Da kündigt der griechische Ministerpräsident Papandreou ein Referendum über das Spardiktat der Eurozone an und die deutsche Bundesregierung, die gerade noch die wagen Gipfelergebnisse zusammen mit den Börsen ordentlich gefeiert hat, zeigt sich überrascht. Demokratie hatte wohl keiner auf der Rechnung?
Aber so ist es ja auch nicht. Die griechische Regierung macht genau das, was die Deutsche schon seit Jahren macht. Sie erkauft sich aus niederen Machterhaltungsgründen Zeit, um dem etwas mehr als nur verärgerten Volk einen blassen Schimmer von Hoffnung zu geben.
Würden bei uns die Menschen in Scharen auf die Straße laufen und randalieren, weil sie endlich einen gesetzlichen Mindestlohn wollen, und es leid sind, hören zu müssen, Arbeit sei wichtiger als Lohn, würde unsere Volkskanzlerin vielleicht auch über ein Referendum nachdenken, anstatt bloß die CDU-Parteiflügel (Vorsicht, das ist ein Widerspruch in sich) mit einem Prüfauftrag zu beschäftigen.
Leider sind wieder alle, vor allem die Linken, auf den Merkelschen Trick hereingefallen und diskutieren darüber, ob es die Union tatsächlich ernst meine. Dabei sollte klar sein, dass es Frau Bundeskanzlerin nur um die sprichwörtliche Deutungshoheit gehen kann. Sie will den Begriff Mindestlohn für sich beanspruchen, ihn seiner Bedeutung berauben und ihn anschließend entkernt ihrem Neusprech hinzufügen, zu dem zum Beispiel auch der vergewaltigte Begriff Soziale Marktwirtschaft gehört.
Dabei wird ihr von Seiten der SPD, den Gewerkschaften und vieler linker applaudiert. Sie falle in die richtige Richtung, meinte gar die Scheinlinke in der SPD Andrea Nahles. Wer sich aber die Diskussion anschaut, wird sehr schnell feststellen, das erreicht wurde, was damit bezweckt war. Die Mietmäuler in den Redaktionsstuben beklagen allenfalls pflichtbewusst den Verlust des Parteienprofils. Das sei letztlich schlimmer, als ein Mindestlohn, über dessen Sinnhaftigkeit sich trefflich streiten ließe, der aber grundsätzlich nicht verkehrt sei.
Damit wird mittels Botschaft A (Verlust des Profils) die absurde Botschaft B (Streit über Sinnhaftigkeit des Mindestlohns) transportiert und die Öffentlichkeit schluckt den Köder bereitwillig. Im Streit über die Höhe einer Lohnuntergrenze haben somit jene genügend Verhandlungsmasse gewonnen, die ihn schon immer ablehnten, weil sie ihn für ökonomisch falsch halten. Dass aber derjenige, der einen Mindestlohn für ökonomisch falsch hält, von Ökonomie keine Ahnung haben kann, fällt dabei unter den Tisch.
Am Ende dürfen diese Ahnungslosen einen Preis für ihre Dummheit verlangen und beim Geschacher um die Höhe eines Mindestlohnes das letzte Wort haben. Die Idee, sich bei der Findung von Lohnuntergrenzen an den Entgelten in der Zeitarbeitsbranche zu orientieren, zeigt das sehr deutlich. Man redet dabei immer von Geringqualifizierten, um die es angeblich nur gehe. Wieso kommt dann nur keiner darauf, sich bei der Suche nach Lohnuntergrenzen an den Vergütungen in der Bad Bank Branche zu orientieren, in der einige gerade grobe Schwächen beim Addieren von Zahlen gezeigt haben?
Es ist doch so, dass Lohnexperten, wie Professor (Un)Sinn immer vorgegeben haben, sie könnten genau ausrechnen, was ein einzelner mit seiner Arbeit zum Gesamtergebnis eines Unternehmens beitrage (Grenzproduktivität). Dabei gilt in einer Volkswirtschaft, dass die Kosten des einen immer auch die Erträge des anderen sind. Wenn alle nun ihre Kosten permanent senken oder darum bemüht sind, den Anstieg der Kosten gering zu halten, bleiben auch die Erträge bescheiden und das Rennen um möglichst niedrige Kosten beginnt von Neuem.
So funktioniert das deutsche Lohnmodell, das seinen Erfolg den europäischen Partnern verdankte, die ihre schrumpfenden Erträge mit kreditfinanziertem Konsum beantworteten. Das wird in Zukunft nicht mehr stattfinden, egal ob Griechenland ein Referendum abhält oder nicht. Das Spardiktat ist ja bereits Realität und andere Länder werden der deutschen Vorgabe folgen. Am Ende sparen alle nur noch Kosten und wundern sich über den Rückgang der Erträge. Dann werden die Kosten noch weiter gedrückt werden müssen, um Wettbewerbsanteile nicht zu verlieren.
Dabei wird sich die öffentliche Verschuldung weiter erhöhen, weil immer noch gilt, dass die Kosten des einen (Unternehmen), die Erträge des anderen sind (Staat, Steuereinnahmen), die entsprechend ausgeglichen werden müssen, wenn man den demokratischen Kern einer Gesellschaft oder das Vertrauen in das Wirtschaftssystem irgendwie erhalten will.
Alle Regierungen wissen das und spielen deshalb auf Zeit, um den Punkt des absehbaren Zusammenbruchs so weit wie möglich hinauszuzögern. Die Vernunft ist dabei die Geißel einzelwirtschaftlicher Interessen, die an der Krise immer noch ordentlich verdienen.
NOV
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.