Verdrehte Überschriften

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Was fällt Ihnen beim Anblick dieser Überschrift in der FAZ ein?

Mindestohn_Furcht_Ökonomen

Sie ist falsch und müsste richtiger Weise lauten:

Mindestlohn fürchtet Ökonomen ohne Sachverstand

Besser ist natürlich die Überschrift von Arnold.

Ökonomen ohne Sachverstand fürchten Mindestlohn

Was hat der arme Mindestlohn nur getan? Den Ökonomen mit angeblichen Sachverstand gilt er als Massenvernichtungswaffe. “Der hohe Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze.” Schon allein diese Formulierung stößt sauer auf, da nicht der Mindestlohn, sondern der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben unterzeichnet. Die “Ökonomen mit Sachverstand” im folgenden nur kurz ÖmS genannt, kritisieren die mangelnde Flexibilität des Mindestlohns. Sie vermissen also die bei Merkel bestellte flexible Lohnuntergrenze, die nach Branchen und Regionen gestaffelt zahlreiche Ausnahmetatbestände zulässt.

Zitat ÖmS: „Die Bundesregierung will ein Mittel verschreiben, von dem sie nicht weiß, wie es wirkt.” ÖmS weiß natürlich wie der Mindestlohn wirkt und führt nicht näher bestimmte theoretische und empirische Literatur zu Mindestlöhnen an. Darin steht, dass hohe Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten. Dann muss es also stimmen, obwohl kein Land dieser Welt, das Mindestlöhne hat, dies bestätigen könnte. Wenn die Arbeitslosigkeit wie im Süden Europas steigt, dann ganz sicher nicht wegen des Mindestlohns, sondern wegen einer Austeritätspolitik, die die Nachfrage rasiert.

Besonders schräg und zugleich menschenverachtend ist die Aussage von ÖmS: „Sie [eine Lohnkommission, Anm. tau) sollte auch einen Gestaltungsspielraum haben, bestimmte Gruppen durch Ausnahmeregeln zu schützen.“ Schutz wovor? Vor dem Vernichtungsfeldzug des Mindestlohns. Bestimmte Gruppen müssen vor allzu hoher Bezahlung beschützt werden, meint ÖmS. Das hat ja wirklich einen edlen Klang, ist aber nichts anderes als ein schäbiges Stück, das auch noch den Anspruch erhebt, wissenschaftlich zu sein. 

Gerade eben hat das Statistische Bundesamt einen Rückgang der Reallöhne verkündet. Und das mitten im Aufschwung und mitten in der alljährlich in den Köpfen von Leuten wie ÖmS stattfindenden Kaufrauschsause vor Weihnachten. Gleichzeitig präsentiert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine neue Studie, die belegt, dass jeder siebte Haushalt als arm oder armutsgefährdet gilt. Doch das interessiert ÖmS nicht die Bohne, solange der Arme eine Arbeit hat. Deshalb fordert ÖmS auch ein Stimmrecht für sich und seinesgleichen in der geplanten Lohnkommission. Erst dann wäre die Unabhängigkeit gewahrt und eine vernunftbehaftete Entscheidung über den an sich gefährlichen Mindestlohn erst möglich.

Denn, so ÖmS, die Wissenschaft dürfe nicht von politischen Interessen instrumentalisiert werden. Auf welchem Instrument ÖmS wohl spielt, dürfte klar sein. Die SPD kann sich jetzt schon mal warm anziehen. Denn das Trommelfeuer gegen den Mindestlohn hat längst begonnen. Er wird es nicht überleben, auch wenn die Genossen das in ihre grenzenlosen Naivität, mit der sie am Rockzipfel der Kanzlerin hängen, sicherlich noch anders sehen.

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Verzerrte Wahrnehmung des verzerrten Wettbewerbs

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In ihrer Regierungserklärung sagte Merkel: „Ich sage ganz schlicht und ergreifend: Solange es europäische Länder gibt, in denen der Industriestrom billiger ist als in Deutschland, sehe ich nicht ein, warum wir zur Wettbewerbsverzerrung beitragen. Das werden wir ganz genau so vertreten.“

Diese Botschaft schaffte es in die Nachrichten. Merkel wirft sich schützend vor die deutsche Wirtschaft. Das ist verständlich. Schließlich geht es um die heilige Kuh Wettbewerbsfähigkeit und damit um unsere Arbeitsplätze. Es könne doch nicht im Sinne Europas sein, wenn dessen Musterschüler Jobs abbauen und an Zugkraft, von der angeblich alle profitieren, verlieren würde.

“Deshalb müssen wir, wenn es uns um Arbeitsplätze, um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger in Europa geht, den Blick über Europa hinaus lenken. […] Hier geht es um Unternehmen, und wenn es um Unternehmen geht, geht es um Arbeitsplätze. Deshalb werden wir natürlich eng mit der Kommission zusammenarbeiten, aber wir werden auch deutlich machen, dass Europa nicht dadurch stärker wird, dass auch in Deutschland Arbeitsplätze gefährdet werden. Mit diesem Angang werden wir unsere Position dort sehr deutlich darlegen.”

Wie gesagt, die Haltung der Kanzlerin ist verständlich und dennoch im höchsten Maße unvernünftig, weil sie einmal mehr die Logik des internationalen Handels unterschlägt. In Deutschland dürfen keine Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Doch warum die Arbeitsplätze in den anderen Staaten der Eurozone in Gefahr geraten sind, darüber klärt die Kanzlerin nicht auf. Sie und die weitgehend unkritische Öffentlichkeit begnügen sich mit der Feststellung, dass diese Staaten lange Zeit über ihren Verhältnissen gelebt und an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Dass es auf der anderen Seite dann zwangsläufig jemanden geben muss, der unter seinen Verhältnissen gelebt und an Wettbewerbsfähigkeit hinzugewonnen hat, sehen sie nicht.

Der eigentliche Exportschlager der deutschen Wirtschaft sind nicht die Waren und Dienstleistungen, um deren Qualität ein chauvinistischer Hype veranstaltet wird, sondern die Arbeitslosigkeit. Denn die Jobs, die bei uns aufgrund des zunehmenden Exportüberschusses entstanden sind und den relativen Wettbewerbsvorteil begründen, fehlen in den Staaten, die für die entsprechende Nachfrage nach deutschen Gütern sorgen und sich dabei immer weiter verschulden müssen. Das war auch der Kern der amerikanischen Kritik an den anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands, die nun nicht mehr die zur Austerität verdonnerten Eurostaaten zu spüren bekommen, sondern Länder wie die USA, Russland und die Türkei.

Die inländische Nachfrage bleibt hinter der inländischen Produktion zurück. Das kümmert die Kanzlerin aber nicht weiter. Schließlich ist sie der Auffassung, dass Überschüsse etwas Gutes sind und sich alle anderen nur kräftig nach dem Vorbild Deutschlands anstrengen und ihre Haushalte in Ordnung bringen müssten, um genauso erfolgreich exportieren zu können wie wir. Das dauerhafte Exportüberschüsse auf der einen Seite auch dauerhafte Importüberschüsse auf der anderen Seite bedeuten, ignorieren die Kanzlerin, ihre Regierung, die deutsche Wirtschaft und große Teile der Öffentlichkeit. Den Defizitsündern stehen Exportsünder gegenüber.

Was hat das nun mit Wettbewerbsverzerrung zu tun, die von der EU-Kommission unterstellt und von Angela Merkel bestritten wird? Über die Sonderregelungen zur Ökostromumlage werden deutsche Unternehmen, die sich bereits durch die langsame Lohnstückkostenentwicklung der letzten Dekade einen relativen Wettbewerbsvorteil in der Eurozone auf Kosten der anderen haben erschleichen können,  noch einmal begünstigt. Wenn Angela Merkel und ihre Einflüsterer aus der Wirtschaft also die noch günstigeren Industriestromtarife in den Südländern als Begründung für die Rabatte hierzulande anführen, müssten sie auch über die auseinanderklaffende Lohnstückkostenentwicklung reden, die zu den Verwerfungen in der Leistungsbilanz geführt haben und eine sehr viel größere Wettbewerbsverzerrung widerspiegeln.

Das Gejammer über den teuren Strom in Deutschland ist unglaubwürdig. Ökostrom ist nämlich nicht teuer, sondern billiger als der herkömmlich produzierte Strom, worunter die Energiekonzerne an der Leipziger Strombörse arg zu leiden haben. Nun ist es aber so, dass der Preisvorteil, der mit Ökostrom am Markt erzielt wird nicht an die Verbraucher weitergegeben wird, die Kosten der per Gesetz festgelegten Ökostromumlage hingegen schon. Statt Brüssel aufs Korn zu nehmen, sollte Merkel die Bosse des Energieoligopols einbestellen und deren Gebahren unter Aufsicht stellen. Eine Strompreisaufsicht wäre dabei der richtigere Weg, als der, immer mehr Verbraucher die steigenden Stromrechnungen ihrer Arbeitgeber bezahlen zu lassen.

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Börse nimm dich in Acht

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Wer hat heute Börse vor Acht gesehen? Einfach zu schön, da die Entscheidung er US-Notenbank FED nicht mehr vor der Sendezeit fiel. So wagten die Börsenprofis bei der ARD mal wieder einen Schuss ins Blaue (nicht, dass die auch was anderes könnten) und interpretierten den Anstieg des DAX als Vorfreude der Anleger darauf, dass die FED ihr Anleihenaufkaufprogramm nicht drosseln und das billige Geld weiterhin sprudeln würde.

Und was soll ich sagen, es kam natürlich anders. Die FED kündigte an, ihre monatlichen Anleihekäufe zu reduzieren und die Nullzinspolitik solange beizubehalten, bis die Arbeitslosenquote unter eine bestimmte Schwelle fällt. Laut ARD Börsenstudio machte nun der Dow Jones einen Freudensprung. Offenbar haben die Anleger dort ganz fest mit dem Schritt gerechnet, obwohl die Journalisten jetzt vom Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik schreiben.

Gestern faselte Markus Gürne in der Börse vor Acht: Alles ist rosig. Das Stimmungsbarometer steigt, die Auftragsbücher sind voll, doch an der Börse tut sich nix. Es sei halt alles erwartet worden. Was hätte er wohl gesagt, wenn die Kurse gestiegen wären: „In freudiger Erwartung“ und wenn die Kurse gefallen wären: „In trauriger Erwartung“. Statt der Börse vor Acht sollte die ARD lieber die andere Werbung mit den Jingles senden. Da kommt inhaltlich mehr rüber.

Andererseits könnte man Börse vor Acht auch als Satire Magazin sehen. Dann würde ich den Machern aber empfehlen, die Sendung wegen der zu authentisch wirkenden Seriosität der Darsteller einzustellen. Damit ließe sich die Ersparnis beim Rundfunkbeitrag sicherlich noch deutlich erhöhen.

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Erwählte können nur Versagen

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Das Versagen war heute das bestimmende Thema des Tages. Wissen Sie, wie viele Abgeordnete des Bundestages der Kanzlerin ihre Stimme versagten. Die Meinungen gehen da weit auseinander. Die genaue Zahl der Abweichler schwankt von Medium zu Medium. Vielleicht bekommen wir das amtliche Endergebnis mit den Kommentaren von morgen serviert. Für die Versager und das Versagen im Amt findet sich hingegen kaum eine kritische Stimme. Es dominiert die Freude darüber, dass es nun endlich mit dem Regieren losgehen müsse. Auch diese Einschätzung weist auf ein Versagen hin.

Wie enttäuscht wohl die meisten sein werden, wenn sie herausfinden, dass sich die Regierungsarbeit kaum von der in den Koalitionsverhandlungen unterscheiden wird? Über das erste Thema, zu dem sich die wiedererwählte Bundeskanzlerin am Mittwoch im Bundestag erklären wird, ist außerdem gar nicht ernsthaft verhandelt worden. Merkel wird etwas zum Europäischen Rat in Brüssel vortragen, zu dem sie am Donnerstag aufbrechen wird. Egal ob mit der FDP oder mit der SPD an ihrer Seite, auf europäischer Ebene macht die Kanzlerin einfach so weiter wie bisher. Ihr Versagen wird einfach umgedeutet.

Der geplante Wettbewerbspakt soll weiter vorangetrieben werden. Die Staats- und Regierungschefs sollen sich auf ein deutsches Europa verpflichten und jedes Jahr neoliberale Reformen umsetzen, die von der EU-Kommission streng überwacht werden. Widerspruch von der SPD, die einmal forderte, dass die bisherige Krisenpolitik ein Ende haben und es auch so etwas wie einen Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung geben müsse, sucht man vergebens. Deutet man das bereits vorab bekanntgewordene Abschlussdokument des noch stattfindenden Gipfels richtig, ist nicht weniger als eine Troika für alle das Ziel von Angela Merkel.

Kommt künftig ein Land in finanzielle Schwierigkeiten, muss es die Bedingungen der Kommission zunächst akzeptieren, um im Gegenzug Kredite und Hilfen zu erhalten. In diesem Szenario fällt den nationalen Parlamenten nur die Rolle von Beratern zu, deren Rat weder gebraucht noch an den Entscheidungen etwas ändern wird, die in Brüssel unter Ausschluss der gewählten Volksvertreter getroffen werden. Und wir regen uns über Putin auf, der der Ukraine billiges Gas und einen Rettungskredit ganz ohne Daumenschrauben in Aussicht stellt.

Merkel geht es natürlich bei ihrem Gerede um Wettbewerbsfähigkeit vor allem um Kontrolle, die sie mittels Schocktherapie in Europa erlangen will. Mit Demokratie hat das alles nichts mehr zu tun, obwohl die Bilder aus der Ukraine mit dem unverständlichen Boxer, der Präsident werden will, etwas anderes suggerieren. An der SPD geht das übrigens auch vorbei. Sie reiht sie wieder ein. Der neue Außenminister Steinmeier findet es empörend, wie Russland die Notlage der Ukraine ausnutze. Dabei sollte er sich über seine Kanzlerin empören, deren Ziel es ist, die Eurozone in den Würgegriff zu nehmen.

Kurz vor der Wahl forderte die SPD noch eine Entschuldigung von Angela Merkel für die Behauptung, die 150 Jahre alte Partei sei europapolitisch total unzuverlässig. Die Sozialdemokraten drohten gar ernsthafte Konsequenzen an und sprachen von zerstörten Brücken, die sie nun aber bereitwillig abstützen werden, während Merkel mit ihrem Panzer darüber rollt. Die Sozialdemokraten sind tatsächlich total unzuverlässig, aber nicht Merkel gegenüber, sondern den noch verbliebenen Wählern. Diese Totalversager werden auch weiterhin versagen, weil sie sich entgegen der Auffassung Brandts, auf den sie sich immer berufen, eben doch als Erwählte und nicht als Gewählte begreifen.

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Die Koalition der großen Coups

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Alle schreiben, das Gabriel und der SPD ein großer Coup gelungen sei. Trotz ihres Wahldebakels habe die Parteispitze ein aus SPD-Sicht gutes Verhandlungsergebnis erzielt, das auch die Basis überzeugen konnte. Bei der Vergabe der Ministerposten ernten die Spitzengenossen ebenfalls staunende Blicke. Die Union steht zu Beginn der 3. Großen Koalition als vermeintliche Verliererin da. Doch verlieren wird und kann auch nur die SPD.

Das Regieren unter Angela Merkel ist zu einem quälenden Prozess verkommen. Entscheidungen werden nicht getroffen, sondern so lange hinausgezögert, bis es nicht mehr anders geht. Warum sollte die SPD daran etwas ändern können, zumal die nächsten Wahlen ihre Schatten schon voraus werfen. Viele fragen, was die Union eigentlich aus ihrem Programm in den Koalitionsvertrag hat einbringen können. Die Antwort: Kaum etwas. Das ist aber keine Niederlage, sondern Absicht derer, die bloß so weitermachen wollen wie bisher. Der Union reicht Angela Merkel als unangreifbare Übermutti und ansonsten reicht es ihr, die SPD in ihrem Eifer auszubremsen.

Nicht nur Merkel, sondern auch Schäuble, der als Finanzminister über besondere Rechte in der Regierungsmannschaft verfügt, werden zu gegebener Zeit intervenieren. Die Vorboten treten bereits in Erscheinung. Die zu kurz gekommenen Jungpolitiker in der Union wie Mißfelder und Spahn kritisieren den Koalitionsvertrag ganz offen, obwohl sie ihn zum Teil selbst mit aushandelten. Über viele Dinge müsse im Verlauf der Legislaturperiode noch einmal gesprochen werden, so die Auffassung. Und das wird auch so geschehen mit Unterstützung der sogenannten Experten an ihrer Seite wie auch den Medien.

Glaube an den Weihnachtsmann

Die SPD hingegen glaubt fest an das Gegenteil und erweckt auch den Eindruck, sie könne in dieser Koalition politische Erfolge erringen. Die Sozialdemokraten scheinen immer noch nicht verstanden zu haben, wie politische Entscheidungen in diesem Land unter Merkel vorbereitet werden. Dabei hätten sie aus der beispiellosen Demontage ihres zunächst gefeierten Kandidaten Steinbrück etwas lernen können. Zu viel Lorbeeren und Bewunderung vom Gegner ist trügerisch. Dennoch nutzte die Parteispitze um Gabriel deren vergiftetes Lob erneut als Argument, um die eigenen Leute in einem aussichtslosen Kampf hinter sich zu scharren.

Politische Entscheidungen unter Merkel werden durch das öffentliche Klima bestimmt. Gerade beim Thema Rente ist der eisige Gegenwind schon deutlich zu spüren. Die Stimmungsmache läuft bereits in den Medien mit Begriffen wie „Wahlgeschenk“ oder „Wohltat“. Die SPD merkt das nicht, sondern sonnt sich noch im Lichte eines Koalitionsvertrages, der nicht das Papier wert sein wird, auf dem er geschrieben steht. Die Sozialdemokraten werden mit einer Union, die sich aufs Bremsen verständigt hat und die Medienmacht im Rücken weiß, um halbherzige sozialpolitische Korrekturen im Koalitionsausschuss ringen müssen, während die Opposition mit der Umsetzung eines viel besseren Pakets frohlockt.

Posten als Belohnung fürs Scheitern in Vergangenheit und Zukunft

Der erhoffte Glanz, von dem auch die Wähler Notiz nehmen würden, bleibt ein frommer Wunschtraum derer, die mit einem Pöstchen im großen Personalkarussell entlohnt worden sind. Union und SPD wollen insgesamt 33 Parlamentarische Staatssekretäre ernennen. Ein neuer Negativrekord. Hinzu kommen die beamteten Staatssekretäre wie der unsägliche Asmussen, der bei der EZB aufgrund seiner mittelmäßigen ökonomischen Fähigkeiten mehr oder weniger kaltgestellt, nun ausgerechnet ins Arbeitsministerium entsorgt werden muss (was genau dahinter steckt, hat Jens Berger etwas genauer analysiert).

Hinzu kommt noch das Bundestagspräsidium, das noch vor Abschluss der Koalitionsgespräche in einem Akt großer Einigkeit zwischen Union und SPD aufgestockt werden musste. Die Posse des Postengeschachers liefert aber die Chefin selbst. Auf ihrer Pressekonferenz kündigte Kanzlerin Angela Merkel eine neue Stelle in ihrer Machtzentrale an. Ein neuer Staatssekretär soll sich um die Belange der Geheimdienste kümmern. Und zwar wegen dem, was andere die NSA-Affäre nennen, sie aber lieber als Angelegenheit bezeichnen würde. Das ist Kanzlerinnen-Duktus und zu diesem passt dann auch Klaus-Dieter Fritsche, der offenbar als Entschädigung für die beim Postengeschacher arg zu kurz gekommene CSU befördert werden soll.

Bleibt eigentlich nur noch Ursula von der Leyen, die künftig das Verteidigungsressort leiten soll. Diese Personalentscheidung gilt als faustdicke Überraschung und als mehr oder weniger gelungener Coup der Kanzlerin. Was daran nun aber gelungen sein soll, erschließt sich wohl nur den Hauptstadtjournalisten. Auf die erste wirklich gute Frage von Günther Jauch (Verstehen sie etwas von Verteidigungspolitik?) antwortete die designierte Ministerin gestern mit einem sehr ausführlich vorgetragenen und bezeichnenden Nein.

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Kampagnen hüben wie drüben

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Ein Interview von Marietta Slomka mit SPD-Chef Sigmar Gabriel im ZDF heute journal sorgt für Aufregung. Beide lieferten sich gestern Abend ein Wortgefecht der besonderen Art. Slomka konfrontierte den SPD-Chef mit der Meinung des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart, wonach der Mitgliederentscheid verfassungsrechtlich illegitim sei, weil dieser die Abgeordneten in der Ausübung ihres freien Mandats einschränken würde. Gabriel meint, alles Quatsch, findet aber nicht die richtigen Argumente. Dabei waren er und Slomka sich doch einig. Die SPD muss zustimmen.

Quelle: heute journal vom 28.11.2013

Statt sich auf eine Diskussion mit Slomka einzulassen, hätte Gabriel auf den Koalitionsvertrag verweisen können, den Frau Slomka offenbar auch nicht wirklich gelesen hat, indem aber die Einschränkung des freien Mandats von CDU, CSU und SPD festgeschrieben wurde. Ich darf mal zitieren (Seite 184):

Kooperation der Fraktionen

Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.

Entschuldigung, aber im Gegensatz dazu ist die popelige Mitgliederbefragung ein Witz. Die SPD hat sich mit ihrer staatstragenden Haltung mal wieder ins Abseits geschossen und zur Zielscheibe des Kampagnenjournalismus gemacht. Nun wundert sich die SPD-Parteiführung, die ja auch ein “Ja” bei den Mitgliedern erzwingen will, über die Angriffslust der Systemmedien. Immerhin besteht ein Risiko, falls die Mitglieder ablehnen und die SPD-Führung bzw. die Abgeordneten dem folgen müssten. Da werden schon mal schwere Geschütze aufgefahren, um die Entscheidung zu beeinflussen.

Die Kampagne hat mehrere Ebenen, derer sich auch die SPD-Führung bedient. Die SPD sei die Gewinnerin der Koalitionsverhandlungen ist eine davon. Demnach trage der Vertrag vor allem die Handschrift der Sozialdemokraten. Gabriel selbst bestätigte diesen Unsinn einmal mehr und zitierte ausgerechnet Herrn Lindner von der FDP. Das alles soll die Mitglieder beeindrucken und sie zur Zustimmung bewegen. Das zweite sind die möglichen Folgen, die bei einer Ablehnung des Vertrages durch die SPD-Mitglieder drohen würden. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass einige der Meinung sind, das in diesem Fall eine Staatskrise über das Land hereinbräche.

Nun versuchen sie es mit der Verfassung und dem Recht auf die Ausübung des freien Mandats. Mit anderen Worten: Wenn die gewählten Volksvertreter der Meinung sind, dass die Koalition richtig sei, dürfen sie sich nicht durch einen Mitgliederentscheid davon abbringen lassen. Doch, wie oben schon erwähnt, müsste diese Regel auch für den Fraktionszwang gelten, der so im Grundgesetz ebenfalls nicht vorgesehen ist. Verfassungsrechtlich hat die Regierungschefin die Möglichkeit, mit Hilfe der Vertrauensfrage sich ihrer parlamentarischen Mehrheit zu versichern. Das wollen  Herr Gabriel von der SPD wie auch Frau Slomka vom ZDF der Frau Merkel von der CDU aber offenbar nicht zumuten.

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Wer Visionen erwartet, blendet die Schuldenbremse aus

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Viele Journalisten und die Grünen kritisieren den Koalitionsvertrag auch, weil er keine Vision, kein Projekt und keine Ideen für die Zukunft enthalte, sondern auf teuren Stillstand setze. Das schreiben dann aber dieselben Leute, die es auch für unabdingbar halten, dass der Staat zu jeder Zeit sparen und Verschuldung abbauen müsse. Es passt einfach hinten und vorne nicht zusammen. Wer auf eine irrsinnige Schuldenbremse setzt, ohne zu erklären, wie er den dafür nötigen Zuwachs von Vermögen begrenzen will oder das sogar unter Beifall ausschließt, kann doch nicht ernsthaft eine Vision erwarten.

Dank der Schuldenbremse und des Fiskalpaktes ist die Politik zur Tatenlosigkeit verdammt. Sie hat sich, übrigens auch auf Betreiben einer Großen Koalition, von Gestaltungsmöglichkeiten verabschiedet und dem sinnfreien Ausgabenverbot sogar Verfassungsrang eingeräumt. Welches Projekt sollten die Koalitionäre da noch in Angriff nehmen, ohne gegen die Verfassung zu verstoßen? Es wird wohl noch etwas dauern, bis diese jämmerlich einfache Erkenntnis auch in den Betonköpfen angekommen ist. Konsequent wäre es doch zu fordern, die Schuldenbremse wieder abzuschaffen und jetzt zu investieren, als auf die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu warten.

Die neue Zürcher Zeitung schreibt: “Für ausländische Beobachter mutet es kurios an, mit welcher Detailversessenheit die deutschen Parteien ihre Koalitionsverträge aushandeln, als seien diese notariell beglaubigte Rechtsdokumente und nicht letztlich unverbindliche politische Absichtserklärungen. So blieb auch von den hochgemuten Vereinbarungen der schwarz-gelben Vorgängerregierung im Alltag nicht viel mehr übrig als ein Haufen Papier.” Doch Sigmar Gabriel will bis zum bitteren Ende „vertragstreu“ bleiben. Man wundert sich nur, dass er keine Kündigungsfrist in den Kontrakt hat einarbeiten lassen, um einen vorzeitigen Ausstieg seiner Truppe zu vermeiden.

Oder gibt es sie mit dem Mindestlohn etwa doch, der ja bekanntlich erst kurz vor der nächsten Wahl überall gelten soll und damit auch als eine Art (Über)Lebensversicherung für die Große Koalition und deren künftige Postenträger fungiert?

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Déjà-vu

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Schwere Verhandlungen schweißen Schwarz-Gelb -Rot zusammen. Man kann da schon durcheinander kommen. Vor vier Jahren haben die Schwarzen und die Gelben ebenso freudig gescherzt wie heute die Schwarzen und die Roten. Sigmar Gabriel ist ein würdiger Nachfolger für Guido Westerwelle. Allerdings ist nicht abschließend geklärt worden, ob der Siggi nun auch den Horst duzen darf, aber das kann ja noch werden, bevor sie sich gegenseitig als Wildsäue und Gurkentruppe verunglimpfen.

Für die SPD-Mitglieder ist die Botschaft klar. Wer will, dass sich Horst und Siggi künftig duzen, muss mit Ja stimmen.

Damals wars

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Nach der Falschmeldung folgt die Fehleinschätzung

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Thorsten Denkler von der Süddeutschen Zeitung fordert die Genossen auf, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen, weil man ihn aus inhaltlichen Gründen nicht ablehnen könne. Die Begründung ist ein Witz, weil auch Denkler sich nur von den hübschen Schachteln blenden lässt, anstatt eine kritische Würdigung des Inhalts vorzunehmen. Er spielt die Dinge lieber herunter. “Die kleinen Kompromisse mit der Union beziehen sich in diesem Fall allein auf technische Details. Nicht auf den Grundsatz”, schreibt er beispielsweise beim Thema Mindestlohn. Mit anderen Worten: Wenn Mindestlohn draufsteht, muss er auch drin sein.

Der Knaller ist aber, dass Denkler das “Klein-Klein”, wie er es dann doch am Ende nennt, dennoch nicht für ablehnungswürdig hält. Seiner Meinung nach hätte ein Nein der SPD-Basis auf der anderen Seite einen hohen Preis. Eine akute Staatskrise mit Neuwahlen wäre die Folge. Man kann auch maßlos übertreiben beim Wettrennen um den ersten Platz im Enddarm der geschäftsführenden Kanzlerin. Oder taumelte das Land etwa in den letzten Wochen nach der Wahl vor sich hin? Die Wahrheit ist doch, dass es zwischen der Regierung Merkel und der Geschäftsführerin Merkel keinen Unterschied gibt. Wenn überhaupt dauert die Staatskrise schon seit 2005 an, weil die Kanzlerin das regieren konsequent verweigert.

Gerade die Journaille, die ständig von klaren und stabilen Verhältnissen träumt, müsste Neuwahlen doch förmlich herbeisehnen, weil dann aus der Geschäftsführerin Merkel wieder eine Kanzlerin würde, die auf das Klein-Klein eines Koalitionsvertrages zumindest mit der SPD verzichten könnte. Es stimmt auch nicht, dass die SPD eine Führungskrise erst dann bekäme, wenn die Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen. Die Krise ist längst da, weil die Wahl von jenem Personal verloren wurde, das auch schon die davor vergeigte. Trotzdem erheben diese Leute den Anspruch auf Regierungsämter, in denen sie aus Furcht vor der Basis aber erst einmal nicht erkannt werden wollen.

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