswehr als normal bezeichnet und dauerhafte Einsätze der Truppe in Krisengebieten als Teil seiner aristokratischen Politikvorstellung begreift.

Das alles ist aber nichts im Vergleich zum lautesten Sandkastenschreihals aus der Lederhosengruppe, die bekannt dafür ist, besonders trinkfeste Raufbolde hervorzubringen. Hans-Peter Friedrich, verantwortlich für Inneres, fordert für alles Respekt. Für die Polizei, die Pfaffen, die Lehrer und die Beamten. Der Bild am Sonntag sagte er:

„Früher waren Pfarrer, Polizisten, Lehrer und Beamte Respektspersonen. Diese Respektspersonen sind vor 40 Jahren unter dem Schlachtruf `Demokratisierung` mutwillig demontiert worden.”

Quelle: euronews

Ja vor über 40 Jahren gab es noch Respekt. Das war nämlich die Zeit von Franz-Josef Strauß, dem großen Bundesminister, Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden. Dabei ist der nicht als Millionär gestorben, weil seine öffentlichen Bezüge so üppig waren, sondern weil er respektvolle Geschäfte gemacht hat und Journalisten, die Näheres darüber erfahren wollten, auch schon mal wegen Landesverrats respektvoll inhaftieren lies.

Franz-Josef Strauß hat zum Beispiel von dem amerikanischen Rüstungskonzern Lockheed dafür Geld bekommen, dass er als Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland eine beträchtliche Anzahl von Schrottflugzeugen der Firma gekauft hat. Der deutsche Starfighter schlug dann auch ein wie eine Bombe, fiel 292 mal vom Himmel und kostete 115 Piloten das Leben. In der Bevölkerung der Zeit wurde das Kampfflugzeug dann auch mit dem respektvollen Namen “Witwenmacher” versehen.

Aber ich war ja noch bei den Panzern und Saudi-Arabien. Denn Innenminister Friedrich befürwortet als Respektsperson natürlich auch die Lieferung von deutschen Leopard 2-Kampfpanzern an den befreundeten Golfstaat, damit die dortige Führung selbst dafür sorgen kann, sich Respekt zu verschaffen. Man fragt sich bloß, warum Friedrich bei der kürzlich stattgefundenen Vorstellung des Verfassungsschutzberichts die islamistische Bedrohung besonders betont hat und vor einer Stärkung der salafistischen Bewegung in Deutschland warnte.

Anlässlich seiner Präsentation des aktuellen Berichts des Verfassungsschutzes hatte Friedrich gegenüber der Frankfurter Allgemeinen noch Anfang Juli betont: „Salafisten streben eine völlige Umgestaltung des Staates, der Gesellschaft und unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung an“.

Benno Köpfer vom Verfassungsschutz in Baden Württemberg sagte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Die salafistische Bewegung in Deutschland wäre ohne den saudischen Einfluss niemals so groß geworden“. Er verwies auf die finanzielle und logistische Unterstützung deutscher Salafisten in Form von Missions-Büros, Islam-Seminaren, Info-Tischen und der Verbreitung kostenloser Literatur und resümiert: „Saudi-Arabien gibt dafür sehr viel Geld aus“.

Quelle: Jacob Jung

Was soll man dazu noch sagen? Jacob Jung meint, dass entweder Gerissenheit, Schizophrenie oder einfach nur Einfältigkeit ursächlich seien. Ich denke da eher an Idiosynkrasie.

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Kinotipp: "Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen"

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Derzeit betteln Medien und Funktionäre darum, dass der Fan, dem man schon als Teil eines neuen Sommermärchens fest eingeplant hat, trotz des überraschenden Aus der deutschen Mannschaft am Ball bleiben und auch weiterhin der FIFA-Veranstaltung folgen möge. Es wäre Gift für den sich etablierenden Frauenfußball, wenn jetzt die Begeisterung nachließe.

Wer mit dem künstlichen Hype nichts anfangen kann, sich aber trotzdem für den Fußball interessiert, dem sei ein Kinofilm empfohlen, der demnächst ins Kino kommt.

„Es soll gezeigt werden, dass man an dem Geschäft auch zerbrechen kann“

Regisseur Aljoscha Pause hat den Fußball-Profi Thomas Broich über Jahre begleitet
Aljoscha Pause im Gespräch mit Moritz Küpper

„Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen“ kommt am 28. Juli in die Kinos. Es ist die Geschichte des ehemaligen Bundesliga-Profis Thomas Broich. Über Jahre hat der Regisseur Aljoscha Pause Broich begleitet. Herausgekommen ist ein wirlich sehenswerter Film, der hinter die Kulissen des Fußball-Busisness blickt.

Quelle: dradio

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Gewissenlos

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In dieser Woche wurde darüber berichtet, dass die Abgeordneten des deutschen Bundestags bei einer ganz bestimmten Sachfrage frei nach ihrem Gewissen entscheiden dürften. So etwas käme höchst selten vor. Den Normalfall stelle der sog. Fraktionszwang dar, dem sich das Gewissen des einzelnen Abgeordneten bei Abstimmungen stets unterzuordnen habe. Offiziell ist dann von Empfehlungen die Rede, der ein jedes Mitglied einer Fraktion folgen möge, um die Handlungsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten.

Bei der besagten Entscheidung ging es darum, ob es künftig erlaubt sein soll, im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf Erbkrankheiten untersuchen zu dürfen und ggf. auszusortieren.

Um diese Frage, von der nur wenige Menschen betroffen sind, gewissenhaft entscheiden zu können, verzichteten die Mitglieder des deutschen Bundestages auf den üblichen Austausch von Gemeinheiten, wie Zwischenrufe, Gelächter und polemische Redebeiträge. Denn wenn es um eine Gewissensentscheidung gehe, zähle Sachlichkeit und verantwortungsbewusstes Handeln. Ulrike Flach (FDP) eröffnete daraufhin die Aussprache mit folgender Bemerkung:

“Drei Gruppen aus allen Fraktionen haben mit Leidenschaft und mit Sachlichkeit um die Unterstützung der Abgeordneten geworben. Anhörungen haben stattgefunden, Experten haben sich geäußert, die Medien haben die Debatte verantwortungsbewusst begleitet. Niemand – das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen – hat es sich leicht gemacht. Das ist der Bedeutung dieser Entscheidung absolut angemessen.”

Quelle: Ulrike Flach (FDP), MdB

Wenn an gleicher Stelle binnen kürzester Zeit über Milliardenhilfen für die Banken, gigantische Rettungsschirme und über knallharte Sparprogramme entschieden wird, also Maßnahmen, von denen deutlich mehr Menschen direkt betroffen sind, dann gilt das mit dem freien Gewissen der Abgeordneten und der sachlichen wie verantwortungsbewussten Abwägung natürlich nicht. Wenn die Bundesregierung durch das Parlament unter Aufgabe des eigenen Budgetrechts ermächtigt wird, dauerhaft Steuergelder für oben genannte Zwecke zu verwenden, entscheidet nicht das Gewissen und auch nicht der Kopf, in dem man es vermuten würde, sondern die innere Gehorsamkeit gegenüber dem Fraktionsführer. Der Deutsche folgt halt noch immer blind dem Führer und nie seinem Gewissen.

Dabei hatten sich die vielen Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes bewusst Gedanken darüber gemacht, wem die Abgeordneten eines künftigen deutschen Parlaments zu folgen hätten. Sie wussten doch nur zu genau, dass es eine bürgerliche Mehrheit war, die erst Hitler zur Macht verholfen und sich selbst später per Abstimmung aller parlamentarischen und demokratischen Rechte beraubt hat.

Georg Schramm: “Weil wir gerade bei 1933 waren, sollten wir uns in Erinnerung rufen, wie die deutsche Regierung damals auf die Weltwirtschaftskrise reagierte: mit dem Gesetz „zur Beseitigung von Not und Elend des Volkes“, verabschiedet am 24. März 1933, bekannt geworden als „Ermächtigungsgesetz“, das die demokratischen Rechte außer Kraft setzte. Das bürgerliche Lager, inklusive Adenauers Zentrum und dem liberalen Theodor Heuss, haben damals zugestimmt. Der Grund für diese Zustimmung ist rückblickend ungeheuerlich: Hitler hatte ihnen versprochen, die Funktion des Reichspräsidenten Grußaugust Hindenburg zu erhalten.”

Quelle: Financial Crimes Deutschland

Der entsprechende Artikel im Grundgesetz lautet so:

Art 38, Grundgesetz

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Leider wird darüber eher müde lächelnd hinweggeblickt und so getan, als breche gleich das große Regierungschaos aus, wenn jeder im Bundestag so abstimmen könnte, wie er wollte oder genauer gesagt, wie es das Grundgesetz von ihm oder ihr verlangt. Was aber dabei herauskommt, wenn alle so abstimmen, wie es der Rollenverteilung (Regierungsparteien, Oppositionsparteien) entspricht, kann man immer dann erleben, wenn das Bundesverfassungsgericht mal wieder zu dem Ergebnis kommt, dass durch den Bundestag beschlossene Gesetze grundgesetzwidrig sind. (Man kann auch das Beispiel der plötzlichen Wende in der Atomkraftfrage nehmen)

Aktuell müssen sich die Verfassungshüter mit der Griechenland-Hilfe und dem Euro-Rettungsschirm beschäftigen. Dabei geht es erneut um die Frage, ob die Rechte des Parlaments gewahrt wurden, als sich die Bundesregierung nach kurzer Debatte durch eine Mehrheit ermächtigen ließ, über Milliarden an Steuergeldern frei verfügen zu dürfen. Der Prozessbevollmächtigte des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Franz Mayer von der Universität Bielefeld hat in der am Dienstag stattgefundenen mündlichen Verhandlung die Vorwürfe der Beschwerdeführer wie folgt zurückgewiesen: 

Die Beschwerdeführer würden sich auf ein neuartiges Recht berufen, das bisher gar nicht existiere, nämlich ein umfassendes Grundrecht auf Demokratie. Für die Anerkennung eines solchen Grundrechts und eine damit verbundene Ausweitung der Möglichkeiten zur Verfassungsbeschwerde gebe es aber keinen Anlass. Die rechtlichen Vorgaben zur Beteiligung des Bundestages seien eingehalten worden und die Durchführung eines den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Gesetzgebungsverfahrens in kürzester Zeit gerade ein Ausweis für die Leistungsfähigkeit des Bundestages in Krisenzeiten.

Quelle: Deutscher Bundestag

Demokratie sei ein neuartiges Grundrecht, das bisher gar nicht existiere. So gesehen kann der Bundestag im Prinzip auch geschlossen werden. Das lästige Gewissen dürfen sich die Leistungsträger beim Pförtner wieder abholen und unbeschädigt mit nach Hause nehmen.

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Zeugnisse

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Bei uns in Niedersachsen hat es heute Zeugnisse gegeben. Morgen beginnen hier die Sommerferien. Ob das nun der Grund für die Bundesregierung war, eine schwarz-gelbe Zwischenbilanz vorzulegen, sei einmal dahingestellt. Dastehen tut sie jedenfalls und zwar auf einer neuen Seite der CDU/CSU Fraktion mit der seltsamen Internetadresse

www.dem-land-geht-es-gut.de

Auf Feynsinn gibt es eine sehr gute Analyse dazu.

Wie zum vierzigsten Jahrestag der DDR wird reichlich geflaggt, die Erfolgsmeldungen strömen nur so aus dem Partei- und Regierungsapparat.[…] Man muss der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag dankbar sein für diese akribische Dokumentation eines Realitätsverlusts. 

Die Erfolgsmeldung, wonach sich Deutschland in einem Aufschwung befände, wird dennoch gut kommuniziert, selbst wenn die Regierung vordergründig kritisiert wird. Es ist das beliebte PR-Spiel, bestimmte Botschaften durch andere Botschaften transportieren zu lassen. Zuletzt wurde das bei der Diskussion um Steuersenkungen deutlich.

Die Bundesregierung wird zum Beispiel von wissenschaftlicher Seite dafür kritisiert, Steuersenkungen überhaupt in Erwägung zu ziehen. Begründung: Mitten im Aufschwung bedürfe es keiner zusätzlichen Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur. Der “Finanzexperte” der Universität Oxford, Clemens Fuest, hat zu Beginn der Woche via Radio und Zeitung das Wort ergriffen und folgende Bemerkung gestreut.

“Wir sind in einem Boom. Dass wir die Binnenkonjunktur ankurbeln müssen, ist ein schrecklicher Unsinn.”

Quelle: Süddeutsche

Mit seiner ablehnenden Haltung Steuersenkungen gegenüber kritisiert Fuest nun aber nicht wirklich die Regierung, sondern unterstreicht, dass die Wirtschaft bestens läuft und keiner Korrektur bedarf. Er springt eigentlich Schäuble bei, der gerade zum Muster-Haushälter hochgeschrieben wird. 

Nun muss man wissen, aus welcher Ecke Herr Fuest, der hier als Ökonom und Steuerexperte eingeführt wird, eigentlich kommt. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums und einer jener 250 Professoren, die im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 den sog. Hamburger Apell (siehe auch weissgarnix) unterzeichnet haben. Zudem arbeitet er mit Bernd Raffelhüschen (Berater INSM) in der neoliberalen Denkfabrik Stiftung Marktwirtschaft zusammen.  

Bei der Steuersenkungsdiskussion geht es im Prinzip gar nicht um Entlastungen, sondern darum, die Botschaft vom Aufschwung oder frei nach Kauder “dem-land-geht-es-gut” zu verbreiten.

In nahezu jeder journalistischen Anmoderation zum Thema Wirtschaft, Schulden, Steuerpolitik wird inzwischen vorangestellt, dass wir einen Boom hätten, den zu hinterfragen keiner Notwendigkeit mehr bedarf. Was aber passiert, wenn die immer noch vom Export abhängige deutsche Wirtschaft ihre Absatzmärkte verliert, konnte man im Jahr 2009 erleben.

Ich weiß ja nicht, wie viele Panzer wir nach Saudi-Arabien verkaufen müssen, um einen Einbruch der deutschen Wirtschaft um knapp fünf Prozent wieder ausgleichen zu können.

Die Binnenkonjunktur lahmt jedenfalls weiterhin. Das belegen die jüngsten Zahlen zu den Umsätzen im Einzelhandel beispielhaft. Und nachdem Griechenland durch die schützenswerten Finanzmärkte erledigt wurde,

Wir zwingen die griechische Politik mit deren Einverständnis zu einer totalen Kurskorrektur.

Quelle: Egon W. Kreutzer 

…richten sich die gierigen Augen der Finanzmafia auch prompt auf Portugal. Auch dieses Land wird Schäuble, weil ihm die Sicherheit des Euro am Herzen liegt, retten wollen. Und das wird so weiter gehen, bis man aus Geldmangel den Ankauf von Zeit einstellen wird. Nur eines wird bleiben und zwar der Aufschwung, denn

dem-land-geht-es-gut

(Ihr Volker Kauder)

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Als Guido Westerwelle den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernahm

Geschrieben von:

Der Kabarettist Georg Schramm hat auch am 1. Juli sein aktuelles Programm vor Publikum gespielt und mit der Bemerkung begonnen, dass heute ein schwarzer Tag sei.

„Wir haben den 1. Juli, heute übernimmt Guido Westerwelle den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat.“

Quelle: fudder

Und er sollte wie immer Recht behalten. Denn neben dem Start des Bundesfreiwilligendienstes, nahm sich auch der Herr Außenminister die Freiheit, im geheim tagenden Bundessicherheitsrat freiwillig neuen Waffenexporten in unfreie Diktaturen, welche sich zudem in Krisengebieten befinden, zuzustimmen. Getreu dem Motto der Bundesregierung, wonach eine Enthaltung im Sicherheitsrat, sie erinnern sich an die Libyen-Resolution, auf keinen Fall mit Neutralität zu verwechseln sei.

Deutschland vertickt Kampfpanzer der einheimischen Premiummarke “Leopard” nach Saudi-Arabien, also dem Land, das so heißt, wie die Familie, die es in Besitz genommen hat und dort ohne Einschränkung und Kontrolle ihrer absoluten Macht über Land und Leute herrscht. Das ist der ideale Geschäftspartner für die selbsternannte Freiheitsstatue einer deutschen Splitterpartei.    

Quelle: Klaus Stuttmann

Ach übrigens. Guido Westerwelle in seiner Regierungserklärung vom 16. März 2011:

„Wir wollen und dürfen nicht Kriegspartei in einem Bürgerkrieg in Nordafrika werden. Wir wollen nicht auf eine schiefe Ebene geraten, an deren Ende dann deutsche Soldaten Teil eines Krieges in Libyen sind.“

Quelle: AA

Es reicht ja aus, wenn sich die deutsche Rüstungsindustrie an Kriegen beteiligt. Möglichst neutral und für jede Partei offen.

Der neue Vorturner der Liberalen, Philipp Rösler meinte kürzlich, dass die FDP eine eigenständige Partei sei. Unanständig wäre vielleicht das passendere Adjektiv.

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Die Sache mit der Statistik

Geschrieben von:

Auf Bildblog finden sie einen interessanten Bericht über eine misslungene Übertragung von Statistik, hier aus dem Verfassungsschutzbericht, in eine grafische Darstellung. Der Vorgang ist bemerkenswert, weil in der Absicht offensichtlich manipulativ. Falls nicht, fehlt dem Grafiker die Kompetenz. Die ZDF heute Sendung bot ihren Zuschauern als Ergänzung zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichts folgende erklärende Grafik an. 

Korrekterweise hätte die grafische Darstellung aber so aussehen müssen.

Quelle: Bildblog

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich äußerte sich bei der Vorstellung des Berichts besorgt über die Zunahme der Gewaltbereitschaft in der linksextremistischen Szene. Während die rechten nur über Gewalt reden würden, schritten Linksextreme immer häufiger zur Tat.

„Wir haben zwar mehr gewaltbereite Personen in der rechten Szene“, sagte der CSU-Politiker. „Betrachtet man aber die Straftaten, bei denen tatsächlich Gewalt angewandt wird, stellt man fest: Sie werden mehrheitlich von Linksextremisten verübt.“ 

Quelle: Süddeutsche

Die Interpretation Friedrichs muss sich natürlich in einer Grafik widerfinden, hat sich wohl auch der ZDF-Mitarbeiter gedacht. Denn der Innenminister hat den Eindruck vermitteln wollen, dass Rechts- wie Linksextremismus in gleicher Weise schwerwiegend vorlägen und demzufolge auch im gleichen Umfang Maßnahmen ergriffen werden müssten, um diese Bedrohungen abzuwehren.

Wenn ich mir die obere Grafik des ZDF so anschaue und mir die Äußerung Friedrichs noch einmal in Erinnerung rufe, wonach Neonazis neuerdings besser gekleidet auftreten würden (Designer-Kleidung), kriege ich die Vorstellung nicht aus dem Kopf, dass sich das ZDF hier auch verkleiden wollte, um mit einer Designer-Grafik die Augen seiner Zuschauer zu blenden. Ob das nun rechts, links oder geradeaus ist, will ich lieber nicht beurteilen, unsauber ist es auf jeden Fall.

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