Verlängerter Armleuchter der Großen Koalition

Geschrieben von:

HalloweenShowdown am Wochenende: Fliegt die Große Koalition auseinander, lautete eine Frage? Horst Seehofer hatte mit scheinbar unüberbrückbaren Positionen und einem Ultimatum für Furore gesorgt. Der Geist von Kreuth 1976 scheint wieder da zu sein. Aber wie das eben so ist mit Gespenstern. Sie taugen nur für eine Gruselstunde.

Sprachvisagisten am Werk

Die Große Koalition fliegt nicht auseinander, denn es ist alles wie gehabt. Die Kosmetikabteilungen der Regierungsparteien arbeiten auf Hochtouren. Der Auftrag lautet, das hässliche Gesicht in einer politischen Sackgasse zu wahren. Da ist zum Beispiel das unschön klingende Wort „Transitzone“, mit dem man ein großes Lager assoziiert, in dem Menschen festgehalten werden, bis geklärt ist, ob sie weiterreisen dürfen oder gleich wieder abgeschoben werden.

weiterlesen

3

Verfassungsrechtlicher Analphabetismus

Geschrieben von:

Generalbundesanwalt Harald Range hat die Unabhängigkeit der Justiz instrumentalisiert, um seine Haltung in der Causa #Landesverrat zu rechtfertigen. Die Unabhängigkeit gilt explizit aber nur für Richter, sagt der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Neskovic im Interview mit dem Deutschlandradio Kultur. Sie gilt nach den Buchstaben des Grundgesetzes ausdrücklich nicht für Staatsanwälte, also für die Ermittlungsbehörden. Diese Herren und Damen sind an Weisungen gebunden, unterstehen also der Exekutive. Übrigens ist das auch auf der Seite des Generalbundesanwalts nachzulesen, wie Stephan Hebel in der Frankfurter Rundschau bemerkt.

weiterlesen

2

Vernunft muss einkehren

Geschrieben von:

Vernunft muss einkehren: So verkündet es ein Bahnsprecher zurzeit. Er meint damit die streikenden Mitglieder der GDL, die Millionen Menschen am Reisen über Pfingsten hindern würden. Sie sollen aufhören, an den Verhandlungstisch zurückkehren und einen Schlichter akzeptieren. Das aber würde auch bedeuten, die GDL akzeptiert, dass das Bahnmanagement die geltende Rechtslage weiterhin missachtet. Kann das vernünftig sein?

In der Süddeutschen Zeitung schreiben Detlef Esslinger und Heribert Prantl heute folgendes:

Das Argument Weselskys, „Wir lassen nicht über Grundrechte schlichten“, klingt gut, ist womöglich aber hohl; jede Schlichtung entscheidet auch über die Auslegung des Grundrechts. Der Arbeitsrechtler Michael Kittner, ehemals Justitiar der IG Metall, kritisiert daher ein „autistisches Grundrechtsverständnis“ der GDL. Sie missachte die Forderung des großen Senats des Bundesarbeitsgerichts von 1971, dass vor jedem Streik ein Schlichtungsverfahren stattfinden müsse. Fazit: Es könnte vor Gericht eng werden für die GDL.

Diese Bemerkung ist irreführend, weil sie über entscheidende Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2010 hinweg geht, auf die sich die GDL immer wieder und zurecht beruft. Das BAG schaffte in mehreren Entscheidungen die jahrzehntelang geltende Regel der Tarifeinheit ab. Seitdem gilt arbeitsrechtlich das Prinzip „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ nicht mehr. Der Bahnvorstand missachtet diesen Richterspruch aber konsequent und weigert sich, mit der GDL über Tarifverträge für alle ihre Mitglieder zu verhandeln.

Es geht also nicht um die Frage von Macht oder ein wenig mehr Kompromissfähigkeit, sondern schlichtweg darum, ob ein Arbeitgeber damit durchkommt, geltendes Recht solange zu umgehen, bis der Gesetzgeber, der auch noch Eigentümer des betroffenen Unternehmens ist, die Rechtslage nachträglich und zugunsten der Arbeitgeberseite angepasst hat. Die Frage lautet also, ob wir den Rechtsstaat achten oder es vorziehen in einer Bananenrepublik zu leben, in der die tatsächlich Mächtigen unter dem Applaus der Medien offenbar Gesetze bestellen und bis zur Lieferung geltendes Recht biegen und brechen können.

An die Vorgeschichte denken

Zur Erinnerung: Der Streit um die Tarifpluralität, der 2010 durch das BAG entschieden wurde, hat eine Vorgeschichte. Und zwar gerade die Abschaffung der Tarifeinheit durch die Unternehmen selbst. Sie fanden es eine Zeit lang chic oder opportun, die Tarifeinheit aufzubrechen, um einen Keil zwischen die Arbeitnehmer zu treiben. Die Politik hat die Arbeitgeber dabei tatkräftig unterstützt durch Privatisierung öffentlichen Eigentums, die Zulassung von Öffnungsklauseln, die Lockerung der Leiharbeit und nicht zuletzt durch den Ausbau des Niedriglohnsektors. Kurzum: Alles was unter dem Label „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ lief, hat zur Entsolidarisierung der Arbeitnehmerschaft beigetragen. Ganz im Sinne der Arbeitgeber, die so leichtes Spiel bei der Umsetzung von innerbetrieblicher Kostenoptimierung hatten. Zunächst.

Denn die Folge sind nun Spartengewerkschaften, die nur noch ihre eigenen Interessen vertreten und zwar nach dem neoliberalen Grundsatz der freien Konkurrenz. Übrigens haben das auch die Arbeitgeber versucht für sich auszunutzen, indem sie selber Spartengewerkschaften gründeten und zum Nachteil der Beschäftigten Tarifverträge vereinbarten. Allerdings flog das perfide System auf. Der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) ist 2010 – ebenfalls vom BAG – die Tariffähigkeit abgesprochen worden. Konsequenz: Die betroffenen Arbeitnehmer konnten Nachzahlungen einklagen und die geprellten Sozialkassen Beiträge nachfordern.

Über diese skandalöse Entwicklung, die zur Vorgeschichte aktueller Tarifkonflikte hinzu gehört, wird aber kaum nachgedacht oder berichtet, dafür aber über einen mutmaßlich durchgeknallten Ossi, der etwas von Grundrechten erzählt und – ganz schlimm – auch noch auf deren Einhaltung pocht. Manchmal frage ich mich, ob das vereinigte Deutschland, für das so viele auf die Straße gegangen sind und das sich als Sieger über den gescheiterten Osten immer noch feiert, die gepredigte demokratische Grundordnung wirklich ernst nimmt oder nur dekorativ ins Schaufenster gestellt hat.

Vernunft würde herrschen, wenn sich das Bahnmanagement an die geltende Rechtslage hielte. Es liegt nicht im Ermessen der Bahn, der GDL das Recht einzuräumen, über Tarifverträge verhandeln zu dürfen. Die Bahn ist nicht das Gericht, das diese Frage schon entschieden hat. Ein Schlichter ist deshalb überflüssig. Gebraucht wird aber eine Bundesregierung, die das Ausmaß des Versagens ihrer Vorgänger erkennt und die notwendigen Schlüsse daraus zieht. Das wiederum setzt aber voraus, dass die Mehrheitsfraktionen im deutschen Bundestag den Mut finden, jene politischen Zöpfe abzuschneiden, die damals schon gestaltet haben und es jetzt wieder tun.


Den Beitrag bequem ausdrucken unter:

https://storify.com/adtstar/vernunft-muss-einkehren.html

0

Lahmgelegter Verstand

Geschrieben von:

Die GDL will sechs Tage lang streiken. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, um auf das abwartende Bahnmanagement den Druck weiter zu erhöhen. Doch obwohl Arbeitsgerichte das Vorgehen der Lokführer als verhältnismäßig und gerechtfertigt anerkannten, rollt eine weitere Empörungswelle durch das Land.

Nach der Streikankündigung der GDL rollt eine weitere Welle der Empörung durch das Land. Das Thema ist auf fast jeder Titelseite zu finden. Daneben wie üblich ein Kommentar mit klarer Aussage contra GDL. Denn die kleine Gewerkschaft, die alle anderen nur in Geiselhaft nehmen wolle, bleibe stur, während der, offenbar durch Vernunft geleitete Bahnvorstand, angeblich nur Kompromisse suche. Beides ist falsch.

Misserfolg wird belohnt

Bahn-Vorstände (be)schimpfen nicht, sondern wählen ihre Worte fein. Ihnen geht es ja auch gut. Zuletzt genehmigten sich die Spitzenmanager eine Gehaltserhöhung um 174 Prozent, schrieb das Handelsblatt kürzlich. Trotz verfehlter Umsatz- und Gewinnziele kassieren die Vorstände des Staatsunternehmens doppelte Erfolgsprämien und kurzfristige Boni. Finanziell gut abgefedert, macht der Tarifkonflikt mit der GDL offensichtlich Spaß.

Denn auch aus der Politik kommt Unterstützung für das (Miss)Management der Bahn. Nicht der Vorstand des Konzerns, sondern die GDL stelle eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort dar, heißt es aus der parlamentarischen Ecke. Und die Regierung spricht gar von Maßlosigkeit und einem nicht mehr zu vertretenden Schaden, angerichtet durch Streik. Der Schaden, den die Konzernführung seit Jahren anrichtet – Stichwort Börsengang, Stichwort Tarifsystem, Stichwort Verschleiß, Stichwort Unpünktlichkeit, Stichwort Rückzug aus der Fläche – bleibt nebensächlich.

Wer darüber hinaus über maßlose Vorstandsgehälter reden möchte, wird schnell mit dem Schlagwort Neiddebatte konfrontiert. Um Geld geht es der GDL nur an zweiter Stelle. Zentral ist für sie die Anerkennung eines Grundrechts, was die empörte Öffentlichkeit nur noch langweilt. Sie hat sich mehrheitlich schon damit abgefunden, dass Regierung und Bahnmanagement die Tarifeinheit durchsetzen wollen. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz, natürlich. Aber bis Karlsruhe darüber entscheidet, vergeht Zeit, die sich einplanen lässt. Absehbare Urteile des Bundesverfassungsgerichts werden als Erbe an die Nachfolgeregierung weitergereicht.

Missbrauch der Regierungsgewalt

Missbrauch des Streikrechts? Es wäre an der Zeit über den Missbrauch der Regierungsgewalt zu diskutieren. Seit Jahren kassiert oder beanstandet Karlsruhe Gesetze, bei denen man schon vorher wusste, dass sie gegen das Grundgesetz verstoßen. Konsequenz: Wenig Einsicht bei den Gestaltern, dafür viel Gejammer über eine dritte Gewalt, die angeblich mitregieren wolle. Was ist schon eine Verfassung im Vergleich zu einem mühsam ausgehandelten Koalitionsvertrag. Letzterer muss abgearbeitet werden.

Deshalb kriegt die CSU ihre verfassungswidrige Maut, die CDU ihre verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung und die SPD, ja die Spezialdemokraten bekommen ein verfassungswidriges Tarifeinheitsgesetz, weil das wohl dem DGB gefällt, mit dem man schon beim viel zu niedrigen Mindestlohn gut zusammenarbeitet hat, und der kleinere Gewerkschaften gern vom kuscheligen Markt der geheuchelten Koalitionsfreiheit verdrängen möchte. Schließlich heißt es “Einigkeit und Recht und Freiheit” und nicht “Zu den Waffen, Bürger, Formt eure Truppen”.

Schön wäre es ja, wenn die GDL ein Land lahmlegen könnte. Das passiert aber nicht. Denn die durch Bahnreformen mehr oder weniger kaputt geschrumpfte Bahn hat es geschafft, ihre Kunden weitgehend zu vergraulen. Der Bund als Eigentümer hat es sogar zugelassen, dass alternative Verkehrsmittel immer attraktiver werden, obwohl es eigentlich andersherum sein müsste. Lahmgelegt wird nur der Verstand, der nicht merkt, dass er sich einspannen lässt für Interessen, die niemals die seinigen sein können.


Den Beitrag bequem ausdrucken unter:

https://storify.com/adtstar/lahmgelegter-verstand.html

1

Verantwortung übernehmen

Geschrieben von:

Die Forderung, Geheimdienste abzuschaffen, ist realitätsfern. Zwingende Pflicht ist aber, die Verantwortung zu übernehmen, wenn bekannt wird, was Geheimdienste tun. Und was sie tun, steht nun mal nicht im Einklang mit Recht und Gesetz.

Geheimdienste abschaffen: Das ist eine beliebte Forderung in diesen Tagen. Leider ist das überhaupt nicht denkbar. Leider ist es aber auch so, dass die Regierung, viele Parlamentarier, aber auch Journalisten immer noch glauben oder glauben machen wollen, Geheimdienste könnten im eng gesteckten Rahmen von Recht und Gesetz operieren. Das war schon immer eine grundfalsche wie irreführende Annahme.

Warum unterhalten Staaten wie die Bundesrepublik eigentlich Geheimdienste? Na weil sie nachvollziehbarer Weise an Informationen interessiert sind, die sie eben nicht auf legalem Wege – etwa durch höfliche Anfragen bei den demokratisch gewählten Regierungschefs anderer souveräner Staaten – erhalten können. Es ist schlichtweg naiv anzunehmen, Geheimdienste hielten Rechte ein.

Peinliche Wahrheiten

Diese Feststellung muss zwangsläufig zu der Einsicht führen, dass auch demokratisch verfasste Staaten für sich das Recht in Anspruch nehmen, Spionage zu betreiben, um mit den gewonnenen Informationen was auch immer anzustellen. Das ist das erste. Das zweite ist, dass Geheimdienste dann immer auch damit rechnen müssen, dass ihre Arbeitsweise auffliegt und zur öffentlichen Anklage gebracht wird. Denn das kennzeichnet einen funktionierenden Rechtsstaat. Dann holt er sich zurück, was beim Schnüffeln im Verborgenen verloren gegangen ist.

Das geschieht in diesem Moment. Dabei zeigt sich, wie viel Wert das Gerede von den Grundrechten oder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist oder kurz gesagt: Was uns von Staaten unterscheidet, die ganz offen die Grundrechte ihrer Bürger missachten. Der Eiertanz der Bundesregierung und ihrer Sprecher zeigt nun aber: Die Wahrheit hinter der zur Schau getragenen Unwahrheit ist mindestens peinlich.

Da hilft auch kein Supergrundrecht auf Sicherheit. Die Musterschüler der Demokratie sind gar keine. Da wo Demokratie und Grundrechte hinderlich sind, werden sie einfach außer Kraft gesetzt und trotzdem so getan, als geschehe alles nur zum Schutze der eigenen Bevölkerung. Aber nicht einmal das stimmt. Das zeigt doch die bizarre Vereinbarung zwischen NSA und BND nach 9/11.

Statt die eigene Bevölkerung vor Terroranschlägen zu schützen, hat es jede Bundesregierung seit 2001 zugelassen, dass ein „befreundeter“ Geheimdienst nach eigenen Interessen die Infrastruktur des BND nutzen konnte. Mehr als Ermahnungen und Hinweise gab es von deutscher Seite nicht. Öffentlich stellte man sich sogar ahnungslos, um den „Freund“ zu schützen. So eine Art von Geheimdienst, der gar nicht für die Bundesregierung oder zum Schutz der eigenen Bevölkerung arbeitet, sondern für das „befreundete“ Ausland, braucht es wirklich nicht.

Fuck the Grundrechte

“Fuck the EU”: Wir machen was wir wollen. Den Rest erklärt ihr euren Bürgern bitte selbst. Es ist beschämend wie deutsche Parlamentarier angesichts des Ausmaßes der „befreundeten“ Spionage das enttarnte System auch noch zu verteidigen suchen oder einmal mehr nach Aufklärung schreien, obwohl sie genau wissen, dass es die nicht geben wird. Denn wie der Bundesinnenminister schon sagte: Was geheim ist, kann nicht öffentlich besprochen werden.

Seinen Job wird er damit sicher nicht retten können, aber es bleibt noch mehr zu klären: Wer ein System der Informationsbeschaffung betreibt, ob es den Bürgern nun gefällt oder nicht, darf sich nicht so bescheuert und unterwürfig anstellen, wie das nach 2001 geschehen ist. Wo ist eigentlich die Spionageabwehr, deren unzureichende Wirkung auch die Bundesregierung längst erkannt und eine entsprechende Neuausrichtung angekündigt hat?

Die Spionageabwehr versagt auf ganzer Linie, die Regierung versagt auf ganzer Linie und die Kontrolleure versagen auf ganzer Linie. Konsequenzen gibt es aber keine. Jedenfalls nicht spürbar. Doch eines muss klar sein. Die Verantwortung für das Versagen lässt sich nicht in abstrakt gehaltene Räume delegieren oder hinter den Vermerk „vertraulich“. Der demokratisch verfasste Rechtsstaat fordert die persönliche Übernahme von Verantwortung, sonst ist er kein Rechtsstaat mehr und damit auch keinen Deut besser als die vom Westen benannte Achse des Bösen.


Den Beitrag bequem ausdrucken unter:

https://storify.com/adtstar/verantwortung-ubernehmen.html

1

Fakten und Regeln sind bei Hetzjagden egal

Geschrieben von:

Wer hat sich im Fall Edathy eigentlich nicht blamiert? Inzwischen ist der schwarze Hans-Peter zurückgetreten, nachdem die Mutti ein intensives Gespräch mit ihm am Telefon führte. Offensichtlich ging es dabei um einen neuen Job, denn Friedrich kündigte an: “Ich komme wieder!” Bei der Bahn dürfte diese Ankündigung für Aufregung sorgen. Die Schaffung eines weiteren Vorstandsposten droht. Was bleibt, sind die Widersprüche in den offen vorgetragenen Äußerungen von SPD-Spitzen und BKA-Präsident. Wer wusste was, zu welchem Zeitpunkt und ließ sich das Gewusste wie bestätigen, obwohl das rechtlich gar nicht erlaubt ist? Die Staatsanwaltschaft Hannover ist „fassungslos“ und hat weiterhin nichts Belastendes gegen Edathy in der Hand.

Die Behörde sieht sich vornehmlich als Opfer vieler undichter Stellen, aus denen Dienstgeheimnisse heraus getropft sein mussten. Nicht einmal die Post (ich weiß nicht welche) spielt mit, wenn ein Brief aus Hannover, am Freitag abgeschickt, erst am Mittwoch in Berlin beim Bundestagspräsidenten angekommen sein soll. Lustig ist aber, dass das Bekannte im Städtchen Rehburg der Staatsanwaltschaft in Hannover ebenfalls völlig fremd gewesen war. In dieser Woche soll sie nämlich einen Tipp bekommen haben, wonach Edathy auch ein Büro direkt neben der zuerst durchsuchten Wohnung unterhalte, weshalb sie dieses mit einem Richterbeschluss bewaffnet ebenfalls durchsuchte. Das sagt viel über die affektierten Ermittlungsmethoden aus.  

Hinzu kommt das verschwurbelte Amtsdeutsch, um die Rechtmäßigkeit des Vorgehens im Nachhinein zu legitimieren. Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, verwies darauf, dass das Bundeskriminalamt ja eine Kategorisierung bei kinderpornografischem Material vorgenommen habe. Eindeutige Fälle gehörten der Kategorie eins an, weniger eindeutige Fälle der Kategorie zwei. „Was Edathy zur Last gelegt werden kann, sind Bestellungen der Kategorie zwei“, so Fröhlich. Das heißt also, dass ihm gar nichts zur Last gelegt werden kann, wenn die weniger eindeutigen Fälle nicht zu eindeutigen Fällen hinführen. Es wird ja weiterhin nur vermutet, dass derjenige, der solches Material bestellt, möglicherweise auch im Besitz schlimmeren Materials sei, also die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten habe.

Verdacht ist nicht gleich Verdacht

Doch worauf gründet die Annahme, dass das im Fall Edathy zutrifft? Entweder gibt es einen Anfangsverdacht auf Besitz kinderpornografischen Materials oder nicht. Was die Staatsanwaltschaft Hannover, die vorgibt, nur Spezialisten zu beschäftigen, hier aber gemacht hat, sind Beweisermittlungsdurchsuchungen, sagt Monika Frommel, emeritierte Professorin für Strafrecht, im Deutschlandfunk. Das sei ein Verstoß gegen Grundrechte. “Ich kann nicht einfach, um einen Verdacht erst mal zu bekommen, in die Privatsphäre eindringen und dann auch noch unter Einschaltung der Presse. Das ist ja dann noch mal eine Stufe.”

Die Bemerkung ist interessant, weil sie den Blick auf die Medien richtet, die offenbar im Verbund mit den Sicherheitskreisen Informationen und wilde Spekulationen in die Öffentlichkeit getragen haben, über die sich ein Staatsanwalt, der ja Teil der Ermittlungsbehörde ist und nicht Teil der Justiz, dann auch noch beklagen kann. In meinen Unterlagen zum Verfahrensrecht für angehende Journalisten steht zu den Verdachtsarten.

Anfangsverdacht:

Voraussetzung für Einleitung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens. Für Anfangsverdacht genügt die auf Tatsachen gegründete Möglichkeit, dass eine Straftat vorliegt und der Verdächtige an der Tat beteiligt sein kann.

Handschriftlich habe ich hinzugefügt, dass der Anfangsverdacht in den seltensten Fällen berichtenswert ist, da rund 90 Prozent der Ermittlungsverfahren aufgrund dünner Faktenlagen wieder eingestellt werden. Eigene Recherchen des Journalisten wären notwendig. Über die Qualität dieser Recherchen ist schon einiges gesagt und geschrieben worden. Neben dem Anfangsverdacht gibt es aber auch noch den hinreichenden und den dringenden Tatverdacht, die beide eine ganz andere Qualität besitzen, im Fall Edathy aber überhaupt keine Rolle spielen.

Trotzdem erzählt der Leiter der Staatsanwaltschaft, dass Edathy grenzwertiges nicht indiziertes Material gekauft und sich dabei konspirativ verhalten habe. Damit erweckt die Behörde, die rein gar nichts in der Hand hat, dennoch den Eindruck eines höherwertigen Tatverdachtes. Er hätte ebenso korrekt und damit verständlich für alle sagen können, dass Edathy moralisch fragwürdige, aber vollkommen legale Bilder und Fotos gekauft hat, für die er ein eigenes Konto und eine eigene Email-Adresse verwendet hat. Mit den Zuspitzungen “grenzwertig”, “nicht indiziert” und “konspirativ” hilft er aber denjenigen, die mit Vorverurteilungen bereits um sich werfen. Diese scheinen auf einer soliden Grundlage zu stehen und niemand fragt sich mehr, ob es in Ordnung ist, jemanden strafrechtlich zu verfolgen, dem ein legales Verhalten vorgeworfen wird.

Eigene Spielregeln in Berlin

Festzustellen bleibt, dass jeder an dem Verfahren Beteiligte, seine Haut zu retten versucht. Was wir hier aber beobachten können, ist der Einsturz einer Fassade, hinter der Demokratie und Rechtsstaat nur noch vermutet werden können. Natürlich hat es eine Warnung an Edathy gegeben, weil die Clique im politischen Berlin zusammenhält und glaubt, in eigenen Rechtsräumen agieren zu dürfen, wie übrigens auch der Anruf des ehemaligen Richters und jetzigen SPD-Fraktionschefs Oppermann beim BKA-Präsidenten Ziercke beweist. Diese Leute brauchen sich auch nicht vor Strafverfolgung zu fürchten, weil sie dem Establishment bereitwillig dienen und eigene Spielregeln haben.

Deshalb hat Friedrich aus Sigmar Gabriels Sicht auch vollkommen richtig gehandelt, wie er im ARD-Brennpunkt sagt. Ihnen sei es nur darum gegangen, keine Ämter zu beschädigen und die Bildung der GroKo nicht zu gefährden. “Man würde Herrn Friedrich heute den Vorwurf machen, warum hast du damals nichts gesagt, bevor Menschen in ihre Ämter gekommen sind.” Das heißt, die SPD-Führung hat Sebastian Edathy ganz bewusst bei der Vergabe von Posten ausgeklammert. Gleichzeitig behauptet Gabriel aber auch, dass er, Oppermann und Steinmeier nicht mehr mit Herrn Edathy gesprochen hätten.

Es ist schwer zu glauben, dass ein Übergehen Edathys bei der Zusammenstellung des Personaltableaus stillschweigend vonstatten ging. Immerhin hatte sich der Mann als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses einen Namen gemacht. Möglicherweise hat sich ja Edathy die Stille gefallen lassen, der Rest der SPD aber bestimmt nicht. Vor allem aus Niedersachsen dürften Nachfragen gekommen sein, die sicherlich auch beantwortet wurden, was wiederum die Quelle erklären könnte, auf die der Redakteur der “Harke” Anfang der Woche stieß. Was dann aber folgte, war nicht weniger als eine Hetzjagd, die sich weder an Fakten noch an Regeln hielt.


Den Beitrag bequem ausdrucken unter:

http://storify.com/adtstar/fakten-und-regeln-sind-bei-hetzjagden-egal.html

3

"Embedded" journalism

Geschrieben von:

Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Zu diesem Zweck ist unter anderem eine Privatwohnung des Politikers im niedersächsischen Rehburg von der Polizei durchsucht worden. Mit dabei auch ein Redakteur der in Nienburg erscheinenden Zeitung „Die Harke“. In der Dienstagsausgabe veröffentlichte das Blatt Fotos von der Durchsuchung, die nicht nur aus Sicht des Betroffenen Edathy, sondern auch aus Sicht anderer Medienvertreter und des Journalistenverbandes als mindestens problematisch eingestuft werden. Zu Recht, wie ich finde.

Zunächst einmal erschließt sich mir der Informationsgehalt der geschossenen Fotos nicht. Eines der Bilder zeigt in Nahaufnahme die Wohnung des Verdächtigen. Kaffeemaschine auf der Küchenzeile und Bilder an der Wand sind deutlich zu erkennen. Die eigentliche Durchsuchung spielt sich unscheinbar im Hintergrund ab. Der verantwortliche Redakteur behauptet, die Wohnung des Politikers gar nicht betreten zu haben. Im Interview mit dem NDR gibt er an, das Foto von einem öffentlichen Zugang aus gemacht zu haben, welcher zu den einzelnen Wohnungen und an deren Fenstern vorbeiführe. Ob dieser Zugang öffentlich war, kann ich nicht beurteilen. Wenn er es nicht war, hätte der Redakteur vor dem Drücken des Auslösers die Erlaubnis des Eigentümers einholen müssen.

Unabhängig von der juristischen Frage, bleibt aber auch noch die Verletzung journalistischer Regeln. Hätte der Redakteur nur eine Außenaufnahme von dem Haus gemacht und eventuell von Ermittlungsbeamten, die hineingehen oder Kisten mit gesicherten Beweismaterial heraus tragen, niemand würde ihn dafür kritisieren. Er hätte seine journalistische Sorgfaltspflicht erfüllt und sachlich den Vorgang in Wort und Bild geschildert, der natürlich von öffentlichem Interesse ist. Die vorliegenden Fotos legen aber eher den Schluss nahe, dass der Journalist mehr oder weniger „embedded“ war und einigen mal zeigen wollte, was eine „Harke“ ist.

Inhaltlich erfährt der Leser nicht viel, da die Behörden auch nichts bestätigen, was die Journalisten ihnen als vagen Verdacht hinwerfen. Dennoch gilt Edathy schon jetzt als vorverurteilt. Irgendetwas muss ja dran sein an der Geschichte, wenn so viele darüber berichten. Dabei wird die Andeutung der niedersächsischen Zeitung derart aufgeblasen, das sie am Ende wie eine Tatsache erscheint. Der Redakteur, der sich auf eine anonyme Quelle aus Parteikreisen beruft, was sein gutes Recht ist, musste aber um die zerstörerische Wirkung seiner Berichterstattung wissen. Bei so einer dünnen Faktenlage hatte er eine Entscheidung zu treffen. Und zwar zwischen einer sachlichen Berichterstattung einerseits und dem publizistischen Voyeurismus andererseits.

So gesehen muss sich der Journalist, der glaubt, die Vorwürfe hätten sich inzwischen „bekräftigt“, auch die Frage gefallen lassen, vor welchen Karren er sich hat spannen lassen oder in welche Kampagne er womöglich eingebettet war.


Den Artikel bequem ausdrucken unter:

http://storify.com/adtstar/edathy.html

0

Die mächtigste Frau der Welt stellt sich weiter dumm

Geschrieben von:

Die Berliner Hauptstadtpresse ist mehr oder weniger entsetzt über das Verhalten ihrer Majestät, Angela Merkel, auf der diesjährigen Sommerpressekonferenz. Sie gab weiterhin die Ahnungslose, der wenig daran gelegen ist, sich intensiv mit Details des Ausspähprogramms Prism zu befassen. Das sei nicht ihre Aufgabe, gab sie zu Protokoll. Sie habe schließlich den Beruf gewechselt und erhole sich bei der Arbeit mit ihrem iPad, auf dem sie regelmäßig die Bild-Zeitung lese.

Darüber war der Chefredakteur des Politmagazins Cicero, Christoph Schwennicke, im Anschluss bei Phoenix so verwundert, dass er bei der Kanzlerin auf jeden Fall noch einmal nachfragen wolle, wie Merkel das mit dem Erholungsfaktor wohl gemeint habe. Wer noch keinen Grund zum Abschalten gefunden hatte. Das war er wohl nach knapp zwei Stunden Audienz bei der großen Staatsratsvorsitzenden.

Seltsamerweise blieb es friedlich auf der Konferenz, obwohl über 30 Fragen nicht mehr beantwortet werden konnten. Na ja, dann vielleicht beim nächsten Mal. Die Presse begnügte sich mit dem Merkel-Satz des Tages:

“Das ist vielleicht eine Antwort, die sie nicht zufriedenstellt, aber das ist meine Antwort.”

Zur Prism-Affäre und anderen Themen hat die Kanzlerin keine Stellung genommen. Sie verweigerte konsequent die Aussage, wie sie es eigentlich immer tut. Nur dieses Mal scheint das Sensorium des ein oder anderen Journalisten etwas empfindlicher eingestellt zu sein. Zu groß ist doch die Enthüllung und der Skandal, den Merkel zu vertuschen sucht. Dennoch hält sich die Empörung der Medien eher in Grenzen, Schuhe sind jedenfalls nicht geflogen, obwohl 250 Journalisten anwesend waren.

Selbst darauf angesprochen, dass der Chef der NSA, Keith Alexander, noch während der Merkel-PK über die Agenturen den Satz verbreiten ließ,

“Wir sagen ihnen nicht alles, was wir machen und wie wir es machen, aber jetzt wissen sie Bescheid.” 

ließ die Kanzlerin und einige Medienvertreter kalt. Darauf angesprochen deutete sie das in der ihr eigenen Dialektik sogar um und fühlte sich in ihrer Haltung zu dem ganzen Thema bestätigt. Abgehakt, nächste Frage. Dabei scheint für die USA die Aufklärung schon abgeschlossen zu sein, während Merkel noch das Gegenteil behauptet und die Öffentlichkeit auf die Beantwortung eines Fragenkatalogs vertröstet, der wohl nicht vor dem 22. September eintreffen wird.

Sie wiederholte immer wieder, dass auf deutschem Boden, deutsches Recht zu gelten habe. Wie dieses Recht aber genau aussieht, weiß die Kanzlerin offenbar selbst nicht. Ob es ein Abkommen oder einer rechtliche Grundlage neben einer bereits existierenden Verbalnote aus dem Jahr 1968 gebe, die es den Amerikanern erlaube, auf deutschem Boden zu spionieren, entziehe sich der Merkelschen Kenntnis. Klar sei jedoch, dass die Bundesregierung persönliche Daten nur dann schützen könne, sofern sie deutschen Boden nicht verlassen, was übersetzt bedeutet, dass sie nichts wirklich zu schützen vermag, da sich kein Datenstrom im Netz an staatliche Grenzen hält.

Auf Zuruf von Steinbrück zitierte Merkel einen Satz von Gerhard Schröder, wonach in Deutschland nicht das Recht des Stärkeren gelte, sondern die Stärke des Rechts, um gleichzeitig dessen Äußerung nach den Anschlägen von New York über die uneingeschränkte Solidarität zu relativieren. “Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch gut”, sagte sie. Steinmeier kam auch namentlich vor, der ja die Nützlichkeit von Geheimdienstinformationen nicht leugnen könne. Er war selbst Chef des Kanzleramtes unter Schröder wie auch Außenminister unter Merkel und schweigt sehr laut zum Thema oder gibt ebenfalls den Ahnungslosen. Möglicherweise hat ja die SPD Prism erfunden, was nicht schlecht für Merkels Wahlkampf wäre.

Unfähig zu regieren und unfähig Kritik zu üben

Die Deutschen (~70 Prozent) sind laut einer aktuellen Umfrage von infratest dimap zwar unzufrieden mit der Aufklärungsarbeit der Bundesregierung, würden sie aber glatt noch einmal ins Amt wählen, weil ihnen das Thema schnurzpiepegal ist oder weil sie offenbar die Haltung der Kanzlerin teilen und dem Satz von ihr zustimmen würden:

“Ich kann zu dem Sachverhalt nichts sagen.”

Dennoch hinterlässt die Kanzlerin den Eindruck, offenkundig nicht aufklären, nicht informieren und auch von nichts wissen zu wollen. Sie demonstriert aber nicht Unwissenheit, sondern offenbart Handlungsschwäche und ihre schon immer dagewesene Unfähigkeit zu regieren. Sie sollte deshalb auch nicht Kanzlerin sein und sich auch nicht mehr zur Wahl stellen. Solche klaren Reaktionen bleiben aber aus. Ebenso wenig liest man etwas über die mächtigste Frau der Welt, die Merkel ja angeblich sei. Ein Gewicht, das die Bundeskanzlerin offenkundig bei der Eurokrise in die Waagschale werfe. Auf ihren Schultern laste das Schicksal des Euros und gerade die deutsche Journaille reagiert gereizt, wenn Kritik am Europakurs der Kanzlerin geäußert wird.

Doch mit Blick auf einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland demonstriert Merkel dasselbe Schema, wie bei ihren Antworten zu Prism. “Ich habe erst mal gesagt, ich sehe das nicht.” Eine klare Antwort sieht anders aus.

Doch wer überdenkt da jetzt angesichts der vorgespielten Ahnungslosigkeit und Unentschlossenheit seine Haltung zur Kanzlerin? Warum sollte ihre Politik, die sie den europäischen Freunden aufzwingt, richtig sein? Warum sollten sich Staaten wie Griechenland, Portugal oder Spanien an deutschen Reformen orientieren und Teile ihre Souveränität aufgeben?

Es ist schon äußerst merkwürdig, dass die deutsche Presse die Kanzlerin für eine bizarre und abgrundtief falsche “Rettungspolitik” immer wieder lobt, die einzig und allein auf einer absurden Wettbewerbslogik und damit auch auf einem Recht des Stärkeren beruht, auf der anderen Seite aber Anstoß daran nimmt, dass ein noch stärkeres Land es auf einer anderen Ebene ebenfalls tut und alles zum Einsatz bringt, was technisch möglich ist.

Das merkwürdige Amtsverständnis, das man im Fall Prism der Kanzlerin nun zum Vorwurf macht, ist deckungsgleich mit dem fehlenden Rückgrat der Medien, für eine angemessene und kritische Aufklärung zu sorgen. Alternativen zum System Merkel, und damit ist nicht Steinbrück gemeint, werden ebenso systematisch unterdrückt und als Gegenstand öffentlicher Diskussionen unmöglich gemacht. Am Ende bleibt Merkel eine Kanzlerin, die es sich einfach erlauben kann, nichts zu sagen oder heute so und morgen so nicht zu entscheiden.

4
Seite 5 von 5 12345