Straßenbau-Notopfer im Zeichen der schwarzen Null

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Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, Torsten Albig, fordert eine Sonderabgabe für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur. Kritik gibt es von allen Seiten. Die übliche Begründung: der Staat schwimme im Geld. Tut er aber nicht.

Während die SPD in Berlin zusammen mit ihrem Koalitionspartner einen nahezu ausgeglichenen Haushalt bejubelt, bleiben die Löcher in den Straßen bestehen oder werden immer größer. Denn die lassen sich mit einer schwarzen Null im Etat nicht stopfen. Das hat auch die rote SPD erkannt. Der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Torsten Albig, fordert daher eine pauschale Sonderabgabe von 100 Euro im Jahr für alle Autofahrer. Und täglich grüßt das Murmeltier.

Vielleicht begreift ja jetzt der ein oder andere, dass Ausgaben, die notwendig sind, um ein Gemeinwesen am Leben zu erhalten, auch bezahlt werden müssen. Wenn diese Kosten ein Finanzminister aber nicht übernehmen will, weil ihm die schwarze Null wichtiger ist und er lieber auf Steuereinnahmen verzichtet, muss es jemand anderes tun, unabhängig davon, ob es seine finanzielle Situation zulässt oder nicht.

Eine Sonderabgabe zu fordern, ist nicht sonderlich populär, die Reaktionen zeigen es, aber der übliche Weg, um aus der Sackgasse einer bloß fortgesetzten falschen Haushaltspolitik herauszukommen. Der Plan: Die Rechnung bestimmten Teilen der Gesellschaft vorlegen, während andere geschont werden. Der Begriff Kopfpauschale ist da durchaus passend. Sie sieht irgendwie gerecht aus, ist es aber freilich nicht, weil Gebühren, die einkommensunabhängig erhoben werden, jene begünstigen, die es sich leisten können.

Beliebte Floskeln hüben wie drüben

Das Ansinnen Albigs regt deshalb Freund und Feind gleichermaßen auf. Aber nicht, weil ein Staat dazu da ist, Aufgaben wie eine funktionierende Infrastruktur bereitzustellen, sondern weil es der Politik offensichtlich nicht gelingt, in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen, genug Geld für Straßen im Haushalt zu finden. Der Staat müsse lernen, mit den bestehenden Einnahmen auszukommen, lautet eine beliebte Floskel. Denn noch immer herrscht der Glaube vor, hohe Steuereinnahmen seien hohe Steuereinnahmen nur weil sie höher sind als im Jahr davor. Diese Perspektive verstellt aber den Blick auf die Kürzungspolitik, die im Geiste der schwarzen Null längst Realität geworden ist und in den Debatten beständig an Schärfe hinzugewinnt.

Jeder sieht, dass die Straßen bundesweit im Eimer sind. Leugnen ist zwecklos. Enorme Investitionen sind nötig. Albig hat das noch einmal vorgerechnet. Doch, so der mediale Kurzschluss, 620 Milliarden Euro Steuereinnahmen im Jahr müssten doch reichen. Auch wird immer wieder die Frage gestellt, warum die Einnahmen aus Kfz-Steuer und Mineralölsteuer nur zu einem Teil in den Erhalt und Ausbau von Straßen fließen, der weit größere Batzen aber im Bundeshaushalt für andere Zwecke verwendet wird. Nur auf die einfache Antwort kommt niemand.

Die Einnahmen des Staates reichen eben nicht aus, damit er seine Aufgaben erledigen kann. Im Wahlkampf hatte die SPD das noch erkannt und höhere Steuern gefordert. Doch damals wie heute wehren sich Teile der Politik, Medien und eine Mehrheit in der Bevölkerung dagegen mit dem Scheinargument der bereits vorhandenen hohen Steuern. Sie wollen nicht akzeptieren, dass ein absolut steigender Wert eben real betrachtet auch zu wenig sein kann. Ein genauer Blick auf die berechnete Steuerquote zeigt aber, dass gemessen am Bruttoinlandsprodukt die Einnahmen in diesem Jahr sogar zurückgehen sollen, mittelfristig mindestens stagnieren oder nur langsam steigen.

Steuerschätzung

Quelle: Arbeitskreis Steuerschätzung (via Bundesfinanzministerium)

Die Wahrheit ist, dass der Staat auf Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verzichtet und im Gegenzug riesige Finanzlöcher bei den Gebietskörperschaften akzeptiert bzw. als Vorwand benutzt, um notwendige Ausgaben zum Beispiel im sozialen Bereich noch weiter senken zu können. Allein durch Steuerhinterziehung gehen dem Staat schätzungsweise 50 bis 100 Milliarden Euro jährlich verloren. Große Konzerne wie Apple, Google und Amazon fahren hohe Gewinne ein, zahlen aber so gut wie keine Steuern. Die Gewinne beim Verkauf von Unternehmensteilen und Beteiligungen sind immer noch steuerfrei. Eine Vermögenssteuer wird nicht erhoben und die unter der letzten Großen Koalition reformierte Erbschaftssteuer begünstigt den Nachwuchs einer vermögenden Bevölkerungsschicht.

Verschiebung von Kosten

Dennoch steht die schwarze Null, ob theoretisch oder praktisch, spielt dabei keine Rolle. Die Politik meint, so für Generationengerechtigkeit sorgen zu können. Verschuldung dürfe den Kindern und Enkeln nicht hinterlassen werden, heißt es gebetsmühlenartig. Vermögen für wenige und Schlaglöcher für alle hingegen schon. Der Preis für einen relativ gesehen verarmenden Staat mit ausgeglichenem Haushalt ist die Verschiebung von allgemeinen Kosten in den privaten Sektor. Viele sehen daher in Albigs Vorschlag ein worst case Szenario, das sich mit einem Mautsystem vielleicht abmildern lässt.

Deutlich wird dabei nur eins. Straßen werden auf Seiten der Politik und weiten Teilen der Öffentlichkeit schon lange nicht mehr volkswirtschaftlich, sondern rein betriebswirtschaftlich betrachtet. Trotz Widerspruchs der Rechnungshöfe werden sie zunehmend als Investitionsobjekte angeboten. Nicht ohne Absicherung für den privaten Investor einer solchen Öffentlich-Privaten-Partnerschaft ÖPP/PPP. Ein Teil der künftigen Mauteinnahmen fließt ja nicht mehr dem Staatshaushalt zu, sondern wandert als feste Einnahme auf das Konto des privaten Partners, der die Straße einen Zeitraum lang betreibt.

Dass die Infrastruktur zerfällt, ist vielleicht Absicht, genau wie die Schuldenbremse, die staatliche Investitionen bald unmöglich macht. Was als “alternativlos” erscheinende Lösung übrigbleibt, ist die Privatisierung von Staatseigentum, das der Staatsbürger, der dann zum Kunden gemacht wird, gegen Gebühr natürlich weiter nutzen darf. Deshalb kommt auch immer nur eine Ausweitung von gebührenpflichtigen Strecken in Betracht oder eine Vergrößerung des gebührenpflichtigen Nutzerkreises, um Finanzierungsbedarfe zu decken und Schlaglöcher zu stopfen. Dabei ist der Ausbau und Erhalt eines Verkehrswegenetzes keine Privatangelegenheit, sondern bleibt eine öffentliche Aufgabe.


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Frühjahrsprognose: Teuer bezahlte Falschmeldungen

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Statt wissenschaftlicher Beratung mit Substanz liefern die Wirtschaftsforschungsinstitute billige politische Propaganda ab, die der Steuerzahler teuer bezahlen muss.

Seit Jahren liefern die Ökonomen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Gutachten zur künftigen Entwicklung ab. Dabei gehen die Experten wahlweise von einem kräftigen Wachstum oder einem stabilen Aufschwung für das jeweils laufende Jahr aus. Mit ihrer Prognose liegen sie regelmäßig daneben. Sie wissen also kaum etwas. Dennoch maßen sich diese Experten an, auch etwas über das darauf folgende Jahr aussagen zu können, das, wie sollte es auch anders sein, immer noch besser erwartet wird, als das laufende. In diesem Jahr rechnen die Forscher mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 1,9 Prozent und für 2015 sollen es 2,0 Prozent sein.

Die Presse fällt darauf mal wieder herein und verbreitet die frohe Kunde vom steten Aufschwung, der sich aber meist aus nach unten korrigierten Prognosen speist. Doch statt danach zu fragen, warum sich die Experten ständig irren und selbst korrigieren müssen, hängen die Journalisten an deren Lippen und der Aussicht auf goldene Zeiten. Vor genau einem Jahr rechneten dieselben Ökonomen mit einem Wachstum von 0,8 Prozent für 2013. Tatsächlich herausgekommen ist die Hälfte von 0,4 Prozent. Es ist halt schwierig, alle Faktoren einer Ökonomie treffsicher vorherzusagen.

Was aber regelmäßig in die überflüssigen Gemeinschaftsgutachten hineingehört, ist eine neoliberale Botschaft. Widersprüche stören dabei nicht weiter, weil auch Journalisten sie nicht erkennen wollen. Da behaupten die Forscher zum Beispiel, der Aufschwung werde von der guten Binnenkonjunktur, also von steigenden Löhnen und Gehältern getragen. Gleichzeitig halten die Ökonomen eine abschlagsfreie Rente, die, wie der Name schon sagt, prinzipiell ein höheres Einkommen verspricht als eine Rente, die durch Dämpfungsfaktoren gekürzt wird sowie einen Mindestlohn, der auch ein höheres Einkommen für Menschen darstellt, die ansonsten für 1,54 Euro bei einem Anwalt legal beschäftigt werden dürfen für konjunkturelles Gift. Wie kann das sein?

Die Botschaft ist klar. Es geht gar nicht um einen seriösen Ausblick, sondern darum, die Politik unter Druck zu setzen und eine Abweichung vom neoliberalen Glaubensdogma zu unterbinden. Lobbyarbeit nennt man das für gewöhnlich. Der seriöse Anstrich der Institute verdeckt das nur. “Deutsche Konjunktur im Aufschwung – Gegenwind von der Wirtschaftspolitik”, so nennen die Forscher ihr Gutachten. Sie überzeugen aber nicht mit Sachverstand, sondern blamieren sich mit Lächerlichkeiten. So warnen die Experten zum Beispiel vor steigenden Preisen (Inflation), falls der Mindestlohn beschlossen würde. Dabei sind steigende Preise dringend nötig in einer Zeit der Deflation.  

Die Verbraucherpreise steigen nur noch minimal und bei den Erzeugerpreisen ist der Rückwärtsgang längst eingelegt. Die Warnung vor steigenden Preisen ist also völlig unangebracht. Überteuert ist nur das Gutachten, das die Bundesregierung zweimal im Jahr in Auftrag gibt. Sie liebe Leserinnen und Leser zahlen mit ihren Steuergeldern die Glaskugelweisheiten von sogenannten Experten, die sich ständig korrigieren müssen und statt Wissenschaft abzuliefern, politische Propaganda betreiben, die ganz im Sinne so mancher Arbeitgeberverbände ist. Klaus Ernst hat schon Recht, wenn er sagt: Da werde „Steuergeld für Ideologie verpulvert“.


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Die Dialektik der Kanzlerin

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Nach Angela Merkel verbaue sich Russland durch Rücksichtslosigkeit und Stärke seine Zukunft selbst. Beim Blick in den Spiegel müsste die deutsche Regierungschefin eigentlich zum selben Ergebnis kommen.

„Wir wissen, dass diejenigen, bei denen das Denken nur um ihre eigenen Interessen kreist, die ohne Rücksicht auf andere ihre Stärken ausspielen, keine Chance haben, Zukunft zu gestalten. Niemand, der erfolgreich sein möchte, kann heute nur seine eigenen Belange in den Vordergrund stellen. Er verbaut sich damit selbst seine eigene Zukunft.“

Dieser Satz von Merkel, gefallen heute während der Generaldebatte im Bundestag, ist bemerkenswert. Gesprochen hat sie ihn im Zusammenhang mit der Krise in der Ukraine. Die Medien verstehen diesen Satz als Mahnung an den Kremlchef und die Menschen an den Volksempfängern sollen ihn so verstehen, dass Merkel die Friedensstifterin nur den Ausgleich suche und gegenseitige Rücksichtnahme fordere. Wie aber ist dann Merkels Haltung zur Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen?

Vor einem Jahr sagte sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos:

„Wenn wir uns in Europa bei den Lohnstückkosten genau in der Mitte treffen würden, beim Durchschnitt aller europäischen Länder, dann würde ganz Europa nicht mehr wettbewerbsfähig sein und Deutschland nicht mehr exportieren können. Das kann nicht das Ziel unserer Bemühungen sein. Deshalb sind Überschüsse in den Leistungsbilanzen zum Teil natürlich auch Ausdruck einer guten Wettbewerbsfähigkeit. Und diese dürfen wir auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen.“

Merkel stellt vermeintliche Belange Deutschlands in den Vordergrund, ohne zu erkennen, dass sie damit die Zukunft des Landes verbaut. Sie glaubt, es läge im Interesse Deutschlands, Überschüsse in den Leistungsbilanzen permanent und für alle Ewigkeit anzuhäufen. Diese Überschüsse können aber nur existieren, weil es auf der anderen Seite Defizite gibt, deren Existenz die Kanzlerin als allererste scharf verurteilen und als Ausdruck mangelnden Stabilitätsbewusstseins identifizieren würde. Südeuropa kann ein Lied davon singen. Diese Länder werden von einer Troika letztlich für das Vergehen bestraft, den Exporterfolg Deutschlands jahrelang finanziert zu haben.

Merkel versteht Wirtschaftspolitik als einen Kampf um Wettbewerbspositionen und weniger als Ausgleich, der dem Welthandel aber genuin zugrunde liegt. Sie hängt dem falschen Glauben an, alle auf der Welt könnten profitieren, wenn Deutschland nur beständig hohe Leistungsbilanzüberschüsse ausweise. In Wirklichkeit aber sind diese Ungleichgewichte auf Dauer schädlich für die Weltwirtschaft und den internationalen Handel wie die Eurokrise eindrucksvoll beweist. Dennoch dürfe die hohe Wettbewerbsfähigkeit nicht auf Spiel gesetzt werden, meint Merkel, schon gar nicht durch eine Politik, die dem Außenhandel schade.

Dabei hat sie das gar nicht mehr in der Hand. Die Wechselkursentwicklung korrigiert inzwischen das Missverhältnis, das sich in der gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit widerspiegelt. Seit einiger Zeit wertet der Euro gegenüber anderen Währungsräumen kontinuierlich auf. Waren und Dienstleistungen aus Europa werden auf dem Weltmarkt damit teurer. Umgekehrt werden Produkte aus anderen Ländern günstiger. Die Märkte reagieren damit auf die niedrige Inflationsrate in der Eurozone, die Ausdruck einer zu geringen Steigerung der Löhne und Lohnstückkosten ist. Wollte Frau Merkel ihr Versprechen also einlösen und die Wettbewerbsfähigkeit noch ein wenig behalten, müsste sie gegen alle Vernunft und Logik eine neue Runde von Lohnsenkungen einläuten.

Oder aber die Menschen die Energiewende bezahlen lassen, um den Unternehmen, die gar nicht in Not sind, ihren relativen Wettbewerbsvorteil zu erhalten. Denn mit nur 40 Euro mehr im Jahr für Strom retten Sie Ihren Arbeitsplatz, meint der oberste Sozialdemokrat, der gleichzeitig Bundeswirtschaftsminister ist. Merkel hat ja versprochen, die Wettbewerbsfähigkeit verteidigen zu wollen. Und Gabriel hat versprochen, ein staatstragender und verlässlicher Koalitionspartner zu sein, dem nichts zu Blöde ist, um es als Argument zu verkaufen. Prüfen Sie mal Ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit und rufen sich dann den Satz der Kanzlerin in Erinnerung.

„Wir wissen, dass diejenigen, bei denen das Denken nur um ihre eigenen Interessen kreist, die ohne Rücksicht auf andere ihre Stärken ausspielen, keine Chance haben, Zukunft zu gestalten. Niemand, der erfolgreich sein möchte, kann heute nur seine eigenen Belange in den Vordergrund stellen. Er verbaut sich damit selbst seine eigene Zukunft.“


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Binninger richtig übersetzt

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Ein Satz des Tages lautet:

„Ein Untersuchungsausschuss sollte nicht in erster Linie parteipolitischer Profilierung dienen, zumal die aufgeworfenen Fragen viele Bürger beunruhigen, gleichzeitig die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der Geheimdienste zu beachten ist. Zum einen ist der Untersuchungsauftrag viel breiter und differenzierter angelegt, zum anderen bin ich unverändert skeptisch, ob uns Snowden – aufgrund seiner eigenen öffentlichen Einlassungen – als Zeuge überhaupt weiterhelfen kann.“

Das kann man auch kürzer und vor allem verständlicher ausdrücken:

“Wir wollen zwar aufklären, gar keine Frage, aber auch die eingeschlagene Richtung im Kreisverkehr nicht verlassen.”

Wenn Sie jetzt denken, häh, wie wollen die denn dann vorankommen und neue Erkenntnisse zu Tage fördern, haben Sie schon eine richtige Frage gestellt, die Ihnen wahrscheinlich ohne Übersetzung nicht eingefallen wäre. Binninger tut nämlich so, als sei Edward Snowden ein unbrauchbarer oder entbehrlicher Zeuge, weil er seine Informationen bereits über die Medien weltweit verbreitet habe. Was Binninger außer Acht lässt, ist aber, dass für Untersuchungsausschüsse im weitesten Sinne die Regeln der Strafprozessordnung gelten.

Jetzt stellen Sie sich vor, ein Richter würde die Vernehmung des Hauptzeugen mit der Begründung ablehnen, dass dessen Aussage bereits in der Zeitung oder auf Facebook nachzulesen sei, er also im Prozess nichts mehr zur Aufklärung beitragen könne. Unvorstellbar. Der Hauptzeuge, und nichts anderes ist Snowden, muss seine Aussage vor dem Ausschuss zu Protokoll geben, damit überhaupt ein Ergebnis zustande kommen kann, das den gängigen Verfahrensregeln eines Rechtsstaates entspricht. Außerdem kann die Glaubwürdigkeit von Edward Snwoden nur in einem solchen Verfahren, das rechtsstaatlichen Vernehmungsregeln folgt, festgestellt werden, etwa mit einer Vereidigung.

Mit der oben getätigten Aussage hat sich Binninger eigentlich als untauglich erwiesen, einem Untersuchungsausschuss vorzustehen oder gar einen anderen Posten in der Architektur des Rechtsstaates zu übernehmen. Man hört ja, er soll Nachfolger von BKA-Chef Ziercke werden. Binninger hat vielmehr selbst eine politische Aussage getroffen, weil er und seine Chefin Merkel vielleicht nicht wollen, dass Snowden in einem rechtsstaatlichen Verfahren aussagt. Der Untersuchungsausschuss hat nämlich aufgrund seiner eigenen Ermittlungsergebnisse das Recht, der Regierung weiterer unangenehme Fragen zu stellen oder die Herausgabe von Akten zu verlangen.

Heute hat Merkel im Bundestag über die Krise in der Ukraine gesagt: „Es ist leider an vielen Stellen nicht erkennbar, wie Russland zur Entspannung der Situation beiträgt.“ Sie mahnte Putin, sich mit der Regierung in Kiew an einen Tisch zu setzen. In Russland sitzt Edward Snowden allein und wartet darauf, dass sich die deutsche Regierung mit ihm an einen Tisch setzt. Doch mit Blick auf die NSA-Affäre ist leider überhaupt nicht erkennbar, was die Bundesregierung zur Aufklärung beitragen will.


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Weil es im Koalitionsvertrag steht

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Die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Grundrechte. Eine entsprechende Richtlinie der EU, die seit Jahren gilt und auch in Deutschland immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen war und ist, hat der EuGH heute gekippt. Während Datenschützer aufatmen, arbeiten die Regierungsparteien an einer neuen PR-Strategie. Die hatten sich nämlich in ihrem Koalitionsvertrag mit Ansage auf den Verstoß gegen die Grundrechte geeinigt.

Wie war das Geschrei groß, als im Januar der neue Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ankündigte, die Richtlinie vorerst nicht umsetzen zu wollen, bis das Verfahren vor dem EuGH beendet worden ist. Besonders die CSU äußerte Kritik. Deren Innenpolitiker Hans-Peter Uhl bestand auf der Einhaltung des Koalitionsvertrages. Schließlich stünde in dem Papier nichts von einem EuGH Urteil, das erst abgewartet werden müsse.

Die Wahrung von Grundrechten ist aus seiner Sicht offenbar nicht so wichtig wie die Wahrung eines Koalitionsvertrages. Das maßgebende Gremium ist folglich auch nicht das Verfassungsgericht, sondern der Koalitionsausschuss. Dabei stellten im Januar und auch lange davor Rechtsexperten bereits klar, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gegen Grundrechte verstößt. Nun ist das auch offiziell mit höchstrichterlichem Siegel bestätigt.

Die Mitglieder der Regierungsfraktionen werden in dem Luxemburger Urteil dennoch eine Bestätigung ihrer Haltung finden. Während die SPD einen Triumph verbuchen kann, schließlich hatte Maas die Umsetzung der Richtlinie öffentlichkeitswirksam verhindert, versucht sich die Union mit Innenminister de Maizière an der Spitze in einer Trotzreaktion. Der EuGH hätte es auch andersrum machen können, also die Richtlinie in Kraft lassen und Vorgaben für nötige Änderungen machen können, sagte der Innenminister sichtlich überrascht.

Vom Bundesverfassungsgericht aus Deutschland ist er ja so eine larifari Rechtsprechung gewohnt, die dem verfassungsbrechenden Gesetzgeber in beständiger Regelmäßigkeit die Möglichkeit verschafft, dennoch sein Gesicht zu wahren. Das Prinzip der Vorratsdatenspeicherung hat der EuGH auch nicht gänzlich verworfen, wie es heißt. An diesen Strohhalm werden sich daher die Hardliner klammern und all ihre Energie darauf verschwenden, ein noch nutzloseres Werkzeug als bisher angedacht zu schaffen, nur um nicht als Verlierer dastehen zu müssen.

Warum? Weil es so im Koalitionsvertrag steht. Und der ist nicht dafür da, die Rechte der Bürger zu schützen, sondern die Interessen der profilneurotischen Parteien.


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Klassische Text-Bild-Schere

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Der Umfrageirrsinn geht weiter. Für eine klassische Text-Bild-Schere sorgte heute das ARD-Morgenmagazin. In der Überschrift wird behauptet, “Schlechte Noten für Große Koalition”. Darunter ist eine Abbildung der für diese Art der Wahlforschung üblichen Sonntagsfrage zu sehen. Und was kommt heraus? Richtig. Die große Koalition. So schlecht können die Noten also gar nicht sein. Oder sie sind doch schlecht. Nur glaubt der Wähler fest daran, dass etwas anderes als die Große Koalition in diesem Land gar nicht geht und ändert sein Abstimmungsverhalten kaum.

Text Bild Schere

PS: Bevor sich gleich die Gymnasiallehrer melden. Ja, mir ist bewusst, dass laut dem Ergebnis des DeutschlandTrends sehr wohl auch andere Koalitionen möglich sind, etwa Union und Grüne oder Union und AfD. Nur wären die Noten für Schwarz-Rot tatsächlich schlecht, müssten diese Parteien auch an Zustimmung verlieren und nicht dort landen, wo sie auch bei der Bundestagswahl schon lagen, als alle Experten in dem Ergebnis den offenkundigen Wunsch der Wähler nach einer Großen Koalition herauslasen.


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Statistische Märchenstunde

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Aus der Pressemitteilung des statistischen Bundesamtes von heute zu den Ausgaben für Bildung, Forschung und Wissenschaft haben viele Medien eine halbe Falschmeldung produziert. Es ist zwar richtig, dass die aufgewendete Geldsumme in Deutschland im Jahr 2012 um 1,9 Prozent von 242,7 auf 247,4 Mrd Euro gestiegen ist, eine Sensation ist das aber nicht. Die Medien begehen denselben Fehler wie bei den steigenden Steuereinnahmen. Sie vergessen die Bezugsgröße. Dabei schreibt das statistische Bundesamt klipp und klar.

„Gemessen am Bruttoinlandsprodukt 2012 wurden 9,3 % für Bildung, Forschung und Wissenschaft verwendet, dies entspricht dem Vorjahresanteil.“

Genau genommen entspricht es nicht ganz dem Vorjahresanteil. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sind die Ausgaben für Bildung, Forschung und Wissenschaft sogar leicht gesunken. Mit dem Dreisatz kann man sich das sehr schnell selbst zusammenrechnen.

2011: (242,7 Mrd. Euro Bildungsausgaben x 100) / 2606,02 Mrd. Euro BIP

= 9,31 Prozent
2012: (247,4 Mrd. Euro Bildungsausgaben x 100) / 2668,01 Mrd. Euro BIP

= 9,27 Prozent

Also kein Grund zum Jubeln. Vielmehr geht der Anteil der Bildungsausgaben am volkswirtschaftlichen Kuchen zurück, obwohl Kanzlerin Merkel nach ihrem legendären Bildungsgipfel in Dresden aus dem Jahr 2008 erklärte, mindestens 10 Prozent des BIP in Bildung und Forschung investieren zu wollen. Also 7 Prozent für Bildung und 3 Prozent für Forschung. Bei der Bildung sieht es mit rund 5 Prozent (hier sind die international irrelevanten Ausgaben, die deutsche Politiker hierzulande für „zusätzlich bildungsrelevant“ halten wieder herausgerechnet) gemessen am BIP immer noch düster aus. Hier liegt Deutschland unterhalb des OECD-Durchschnitts.

Um die chronische Unterfinanzierung des Bildungssystems aber zu beenden, ist deutlich mehr Geld notwendig, als die knapp fünf Milliarden mehr im Vergleich zu 2011. Das Zehnfache wäre ein Gewinn und dann auch tatsächlich eine Erfolgsmeldung wert. Doch das ist mit den schwarzen und roten Nullen in Berlin eher nicht zu machen.


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Armseliges Schwarze Peter Spiel

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Die Ermittlungen gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy haben inzwischen eine weitere absurde Stufe erreicht. Noch immer hat eigentlich niemand genaue Informationen, diese scheinen aber bereits lange vor den angeordneten Hausdurchsuchungen die Runde gemacht zu haben, was die Staatsanwaltschaft nun dazu veranlasst hat, politischen Volljuristen, besser wäre die Bezeichnung Vollpfosten, vorzuwerfen, sie hätten Geheimnisverrat begangen und damit die Ermittlungen behindert.

Thomas Oppermann, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel wussten über etwas Bescheid, über das sie hätten nicht Bescheid wissen dürfen, wenn ich es richtig verstanden habe. Den Fehler hat aber offenbar der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich begangenen, als er die SPD-Spitze über den Verdacht der Ermittlungsbehörden unterrichtete. Mit Unterricht kennt sich Lehrer Sigmar Gabriel aus, weshalb er die ungenaue, aber sensible Information an seine Parteikollegen didaktisch weitergab. Oppermann und Steinmeier sind wie Friedrich Volljuristen, haben bis auf Oppermann aber nie praktisch als solche gearbeitet.

Oppermann habe sich nach eigener Darstellung nun die ungenaue, aber brisante Information vom BKA-Chef Jörg Ziercke in einem Telefonat bestätigen lassen, was der gelernte Kriminalpolizist natürlich sofort dementierte. Er will sich am “Schwarze Peter Spiel” nicht beteiligen, schließlich gibt es den ja auch schon, den schwarzen Hans-Peter, der offenbar die Arschkarte nicht mehr loswerden wird. Ach, die Plaudertasche Hans-Peter Friedrich, der zur NSA-Affäre im Bundestag sagte: “Die Verschwiegenheit unserer amerikanischen Partner führt leider zu Verschwörungstheorien.”

Jetzt wissen wir auch, welche Themen für Friedrich in seiner Amtszeit wichtiger waren, als der NSA-Skandal oder das flächendeckende Behördenversagen im Zusammenhang mit den NSU-Morden. Wäre Friedrich schlau, würde er die Unterrichtung seines Hauses ebenfalls als Behördenversagen titulieren, ist doch für die Strafverfolgung nicht der Bundesinnenminister, sondern das Justizministerium zuständig. Als Minister des Innern hatte er sich allerdings um die Gefahrenabwehr zu kümmern. Diese Aufgabe hat er dann wohl auch erfüllt und die gerade im Entstehen befindliche Große Koalition, der alle erwartungsfroh zujubelten, vor Schaden bewahrt.

Zu Edathy selber, kann man immer noch nichts Genaueres sagen. Er soll gewarnt worden sein. Er soll Festplatten zerstört haben und er soll, laut Fernsehberichten (via Klaus Baum), ein lustbezogenes Verhältnis zum Leben gehabt haben. Klaus schreibt und zitiert treffend weiter: “Der Schwachsinn in dieser Gesellschaft besteht in ihrer an den haaren herbeigezogenen Kausalität, die keine ist.” Ich würde sagen, dass es einfach viel Sendezeit für wenige bedeutungslose Fakten gibt und zu wenig Sendezeit für viel wichtigere Themen, deren Fakten darauf warten, endlich einmal einem breiten Publikum mitgeteilt zu werden.


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Mal wieder ein Tag der guten Stimmung

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Es ist erst ein paar Tage her, da meldete das Statistische Bundesamt lauter Umsatzeinbrüche. Im verarbeitenden Gewerbe wie auch im Einzelhandel will die Realität  einfach nicht zu den Erwartungen passen. Deutschland ging es im Dezember offenbar so gut, dass die Leute doch glatt das Einkaufen an Weihnachten vergessen hatten. Die Umsätze rauschten regelrecht in den Keller, ein reales Minus von 2,5 Prozent mussten die Einzelhändler hinnehmen. Den Medien war das kaum eine Meldung wert.

Heute war wieder der Tag der guten Stimmung. Und wie erwartet, hat es die Meldung der GfK zur “stabilen” Konsumlaune wieder in die Nachrichten geschafft. Hier ein Screenshot mit den Headlines zum Schlagwort “Kauflaune” bei Google News:

Kauflaune

Auch die Bundesregierung legte ihren Jahreswirtschaftsbericht vor. Nun freuen sich die Medien auf ein angeblich “kräftiges” oder wahlweise “robustes” Wachstum von 1,8 Prozent. Denn laut Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel habe die deutsche Wirtschaft auf einen stabilen und breit angelegten Erholungskurs eingeschwenkt. Das Bruttoinlandsprodukt, so Gabriel weiter, dürfte vor allem zulegen, weil es von der Binnenwirtschaft gestützt werde.

Die Botschaft ist also klar. Die Deutschen haben an Weihnachten nur für das BIP-Wachstum 2014 gespart. Doch warum jubeln alle über ein angeblich robustes/kräftiges Wachstum? Die Zahlen haben sich nicht geändert. Es sind jene Werte, auf die die optimistischen Prognosen, die bis zum vergangenen Herbst galten, nach unten korrigiert werden mussten. Damals jubelte aber keiner, weil die Experten die schwächeren Zahlen mit sinkenden Exporten und rückläufigen Investitionen begründeten. Daran hat sich also nichts geändert. Somit gebührt es erneut dem ökonomischen Analphabetismus und der Vergesslichkeit der Medien, dass heute wieder gejubelt werden darf.

Diesen propagandistischen Mist muss man eigentlich nicht mehr kommentieren, wäre da nicht die Aussage von Gabriel, die ungeprüft und unwidersprochen blieb. Er behauptete, dass die Dynamik der deutschen Binnenwirtschaft auch gut für die europäischen Partner wäre. “Wir kommen damit unserem Ziel, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euroraum abzubauen, ein Stück näher.” Dieses Ziel liegt ferner denn je. Die deutschen Ausfuhren sanken 2013 um 0,2 Prozent. Die Importe gingen mit 1,2 Prozent allerdings noch stärker zurück, was den Handelsbilanz-Überschuss auf 198,9 Mrd. Euro anschwellen ließ.

Das heißt, insgesamt reicht die Binnennachfrage eben nicht aus, um die Ungleichgewichte abzubauen. Sie werden sogar noch vergrößert. Aber Gabriel meinte ja die Eurozone. “In die Länder der Eurozone wurden im Jahr 2013 Waren im Wert von 401,9 Milliarden  Euro (– 1,2 Prozent) geliefert und Waren im Wert von 401,2 Milliarden  Euro (– 0,2 Prozent) aus diesen Ländern bezogen.” Beinahe ausgeglichen, möchte man meinen. Doch diese Zahlen sind geschönt, wie Stephan Kaufmann in der Frankfurter Rundschau feststellt. Er schreibt:

“Doch so rosig ist die Lage nicht. Denn die aktuelle Statistik beruht auf dem Versendungsland-Prinzip. Das bedeutet: Eine chinesische Ware, die über die Niederlande nach Deutschland geliefert wird, zählt als niederländischer Export. Aussagekräftiger ist das so genannte Ursprungsland-Prinzip, in dem diese Ware als chinesische Lieferung gezählt wird.

Nach dieser Statistik – die erst für die ersten elf Monate 2013 vorliegt – sieht es so aus: Deutlich mehr nach Deutschland exportieren konnten 2013 nur die Niederlande, Portugal und Belgien. Spanien gelang ein moderates Plus. Aus Frankreich, Griechenland, Irland und Italien bezog Deutschland weniger Importe. Das Defizit dieser Länder im Handel mit Deutschland schrumpfte nur, weil ihre Einfuhren aus Deutschland noch stärker sanken. Gegenüber Griechenland konnte Deutschland seinen Überschuss im vergangenen Jahr sogar ausweiten.

Fazit: Trotz einigen Verbesserungen erzielt Deutschland gegenüber den EU-Krisen- und  Wackelstaaten weiter hohe Handelsüberschüsse. Berechnet nach dem Ursprungsland-Prinzip lag der Überschuss mit der Euro-Zone 2013 bei 56 Milliarden Euro.”

Also, auch hier tut sich nichts. Um die Ungleichgewichte tatsächlich innerhalb der Eurozone abbauen zu können, müsste Deutschland deutlich mehr Importe aus den Defizitländern zulassen als es selbst Waren dorthin ausführt. Da das aber nicht so ist, haben die Staaten im Süden auch keine Chance wirtschaftlich aus der Krise herauszuwachsen. Die von Gabriel erhoffte Wirkung wird also ausbleiben, spätestens dann, wenn sich das Gerede von einer Zunahme der Binnennachfrage wieder als Luftnummer herausstellen wird, da eine dringend notwendige Anpassung der Kaufkraft an die ständig kolportierte Kauflaune auch in diesem Jahr wohl wieder ausbleiben wird. Darauf deuten übrigens auch schon die ersten mageren Tarifabschlüsse des Jahres hin.


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