Der Bundeswirtschaftsminister teilt mit Blick auf den Mindestlohn die Sorgen der deutschen Wirtschaft. Was er damit diese Woche wirklich meinte, war, dass er die Sorgen der deutschen Arbeitgeber teilt. Schon längst herrscht im Bundeswirtschaftsministerium keine ökonomische Kompetenz mehr vor. Die Verwandlung zum reinen Arbeitgeberministerium ist auch hier schon abgeschlossen. Der einstige Bettvorleger der Pharmalobby, Rösler, ist nach seinem Wechsel vom Pharmaministerium zum Arbeitgeberministerium Bettvorleger geblieben. Über seine weiteren beruflichen Ambitionen schweigt sich der gelernte Mediziner mit abgebrochener Fachausbildung zum Augenarzt aus.
Die Frage stellt sich auch gar nicht, da zurzeit das sogenannte Versteinerungsprinzip gilt. Das heißt, die schwarz-gelbe Chaostruppe bleibt geschäftsführend solange im Amt, bis eine neue Koalition die versteinerten Ansichten übernimmt. Deshalb macht es auch nichts aus, wenn die Bundesminister Pofalla und Friedrich der Lüge überführt werden. Zurücktreten, geht ja aus Gründen der Versteinerung nicht, es sei denn, die Regierungschefin stellt Amtsunfähigkeit fest. Daran gibt es objektiv gesehen zwar keinen Zweifel, doch wer will schon objektiv sein, wenn zunächst noch geklärt werden muss, welche subjektiven Wünsche auf Ministerposten in einer künftigen Regierung erfüllt werden können.
Das braucht Zeit. Die Große Koalition hat diese Woche schon bewiesen, wie sie bei der Zusammensetzung des Bundestagspräsidiums zusammenarbeiten kann. Dabei wollten die potenziellen Partner ja erst über inhaltliche Fragen diskutieren bevor man über Köpfe entscheidet. Eine der wichtigsten Fragen, nämlich die nach dem Mindestlohn, hat man vorsorglich ganz nach hinten verschoben, um nicht den Rest der Koalitionsgespräche damit verbringen zu müssen, der Öffentlichkeit zu erklären, warum der eine gegen sein und der andere gegen sein Wahlversprechen verstoßen hat.
Ziel der schrittweisen Wählertäuschung ist natürlich die Herstellung stabiler Verhältnisse. Eine Regierung, auch wenn sie wie die letzten vier Jahre nichts tut, muss stabil zusammenhalten und bei Bedarf auch gegen die eigenen Programme stimmen. Das ist die Überzeugung der Auserwählten, die sich fälschlicherweise Abgeordnete nennen, in Wirklichkeit aber nur wie kastrierte Wackeldackel im Parlament herumhocken und an der kurzen Leine ihres Listenplatzes gehalten werden, während Herrchen und Frauchen im Hinterzimmer den geliebten Konsens auskungeln (höre Pispers).
Das Verhältnis zwischen Exekutive, also der Regierung, und dem Parlament hat sich längst umgedreht. Nicht das Parlament zwingt die Regierung zum Handeln, sondern die Regierung lässt abnicken, was zuvor in kleiner Runde oder auf irgendeinem Gipfel beschlossen wurde. Schon die vergangene Legislaturperiode hat gezeigt, dass es keiner formal in einem Vertrag fixierten stabilen Mehrheit bedarf. Im Zweifel konnte die Regierung Merkel auf eine noch breitere Zustimmung bauen, als ihr nach der Koalitionsvereinbarung eigentlich zustand. Frei nach dem SPD-Motto: Die Kanzlerin macht alles falsch, aber wir unterstützen sie dabei aus Sorge um Deutschland (siehe Pelzig).
In einer Parlamentarischen Demokratie geht es um Mehrheiten und nicht um Regierungen. Eine spannendere Politik wäre möglich, wenn sich die Abgeordneten darauf besännen und künftig so beschlössen, wie sie vor dem Wähler heucheln. Das geht natürlich nicht, weil das Land unter diesen Umständen unregierbar wäre. Dennoch hat man die Zeit, bis Weihnachten in aller Ruhe (O-Ton Nahles) Koalitionsgespräche zu führen, um krampfhaft an jenen Formulierungen zu feilen, die dabei helfen sollen, das hässliche Gesicht zu wahren, von dem man glaubt, es wirke immer noch anziehend.
Dann lieber die Unregierbarkeit, die im Grunde nur verlangt, sich der vorherrschenden Versteinerung zu entledigen. Eine an Inhalten orientierte Politik wäre tatsächlich möglich und nicht nur hohles Geschwätz, das sich ausredend einer verabredeten Mehrheit von nunmehr 80 Prozent zu beugen hat. Das Schlimme ist aber, dass wir uns diesen Scheiß von Verantwortung und stabilen Verhältnissen ab Sonntag auch noch eine Stunde länger anhören können.
OKT