Der Bildungsstreik und die Kommentierung der Neuen Presse Hannover

Geschrieben von: am 18. Nov 2009 um 16:32

So langsam rückt das Thema Bildungsprotest auch in den Fokus der grünen Bildzeitung. Nachdem sich Politiker auf die Seite der Studierenden geschlagen haben, stellt sich nun auch die Schmierenredaktion der Neuen Presse Hannover verhalten hinter die Protestbewegung, die schon einige Zeit im Gange ist und bisher von den deutschen Medien zum großen Teil ignoriert wurde. Die Kommentierung ist dabei sehr ärgerlich, weil es einmal mehr zeigt, dass die Damen und Herren Redakteure vom Grundploblem nichts verstanden haben.

Am Montag eröffnete Heiko Randermann mit der Botschaft, dass es Zeit für eine Reform-Bilanz sei.

„Es ist Zeit, eine Bilanz der Universitätreformen zu ziehen – und wo nötig nachzubessern. Grundsätzlich war der Schritt zu Bachelor und Master richtig. Deutschlands Universitäten waren in ihrem traditionellen Anspruch, jeden Studenten zu einem Wissenschaftler erziehen zu wollen, weltfremd geworden. Viele Studierende wollten und wollen eine akademische Ausbildung, die sie fit für die Berufswelt macht – den Bachelor. Wer darüber hinaus die wissenschaftliche Arbeit vertiefen wollte, dem sollte der Master offen stehen. So weit die Theorie, die allerdings in der Umsetzung handwerkliche Schwächen aufweist. Hier muss nachgebessert werden, ohne die Universitätsreform in Bausch und Bogen zu verurteilen.“

Heiko Randermann hat nichts verstanden und verdreht die Tatsachen. Die Reform hat nicht etwa stattgefunden, weil Studierende eine akademische Ausbildung wünschten, die sie fit für die Berufswelt macht, sondern es war gerade umgekehrt. Die Wirtschaft ist mit ihrem Sprachrohr Bertelsmann (CHE = Centrum für Hochschulentwicklung) gekommen und hat die Umgestaltung von Sudiengängen nach dem Bachelor/Master-Prinzip eingefordert, damit möglichst viele billige Arbeitskräfte relativ schnell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Dabei hat man sogar das Bundesbildungsministerium übernommen, dem immer noch die Bildungsverweserin Annette Schavan vorsteht.

In diesem Zusammenhang sollte man noch einmal darauf hinweisen, dass just in dem Moment als man hier die Einführung zahlreicher Bachelor/Master-Studiengänge abfeierte, die Urheber dieses Ausbildungsmodells, die Amerikaner, bereits erkannten, dass Bachelor und Master einen Akademiker nicht wirklich auf das (Arbeits-)Leben vorbereiten würden. Diese Erkenntnis führte aber nicht dazu, den europäischen Hochschulzerstörungsprozess mit dem Namen Bologna aufzuhalten. Im Gegenteil: Zum Turbo-Abi gehört auch ein Turbo-Studium. Bezeichnend ist das von Randermann hingerotzte Gelaber von Weltfremdheit, was die Ausrichtung deutscher Universitäten vor Bologna anbelangt.

Es war gerade diese „Weltfremdheit“, die den deutschen Universitätsstandort qualitativ auszeichnete. Das kann man besonders gut an dem Scheitern der Exzellenzinitiative erkennen. Da hat man ja versucht, sich dem amerikanischen Modell anzupassen und vor allem über die bessere monetäre Ausstattung von einzelnen wenigen Instituten einem kranken Bild von Wettbewerb zu entsprechen. Der Scheiß, dass sich deutsche Universitäten vor allem dem Wettbewerb mit amerikanischen und chinesischen Hochschulen stellen müssten, stand auch in der Neuen Presse. Vor einem Jahr etwa. Damals führte Randermann ein Interview mit dem niedersächsischen Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (siehe hier).

Ich habe damals schon darauf hingewiesen, dass das Bestreben nach einer Verbesserung der internationalen Wettbewerbssituation totaler Unsinn sein muss. Denn die Spitzenuniversitäten der Ivy-League, zu der unter anderem Harvard zählt, verfügen über Milliarden-Budgets und Haushalte. Der Sieger der bundesdeutschen Exzellenzinitiative erhält aber gerade einmal 21 Millionen Euro. Mir scheint, dass Bologna-Politiker und Journalisten wie Heiko Randermann sehr weltfremd reden, wenn sie über die Universitätsstrukturen vor Bologna spotten, bei denen es übrigens noch demokratische Mitbestimmung gab, die ja mittlerweile durch unternehmerisches Management ersetzt wird.

Gegen diese radikale Umgestaltung der Hochschullandschaft nach Maßgabe unternehmerischen Denkens richtet sich der Protest. Darauf hätte Herr Randermann mit ein bissel Recherche aber kommen können. Heute lese ich auf Seite eins einen weiteren Kommentar. Diesmal von Nora Lysk. Sie schreibt, dass man raus aus dem Studienkorsett müsse. Sie meint damit aber nicht, eine Beendigung des Bachelor/Master Irrsinns, sondern vielmehr die Flexibilisierung von Studienzeiten.

„Doch so absurd manche studentische Parole ist – wie etwa die Totalabkehr von international vergleichbaren Abschlüssen –, so wenig glaubwürdig sind Versprechungen, die am Ende keiner erfüllen kann. Denn Lehrpläne entrümpeln und das Prüfungsstakkato beenden, das ist Aufgabe der Universitäten. Wenn die die Not ihrer Studenten wirklich ernst nehmen, dann sollten sie auch den Mut aufbringen, endlich flexiblere Studienzeiten zu schaffen. Und den Bachelor mitsamt Studenten aus dem Korsett befreien.“

So ein dummes Zeug. Allein schon die Behauptung, Bachelor und Master seien international vergleichbar ist nicht nur eine Lüge, sondern auch eine Volksverdummung gigantischen Ausmaßes. Denn diese Abschlüsse sind nicht einmal vergleichbar innerhalb der deutschen Kleinstaaterei, die seit der Förderalismusreform Einzug gehalten hat. Gleiches Etikett bedeutet noch lange nicht gleicher Inhalt. Das sollten Frau Lysk und die Schmierenredaktion der Neuen Presse erst einmal zur Kenntnis nehmen, wenn es ihnen tatsächlich Ernst damit ist, eine kritische Bestandsaufnahme in Gestalt einer Reform-Bilanz wagen zu wollen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Megahoschi  November 18, 2009

    Nabend

    Ic kenne mich mit dem Bildungssystem zugegebener maßen nicht so gut aus, habe mich nie drum gekümmert, weil ich nach 10 Jahren Schule in die Ausbildung gegangen bin. Allerdings gehe ich davon aus, das man durch die Bachelor Abschlüsse nur halbwegs ausgebildete Leute haben wollte, Die man billig oder kostenlos als Praktikanten einsetzen kann.
    Ich weiß allerdings nicht ob es wirklich sein muß, das jeder Hansel überhaupt studieren muß. So us dem Bauch heraus, wie gesagt ohne wirkliches Wissen über das Studiensystem währe ich für Einstellungsbedingungen wie einen gewissen Notendurchschnitt und dafür Lehrmittelfreiheit. Bei vielen währe es wohl besser Sie würden lieber einen anständigen Beruf lernen als sich noch Jahrelang in der Schule rum zu drücken und Anderen die Plätze weg zu nehmen.

    • adtstar  November 18, 2009

      Ich weiß allerdings nicht ob es wirklich sein muß, das jeder Hansel überhaupt studieren muß.

      Tja, diese Frage ist in den Sozialwissenschaften eigentlich längst entschieden worden. Und das deutsche Universitätsmodell vor Bologna war beispielhaft dafür, wie man volkswirtschaftlich vernüftige Hochschulstrukturen vorhält. Die Massenuniversität bietet eben den Zugang für alle Bevölkerungsschichten. Und dies war auch nötig, nachdem Ende der 1960er Jahre erstmals mehr Menschen an die Unis strömten, als es Beschäftigte in der Landwirtschaft gab. Dieser gesellschaftlichen Veränderung wurde Rechnung getragen, nachdem man die erste „Bildungskatastrophe“ in diesem Land beklagte.

      Nun aber hat sich das wieder umgedreht. Die Unis sollen künftig vor allem Eliteschmieden sein, von denen der Pöbel fern zu bleiben hat. Das FDP-Stipendienmodell ist da nur die Spitze des Eisbergs. Man kann nicht einerseits über das Bildungsdesaster und fehlende Fachkräfte jammern und gleichzeitig dafür sorgen, dass immer mehr Menschen ausgeschlossen werden. Das ist nicht nur aus volkswirtschaftlicher Perspektive eine bornierte Einstellung, sondern auch unter dem Aspekt wachsender sozialer Disparitäten eine völlig hirnrissige Politik.

      Wer „Wachstum“ in seinen Koalitionsvertrag schreibt, muss eben auch dafür sorgen, dass die Voraussetzungen geschaffen werden. Die Regierung belügt in Sachen Wachstumspolitik die Menschen, weil sie der Elitenbildung Vorschub leistet und die Massen in die gesellschaftliche Armut abdriften lässt.

      • Megahoschi  November 18, 2009

        Gut auch wenn die Sozialwissenschaftler das längst entschieden haben gibt es doch Studiengäge, wo man hinterher so zu sagen den Taxenschein gleich mit bekommt, blöd nur, das keiner so viele Taxifahrer braucht.

        Natürlich kann es nicht richtig sein, wie es die FDP versucht, indem man ein Studium vom Geldbeutel der Eltern abhängig macht, aber das es Leute gibt die so zu sagen den ewigen Studenten machen und niemals richtig ans Arbeiten kommen kann ich einfach nicht richtig finden. Ich mußte eben mal in Dein Profil schauen und sehe allerdings, das Du Dich da wohl mit Sicherheit um einiges besser aus kennst als ich.

        Was ich viel bedenklicher finde: Vor einigen Wochen war ich in meiner alten Schule, die Gemeinde hat einen neuen Fernseher fürs Schulzentrum gekauft. Schon vor 25 Jahren als ich da noch gelernt habe, war die Bude schon völlig marode und Du mußt nicht glauben, das da auch nur irgend was renoviert worden ist.

    • Careca  November 19, 2009

      (Hallo Megahoshi, bitte das Folgende nicht als persönliche Abqualifizierung deiner selbst verstehen. Ich schreib es als Reflexion auf das von dir geschriebene. Du kannst mich ja nachher zurückflamen, wenn ich dir zu weit gegangen sein sollte.)

      Ich habe in den 90ern den damaligen Streik der Studentenschaft miterlebt und anfangs mitgemacht. Was mir das Mitmachen verleidete, waren die Süppchen der HoPos (Ableger der bundesparteipolitischen Landschaft und von diesen geprägten Hochschulpolitische Gruppierungen an den ASTA-Organisationen, soweit jene ASTA noch gesetzlich erlaubt). Die Basis-Ideen von damals sind aber noch genauso wie heute (nur dass damals zur Kohl-Zeit diese Streiks verstärkt tot geschwiegen wurden, weil ja niemand was gegen die Kohl-Regierung sagen wollte, denn …)

      Der Satz

      Ich weiß allerdings nicht ob es wirklich sein muß, das jeder Hansel überhaupt studieren muß.

      ist mit Verlaub deutsches Kulturgut und ich warte noch darauf, dass jemand sich den Satz schützen lässt und dann Royality für dessen Gebrauch einfordert. Billiger kann man nicht Milliardär werden.

      Letztendlich wurde der obige Satz uns m.E. so erfolgreich eingehämmert, dass bei der Kür der Elite-Unis (vorletztes Jahr) niemand aufschrie sondern viele dachten „Endlich Harvard vor der Haustür“.

      Die Einführung der Studiengebühren entspringen auch diesem Satz. Denn wer Elite ist, der kann auch elitär zahlen. Oder würdest du befürworten, dass die Kinder der deutschen Elite umsonst studieren dürfen?
      Und wo Elite sich rumtummelt, da ist es dann wie bei den Gala-Abenden der oberen Zehntausend. Da hat Hansel nicht verloren.

      Darum ist ja auch eine Streichung/Einfrierung des BaFöGs ein gern gesehenes Mittel. Hält es doch die Un-Elitären von den Unis/THs/FHs etc. weg.

      Und wenn dann wieder Gymnasiasten den ganzen Real- und Hauptschülern die Ausbildungsplätze wegnehmen, weil sich die Abiturienten ein Studium nicht mehr leisten können, dann können wir bald ein Geschrei vernehmen, welches den Unterton führt, dass solche Leute das Gymnasium meiden sollten und lieber gleich auf Real- und Hauptschule gehen sollten. Das Geschrei, dass die Gymnasiasten den ganzen Real- und Hauptschülern die Ausbildungsplätze wegnehmen, hat es schon einmal vor ca. 10 Jahren gegeben.

      Es stimmt schon, muss denn jeder Hansel mit Potential überhaupt studieren? (*fünfEuroindiePhrasenkaffeekassewerfend*)
      Und wenn es Politiker behaupten (Rechtsanwälte, Lehramtsvertreter, Wirtschaftsstudierte oder Elitenvertreter), dann weiß ich, was man als erfolgreicher Studiumsabsolvent und erfolgloser Berufspraktiker immmer noch werden kann: Politiker.

      • adtstar  November 19, 2009

        Das Geschrei, dass die Gymnasiasten den ganzen Real- und Hauptschülern die Ausbildungsplätze wegnehmen, hat es schon einmal vor ca. 10 Jahren gegeben.

        Ich bezeichne diesen Zustand immer als Rattenrennen. Mit Einführung von Bachelor und Master an den Hochschulen hat sich im Grunde nur ein wenig die Achse verschoben. Jetzt sind es nicht mehr die Abiturienten die Ausbildungsplätze rauben und damit die Arbeitsperspektiven der Realschulabsolventen, sondern fertige „Akademiker“, die sich um die weniger werdenden Jobs streiten. Der Hauptschulzweig ist im Grunde schon gesellschaftlich und wirtschaftlich abgewickelt, ohne dass es irgend einen Sonntagsredner interessieren würde. Soll die Realschule folgen?

        Bei der Diskussion ums Bildungssystem müssen wir einfach wieder zu der Frage zurückkommen, welche Interessen bedient werden. Und das ist auch der Gegenstand des Protests. Es geht um die nach wie vor anhaltende Unterwerfung aller Bereiche der Gesellschaft unter das Dogma des freien Wettbewerbs und des Marktes.

        Nicht umsonst steht auf den Transparenten „Bildung krepiert, wenn Scheiße regiert“. Die Protestbewegung zieht ihren Antrieb verstärkt aus der Erkenntnis, dass das marktgläubige Gesellschaftsmodell mit dieser Krise obsolet geworden ist. Das ist eine sehr konkrete Erfahrung. In anderen Ländern mehr, das gebe ich zu. Doch unsere Regierung tut gerade so, als sei nichts geschehen bzw. als hätte der betriebene Umbau des Bildungssystems der letzten Jahre nichts mit der Krise zu tun.

        Die Erhöhung des Bafög, zuletzt großspurig von Frau Schavan als Reaktion auf die Proteste angekündigt, wird wieder auf die lange Bank geschoben. Kein Geld. Für andere Projekte ist sofort welches da, wie für Übernachtungen im Hotel z.B.. Da sinkt ja die Mehrwertsteuer im nächsten Jahr. Und das kostet ne Menge. Begründung: Wettbewerbsfähigkeit. Als ob ein Gast, der geschäftlich oder privat nach Berlin reist, wegen einer zu hohen Mehrwertsteuer wahrscheinlich die Nacht in Paris verbringen würde.

      • Megahoschi  November 19, 2009

        Nabend

        Ach mach Dir nichts draus ich hab nen dickes Fell, außerdem finde ich es ausgesprochen gut, auch mal ne andere Meinung zu lesen. Du hast allerdings meine Frage ob denn jeder Hansel studieren muß um den Zusatz „mit Potenzial“ ergänzt und das verzerrt meiner Meinung nach die Frage ganz erheblich. Wenn jemand das Potenzial hat, dann muß er natürlich studieren, darum bin ich ja auch für eine Lehrmittelfreiheit, damit es eben nicht am Geld der Eltern liegt, ob man das Potenzial bemerkt, wenn jemand das Potenzial aber nicht hat, dann soll Er es auch lassen und lieber ne Lehre machen.

        Ich weiß nicht wie es in anderen Branchen aus sieht, aber wir bekommen keine Lehrlinge mehr. Als ich vor 24 Jahren meine Lehre gemacht habe, waren wir in meinem Jahrgang 5 Klassen a 20 Leute und das war ganz normal. Nun ist die Berufsschule in Hannover mangels Interesse zu und die Schüler müssen nach Hildesheim, da gibt es pro Jahrgang eine Klasse mit 15 Leuten Die den Fernsehmann lernen wollen und Die kommen aus ganz Hannover und Umgebung.

  2. Teja552  November 18, 2009

    Ich habe von dieser Materie auch nicht die Ahnung, aber ich denke mal die Studenten tun dies nicht Grundlos, es gibt ja nicht nur in Deutschland Streiks, also da muss schon was im Argen sein.