Nach den gescheiterten Verhandlungen im griechischen Schuldenstreit bemühen sich alle Beteiligten um eine reine Weste. Ein Großteil der Medien hat ein Urteil bereits gefällt. Die Griechen haben es versaut. Doch das ist falsch.
JUN
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Die Berichterstattung über Griechenland in dieser Woche war an Einfältigkeit und Dummheit kaum noch zu überbieten.
Als wäre es nicht schon blamabel genug, dass deutsche Medien Tag für Tag auf die von den Gläubigern aufgezogene Phantomuhr hereingefallen sind, so machten die journalistischen Kleinhirne ihrem Frust am Ende der Woche mit Vokabeln wie Zocker und Schurken Luft (siehe Tagesthemen Kommentar von Alois Theissen, Hessischer Rundfunk, 27. Juni 2015). Hinzu kommt die abenteuerliche wie absolut falsche Behauptung, der deutsche Steuerzahler müsse haften für ELA Kredite der EZB an griechische Banken.
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Während die EU Kommission und die meisten Mitglieder der Eurogruppe die aktuellen Vorschläge aus Griechenland als vielversprechend bewertet haben, wies Schäuble diese sichtlich genervt zurück. Am Ende hieß es plötzlich, die Zeit habe nicht ausgereicht, um zu prüfen. Die Uhren ticken komisch.
Seit Wochen und Monaten gibt es Streit um Reformlisten und einzelne Punkte, die Griechenland aus Sicht der Gläubiger unbedingt akzeptieren müsse, bevor weitere sogenannte Hilfsgelder fließen können. Seit Wochen und Monaten macht Griechenland Vorschläge, die wahlweise ignoriert oder als unzureichend zurückgewiesen werden. Gleichzeitig wird permanent der Eindruck erweckt, dass Athen liefern müsse und die Zeit dafür immer knapper werde. Die Ereignisse an diesem Montag beweisen aber einmal mehr, das die Gläubiger mehr an einer Hinhaltetaktik interessiert sind, als an einer konstruktiven Lösung der Krise.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist an diesem Wochenende für seine Verdienste um die deutsche Einheit ausgezeichnet worden. Wie schräg mutet diese Ehrung doch an. Denn damals spielten Kosten bekanntlich keine Rolle. Heute jedoch gibt sich Schäuble als Zuchtmeister, der stur auf die Einhaltung zweifelhafter Regeln pocht und damit menschliches Leid und den Bruch der europäische Einheit billigend in Kauf nimmt.
Während die EU Kommission und die meisten Mitglieder der Eurogruppe die aktuellen Vorschläge der Griechen als vielversprechend zur Kenntnis genommen haben, wies Schäuble diese sichtlich genervt zurück. Ich kenne keine neuen Vorschläge, der Stand ist für mich derselbe wie am Donnerstag, so Schäuble vor dem angeblich so entscheidenden Treffen der EU Finanzminister an diesem Montag.
Der deutsche Finanzminister düpiert damit einmal mehr seine europäischen Partner, die im gleichen Team spielen wie er. Auch Kanzlerin Angela Merkel dämpfte erneut alle Erwartungen und bügelte die Liste mit Vorschlägen aus Griechenland vorsorglich ab. Die Woche habe noch viele Tage, sagte sie mit Blick auf das nächste Treffen der Eurogruppe am Donnerstag.
Die Medien nehmen es hin. Aus ihrem Tag der Entscheidung wurde mal wieder nichts. Das mit Spannung erwartete Sondertreffen der Finanzminister war rasch beendet, ohne gemeinsame Position. Angeblich habe die Zeit nicht ausgereicht, um alles durchzurechnen. Eine Schutzbehauptung, da die Meinungen in der Gruppe klar auseinandergehen.
Welchen Sinn hatte das Treffen überhaupt? Haben die Medien etwas falsch verstanden? Sind sie gar falsch informiert worden? Mit diesen Fragen befassen sich die meisten Journalisten aber gar nicht mehr. Sie sind längst dabei, die Sprachregelung der Bundesregierung folgsam zu übernehmen, statt sie für ihre Irreführung und ihre offen zur Schau getragene Verschleppungstaktik zu kritisieren.
In Wirklichkeit zeigt das ganze Theater erneut, dass es aus Sicht der Bundesregierung keine Eile zu geben scheint, obwohl sie seit Wochen und Monaten von nichts anderem als immer wieder ablaufenden Fristen redet. Das Schauspiel ist an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten. Im Gegensatz zu Griechenland sind es doch die Institutionen und vor allem Schäuble selbst, der kaum etwas Substanzielles zur Lösung der Krise beizutragen hat.
Der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, Gregor Gysi (Die Linke), hat am vergangenen Donnerstag unter anderem bemängelt, dass Vorschläge Athens zur Besteuerung der griechischen Oberschicht von den Verhandlungspartnern kaum gewürdigt würden. In der Öffentlichkeit werde stattdessen immer nur über Löhne, Renten und die Mehrwertsteuer geredet.
Doch wie können Millionäre und Milliardäre, die durch die Krise noch reicher geworden sind, damit zur Kasse gebeten werden? Wie kann man überhaupt an die Oberschicht herankommen, die ihr unversteuertes Vermögen gar nicht mehr in Griechenland, sondern beispielsweise in London legal Gassi führt? Denn dank der dort ausgeprägten Willkommenskultur, haben es Steuerflüchtlinge aus Griechenland ausgesprochen leicht und leben günstig, wie Report Mainz kürzlich berichtete.
Allerdings hört man keine mahnenden Worte der Institutionen oder aus Berlin an die Adresse David Camerons und seine Regierung, die doch offensichtlich dabei behilflich ist, ein sinnvolles Reformprogramm zu torpedieren. Ein Programm, das auch anderen europäischen Staaten gut zu Gesicht stünde und damit den europäischen Gedanken erneuern könnte, lehnen die Gläubiger ab. Sie bestehen darauf, dass erst das zu Ende geführt wird, was nicht funktioniert hat, bevor andere Optionen überhaupt erst geprüft werden.
Denn nur das hat für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble offenbar Substanz. Er ist erst dann zufrieden, wenn das umgesetzt wird, was selbst Gerichte für verfassungswidrig erklärt haben. Ginge es nach Schäuble, so haben sich auch geltende Gesetze und Grundrechte den Regeln von Technokraten zu beugen, die sich keiner demokratischen Wahl zu stellen brauchen.
Mit dem europäischen Gedanken hat diese Lust an der Zerstörung und die Lust am Missbrauch mächtiger Institutionen nichts mehr zu tun. Vielleicht meinte Kanzlerin Merkel ja das damit, als sie im Bundestag am letzten Donnerstag erklärte: Seit Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise verfolgt Deutschland ein klares Ziel: Europa soll stärker aus der Krise hervorgehen, als es in sie hineingekommen ist. Auf diesem Weg sind wir weit vorangekommen.
Europa ist weit vorangekommen beim Abbau der Demokratie. Nun hört alles auf Deutschland. Doch Merkel drückt sich, wie ihre Uhr beweist, die seit Monaten bei fünf vor zwölf stehend, doch immer wieder von Neuem abzulaufen droht. Und die Medien stehen staunend daneben und zählen wieder und wieder die allerletzten Sekunden.
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Je häufiger heutzutage von Presse- und Satirefreiheit geredet wird, desto weniger ist eigentlich das Grundrecht gemeint. Das Gerede dient den Herrschenden vielmehr dazu, den anderen zu zeigen, wie rückständig sie doch sind.
Wer kann sich noch an den Arabischen Frühling erinnern, als Länder wie Tunesien ihre Diktatoren stürzten und freie Wahlen veranstalteten. Die Begeisterung in der westlichen Welt war zunächst riesig, bis das Abstimmungsergebnis bekannt gegeben wurde. Die Menschen wählten mehrheitlich muslimische Parteien.
Unverständlich für den Westen und seine von der Satire weitgehend befreiten Medien. Bierernst fragten sie damals: Sind die da unten überhaupt reif für die Demokratie? Als dann in Ägypten die Armee auf Demonstranten schoss, die gegen die Absetzung des gewählten Präsidenten Mursi protestierten, schrieben die gleichen Medien, die Demokratie sei gerettet worden.
In Paris versammeln sich einige Staatschefs etwas abseits vom Volk zum Foto-Shooting. Anschließend fahren sie wieder nach Hause. Die Presse nannte das einen kollektiven Marsch gegen Terrorismus und für Grundwerte an der Spitze von einer Million Menschen. Wenn dann aber der Zuschauer dank des Internets bemerkt, dass die Medien am Grund der Sache eher weniger interessiert waren, als vielmehr am Vermarktungswert ihrer Berichterstattung, wird er pampig.
Also nicht der Zuschauer, sondern der Journalist, der den gesendeten Unsinn in seinem aufgemotzten und von uns allen für knapp 24 Millionen Euro finanzierten Studio zu verantworten hat. Kai Gniffke, Chefredakteur der ARD Aktuell Redaktion, sieht sich beinahe wöchentlich verpflichtet, auf Zuschauerkritik in seinem Blog zu antworten. Allerdings lässt der Verantwortliche für die Nachrichten bei seinen Begründungen alles vermissen, was journalistisches Können ausmacht.
Dabei steht seiner Redaktion eine große Medienwand zur Verfügung, die nach eigener Darstellung eine bessere optische Umsetzung von Nachrichten erlaube. Schwierige Sachverhalte können in Form von animierten Grafiken anschaulicher dargestellt werden, so hieß es bei der Präsentation im April letzten Jahres. Anschaulich soll es sein, aber nicht informativ, könnte man heute erwidern. Mit großen Bildern, die nur einen kleinen Ausschnitt zeigen, wird offenbar mehr auf konstruierte als auf echte Realität gesetzt.
Eine tolle Pressefreiheit ist das unterm Strich, die da zur Schau getragen wird und am Sonntagmorgen im Presseclub einen weiteren Höhepunkt erfährt. Dort versammeln sich nämlich regelmäßig fünf namhafte Journalisten, um sich gegenseitig die oftmals gleichlautende Meinung zu bestätigen. Pressefeigheit wäre da treffender.
Das Entscheidende bei dem Begriff Pressefreiheit ist nicht die Freiheit, sondern die Verantwortung. Ein Journalist hat auch immer die Aufgabe abzuwägen und zu prüfen, welche Folgen Berichterstattung oder Meinungsäußerung hat. Wer Pressefreiheit um ihrer selbst Willen missbraucht, hat kein Interesse mehr an der Nachricht oder der Kritik, sondern findet nur Gefallen an der eigenen Machtdemonstration.
Die zum Teil heuchlerischen Solidaritätsbekundungen nach den Pariser Morden folgen genau diesem Muster, wenn zum Beispiel gesagt wird, Moslems müssten ertragen, dass über ihren Propheten gespottet werde. Das Wie wird dabei gar nicht beachtet. Die Frage, welche Kritik die Karikaturisten zum Ausdruck bringen wollten, blieb im Fall von Charlie Hebdo zunächst außen vor.
Inzwischen stellen sich einige Kollegen dieser Frage und haben herausgefunden, dass kritische Aussagen kaum zu finden sind. Die Bilder stehen da, bedienen Ressentiments und sind oftmals rassistischer Schund. Sie stellen eine Provokation dar, die eine Antwort erwartet und eben nicht die Wahl lässt, sie zu ignorieren. Wenn diese Antwort dann auch noch gewalttätig ausfällt, ist der Beweis der schon immer vermuteten Gewalttätigkeit einer uns fremden Gruppe erbracht.
Damit liefert die Pressefreiheit auch das Futter für rassistische Bewegungen, die letztlich mit den Mitteln der Ausgrenzung und der Angst arbeiten. Soll das aber eine Aufgabe von Journalismus sein? Dumpfe Gewalt provozieren und Identitätsstifter für das ein oder andere falsche Bewusstsein sein? Wenn Verantwortung eine journalistische Tugend ist, wird Aufklärung und nicht das Vorurteil zum natürlichen Verbündeten. Mit Zensur hat das nichts zu tun. Die Provokation und Zuspitzung bleibt nämlich erhalten für den, der weiß, was eine Polemik ist.
Für die Satire gilt etwas Ähnliches. Zur Zeit wird wieder Tucholsky inflationär bemüht, der vor gut 100 Jahren auf die Frage, was darf Satire, antwortete: Alles. Die meisten geben sich damit zufrieden, halten das für einen Freifahrtschein, verkennen aber die Überlegungen, die Tucholsky anstellte, bevor er zu seinem Urteil kam. So schreibt er über die Satire, dass sie freilich übertreiben und ungerecht sein muss, aber er sagt auch klar: Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlich wird. Folglich liegt derjenige weit daneben, der mit der Unwahrheit paktiert und dabei glaubt wahlweise witzig, informativ oder kritisch zu sein.
Die Feststellung, dass Satire alles dürfe, befreit nicht von der eigenen gedanklichen Arbeit, die auch für diese Form der freien Gestaltung geleistet werden muss.
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Vor ein paar Wochen haben sich die Medien noch bemüht, Putin auf dem G20-Gipfel als isolierte Person darzustellen, was misslang. In Paris bemühten sich die Medien nun, Staatschefs, die sich selbst isolierten, als Teil einer großen Masse darzustellen. Auch das misslang. Die Medien sollten vielleicht ihre Mission überdenken.
Ich finde, Kai Gniffke von der ARD sollte noch mal einen Grundlagenkurs zum Thema journalistische Arbeit machen. Natürlich sind Pressebilder Inszenierungen. Man verständigt sich auf ein Motiv oder eine Aussage mit den Abgebildeten. Eine Unterschrift oder ein Handschlag werden oft fürs Foto nachgestellt. Das ist Pillepalle und gehört zum Job.
Doch wie ich beim simplen Spatenstich das Wörtchen „symbolisch“ in der Bildunterschrift verwende, obwohl klar ist, dass ein Gebäude nicht in diesem Moment errichtet wird, so hätte dasselbe Wörtchen beim Aufmarsch der Staats- und Regierungschefs in Paris den zahlreichen Berichten, die etwas anderes suggerierten, sicherlich auch gut zu Gesicht gestanden.
Es wäre keine Schande für die Kollegen, dieses klare Versäumnis einzugestehen. Wer eine Botschaft der Geschlossenheit transportieren will, muss eben auch zur Kenntnis nehmen, dass es sie aus durchaus verständlichen Sicherheits- oder Termingründen nur eingeschränkt geben kann. Der amerikanische Präsident betritt in Europa auch nur Straßen, wenn die Gullydeckel verschweißt sind.
Ob man das ganze dann als symbolischen Akt oder als eine bewusste Inszenierung für die Weltöffentlichkeit beschreibt, ist tatsächlich eine Bewertungsfrage, die im Rahmen der journalistischen Freiheit diskutiert und entschieden werden darf. Die Presse darf das ganze auch ignorieren, wenn ihr die Wirklichkeit als unwichtig erscheint.
Die Aufgabe der Medien ist aber nicht, eine Wirklichkeit zu erfinden oder eine vermeintliche Realität zu zeigen, die andere oder man selbst ganz gern hätte, weil es möglicherweise ein Mehr an Aufmerksamkeit verspricht. Die Aufgabe der Medien besteht nach meinem Verständnis darin, aufzuklären und zu bewerten. Eigentlich ganz simpel.
Link-Tipp: Lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Beitrag von feynsinn mit dem Titel Hoftheorie: Alles nur Theater
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Alles spricht von „Lügenpresse“ und dem Vorwurf einer bewussten Täuschung durch Journalisten. Wer aber solch ein Verhalten unterstellt, unterstellt auch Sachkenntnis, die nötig ist, um Wahrheit verdrehen oder leugnen zu können.
Viele Leitartikler blamieren sich aber nicht, weil sie um die Wahrheit Bescheid wüssten, sie blamieren sich, weil sie die Wirklichkeit eben nicht kennen und lieber darauf vertrauen, was seit Jahren falsch geglaubt und vorgebetet wird.
Ein Beispiel: Meine Tageszeitung hat sich im heutigen Leitartikel (leider nur im Abo vollständig abrufbar) für das Thema Tarifpolitik entschieden. Darin beschäftigt sich der Autor mit den gleichzeitig anstehenden Verhandlungen in zahlreichen Branchen. Ihm fällt dabei auf, dass es den Gewerkschaften nicht mehr so sehr um Prozente gehe. „Als Konsens haben sich 5,5 Prozent durchgesetzt.“ (die ver.di-Forderung von 11 Prozent hat der Autor im Artikel nicht genannt)
Im Vergleich zu anderen Jahren klinge das nicht nach viel, fährt er fort. Statt aber diesen Anflug eines komischen Gefühls weiter zu ergründen und sich zu fragen, warum es eigentlich mehr an Entgeltforderung sein müsste, bricht der Autor das Denken ab und bringt die einfach anmutende wie gängige These an: „Allerdings wären gewaltige Steigerungen auch nicht zu begründen.“ Das muss er natürlich erklären und schreibt dann vermeintlich sicher:
„Lohnerhöhungen sollen in erster Linie dem Inflationsausgleich dienen und erreichte Produktivitätssteigerungen abbilden. Nur: Ersterer nähert sich gerade der Nulllinie, und Letztere bewegen sich vielleicht bei etwas mehr als einem Prozent. Hinzu kommt, dass Deutschland in den vergangenen Jahren bei der Reallohnentwicklung kräftig aufgeholt hat die Tarifgehälter also deutlich schneller stiegen als die Inflation und die Saläre im europäischen Nachbarland.“
Was fängt man jetzt damit an? Offensichtlich weiß der Autor nicht, dass die Entwicklung der Inflationsrate, die 2014 im Schnitt bei 0,9 Prozent lag, von der Entwicklung der Lohnstückkosten (also Lohnkosten im Verhältnis zur Produktivität) abhängig ist. Es gibt also einen unbestritten engen Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen. Die Preise steigen nun aber weniger stark als früher und der Autor schließt dennoch daraus, dass ein kräftiger Aufholprozess bei den Reallöhnen stattgefunden haben muss. Irre.
Dabei zeigt die sinkende Inflationsrate gerade das Gegenteil an, nämlich das irgendetwas bei der Entwicklung der Löhne schiefgelaufen sein muss, sonst wäre die Teuerung höher ausgefallen. Der Autor vergisst auch zu erwähnen, dass es innerhalb der Eurozone eine Zielinflationsrate von 1,9 Prozent gibt, an die sich alle, auch Deutschland eigentlich hätten halten sollen. Taten sie aber nicht, was zu den Verwerfungen, also Überschüsse einerseits und Defizite andererseits sowie den zahlreichen Rettungspaketen führte.
Die goldene Lohnregel, die der Autor oben anspricht (Lohnerhöhung = Zielinflationsrate + Produktivitätssteigerung), hätte er mal auf Einhaltung hin überprüfen sollen. Er hätte festgestellt, dass Deutschland schon sehr lange unter seinen Verhältnissen lebt und zugelassen hat, dass die Leistungsbilanzen innerhalb der Eurozone weit auseinander drifteten. Um diesen Prozess nachhaltig umzukehren, müssten sich die hiesigen Tarifpartner folglich auf außerordentlich hohe Abschlüsse verständigen. Schlussfolgerung: Eine gewaltige Steigerung wäre durchaus zu begründen, ja sogar vernünftig.
Stattdessen hängen Bundesregierung, Mainstream-Ökonomen und weite Teile der Presse weiter an den Überschüssen. Sie vertrauen also darauf, dass sich das Ausland bei uns verschuldet und Defizite anhäuft, während in Berlin der ausgeglichene Haushalt gefeiert wird. Ein Widerspruch, der selten in den Kommentarspalten thematisiert wird.
Dass die Gewerkschaften mit ihrer Haltung und ihren bescheidenen Lohnforderungen die Position der eigenen Mitglieder weiter schwächen, wäre durchaus mal eine Erwähnung wert. Stattdessen wird auf Frank Bsirske von ver.di an anderer Stelle wieder eingedroschen, weil er für den öffentlichen Dienst ein Lohnplus von bis zu 11 Prozent fordert, in der Hoffnung bei 5,5 zu landen. Und da die Sachkenntnis auch hier wieder fehlt, wird mit Schaum vorm Mund gnadenlos diffamiert. Fehlt nur noch ein Foto vom Privathaus und die Durchwahl zum Büro des ver.di Chefs.
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Die Morde von Paris seien ein Angriff auf die ganze freie Welt, heißt es. Doch so frei, wie die freie Welt tut, ist sie schon lange nicht mehr.
Die Reaktionen auf den Anschlag in Paris sind aus meiner Sicht übertrieben. In der FAZ spricht Berthold Kohler zum Beispiel von einer Kriegserklärung an die ganze freie Welt und Klaus-Dieter Frankenberger meint beipflichtend, der Mord an Journalisten der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ ziele auf das Herz der Demokratie – die freie Presse. Das ist ziemlich dick aufgetragen.
Das Herz der Demokratie, schlägt es denn überhaupt noch? In Sachen Pressefreiheit rangiert Frankreich in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen auf Platz 39 und Deutschland auf Platz 14. Diese Ergebnisse zeigen, so Reporter ohne Grenzen, „wie stark die Dominanz der Sicherheitsbehörden die Arbeit von Journalisten in vielen Ländern erschwert. Besonders besorgniserregend ist, dass diese Entwicklung sogar traditionelle Demokratien erfasst hat.“
Whistleblower wie Edward Snowden stammen aus diesen Demokratien. Deren politische Führer halten ihn aber für einen Verräter, dem im Namen des Volkes der Prozess gemacht und die Freiheit genommen werden müsse. Der Journalist Glenn Greenwald, dem Snowden sein brisantes Material anvertraute, sah sich ebenfalls Repressionen ausgesetzt. Sein Lebenspartner wurde zudem am Londoner Flughafen Heathrow stundenlang festgehalten und verhört.
Die britische Regierung rechtfertigte das Vorgehen auf der Grundlage von Anti-Terror-Gesetzen und die Richter in einem späteren Verfahren folgten dieser Einschätzung. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit wogen in diesem Fall nicht so schwer, wie der Terrorism Act der Regierung. Wer sich also auf Pressefreiheit beruft und seine Quellen schützt, ist im Zweifel auch des Terrors verdächtig, so die Botschaft oder sollte man Drohung sagen.
So frei, wie die freie Welt tut, ist sie also nicht. Das kommt schon allein dadurch zum Ausdruck, dass permanent von Werten, statt von Rechten gesprochen wird. Menschen zu erschießen, verstößt aber nicht gegen irgendwelche Werte, die mit allerhand Ideologie bloß aufgeblasen werden, sondern gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Bei uns steht das im Artikel 2 des Grundgesetzes.
Verstöße dagegen werden in einem Rechtsstaat verfolgt und mit Strafen belegt. Dabei ist es egal, an welche Religionen Mörder und Extremisten glauben. Vor dem Gesetz sind sie alle gleich oder sollten es sein. Doch tun wir gerade so, als hätten die Morde von Paris nun eine besondere Qualität. Dabei ist die Gewalt eine Größe, mit der man rechnen muss. Dass es Vororte von Paris gibt, in denen Menschen zum Teil schwer bewaffnet sind, ist schließlich keine Neuigkeit.
Was läuft da schief, wäre eine Frage, die es zu stellen gilt. Sind tatsächlich der Glaube und verletzte religiöse Gefühle die Auslöser für Gewalt? Was ist mit der Perspektivlosigkeit, die eine Demokratie produziert, die offenbar nur noch marktkonform zu sein hat? Was werden wohl die vielen jungen Menschen tun, die in Südeuropa dank Spardiktat keine Chance mehr sehen, jemals wieder Arbeit zu finden? Werden sie ihr Schicksal einfach nur ertragen oder rekrutiert?
Wem folgen die Pegida-Anhänger hierzulande und wohin? Diese Bewegung dürfte nach den Morden von Paris weiteren Zulauf erhalten. Die ersten Wirrköpfe beginnen die Ereignisse bereits, für ihre Zwecke zu missbrauchen. Und Kohler von der FAZ bläst ins selbe Horn wenn er schreibt, dass sich niemand mehr über die Furcht vor dem Islam zu wundern bräuchte, weil in dessen Namen Angst und Schrecken verbreitet würde.
Besonnenheit sieht anders aus. Nach den Anschlägen in Norwegen 2011 sagte der damalige Ministerpräsident Jens Stoltenberg: „Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“ Die Antwort nach Paris lautet offenbar: Wiederaufnahme des Kampfes gegen den Terror und Erneuerung politisch versagender Bündnisse, denen oft auch nicht mehr einfällt, als zur Waffe zu greifen.
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Für die Samstagsausgabe (03.01.2015) der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) liefert Dieter Wonka den Leitartikel zum Thema Rente. Das Jahr hat kaum begonnen, schon kocht die Debatte um eine längere Lebensarbeitszeit wieder hoch. Die Bundesagentur für Arbeit fragt scheinheilig, wieso nicht bis 70 arbeiten? Und wie immer fragt sich der Wonka unter der Berliner Käseglocke das auch. Dabei wäre es Zeit für den geistigen Ruhestand.
Wonka findet die Idee sympathisch, weil schließlich viele Politiker wie Seehofer, Kretschmann und Schäuble fröhlich weiterarbeiten, obwohl sie die bekannten Altersgrenzen längst überschritten haben.
Diese Beispiele würden zeigen, dass der Eintritt in das Renteneintrittsalter eine höchst persönliche Angelegenheit sei. Seltsam ist, dass Wonka beim Nachdenken über Berufe nur der des Politikers einfällt und sonst nichts. Das liegt wohl an der Käseglocke und den vielen Hintergrundgesprächen in der Hauptstadt. Seltsam ist aber auch Wonkas Begründung.
So schreibt er, dass dieses neue Denken durch zwei finanzielle Faktoren angestoßen worden sei. Und nun folgen zwei geistige Aussetzer. Zum einen schreibt die Berliner Edelfeder, dass aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge die Beitragseinnahmen der Rentenversicherung bedenklich sinken werden. Das ist falsch. Die Beiträge sinken, weil die Berufspolitik es so entschieden hat. Die Beitragsdeckelung lässt die Einnahmen schrumpfen nicht die Tatsache, dass es weniger Menschen in einem Jahrgang gibt.
Würden die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen statt diese als überteuerte Prämien auf die Mühlen der privaten Versicherungswirtschaft umzuleiten, hätte die gesetzliche Rente kein Finanzierungsproblem. Stattdessen muss die gesetzliche Rentenversicherung mit den Beiträgen der Versicherten auch noch Werbung für die privaten Konzerne machen, die, wie wir inzwischen wissen, die versprochenen Renditen niemals werden zahlen können. Über diese Absurdität sollte sich Wonka einmal Gedanken machen.
Gerd Bosbach, ein Mathematiker bei klarem Verstand, sagt: Die private Vorsorge ist für die Gold wert. Jedes Prozent, das weniger in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt wird, sind für die Arbeitgeber 5 Milliarden Euro weniger Lohnnebenkosten! Da lohnen sich natürlich die Investitionen in große Kampagnen und Forschungseinrichtungen, die öffentlichkeitswirksame Studien veröffentlichen.
Das heißt, auch die Arbeitgeber haben ein Interesse an niedrigen Rentenbeiträgen. Sie sagen, hohe Lohnnebenkosten wirken beschäftigungshemmend. Dass der Arbeitnehmer aber privat vier Prozent seines Einkommens für die kapitalgedeckte Altersvorsorge allein aufbringen soll und auch sonst alle Kosten zu tragen hat, die die Arbeitgeber sparen, findet die Presse kaum erwähnenswert. Die Arbeitgeber haben auch ein Interesse an der Diskussion um einen angeblichen Fachkräftemangel.
Wonka hinterfragt auch das nicht, sondern plappert es einfach nach. Klar, wenn es geburtenschwache Jahrgänge gibt, muss es auch irgendwann weniger Fachkräfte geben. Die Tatsache aber, dass die heutige Jugend in einem maroden Bildungssystem samt einsturzgefährdeter Schulgebäude aufwachsen muss, kümmert die Arbeitgeber wenig. Sie jammern lieber über zu dumme Schüler. Die von Wonka so geschätzte Berufspolitik könnte etwas daran ändern und so dem drohenden Fachkräftemangel aktiv entgegenwirken. Das fordert die Edelfeder aber nicht.
Wonka sieht eher die Gefahr bei der Rente mit 63, wie viele Arbeitgeber und konservative Berufspolitiker, vor allem die oben erwähnt wurden, auch. Stichhaltig ist das alles nicht, es sei denn, man ist ein Fan der Arbeitgeberlobby und hält deren gebetsmühlenartig vorgetragenen Behauptungen für unbestrittene Wahrheiten. Für die Leser der HAZ ist der Kommentar von Wonka wie so oft eine Beleidigung.
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Nach der Vorstellung des Jahresberichtes des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus zeigt sich die Neue Presse Hannover empört über den Zustand der Truppe.
Da werden deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt, die ihre Waffen nicht beherrschen und Lastwagen und schützende Transportpanzer nicht fahren können, weil es bei der Ausbildung hierzulande an Munition, Waffen und Fahrzeugen fehlt. Ein Unding. Dieses Sparen ist lebensgefährlich. So ein Arbeitgeber schreckt ab. Die künftige Einsatzfähigkeit der Bundeswehr wird auch davon abhängen, ob sie genügend Freiwillige gewinnen kann.
Quelle: n-tv Pressestimmen
Das kann man natürlich so sehen, wenn einem egal ist, dass Krieg zu führen grundsätzlich eine Gefahr für Leib und Leben darstellt. Insofern sollte man sich nicht um die künftige Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sorgen, sondern darum, wo und wie oft die Truppe noch in den Kampf geschickt werden wird, um deutsche Handelswege und Interessen außerhalb des eigenen Staatsgebietes zu sichern.
Ich wusste auch gar nicht, dass zum Beispiel in Afghanistan Arbeitnehmer der Bundeswehr stationiert sind. Ich dachte immer, Soldaten seien Staatsbürger in Uniform mit der Pflicht, der Bundesrepublik treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
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Heute Morgen bin ich über die Seiten des Handelsblattes gesurft und, mir die Augen reibend, auf folgende Meldung gestoßen.
Quelle: Handelsblatt
Ich dachte zunächst, mit Jauch im Ersten gehe es nicht mehr lange gut. Dann musste ich aber zu meinem Bedauern feststellen, dass der Satz aus dem Off auf die Lebensrealität einer griechischen Familie gemünzt war, die trotz qualifizierter Ausbildung, nicht mehr wisse, ob sie eine Perspektive habe oder nicht.
Lustig ist in diesem Zusammenhang der zitierte Satz, von der als Wirtschaftsjournalistin bezeichneten Anja Kohl (die Frau hat Germanistik, Publizistik und Politikwissenschaft studiert), die eigentlich bloß den Börsenquatsch im Ersten moderiert. Sie habe gefragt:
Wer soll denn in Zukunft die Staaten finanzieren? – kein privater Investor sei bald mehr bereit, das Risiko zu tragen.
Schöner kann man die eigene Inkompetenz nicht in Worte fassen. Frau Kohl hält sich und ihr Tun noch immer für etwas Besonderes, hat aber überhaupt keine Ahnung. Die Frage müsste nämlich lauten: Wen sonst, als die Staaten, sollen private Investoren finanzieren? Die Bewohner des Mondes oder des Mars? Hätte sie etwas von Marktwirtschaft verstanden, wüsste sie auch, dass der Staat in diesem System als Akteur auf den Finanzmärkten eine ganz zentrale Rolle spielt. Ohne ihn als Schuldner funktioniert der ganze Kapitalismus nämlich nicht.
Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass trotz enormer öffentlicher Verschuldung die Anleihen der großen Wirtschaftsmächte USA, Deutschland und Japan nie so gefragt waren wie heute. Was reitet die Investoren da bloß? Vielleicht hat Frau Kohl das mit dem Risiko nicht richtig zu Ende gedacht und vergessen, die Spekulation als lohnendes Geschäftsmodell ihrer Zunft in ihre Überlegungen miteinzubeziehen.