Nun ist der Staatsfeind Nummer 1 Julian Assange, Gründer des Terrornetzwerks Wikileaks, in Großbritannien verhaftet worden. Das ging aber schnell. Irgendwas scheint Osama bin Laden hingegen richtig zu machen. Aber der ist jetzt ausnahmsweise nicht das Thema, sondern Wikileaks, das in unverschämter Weise unter staatliche Bettdecken schaut und das vorgefundene Elend auch noch veröffentlicht. Ich will gar nicht mehr aufzählen, was an Unsinn im Zusammenhang mit Wikileaks gesagt wurde. Es reicht vielleicht der Hinweis auf Rainer Brüderle, der, noch immer auf der Überholspur fahrend, mal eben Wikileaks mit der Stasi verglich.
Auf dem IT-Gipfel in Dresden sagte Brüderle: Manches was ich bei Wikileaks da entnehme, erinnert mich an die Sammelwut, die früher Institutionen im Osten hatten die Stasi dabei. Auf einer späteren Pressekonferenz räumte er ein, dass der Vergleich hinke.
Meiner Meinung nach hinkt nicht nur der Vergleich, sondern der Brüderle insgesamt. „Den Brüderle in seinem Suff, hält weder Ochs noch Esel uff“, meint Jochen Hoff sehr treffend auf Duckhome. Der Hoffnungsträger der FDP einmal mehr neben der Spur. Nichts Neues also.
Viel interessanter ist ja die inzwischen auf Druck der Regierungen eingesetzte Sperrwut von Wikileaks-Seiten. Dumm nur, dass sich im Internet eine Gegenbewegung formiert hat, die die Seiten auf den verschiedensten Domains online hält. Inzwischen gibt es 748 sog. Mirrors (Spiegel) im Netz. Von diesen Internetadressen können sie sich eine aussuchen und anklicken. Sie werden dann immer die Inhalte von Wikileaks wiederfinden.
Der Karikaturist Klaus Stuttmann zeigt uns hingegen, worum es bei dem Wikileaks-Drama in Wirklichkeit geht. Großartig.
Ganz Deutschland redet darüber, dass sich Menschen in Live-Shows, die etwas mit Unterhaltung zu tun haben sollen, am Samstag Abend den Hals brechen, aber kaum einer spricht über Guido Knopps merkwürdiges „Edutainment“ oder „Histotainment“, bei dem scheinbares Bildungsfernsehen mit halsbrecherischer Gewalt zur Unterhaltung deformiert wird. In Guido Knopps Sendung „Die Deutschen“ werden regelmäßig historische Gegenstände bis zur Unkenntlichkeit entstellt und dem Publikum vor die Augen geworfen.
So auch am Sonntag wieder, als es um Karl Marx ging. Im Ankündigungstext auf der Homepage hieß es schon:
Der Film zeigt die Figur, die Weltgeschichte schrieb, auch in seiner Herkunft, als Privatmann und Familienvater, wie ihn kaum jemand kennt.
Und so geriet auch die Weltgeschichte eher in den Hintergrund, weil sie der Dramaturgie des privaten Lebens Platz machen musste. Doch was bleibt beim Betrachter zurück? Karl Marx sei im Verbund mit Friedrich Engels mehr oder weniger ein Revoluzzer gewesen, dessen akribische Analysearbeit ihm finanziell nichts einbrachte. Erst nach seinem Tod hätten sich zahlreiche Regierungen auf ihn berufen, um ihren kommunistischen Machtanspruch zu legitimieren. Seine Familie hatte es nicht leicht. Dazu ein Kind mit einer anderen Frau. Das wollte Knopp vor allem erzählen.
So dermaßen verkürzt präsentiert Knopp jenen Theoretiker des langen 19. Jh., an dem sich ganze Heerscharen von Geisteswissenschaftlern, darunter Sozialwissenschaftler und Ökonomen, bis heute noch abarbeiten. Im Film wird lapidar von „Prophezeiungen“ gefaselt, die Marx angeblich formuliert haben soll. Das ist schon bemerkenswert, wenn man sich einmal klar macht, mit welcher Inbrunst heute Weissagungen von Wirtschaftsforschungsinstituten als seriöse „Prognosen“ verkauft werden. Und weil man lieber etwas über „Prophezeiungen“ erzählen will, auf die sich scheinbar wirre soziale Bewegungen des 19. und 20. Jh. stützten, vergisst man ganz schnell die wichtigste Prognose der Marxschen Theorie. Es ist eben nicht der Sozialismus und auch nicht der Kommunismus, den Marx vorausgesagt hat, sondern es war die Zusammenbruchskrise, die Marx und Engels sicher prognostizierten.
Ihre Theorie ist eine „Kritische“ und eben keine „Optimistische“. Selbst Guido Knopp zeigt in seinem Film das Hauptwerk „Das Kapital“. Und darunter ist deutlich zu lesen die Begleitüberschrift „Kritik der politischen Ökonomie“. Also allein aus diesem Titel könnte man schon schließen, dass es sich nicht um eine positivistische oder gar idealistische Theorie handeln kann.
Aber wie heißt es im Ankündigungstext der Sendung weiter:
Er ist einer der wirkungsvollsten Bestsellerautoren der Weltgeschichte, und doch haben die Wenigsten sein Werk vollständig gelesen.
Man muss auch nicht alles lesen, es genügt ja schon, gewisse Dinge zu verstehen. Wenn es im Film aber heißt, dass Marx ein trickreicher Zeitgenosse gewesen sei, der mit den Folgen seines Werks nichts zu tun haben wollte, weil er angab, er selber sei kein Marxist, dann haben die Autoren rein gar nichts von der Marxschen Theorie verstanden. Aber dieses Schicksal teilen sie eben auch mit den Marxisten.
Denn der Witz ist doch der, dass die von Marx kritisierte bürgerliche Ideologie von den Kapitalisten und den Marxisten gleichermaßen verinnerlicht wurde, um ihr jeweiliges politisches Programm zu rechtfertigen. Marx selber machte das gegenüber der in Gründung befindlichen Sozialdemokratie deutlich, als er am 5. Mai 1875 auf das ihm übersandte Gothaer Programm verärgert reagierte. An den damaligen Sprecher der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands) Wilhelm Bracke schrieb er deutliche Worte:
„Nachstehende kritische Randglossen zu dem Koalitionsprogramm sind Sie wohl so gut, nach Durchlesung, zur Einsicht an Geib und Auer, Bebel und Liebknecht mitzuteilen. Ich bin überbeschäftigt und muß schon weit über das Arbeitsmaß hinausschießen, das mir ärztlich vorgeschrieben ist. Es war mir daher keineswegs ein „Genuß“, solch langen Wisch zu schreiben. Doch es war notwendig, damit später meinerseits zu tuende Schritte von den Parteifreunden, für welche diese Mitteilung bestimmt ist, nicht mißdeutet werden.
(nach anbehaltenem Koalitionskongreß werden Engels und ich nämlich eine kurze Erklärung veröffentlichen, des Inhalts, daß wir besagtem Prinzipienprogramm durchaus fernstehen und nichts damit zu tun haben.)
Es ist dies unerläßlich, da man im Ausland die von Parteifeinden sorgsam genährte Ansicht – die durchaus irrige Ansicht – hegt, daß wir die Bewegung der sog. Eisenacher Partei insgeheim von hier aus lenken. Noch in einer jüngst erschienenen russischen Schrift macht Bakunin mich z.B. für alle Programme etc. jener Partei verantwortlich ( , sondern sogar für jeden Schritt, den Liebknecht, vom Tag seiner Kooperation mit der Volkspartei (3) an, getan hat).
Abgesehn davon ist es meine Pflicht, ein nach meiner Überzeugung durchaus verwerfliches und die Partei demoralisierendes Programm auch nicht durch diplomatisches Stillschweigen anzuerkennen.“
Marx stahl sich also nicht einfach so aus seiner Theorie, sondern verteidigte sie noch zu Lebzeiten gegen die Falschdeutung der sozialdemokratischen Vulgärmarxisten. Bis heute hält sich seltsamerweise die Behauptung aus dem Gothaer Programm, dass die Quelle allen Reichtums die Arbeit sei. Dabei ist genau das bürgerliche Ideologie, die nicht Kern eines sozialistischen Programms sein könne, das den Anspruch erhebt, die Klassengesellschaft zu überwinden.
„Ein sozialistisches Programm darf aber solchen bürgerlichen Redensarten nicht erlauben, die Bedingungen zu verschweigen, die ihnen allein einen Sinn geben. Nur soweit der Mensch sich von vornherein als Eigentümer zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und -gegenstände, verhält, sie als ihm gehörig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum. Die Bürger haben sehr gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; denn grade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben.“
Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind also nicht natürlich, sondern erscheinen nur so. Marx nennt das Naturwüchsigkeit. Die Verhältnisse sind aber von den Menschen selbst so eingerichtet, doch sie nehmen den Schein für das Wesen der Sache.
Marx zentraler Begriff ist die Ware. Damit beginnt auch das Kapital. Das Wesen der politischen Ökonomie besteht in der formalen Gleichbehandlung der Warenbesitzer. Unter dem gesellschaftlichen Diktat des Gewaltverzichts muss daher das Individuum die gegenseitige Anerkennung der Warenbesitzer als Grundlage eines Vertrages akzeptieren, der bewusst die persönlichen Bedürfnisse befriedigt und unbewusst gesellschaftliche Prozesse am Leben erhält. Erst über die Freiheit der individuellen Bedürfnisse entwickelt sich ein Markt, an dem das Individuum selbst gar nicht interessiert ist. Nur durch die Verfolgung seiner egoistischen Interessen, realisiert sich die Vernunft der bürgerlichen Gesellschaft. Im Grunde erzeugt die Zirkulation der Waren einen Schein der Gewaltlosigkeit und Gleichheit, dabei verschleiert er Klassenverhältnisse und Transformationsprodukte.
Und die besondere Leistung der „Deutschen“ war nun, dass sich mit der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848/49 in der zersplitterten deutschen Gesellschaft die einheitsbildende Ablehnung von Liberalismus und Zirkulation herausbildete. Man trennte die Mechanismen des Marktes ab und begriff die Kultur fortan als Qualität, die außerhalb des Erwerbs zu stehen schien. Somit befand sich auch die geistige Arbeit, Geldmittel und Bildung im Zentrum einer Ideologie, die als antisemitische Propaganda das Ressentiment des Außer-Ökonomischen freisetzte.
Im enttäuschten Lager der bürgerlichen Nationalbewegung bildete sich somit eine Ideologie des politischen Antisemitismus heraus. Aber das für Herrn Knopp nur am Rande.
Die Realität des Tauschaktes bleibt undurchschaut. Das Bedürfnis nach äußerer Gewalt, also die gewaltsame Aneignung von Waren, wird durch die Gesetzesherrschaft (Gewaltverzicht) tabuisiert. An die Stelle der eingebüßten Gewalt tritt die Kälte des bürgerlichen Subjektes. Das wurde ja gerade durch Prof. Wilhelm Heitmeyers Langzeitstudie über die Deutschen Zustände wieder neuentdeckt. Dabei hat schon die kritische Theorie von Horkheimer und Adorno, die sich in der Tradition von Marx verstand, diese Prognose formuliert.
In der kritischen Theorie von Marx steckt also viel mehr Wissen über die Gegenwart als in den Unterhaltungsfilmchen des Fernseh-Historikers Guido Knopp zum Ausdruck kommt. Aber das ist auch nicht die Absicht des Dr. Guido Knopp. Bei ihm kommt es eben auf Verpackung und Inszenierung an. Dann sollte man das aber auch ehrlicherweise als Fiktion bezeichnen und nicht als eine Pseudo-Wissenschaft, die etwas mit „Education“ oder „History“ zu tun hat.
Zum Abschluss Kabarettist Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung über Guido Knopp:
Ich sitz vor der Geschichte, es ist irgendwie nicht meine.
Manchmal denke ich, ich hätte selber keine.
Bitte Guido, bitte bitte ich hätt‘ so gerne eine, eine von Knopp,
Dr. Guido Knopp.
Geschichte ist so geil, ich wär‘ so gern dabei gewesen.
Guido kennt sie alle, die guten und die Bösen.
Er sieht aus wie ein dunkler Frisör, doch er ist Historiker.
Ich will’s immer wieder anschauen und nichts mehr drüber lesen.
Im Bundestag soll es heute heiß her gegangen sein. Die Reform des Hartz-IV-Gesetzes stand auf der Tagesordnung und Arbeitsministerin von der Leyen schritt gleich zweimal ans Rednerpult, nachdem die SPD überraschend ihren letzten Redner gegen Parteichef Sigmar Gabriel ausgetauscht hatte, der zum Rundumschlag ausholte. Das konnte sich die ehemalige Unions-Barbie und Zensursula natürlich nicht gefallen lassen und wechselte sich kurzerhand gegen den letzten Redner der Union noch einmal selbst ein.
Wütende Proteste hüben wie drüben. Auf Antrag der Linken wurde die Sitzung dann unterbrochen und später wieder fortgesetzt. Am Ergebnis hat der inszenierte Zoff natürlich nichts geändert. Hartz-IV bleibt Armut per Gesetz und zwar ganz unabhängig davon, ob die SPD ihren Mindestlohn bekommt oder nicht. Rot-Grün steckt in einer Glaubwürdigkeitsfalle, weil sie die Arbeitsmarktreformen buchstäblich zu verantworten haben und das immer noch toll finden. Union und FDP können der Opposition somit genüsslich die Beteiligung und das Versagen während ihrer eigenen Regierungszeit vorhalten und jeder kann dem spontan zustimmen.
Dass Union und FDP die Arbeitsmarktreformen von Schröder selber mitbeschlossen haben, als damals SPD und Grüne die Zustimmung im Bundesrat brauchten, ist nur eine Randnotiz, aber auch ein entscheidender Hinweis auf die Gegenwart, die unter veränderten Vorzeichen genauso schäbig abzulaufen droht wie damals. Jetzt brauchen Union und FDP halt die Zustimmung von der SPD oder nur von den Saarland-Grünen, um ihr Gesetz im Bundesrat zu verabschieden.
Gregor Gysi wies in seiner Rede darauf hin und betonte noch einmal die seltsame Rolle der Grünen mit Blick auf Hamburg und das Saarland sowie auf die Tatsache, dass die große Hartz-IV-Konsenssoßenvereinigung im deutschen Bundestag einmal mehr ein verfassungswidriges Gesetz beschließen wird.
Die neue Chefmathematikerin der Union Ursula von der Leyen wurde am Ende ihres zweiten Auftritts, bei dem sie schon eigenartige Schüttelsätze von sich gab, frenetisch gefeiert und mit minutenlangem Applaus bedacht. Das war im Prinzip der zweifelhafte Höhepunkt dieser geschmacklosen Show. Die Frage aber, warum man für die Rechnung fünf Euro mehr fast ein ganzes Jahr braucht und damit jene Frist, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber gesetzt hat, bis zum Schluss ausnutzen muss, bleibt weiterhin ein Rätsel.
Bei der Ablösung des kriminellen Vorstands der HSH-Nordbank, Dirk Jens Nonnenmacher, sind die Politiker offenbar bereit, zwei Millionen Euro Abfindung unter Vorbehalt zu zahlen.
Der Bankchef soll nach dem Willen der Eigentümer – vor allem Hamburg und Schleswig-Holstein – die zwei Millionen Euro nur unter Vorbehalt bekommen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ weiter berichtete. Sie wollen vertraglich festlegen lassen, dass Nonnenmacher das Geld zurückzahlen müsse, falls er wegen Straftaten verurteilt werden sollte oder noch Sachverhalte bekannt würden, die eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten.
Und wie soll die „vertragliche Festlegung“ dann heißen. Ausgliederungsvereinbarung? Und wieso sagt man nicht einfach, dass Nonnenmacher sein Vermögen zunächst aufbrauchen müsse, bevor der Steuerzahler, der schon seine Bank und sein Gehalt gerettet hat, ihm noch einen Abschiedsbonus hinterschiebt? Die Schnösel von der FDP meinen ja, dass man diese beiden Dinge, also Eingliederungsvereinbarung und Ausgliederungsvereinbarung nicht miteinander vergleichen könne.
Wenn aber Gabriel den Vergleich in seiner Rede gezogen und auf die Schieflage innerhalb der Gesellschaft hingewiesen und Vorschläge zur Abhilfe unterbreitet hätte, dann wäre ihm vielleicht auch die Zuschauertribüne applaudierend zur Seite gesprungen, obwohl die Besucher des Bundestags das eigentlich gar nicht dürfen.
Es hat ja keinen Sinn über den Spitzenkandidaten der SPD in Hamburg, Olaf Scholz, zu schimpfen. Der Mann weiß es offenbar nicht besser. Via Interview mit Spiegel Online lässt er verbreiten:
Hamburgs SPD-Spitzenkandidat Scholz
„Mein Vorbild beim Sparen ist Bill Clinton“
Im Text heißt es dann:
Ich bin dafür, dass wir eine sparsame Haushaltspolitik machen. Mein Vorbild ist da Bill Clinton, der mit dem US-Kongress vereinbart hatte, dass es kein Gesetz mit Mehrausgaben geben darf, in dem nicht zugleich steht, wo das Geld herkommen soll. Mit anderen Worten: Jedes Gesetz muss man sich verdienen. So ist es dem US-Präsidenten in zwei Amtszeiten gelungen, den völlig ruinierten Haushalt zu sanieren.
Wir müssen den gesamten Politikstil auf Sparsamkeit hin ändern. Wer sparsam ist, braucht nicht ständig Sparpolitik. Dieser große Paradigmenwechsel steht in Hamburg an.
Und täglich grüßt das Murmeltier. Der Neue will zur Abwechslung mal Sparen. Ein tolles Programm. Das hatten wir noch nie. Hier zeigt der vermeintliche neue Bürgermeister aber nicht nur seine ökonomische Beschränktheit, sondern auch sein schlechtes Gedächtnis. Denn Bill Clinton war nicht einfach nur sparsam, sondern ein Präsident, der aktive Makropolitik betrieb. Er löste damit das neoliberale Dogma von der Entstaatlichung und permanenten Steuersenkungen ab, dass durch die Präsidenten Reagan und Bush sen. praktiziert wurde und das erst zu dem großen Haushaltsdefizit Anfang der 1990er Jahre geführt hatte.
Wenn es Scholz also ernst mit dem Clinton-Vergleich meinen würde, müsste er seine eigene Partei dazu aufrufen, von der Agenda 2010 endlich Abstand zu nehmen. Denn die war im Prinzip nichts anderes, als eine Nachahmung der gescheiterten amerikanischen Politik vor Clinton.
Clinton erzielte seinen Haushaltsüberschuss dann auch nicht einfach nur über eine sparsame Geisteshaltung, sondern durch eine aktive Wirtschaftspolitik, die darauf abzielte, die Einkommensungleichheit abzubauen. In Deutschland rühmt sich die SPD ja noch immer, den größten Niedriglohnsektor aller Zeiten geschaffen zu haben. Aber auch höhere Steuern für Reiche führte Clinton ein. Er verbesserte also auch die Einnahmeseite seines Haushalts und beklagte sich nicht über leere Kassen. Bei Scholz erfährt man hingegen nur, dass es keinen Schatz im Rathaus gibt. Damit soll der Wähler nun etwas anfangen können.
Der Höhenflug der Grünen ist unbestritten. Die Partei profitiert von den Bürgerprotesten gegen Stuttgart 21 und die Atomkraft. Sie hat sich quasi an die Spitze der Bewegung geschlichen und somit ihr altes Gründungsprofil zurückgewonnen. Inzwischen erinnert sich kaum einer mehr an die Kriegseinsätze, die Agenda 2010 und die Deregulierung der Finanzmärkte, die von den Grünen in Regierungsverantwortung mitbeschlossen wurde oder an den Aufruf von Bundesumweltminister Trittin, der seinen Anhängern davon abriet, gegen Castor-Transporte zu demonstrieren.
Ich habe mich auch immer gefragt, warum Kabarettisten wie Urban Priol die Grünen aus Überzeugung wählen. Georg Schramm meinte kürzlich, dass er einmal den Linken seine Stimme gab. Daraufhin hätte ihn der Kollege Priol dafür mitverantwortlich gemacht, dass Merkel überhaupt Kanzlerin werden konnte. Ein wenig kurzsichtig, wenn die Aussage von Priol tatsächlich ernst gemeint war.
Dabei müsste man gerade in diesen Tagen wieder fragen, welche Rolle die Grünen im neoliberalen Schreckensschauspiel eigentlich übernommen haben. In Stuttgart bringen die grünen S21-Gegner selbst den alten Parteisoldaten der Union Heiner Geißler als Schlichter ins Gespräch und prompt kassieren sie eine absehbare Niederlage sowie die Spaltung der Protestbewegung. Am Ergebnis hat sich unterdesseen nichts geändert.
Durch den überraschenden Bruch der Hamburger Koalition gibt es im Bundesrat plötzlich eine neue Situation für die bislang unterlegene schwarz-gelbe Bundesregierung, die vor dem Jahreswechsel noch die umstrittene Hartz-IV-Reform auf den Weg bringen will. Da man in Hamburg eine bereits vorhandene linke Mehrheit im Rathaus ungenutzt lässt und stattdessen lieber auf Neuwahlen im nächsten Jahr setzt, bleibt die CDU mit ihrem gewählten Bürgermeister als Minderheitsregierung geschäftsführend im Amt. Im Bundesrat braucht sich das Land Hamburg aber nicht mehr zu enthalten, sondern kann der umstrittenen Hartz-IV-Regelung einfach zustimmen. Die Grünen sind ja nicht mehr mit dabei. Nur eine Stimme benötigt die Kanzlerin dann noch für das von der Leyensche Gaunerstück. Die korrupten Saarland-Grünen aus der dortigen Schwampel warten schon auf entsprechende Schmiergelder aus Berlin.
Okay, zur Not hätte sich auch die SPD noch mit Scheinkompromissen kaufen lassen, aber es ist doch schon sehr bezeichnend, dass von den Grünen keinerlei Anstrengung unternommen wird, die Schwachsinnsgesetze der schwarz-gelben Minderheitsregierung zu blockieren. Aber irgendwie passt das auch zur Protestbewegung, deren Teilnehmer viel von überteuerten Bahnhofsprojekten und giftigen Atommüll verstehen, aber wenig vom sozialen Kahlschlag, den die Grünen immer noch mittragen. Es ist doch so wie die Reaktion der Grünen nach der S21-Schlichtung. Es reicht ihnen schon, auf „Augenhöhe“ mitreden zu dürfen. Etwas ändern wollen auch sie nicht wirklich. Dabei sein im neoliberalen Club ist alles.
Im November haben die Besucherzahlen dieses Blogs wieder zugenommen. Die 5000er Marke konnte übersprungen werden. Der Trend zeigt nach oben. Oben bleiben! lautet wohl auch das Stichwort. Viele neue Besucher kamen nämlich von den Parkschützern aus Stuttgart.
Wie immer möchte ich mich bei allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs sowie den Mitdiskutanten bedanken, die im abgelaufenen Monat fleißig gelesen und kommentiert haben. Falls ihnen der Blog gefällt, empfehlen sie ihn ruhig weiter. :D
Ausblick
Pünktlich zu Beginn des Dezembers ist es bitter kalt geworden und ein eisiger Wind bläst durch das Land, das noch immer eine Aufschwungparty feiert. Hinter dem ersten Türchen des Adventskalenders erscheint heute die Botschaft, dass das Getriebe der Wirtschaft noch nicht festgefroren sei, das das Wachstum weiter stabil wachse, mit vermindertem Tempo zwar, aber mit Freude. weiterlesen
Vor einiger Zeit bezeichnete Oberstleutnant Sanftleben (Georg Schramm) die sich fortsetzende Finanzkrise als ersten Weltkrieg, der mit virtuellen Massenvernichtungswaffen ausgetragen werde. Und in der Tat mobilisieren die, dem großen Angreifer „Big Money“, hoffnungslos unterlegenen Staaten ihre letzten Reserven, um nicht unterzugehen, ohne die letzen Reserven auch verschossen zu haben. Zu gewinnen gibt’s jedenfalls nichts mehr.
Während man in Stuttgart auf den Spruch von Schlichter Heiner Geißler wartet und tatsächlich glaubt, da würde sich ein großer Wurf ankündigen, fliegen zwischen den Finanzverwaltern der EU bereits die Fetzen. Europa ist sich mal wieder einig in seiner Uneinigkeit. Da hieß es doch zunächst auf Betreiben Deutschlands hin, man wolle private Gläubiger an künftigen Rettungsmaßnahmen beteiligen. Da man das aber erst ab dem Jahr 2013 anstrebt, sorgte die Ankündigung für eine weitere Verschärfung der Finanzen in den PIIGS-Staaten. Deshalb debattiert man nun über eine nicht unerhebliche Aufstockung des Rettungsschirms auf über eine Billion Euro, unter den dann auch die Staaten Spanien und Portugal schlüpfen könnten.
Zum Glück kostet uns das ja alles nichts, wie der Chef des Rettungsfonds Klaus Regling der Bild-Zeitung mitteilte. Damit liegt Regling ganz auf Linie von Schäuble und den Franzosen, die entgegen der Absprache zwischen Merkel und Sarkoszy in Deauville eine Beteiligung privater Gläubiger nun wieder ablehnen.
Andere, wie der Chef der CSU im Europaparlament Markus Ferber halten das für falsch und holen zum verbalen Gegenschlag aus.
„Die Freundschaft Deutschlands zu Frankreich in allen Ehren, die Zusammenarbeit mit Paris kann nicht so laufen, dass die Franzosen ihre Vorhaben durchsetzen und die Deutschen dazu nur nicken.“
Interessant, denn bisher geben ja die Deutschen alles vor und die anderen nicken einfach ab. Offenbar soll das auch in Zukunft so bleiben. Aber was passiert eigentlich wirklich?
Gerade hat der Bundeswirtschaftsminister das „Fest der Freude am Arbeitsmarkt“ ausgerufen. Deutschland sei auch weiterhin im Aufschwung, alles andere ist egal. So zum Beispiel auch die Eurokrise, die gerade erst wieder durch Frau Bundeskanzlerin angefacht wurde, als die ihren Willen zu einem dauerhaften Krisenmechanismus mit Selbstbeteiligung formuliert hatte. Das ist schon merkwürdig. Denn im Zuge dieser neuerlichen Debatte um die Stabilität des Euro geht nicht nur Irland plötzlich unter, sondern auch der Wechselkurs zum Dollar auf Talfahrt.
Für die deutsche Exportindustrie ist das gut. War Merkels Euro-Manöver also ein gezielter Schlag gegen die Amerikaner, die ihrerseits die Produktion der eigenen Geldpressen kürzlich erhöhten und die Geldpolitik zum Missfallen der Deutschen abermals lockerten? Auf dem G20-Gipfel in Südkorea kam es diesbezüglich bereits zu deutlichen Spannungen. Der Euro stieg in der Zwischenzeit auf über 1,40 US-Dollar, was der deutschen Exportindustrie natürlich nicht gefallen haben dürfte.
Hat Merkel also gar nicht vor, das Vertrauen in die Stabilität des Euro wiederherzustellen? Verfolgt sie eher die Strategie, Ängste zu schüren, damit der Wechselkurs zum Dollar möglichst niedrig bleibt und die deutsche Exportindustrie auch dann noch Vorteile hat, wenn ringsherum ganze Volkswirtschaften zusammenbrechen? Könnte es so simpel und einfältig sein?
Sicher ist jedenfalls, dass der Bundesbankpräsident Axel Weber gern Chef der EZB werden möchte. Und das gelingt ihm nur mit Zustimmung der Franzosen. Deshalb meint auch Weber, dass eine Aufstockung des Rettungsfonds problemlos möglich sei. Wenn ganze Staaten im Krieg auf den Finanzmärkten verlieren, so gibt es doch immer noch einzelne Gewinner, die keinen Staat mehr brauchen, um aus der prekären Situation persönlich Kapital zu schlagen.
Der Bruch der geliebten Medien-Koalition war abzusehen, überrascht taten aber viele. Die lustigste Reaktion kam derweil vom FDP-Bambi Christian Lindner, der meinte, dass die Grünen nur ein Umfragehoch ausnutzen wollen, bevor deren Zustimmungs-Blase platzt. Da spricht der Mann wohl aus Erfahrung? Die FDP-Blase ist ja schon längst regelrecht zerborsten. Lindner hofft nun für seine Partei, dass die FDP bei Neuwahlen wieder zulegen könne, um sich als der einzig wahrer Koaltionspartner der Union in Stellung zu bringen.
In Hamburg stehen die Wähler nun vor einer schwierigen Aufgabe. Nichts geht mehr, könnte man meinen. Denn wer will schon eine schwarz-gelbe Regierung unter Ahlhaus oder eine rot-grüne unter Olaf Scholz. Beide Personaloptionen können doch nur mit Abscheu betrachtet werden.
Ich verstehe auch nicht, warum überhaupt neu gewählt werden muss. Es wäre nach 1982, 1987, 1993 und 2004 bereits das fünfte Mal, dass die Legislaturperiode in der Hansestadt vorzeitig enden würde. Das sind ja schon fast Weimarer Verhältnisse, dabei hätten SPD und GAL zusammen genauso viele Sitze wie die Union. Man müsste sich halt nur mit den Linken über die Wahl eines anderen Bürgermeisters einigen. Es kann doch nicht sein, dass die repräsentative Demokratie durch permanente Neuwahlen zur Farce wird, nur weil keiner mehr mit dem anderen kann. Hinterher sitzen doch eh wieder dieselben Nasen im Parlament zusammen.
Die scheinbürgerlichen Parteien fallen dabei besonders auf. Beim Stuttgarter Bahnhofsbau sangen sie noch das hohe Lied von der Rechtssicherheit und den unumstürzlichen Entscheidungen, die einmal parlamentarisch durch bestimmte Mehrheiten getroffen wurden und in Hamburg soll nun einfach neu gewählt werden, damit die erwünschten Mehrverhältnisse zu Stande kommen. Wenn Herr Lindner den Grünen also Machttaktik vorwirft, weil die sich von einem vorgezogenen Urnengang durch gute Umfragen ein besseres Ergebnis erhoffen, dann muss man doch umgekehrt fragen, was sich Lindners FDP eigentlich wünscht. Lindner müsste im Prinzip die Fortsetzung der Legislaturperiode bis 2012 fordern, wenn er sich als Gegner von Umfragewahlen versteht.
Tut er aber nicht. Denn die Liberalen wollen ihrerseits recht zügig zurück in die Bürgerschaft, nachdem sie dort seit 2004 nicht mehr vertreten sind. Und wenn sie es schaffen, dürfen sie sich bei den Grünen bedanken, dass sie die Wartezeit um zwei auf sieben Jahre verkürzt haben.
Ich persönlich rechne aber nicht mit einer liberalen Wiederauferstehung in Hamburg, zumal jetzt die ganze Welt weiß, dass Westerwelle kein Genscher sei, sondern eher ein dummer Phrasendrescher, bei dem man nicht genau wisse, woher er seine politische Meinung beziehe. Und Dirk Niebel sei einfach nur eine schräge Wahl, meinen US-Diplomaten, deren vertrauliche Ansichten nun durch WikiLeaks veröffentlicht wurden.
Das einzige, was zunehmen wird, ist die Zahl derer, die nicht mehr zur Wahl gehen werden. Das wäre dann aber ein Umstand, dem die späteren Wahlgewinner einmal mehr keine sonderliche Bedeutung beimessen werden.
Heute ging es ja um die Kosten des Bahnprojekts und am Ende könnte man sagen, dass der ganze Spaß noch teurer wird, aber dann mit dem Segen eines Schlichters. Denn als Ergebnis der Schlichtung könnte am Dienstag der Vorsitzende Geißler vorschlagen, bei dem Projekt insgesamt Nachbesserungen vornehmen zu lassen. Das wäre dann nicht nur mit höheren Kosten verbunden, sondern in der Tat ein gelungenes Gaunerstück der S21-Befürworter.
Jahrelang wurden die tatsächlichen Kosten verschleiert oder stiegen immer weiter an, nun stellen ein paar Prüfer, die auch noch von der Bundesregierung entsandt worden waren, fest, dass die Gesamtfinanzierung von 4,5 Milliarden Euro mehr oder weniger in Ordnung gehe. Es bestünde halt nur eine hohe Unsicherheit, was auch immer der Zuschauer damit anfangen soll. Im Prinzip wird die Bahn einen Nachbesserungsauftrag erhalten, den sie natürlich akzeptieren wird. Schließlich hätte solch ein Schlicherspruch den Vorzug, künftige Kostensteigerungen besser vermarkten zu können.
Dann werden vielleicht gerade jene Anpassungen vorgenommen, die ohnehin über kurz oder lang hätten stattfinden müssen, aber zuvor noch brutal herausgestrichen wurden, um die Kosten des Gesamtprojekts entsprechend herunterrechnen zu können.