Als vor gut einem Jahr Merkel und Schäuble ihr Jahrhundertsparpaket mit einem Umfang von 80 Mrd. Euro bis 2014 vorstellten, versuchten sie ihrem reinen Sozialstaatskürzungsprogramm eine gewisse Ausgewogenheit dadurch zu verleihen, indem sie behaupteten, auch die Wirtschaft zur Finanzierung der Krisenkosten heranzuziehen.
Wie sie sicherlich noch wissen, bildete die Brennelementesteuer den Kern dieses Vorhabens. Sie sollte dem Bundesfinanzminister jährlich 2,3 Mrd. Euro einbringen. Im Gegenzug durften die Energiebosse über die Laufzeit ihrer Atommeiler selbst bestimmen. Morgens gegen halb sechs erlaubte man dann der Regierung, den Atomkompromiss(t) im heißen Herbst der Entscheidungen zu unterzeichnen. RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz plauderte damals ohne scheu aus, wie es zum Geheimvertrag mit der Regierung kam.
Quelle: FTD
Tobias Münchmeyer von Greenpeace will wissen, wer denn garantiert, dass die Konzerne wirklich ihre Zusatzgewinne aus längeren Atomlaufzeiten abgeben. Die Konzerne hätten schließlich schon einmal einen Vertrag gebrochen, den Atomkonsens mit Rot-Grün nämlich. Es ist die Art von Frage, die Schmitz gar nicht leiden kann. Das sei eine Unterstellung, schimpft er. Und im Übrigen hätten die Konzerne die Vereinbarung mit der Bundesregierung noch in der Nacht paraphiert. „Um 5.23 Uhr morgens.“ Schmitz zeigt auf Umweltstaatssekretär Jürgen Becker, der in der ersten Reihe sitzt. „Auch Sie, Herr Staatssekretär, haben wir dafür noch mal aus dem Bett geholt.“
Jetzt ist die Nachricht in der Welt. Und sie wirft viele Fragen auf. Was steht in diesem Geheimvertrag? Hatte die Regierung nicht immer versprochen, keinen Deal mit den Konzernen zu schließen? Und warum haben die Kanzlerin und ihre Minister in all den Pressekonferenzen seit Montagmorgen nichts verraten?
Nun soll die Brennelementesteuer, die nicht nur als Beitrag zur Sanierung des Haushalts erhoben werden sollte, sondern auch zur Sanierung des maroden Atommüllendlagers Asse, wieder verschwinden und im Gegenzug die Laufzeitverlängerung zurückgenommen werden. Das sieht nach dem berühmten Tisch aus, über den sich die Regierungshampelmänner und Frauen gerne ziehen lassen.
RWE-Chef Jürgen Großmann poltert schon mal drauf los und meint, dass die Bundesregierung keine fixen Termine für eine Zukunft nennen solle, „in der keiner der heutigen Entscheider noch regieren wird“ (Quelle: SpOn). Ein Brüller. Denn genau dasselbe hat schon Rot-Grün gemacht, mit dem Ergebnis, dass der Beschluss kurzerhand durch eine andere Regierung rückgängig gemacht wurde. Großmann sorgt sich also ums Image. Er will vermeiden, dass der Gesetzgeber im Nachhinein wieder begründen muss, wann Entscheidungen, die er einmal auf demokratischen Wege herbeigeführt hat, rückabgewickelt werden können. Da hat es ja peinliche Situationen mit dem Projekt Stuttgart 21 gegeben. Ein Bahnhof ist schließlich kein AKW.
Quelle: Klaus Stuttmann
Großmann plädiert dafür, die Projekte der Energiewende alle drei Jahre zu überprüfen. So könne bei Bedarf Tempo gemacht oder gebremst werden, zitiert Spiegel Online weiter. D.h., dass die Kernkraftwerksbetreiber auch in Zukunft den Abschalttermin, wenn überhaupt, festlegen wollen.
Grundsätzlich sei eine Energiewende zwar zu schaffen – aber nur gemeinsam in Europa, nicht mit einem deutschen Alleingang. Er warnte vor einer „Ökodiktatur“.
Das wird die Kanzlerin am Ende wahrscheinlich auch so sagen. Denn wie bei der Finanztransaktionssteuer gilt das Prinzip, dass nur eine gemeinsame europäische Lösung, die es aller Erfahrung nach kaum geben wird, die vernünftigste aller alternativlosen Alternativen sein kann.
Wirtschaftlicher Erfolg, Stabilität und nicht zuletzt die Demokratie hingen von längeren Laufzeiten ab, so Großmann weiter. Sie wissen schon, weil sonst die Lichter schneller ausgehen, als sie gucken können. Derzeit laufen aus diversen Gründen nur noch vier Atomkraftwerke in diesem Land und Großmann hat recht. Damit ich diese Zeilen schreiben kann, muss mein Hamster Überstunden schieben.
Deshalb vertraue ich auch auf die Weisheit und den Weitblick der Vorstände aus den vier großen Energiekonzernen, die sich im, wie heißt das nochmal, ach ja, Wettbewerb befinden. Die werden schon wissen, was in die neue Vereinbarung mit der Regierung hineingehört. Wie hat es Johannes Teyssen, Chef von Eon, im Anschluss an die Bekanntgabe des Moratoriums so schön formuliert. Nach drei Monaten begänne das Spiel mit der Bundesregierung und um die Atomkraftwerke neu. Und wer den wandelnden Protokollfehler Brüderle beim Wort nimmt, weiß genau, dass das ganze irrationale Theater ohnehin nur wegen der Wahlen stattgefunden hat. So what?
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.