Zwischen Bürgerfest und Regierungspest

Geschrieben von: am 23. Mai 2009 um 18:05

In Berlin findet heute ein Bürgerfest statt. Ach ja, die Wahl zum Bundeshorst natürlich auch. Köhler wurde erwartungsgemäß wiedergewählt. Herzlichen Glückwunsch. Im Plenum funktioniert das noch mit der Demokratie. Dreimal wurde nachgezählt, um wirklich sicher zu gehen, ob die 613 Stimmen auch tatsächlich erreicht wurden.

Eine erste unabhängige Reaktion, die bereits im Jahr 2006 ausgesprochen wurde, möchte ich noch vorweg schicken: :>>

Während der Wahl haben sich draußen vor dem Tore auch einige Passanten eingefunden, die vor der riesigen Videowall der öffentlich rechtlichen Bedürfnisanstalten das etwas bizarre Schauspiel einer demokratischen Wahl hinter verschlossenen Türen verfolgten. Die wurden dann rasch von den Fieldreportern, die nicht für die Sportschau im Einsatz waren, eingefangen und befragt, wen sie sich denn als Staatsoberhaupt wünschten. Schon allein die Vorstellung, dass man sich als Wahlberechtigter fragen lassen muss, wen man sich als Oberhaupt wünscht. Na ja, lassen wir das. Direkte Demokratie war ja noch nie unser Ding. Sind immer schlimme Sachen bei raus gekommen, wie uns ZDF-Chef-Historiker Guido Knopp im Vorfeld erzählte oder war es Helmut Markwort vom Focus? Irgendwas mit Hitler gegen Hindenburg. Das war nicht gut für uns damals, hieß es.

Oh je. Wie sagte Markwort bei seinem sonntäglichen Stammtisch im Bayerischen Fernsehen in einem scheinbar unbeobachteten Moment zu Uli Hoeneß vom FC Bayern.

„Jeder Narr kann Klowände beschmieren… Ich als professionell arbeitender Journalist… mit der üblichen journalistischen Sorgfalt“

Quelle: direkter freistoss

Nun habe ich den Bezug zur heutigen Bundeshorstwahl nicht verstanden. Schließlich würden den Kasper auch 70 Prozent der Deutschen wählen. Wäre das dann nun auch schlecht? Weiß der Markwort was? Hat er dann doch ein bissel Angst vor der eigenen Medienmacht samt angerichteter Manipulation der Bevölkerung durch Gleichschaltung? Ist die Beliebtheit des alten und neuen Bundespräsidenten vielleicht doch nur ein irrsinniges Ergebnis, das in krassem Widerspruch zu dem steht, was sich die Mehrheit der Bevölkerung an praktischer Politik eigentlich wünscht?

Dieselben 70 Prozent, die den Horst toll finden, bekunden auch, dass Frau Merkel einen guten Job macht. Diese 70 Prozent finden dann wiederum, dass die Regierung ihre Arbeit aber schlecht erledigt. Was soll man davon halten? Alle doof oder was? Oder hat sich da einer gedacht, die schlechten PISA-Ergebnisse muss man doch auch positiv nutzen können? Egal. Der erste Wahlgang hat ja nun gereicht. Da hat sich Christian Wulff dann sicherlich gefreut, weil er den Zug nach Wolfsburg rechtzeitig erreichen konnte, um den VfL zur ersten Deutschen Fußball-Meisterschaft zu gratulieren.

Haben sie mal darauf geachtet, wie oft der Satz von der Eindeutigkeit viel? Das Volk stünde eindeutig hinter dem Präsidenten, es würde ihn eindeutig wählen, er ist eindeutig am Beliebtesten. Haben sie mal die Berichterstattung über unseren Messias aus dem Schloss Bellevue verfolgt. Selbst das, was man nur bruchstückhaft mitbekommen hat, spottet jeder Beschreibung. Überall derselbe Bericht. Angefangen von der berühmten Bild-Schlagzeile „Horst wer?“ über den starrsinigen Amtsinhaber, der Unterschriften unter Gesetze verweigert und dem Afrika besonders am Herzen liegt bis hin zum schon immer mahnenden Vordenker in unserem Land, der die Krise kommen sah und in seiner letzten Berliner Rede klare Worte fand. Und dann kommt der Einspieler mit dem berühmten Zitat, bei dem ich immer lachen muss:

„Das tut man nicht!“

Böse, böse, das tut man nicht! Man tat es aber und nu? Auch das soll Köhler angeblich klar und präzise formuliert haben, meint zumindest Harald John, Chefredakteur der Neuen Presse Hannover, in seiner heutigen Lobeshymne auf den Amtsinhaber, die im Gewand eines Kommentars auf Seite 1 daherkommt:

„Seine Botschaft ist klar und präzise: Ein rein materielles „Immer mehr“ reicht nicht. Eine solche Botschaft hätte fünf Jahre verdient.“

Ja, fünf Jahre Knast vielleicht. Was ist denn an seiner Botschaft klar? Die Frage muss doch lauten, was meint Köhler denn genau mit einem materiellen „Immer mehr“? Meint er die Banker, wie es den Anschein zu haben scheint? Oder meint er das, was er in seiner Berliner Rede in widerlicher Weise von sich gab. Nämlich das wir alle über unsere Verhältnisse gelebt hätten. Dann bezöge sich das „Immer mehr“ nicht auf die Zocker allein, sondern vor allem auf jene, die mit dieser Krise überhaupt nichts zu tun haben. Meint er vielleicht mit einem materiellen „Immer mehr“ höhere Löhne, höhere soziale Sicherheit und höhere Renten?

Die Manipulationen setzen sich weiter fort. Was Harald John hier als positiv bewertet und mit ihm auch die 70 Prozent, die Köhler direkt wählen würden, bedeutet in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Und um das zu beweisen, braucht man keine Glaskugel oder einen Hang zum Verschwörungstheoretischen. Der Hund Horst Köhler hat das, was er wirklich meint, selbst gesagt in seinen zahlreichen Reden. Man müsste sie sich nur wieder in Erinnerung rufen, und dem Henker des internationalen Finanzkapitals, der Argentinien eiskalt hinrichtete, die unschuldige Maske vom Gesicht reißen! Dieser Mann ist kein Wohltäter, kein besonnener Präsident, der die Lage überparteilich mit einem angeblichen Blick für’s Ganze zu beherrschen scheint. Dieser Lump ist ein Lügner und Betrüger, der fröhlich nach der Pfeife des noch immer ungebrochenen neoliberalen Zeitgeistes tanzt.

Aber was rede ich von Geistern, die miesen Gestalten und Charaktere um Merkel und Co sind doch konkret in Regierungsverantwortung und ruinieren weiter das Land. Sie verstecken sich hinter Schlagworten, die mal Begriffe waren, wie „Soziale Marktwirtschaft“, um ihrem asozialen Tun einen seriösen Anstrich zu verleihen. Und Mietmäuler wie Markwort, der sich dreist als Qualitätsjournalisten bezeichnet, weil er das Stammtischsaufen mit Politgrößen am Sonntagmorgen als besondere Auszeichnung der eigenen Arbeit missversteht oder Harald John, der nur das abschreibt, was ihm die machttrunkenen Qualitätskollegen anliefern, sehen gar nicht mehr, in welchen Dienst sie sich begeben haben. Selbst wenn man sie wie Odysseus an einen Mast ketten und ihre Ohren mit Wachs verschließen würde, sie würden dennoch dem Gesang der Syrenen erliegen und sich verführen lassen und vergessen, was sie sind und welche Aufgabe sie haben – nämlich zu kontrollieren, zu hinterfragen, um der Wahrheit unabhängig zur Seite zu stehen.

Warum spricht keiner dieser angeblichen Journalisten davon, dass allein die Aussage, Horst Köhler sei überparteilich eine glatte Lüge ist? Man braucht doch nur seine Reden anschauen. Nehmen sie doch die folgenschwerste Rede Köhlers zur Auflösung des Bundestages im Jahr 2005. Damals wog der Präsident überhaupt nicht ab, wie es der Artikel 68 Grundgesetz von ihm verlangte. Er betete schlicht die schwarz-gelben Horrorszenarien nach, redete der Agenda-verseuchten SPD-Führung das Wort und half somit Gerhard Schröder bei seiner fingierten Vertrauensfrage, die das Verfassungsorgan Bundestag und somit den Parlamentarismus ad absurdum führte. Er redete das Land schlecht. Er orientierte sich damals klar an Merkel und Westerwelle und sprach von einer „ernsten Situation“, er bezeichnete den Zustand der öffentlichen Haushalte als „nie da gewesene kritische Lage“ usw. Auf der anderen Seite fand er kein Wort an die Kritiker, die in dem Vorgehen des Bundeskanzlers einen Verfassungsverstoß sahen. Köhler schien auch darüber hinwegzusehen, dass unmittelbar vor der Vertrauensfrage noch zahlreiche Entscheidungen mit Regierungsmehrheit im Bundestag zu Stande kamen. Von einer Unregierbarkeit hätte also nie die Rede sein dürfen.

Und was ist mit seiner unsäglichen Rede vor dem Arbeitgeberforum in Berlin am 15. März 2005? Schauen sie doch da mal rein. Dort finden sie das gesamte Wahlprogramm der FDP. Nein, Heribert Prantl brachte es damals auf den Punkt. Köhler sei ein…

„…abgeschnittener Präsident.[…] Er ist die Hinterlassenschaft einer nicht zustande gekommenen schwarz-gelben Koalition.“

Und keiner merkt, dass der Abgeschnittene nun im zweiten Versuch doch noch zum Vorzeigeonkel einer schwarz-gelben Mehrheit im Herbst werden soll. Daran ließ Horst Seehofer im Dreideppeninterview (die anderen zwei waren Merkel und Westerwelle, die sich gegenseitig nett zuzwinkerten) im Abgang keinen Zweifel. Schwarz-Gelb heißt das Ziel! Und der Deppendorf vom Ersten regt sich über den Unbegriff „Unrechtsstaat“ auf, dessen kritische Betrachtung Gesine Schwan angeblich das Genick gebrochen hätte.

Wie viele Menschen waren eigentlich heute in Berlin? Mehr als letzte Woche? ;)

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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