Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle gibt mal wieder Gas. Mit Tempo 200 im Blindflug durch die Baustelle.
„Nach einer Zeit auf der Beschleunigungsspur fährt unsere Wirtschaft jetzt auf der Überholspur. Ein Wachstum wie dieses Jahr hat es seit dem Wiedervereinigungsboom bisher nur einmal gegeben. Der Aufschwung steht inzwischen solide auf zwei Beinen:“
Quelle: BMWi
Wenn nur Rainer Brüderle einmal solide und vor allem nüchtern auf zwei Beinen stehen würde. Ohne dauerhaften Alkoholkonsum würde Brüderle vielleicht erkennen, dass er zwar auf der Überholspur fährt, aber als Geisterfahrer auf der falschen Fahrbahnseite. Die Bundesregierung schätzt sich mal wieder durch die Gegend.
Quelle: Klaus Stuttmann
Fakt ist, dass die deutsche Wirtschaft aufgrund des wieder ansteigenden Außenhandelsbeitrags wächst. Aber selbst die Kaffeesatzleser gehen davon aus, dass diese Prosperität eine vorübergehende sein wird. Die Anzeichen für ein Abkühlen der Weltwirtschaft wurden bereits gesichtet. Nur braucht man dazu nicht in die Ferne blicken, sondern einfach in die aktuellen Lageberichte. Zum Beispiel in den Monatsbericht des Finanzministers vom Oktober 2010. Darin steht nun zu lesen:
Der Aufschwung in Deutschland setzte sich in den Sommermonaten fort, allerdings mit erheblich geringerem Wachstumstempo. Angesichts niedrigerer Zuwachsraten bei der industriellen Produktion ist für das 3. Quartal mit einem deutlich geringeren saisonbereinigten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu rechnen als im vorangegangenen Vierteljahr.
Nach verhaltenem Einstieg in das 3. Quartal hat sich die Wirtschaftstätigkeit in der Industrie zuletzt wieder deutlich erhöht. Die Dynamik ist aber viel niedriger als im Frühjahr. Die vorlaufenden Indikatoren wie beispielsweise das industrielle Bestellvolumen und die Stimmung in den Unternehmen signalisieren eine Fortsetzung des gesamtwirtschaftlichen Aufschwungs. Die voraussichtlich geringere Dynamik dürfte dabei auch auf die spürbare Verlangsamung des Wachstumstempos der Weltwirtschaft zurückzuführen sein.
Und auf das Wachstumstempo der Weltwirtschaft hat Deutschland bekanntlich keinen Einfluss. Obwohl unsere Regierung kräftig an dem Ast sägt, auf dem ihr Wachstum gerade hockt. Die Konjunkturprogramme. Brüderle verkündet den Ausstieg aus den Konjunkturmaßnahmen. Gleichzeitig übt die Bundesregierung in Brüssel Druck aus, dass auch andere Volkswirtschaften einen harten Konsolidierungskurs fahren. Da will der Geisterfahrer sein falsches Verhalten zur Regel machen und den Gegenverkehr zwingen, es ihm gleich zu tun.
Der Export geht also flöten. Das wissen alle, auch die Konjunkturforscher. Daher kömmt es einmal mehr auf die nicht vorhandene Binnennachfrage an. Sie entscheidet über Wohl und Wehe der Brüderleschen Weissagung. Laut Prognose der Bundesregierung soll die Arbeitslosenzahl im kommenden Jahr um 300.000 sinken. D.h. im günstigsten Fall glaubt die Bundesregierung an 300.000 neue Stellen, ob Vollzeit oder nicht, sei mal dahingestellt. Aber von den damit verbundenen zusätzlichen Einkommen, sofern vorhanden, und von den unterstellten üppigen Lohnerhöhungen bei den übrigen Beschäftigten sowie von den fünf Euro Aufschlag für Hartz-IV-Empfänger erwartet man, dass die Konjunktur nun richtig angekurbelt wird. Klar, und es bleibt sogar noch etwas übrig, damit die Bürger ihren Anteil zum Sparpaket leisten können.
Rechnen sie noch oder fahren sie bereits hinter Brüderle?
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.